Hardware über EOSL hinaus nutzen

Freie Werkstatt

17. April 2020, 7:00 Uhr | Klaus Stöckert

Hardwarehersteller von Servern und Rechenzentrums-Infrastruktur geben die Geschwindigkeit vor - mit klaren Vorgaben zum Produkt-Lifecycle. Endet der Support der Hersteller zu einem Produkt (End of Service Life, EOSL), stehen Anwender und Kunden oft unter Druck, neue Hardware anschaffen zu müssen. Diese Anschaffung kostet jedoch viel Geld, und der Aufwand für eine Erneuerung der Infrastruktur, auf der existenzielle Systeme wie beispielsweise das ERP laufen, ist immens. Längst haben IT-Experten deshalb erkannt, dass es zwei verschiedene Lebenszyklen für Hardware gibt: den eher vertriebsorientierten und eine tatsächliche Lebenserwartung. Letztere liegt dabei oft wesentlich höher als angenommen.

Voraussetzung ist allerdings eine professionelle Wartung. Ist der Support nicht mehr durch den Hersteller geleistet, tritt eine Alternative auf den Plan: Drittwartung oder Third Party Maintenance (TPM) ist ein herstellerunabhängiges Betreuungsmodell für komplexe IT-Infrastrukturen aus einer Hand. In erster Linie profitieren Rechenzentren von diesem Service-Modell. Das Konzept ist längst nicht jedem bekannt, bietet jedoch gewisse Vorteile.

Ein maßgeblicher Vorteil ist das Ablösen einzelner Service-Verträge mit Herstellern und die zentralisierte Wartung von Rechenzentren. Dies kann die Reaktionszeit bei einem Systemausfall entscheidend reduzieren. Die Wirtschaft kann bekanntlich ohne Technikkomponenten wie Router, Server und Switches nicht mehr existieren. Ein kompletter Ausfall der Infrastruktur kann daher dramatische Folgen bis hin zur Insolvenz haben. Experten schätzen, dass es durchschnittlich weniger als eine Woche Komplettausfall einer Unternehmens-IT braucht, um in die Gefahr eines Konkurses zu geraten.

Doch auch wenn es nicht gerade um die Existenz des Unternehmens geht, gibt es weitreichende Konsequenzen, wie der Fall des Versicherers Allianz zeigt. Die bundesweit vertretenen Allianz-Berater mit eigenem Büro hatten mehrere Tage keinen Zugriff auf das IT-System und konnten damit weder Neuverträge abschließen, noch Angebote erstellen oder ihre Beratung ordnungsgemäß durchführen. Von dem Konzern verlangen sie daher laut der "Süddeutschen Zeitung" einen finanziellen Ausgleich. Ein Grund für den Ausfall wurde später durch die Allianz-IT angegeben: "fehlerhaft vorbereitete und durchgeführte Systemanpassungen" - also eine typische Wartungsproblematik. Es zeigt sich, dass eine auf sich allein gestellte Unternehmens-IT in bestimmten Situationen überlastet und überfordert sein kann. Drittwartung kann unabhängig von Herstellern und deren Lebenszyklen für Hardware die nötigen, sinnvollen und unvermeidbaren Aufgaben übernehmen und entlastet so die unternehmenseigenen IT-Abteilungen.

Single Point of Contact

TPM funktioniert ähnlich wie die Wartung eines Autos. Für viele Autobesitzer ist es - vor allem nach Ablauf der Garantiezeit - ein völlig normales Vorgehen, anfallende Service- und Reparaturarbeiten in einer freien und nicht an eine Marke gebundenen Werkstatt durchführen zu lassen. Auch die Komponenten in einem PKW werden von einzelnen Herstellern produziert und letztendlich in der Fahrzeugfabrik zusammengefügt. Der Generator kommt von Bosch, die Komponenten der Klimaanlage von Denso und das ganze Fahrzeug wird beispielsweise als VW Golf verkauft. Dennoch kann ein Service-Partner problemlos alle Baugruppen warten und reparieren, kostensparend und mit einem einzigen Ansprechpartner (Single Point of Contact). Auch in der IT kann ein zentraler Service wertvolle Ressourcen im Unternehmen freigeben, die beispielsweise dazu dienen können, sich den Herausforderungen der fortschreitenden Digitalisierung zu stellen und bei der Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle zu unterstützen.

Laut der Studie "Data Center Wartung 2019" von Technogroup IT-Service verfügen 57 Prozent der Firmen über keine vollständige Abdeckung der eingesetzten Hardware durch Laufzeit-Service-Verträge. 23 Prozent sind komplett ohne Service-Partner. Hinzu kommt, dass ein Unternehmen meist nicht nur Hardware eines einzigen Herstellers in seinem Rechenzentrum einsetzt. 68 Prozent der Unternehmen nutzen in den eigenen Datacentern Hardware mehrerer Hersteller, davon 38 Prozent Komponenten von zwei bis fünf Herstellern, 29 Prozent sogar von fünf bis sieben Anbietern und 18 Prozent von mehr als sieben Herstellern.

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Unternehmen haben in sehr vielen Fällen Equipment verschiedener Hersteller im Einsatz. Bild: Technogroup IT-Service

Ältere Rechenzentren oft noch wichtig

Mit einem Service-Portfolio für alle Hersteller ist ein Anbieter von Drittwartung flexibler, unabhängig vom Abverkauf neuer Hardware und ermöglicht so eine längere Einsatzdauer der Komponenten. Ein Sonderfall unter Rechenzentren sind Systeme, die eine dezidierte IT-Infrastruktur benötigen - darunter zahlreiche Anwendungen, die in der Industrie nach wie vor im Einsatz sind. Ob zum reibungslosen Weiterbetrieb bis zu einem ERP-Systemwechsel oder zur Weiternutzung bestimmter Produktionsmaschinen, die auf ältere Infrastruktur zurückgreifen müssen: In die Drittwartung lassen sich auch Anlagen einbeziehen, für die der Hersteller längst keinen Support mehr leisten kann oder will.

