Wirkungsvolle Feuervermeidung

Brandschutz durch Sauerstoffreduzierung

15. Oktober 2018, 7:00 Uhr | Michael Schultz

Ohne Sauerstoff kein Feuer. Doch wie lässt sich diese einfach klingende Formel für den Brandschutz umsetzen? Theoretisch ist dies ganz simpel, doch in der Praxis sind bei diesem komplexen Thema viele Faktoren zu berücksichtigen.

In einem zu schützenden Bereich wie zum Beispiel automatischen Lagern, Archiven oder Rechenzentren erfolgt tatsächlich keine Reduzierung des Sauerstoffs (O2). Stattdessen erzeugen die Systeme vor Ort Stickstoff (N2), der dem zu schützenden Bereich zugeführt wird. Durch die Erhöhung des Stickstoffanteils ist dann der Sauerstoffanteil im Gesamtvolumen "Luft" im zu schützenden Raum verringert. Das Ergebnis ist eine sauerstoffreduzierte Atmosphäre.

Statt Sauerstoffreduzierung trifft die Beschreibung "künstlich erzeugte und kontrollierte Atmosphäre" auf diese Brandvermeidungsmethode folglich wesentlich genauer zu. Denn im Schutzbereich ist das Verhältnis Sauerstoff zu Stickstoff durch den Einsatz einer Brandvermeidungsanlage künstlich verändert, kontinuierlich aufrechterhalten und sehr genau gemessen. Steigt zum Beispiel durch Leckagen der Sauerstoffanteil im Schutzbereich an, wird so lange Stickstoff nachgeführt, bis der gewünschte "Schaltwert" wieder erreicht ist. In der Regel erfolgt die Regulierung und das Halten des Sauerstoffniveaus im Schutzbereich mit einer Genauigkeit von 0,2 Volumenprozent. Abhängig von der Anwendung kann der Spielraum für das Nachführen des Stickstoffs variieren.

Die Leckagen des Gebäudes sowie die Öffnungsvorgänge von Türen, Toren oder Schleusen geben im Wesentlichen die Dauer und Häufigkeit der Stickstoffproduktion und somit den Energiebedarf der Anlage im laufenden Betrieb vor. Einen großen Einfluss auf den Stickstoffbedarf hat beispielsweise auch die Lage des Gebäudes. Ein frei stehendes, nahezu ungeschütztes Gebäude ist den Witterungsverhältnissen ganz anders ausgesetzt als ein durch umliegende Bauten oder landschaftsbedingt windgeschütztes Gebäude. Besonders die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten sind unbedingt zu berücksichtigen.

Bedenken die Planer bei der Dimensionierung der benötigten Anlage die unterschiedlichen Parameter nicht, wundert sich der Anwender spätestens bei den ersten Wetterturbulenzen. Wirken auf das Gebäude hohe, nicht eingerechnete Windlasten ein, ist das Erzeugen und Aufrechterhalten der gewünschten kontrollierten Atmosphäre nur schwer beziehungsweise nur eingeschränkt möglich. Weder Anbieter noch Anwender sollten darauf vertrauen, dass der Wind nicht so oft stark wehen wird.

Voraussetzungen

Eine weitere - und oft unterschätzte - Einflussgröße ist die Dichtheit des Schutzbereichs. Um in einem Raum eine künstliche Atmosphäre aufbauen und halten zu können, muss der betreffende Raum so dicht wie möglich errichtet sein. Dies bedeutet, dass Brandvermeidung durch Sauerstoffreduktion eine gute Gebäude- oder Raumplanung sowie eine zuverlässige und genaue Ausführung voraussetzt.

Um zu ermitteln, wie dicht ein Gebäude oder Raum ist, kommt das als Blower-Door bekannte Differenzdruck-Messverfahren zum Einsatz. Das Testresultat beschreibt die Luftaustauschrate pro Stunde für das untersuchte Gebäude oder den getesteten Raum bei einem Über- und Unterdruck von 50 Pascal (N50-Wert). Dieser unverzichtbare Test ist sowohl im Rohbauzustand als auch bei bestehenden Gebäuden möglich und zeigt Undichtheiten in der Gebäude- oder Raumhülle zuverlässig auf. Eventuelle Schwachstellen sind bei Neubauten natürlich einfacher zu beseitigen als bei bestehenden Gebäuden. Umso wichtiger ist dieser Test. Denn das Ergebnis kann auch aufzeigen, dass die Umsetzung eines Brandvermeidungsprojekts im Bestandsbau unter Umständen mit sehr viel Aufwand verbunden ist.