Die Lebensdauer hat also mit dem vom Hersteller vorgegebenen Gewährleistungs- oder Support-Zeitraum von drei bis fünf Jahren nichts gemein. Gemäß gängigen Erfahrungswerten kann die Lebensdauer eines Servers bis zu zehn Jahre betragen - üblicherweise sechs Jahre für Rack-Server und bis zu zehn Jahre für integrierte Systeme. Diese Zeitangaben lassen sich jedoch problemlos übertreffen. Dies bestätigt auch die Technogroup-Studie. Bei 28 Prozent der Firmen sind Server und RZ-Hardware länger als zehn Jahre im Einsatz.

Neben den herstellerseitig vorgegebenen Lebenszyklen sind auch die Service Level Agreements und Service-Verträge für den Betreiber oft unbefriedigend gestaltet und kostenintensiv. Dies verdeutlicht die Technogroup-Studie ebenfalls: Nach der Zufriedenheit mit der OEM-Wartung gefragt, zeigte sich kein einziger der befragten Firmenvertreter sehr zufrieden, nur 17 Prozent sind zufrieden, 43 Prozent weniger zufrieden und 19 Prozent sogar unzufrieden.

Für Unternehmen, die auf Drittwartung umsteigen wollen, ist der richtige Partner entscheidend. Die schnelle Verfügbarkeit der Techniker und benötigter Ersatzteile hängt davon ab, wo der Wartungspartner seinen Sitz hat und welches Logistiknetz er nutzt. Eine umfassende Lagerhaltung gängiger Ersatzteile für Maschinen aller Altersklassen ist ein Qualitätskriterium, zusammen mit schnellen Reaktionszeiten des Anbieters. Drittwartung aus kompetenter Hand kann für ein Unternehmen dann wie ein Rettungsschirm der eigenen IT sein, zumal sich viele Firmen keine hauseigene und massiv aufgestellte eigene IT-Abteilung mehr leisten können oder wollen - was allerdings im Notfall die Hochverfügbarkeit einer Infrastruktur in Frage stellt. Dann lässt sich über Outsourcing oder Outtasking sogar eine wesentlich höhere Einsatzsicherheit schaffen als durch eigenen oder Hersteller-Service, der im Zweifelsfall für den fünf Jahre alten Server kaum noch Ersatzteile vorhält.

Cloud versus eigene Infrastruktur

Cloud Computing gilt als Alternative zu eigenen Rechenzentren. Die Kontrolle über die Daten geht dabei allerdings verloren, selbst bei Nutzung einer dedizierten Cloud. Das eigene Rechenzentrum gibt nicht nur ein besseres Bauchgefühl, sondern lässt die Daten voll unter der eigenen Aufsicht und im eigenen Netzwerk. Dennoch migrierte ein Teil der Unternehmen Daten und Anwendungslandschaften zu Cloud-Hostern - ein Trend, der sich allerdings in manchen Fällen wieder umkehrt, nicht zuletzt wegen hoher Kosten. Mit der Cloud-Repatriation werden Daten und Workloads zurück in ein eigenes, physisches Rechenzentrum geholt. Optimiert man die Betriebsparameter beispielsweise durch kostensenkende Drittwartung, kann das eigene Rechenzentrum sich gegenüber der Cloud auch wieder lohnen.

Eigene Rechenzentren lassen sich zudem modernisieren: mit cloudfähiger Technik, die Zugangswege von außen legen und damit die Datacenter zukunftsfähig machen. Damit ist die Leistungsfähigkeit auf Augenhöhe zu einem Anbieter von Cloud-Hosting. Wer die Behörden eines Drittlandes aus seinen Daten heraushalten will, ist mit dem Erhalt des eigenen Rechenzentrums ebenso gut beraten. Daten und Work-loads im eigenen Unternehmensnetzwerk bieten mehr Sicherheit und Compliance sowie eine bessere Transparenz darüber, was genau passiert.

Weniger Elektroschrott

Der Schutz von Daten zählt zu den wichtigsten Verantwortungsbereichen moderner Unternehmen. Doch auch einer Verantwortung ganz anderer Art kommt das Konzept der Drittwartung zugute: der Nachhaltigkeit und dem schonenden Umgang mit Ressourcen. Eine Studie von Supermicro, Anbieter von Enterprise Computing, Speicher- und Netzwerklösungen, untersuchte das Umweltverhalten bei mehr als 5.000 IT-Experten weltweit. Im Jahr 2019 sei die Zahl der Unternehmen, die ihre ausgemusterte Hardware recyceln, massiv zurückgegangen. Da E-Schrott in den USA bereits zwei Prozent des Abfalls und 70 Prozent des gesamten Giftmülls ausmacht, ist die Entsorgungsproblematik ernst zu nehmen. Optimierte Hardware-Aktualisierungszyklen würden laut Supermicro den E-Müll um mehr als 80 Prozent reduzieren und eine um 15 Prozent bessere Leistung erzielen, während die Anschaffungskosten für neue Komponenten um 44 Prozent sinken. Die Nutzung eines Drittwartungskonzepts macht diese Ziele erreichbar, denn Kostensenkung, Prozessoptimierung, Umweltschonung und mehr Zeit für die IT-Abteilungen erlauben es, sich um wesentliche Aufgaben statt um Verwaltung von Service-Verträgen zu kümmern.

Klaus Stöckert ist CEO bei Technogroup IT-Service, www.technogroup.com.


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