Permanenter Schutz

Im Gegensatz zu reaktiven Anlagen für Brandschutz oder Brandbekämpfung steht das Verfahren "Sauerstoffreduzierung" für absolute Brandvermeidung. Bei den reaktiven Systemen muss ein Feuer entstehen und ein Alarm erfolgen, damit diese Anlagen überhaupt eingreifen können. Es ist dabei keine Seltenheit, dass ausgelöste Löschanlagen durch den Einsatz von Gas, Wasser, Schaum oder auch Nebel den bis zur Auslösung entstandenen Schaden durch das jeweilige Löschmedium wesentlich vergrößern. Wasser kann beispielsweise ganze Gebäude unbrauchbar machen, und das Auslösen einer Gaslöschanlage in einem Rechenzentrum kann schwere und teure Schäden zur Folge haben.

Die Brandvermeidung durch Sauerstoffreduzierung verhindert bereits die Entstehung eines Feuers. Damit sind auch keine anlagentechnischen Maßnahmen zur Brandbekämpfung nötig. Die "künstlich erzeugte und kontrollierte Atmosphäre" bietet einen permanenten und umfassenden Schutz, sodass selbst bei einem elektrischen Kurzschluss kein Feuer entstehen kann. Es kann vorkommen, dass beispielsweise mit Warenlieferungen ein versteckter Brandherd in den Schutzbereich gelangt. Die künstliche Atmosphäre im Raum bewirkt, dass ein solcher Brandherd erlischt und keine Kraft zur Entzündung anderer brennbaren Materialien entfalten kann.

Ein häufiger Wunsch der Anwender ist die Einbindung der Brandvermeidungsanlage in ein bestehendes Brandmeldekonzept. Ein nachvollziehbarer Wunsch, denn auch wenn ein Feuer nicht entstehen kann, ist eine Branddetektion oder eine Früherkennung empfehlenswert. Es gibt Ereignisse, die durchaus eine schnelle Reaktion erfordern, um größere Schäden zu vermeiden. Bei elektrischen Kurzschlüssen entstehen beispielsweise hohe Temperaturen und durch die Erwärmung entweichen Aerosole aus Kabelisolationen und Ummantelungen. Werden die freigesetzten Aerosole registriert, lässt sich frühzeitig eine Beschädigung eines Kabels oder einer Platine detektieren. Eine Reaktion kann erfolgen, bevor womöglich das gesamte System ausfällt. Brandvermeidungsanlagen haben kein Erkennungssystem für Brandereignisse und lösen daher keinen Alarm aus. Störungen und Meldungen können auf eine bestehende Hausleittechnik oder Brandmeldeanlage des Nutzers weitergeleitet werden.

Im laufenden Betrieb erzeugen die Brandvermeidungsanlagen Meldungen, die den Anlagenzustand betreffen oder auf Störungen im Anlagensystem hinweisen. Diese Meldungen lassen sich beispielsweise auf eine bestehende Hausleittechnik oder auf die Brandmeldeanlage des Nutzers weiterleiten und können zudem an einen Web-Server zur weiteren individuellen Weiterleitung gehen. Ein Alarm erfolgt nur dann, wenn die Sauerstoffkonzentration im Schutzbereich durch einen Störfall auf ein gesundheitsschädliches Niveau absinkt. Allerdings ist dieser Fall nach Einschätzung von Experten nahezu auszuschließen, da Brandvermeidungsanlagen über multiple, redundante Hard- und Softwaresicherungen verfügen, um die Anlage im Notfall gegebenenfalls komplett auszuschalten.

Ein hypothetischer Störfall wäre ein kompletter Ausfall der Anlage, der wohl nur bei einem Stromausfall möglich ist. Allerdings ist auch dies nicht so dramatisch, wie es auf den ersten Blick erscheinen könnte: Das Schutzniveau verschwindet nicht auf einen Schlag, sondern wird langsam abgebaut. In Abhängigkeit von Dichtheit und Nutzung des Schutzbereiches dauert es viele Stunden, Tage oder gar Wochen, bevor die künstliche Atmosphäre soweit verdünnt ist, dass wieder ein Feuer entstehen kann.

Der Errichter der Anlage errechnet dafür im Vorfeld nicht nur die Anlagengröße und die Laufzeit der Anlage, sondern auch die exakte Haltezeit der Schutzatmosphäre bei Anlagenausfall und die dafür notwendigen Bedingungen. In der Regel lässt sich die Ursache eines Ausfalls beheben, bevor die Haltezeit abgelaufen ist.

Michael Schultz ist bei Wichmann Brandschutzsysteme in Attendorn tätig, www.wichman.biz.


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