Mit Industrie 4.0 in das smarte Zeitalter

Maschinen, Menschen und Prozesse verknüpfen

26. März 2015, 7:00 Uhr | Ulrich Ahle, Head of Systems Integration Market Manufacturing, Retail and Transportation beim IT?Dienstleister Atos, www.atos.net./pf

Industrie 4.0 ist eines der wichtigsten Zukunftsthemen für die gesamte deutsche Wirtschaft - zu diesem Schluss kommt die Studie "Industrie 4.0" der Experton Group von 2014. Maschinen und IT-Systeme werden in der Lage sein, miteinander zu kommunizieren, in Echtzeit Informa­tionen auszutauschen und selbstständig die nächsten Schritte zu planen. Sie werden nach Bedarf automatisch Arbeiten umleiten, Engpässe sowie ungenutzte Kapazitäten erkennen und Maschinen präventiv warten. Die Analysten rechnen mit einem Einführungs- und Umsetzungszeitraum von fünf bis 15 Jahren. Doch es gibt es noch einige Herausforderungen zu meistern. Industrie 4.0 ist die Bezeichnung für das Vernetzen von Maschinen, Produkten und Betriebsmitteln auf globaler Ebene in Form sogenannter Cyber-physischer Produktionssysteme (CPPS). Ziel ist, dass diese selbstständig Informationen austauschen, ohne menschliches Zutun Aktionen auslösen und sich gegenseitig steuern. Im Zentrum steht die "Smart Factory". Sie ist in mehrere Richtungen vernetzt. So sind die IT-Systeme horizontal innerhalb des Unternehmens oder auch über mehrere Unternehmen hinweg zu einer durchgängigen Lösung integriert - von der Produktentwicklung über die Vermarktung bis hin zur Auftragsabwicklung inklusive der Produktion. Hinzu kommt eine vertikale Integration, sprich ein durchgängiges System von der Ebene der Sensoren und Maschinensteuerungen über die Ebene des Manufacturing and Execution Systems (MES) bis zur Office-IT mit den Unternehmensanwendungen - einschließlich Enterprise Ressource Planning (ERP) und Product-Lifecycle-Management (PLM). Die Integration der IT-Systeme verbessert die industriellen Prozesse in Produktion, Entwicklung, Materialverwendung sowie im Lieferketten- und Lebenszyklus-Management. Die "intelligenten" Produkte sind beispielsweise an jeder Stelle des Produktionszyklus identifizierbar und steuerbar. Der Vorteil: Produktionsunternehmen sind so in der Lage, auch kleine Losgrößen wirtschaftlich rentabel anzufertigen. Dies setzt jedoch voraus, aktuelle IT-Trends wie Cloud Computing, Big Data und Data Analytics oder auch Mobility geschickt miteinander zu verbinden.   Breitbandversorgung und Standards als Voraussetzung Die Referenzarchitektur von Industrie 4.0 besteht aus mehreren Ebenen - auf der untersten befinden sich die Sensoren, dazwischen Plattformen und Geschäftsprozesse und zuoberst die Anwender. Eine der größten Herausforderungen von Industrie 4.0 ist es, die unterschiedlichen Sichtweisen, Normen und Schnittstellen der verschiedenen Ebenen so zu verknüpfen, dass ein durchgängiges und erweiterbares System über Unternehmens- und Produktionsgrenzen hinweg entstehen kann. Zur Grundvoraussetzung für eine weitreichende Vernetzung und den schnellen Austausch von Daten gehören eine flächendeckende, zuverlässige Breitbandversorgung sowie einheitliche Standards. Schließlich erfolgt der Datenaustausch nicht nur innerhalb eines Unternehmens und seinen Produktionsstätten - und selbst dort stehen in der Regel Maschinen unterschiedlicher Hersteller, die untereinander kommunizieren müssen. In einem ausgereiften Industrie-4.0-Szenario sind jedoch mehrere Unternehmen unterschiedlicher Größe über weltweite Standorte miteinander vernetzt. Dies funktioniert allerdings nur, wenn der Datenfluss nicht ins Stocken gerät - weder durch eine lückenhafte Breitbandabdeckung oder eine unsichere Stromversorgung noch durch inkompatible Standards. In diesem Zusammenhang sind zudem die bei großen Unternehmen traditionell gewachsenen Insellösungen zu beachten, denn auch diese folgen noch nicht einheitlichen, abgestimmten Standards.   Schrittweise Annäherung an die Industrie 4.0 Eine wesentliche Komponente für funktionierende Industrie-4.0-Konzepte ist Cloud Computing. Verzögern sich Projekte im Produktionsbereich, riskieren Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit - zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Untersuchung von Canopy, der Cloud-Tochtergesellschaft des IT-Dienstleisters Atos. CFOs (Chief Financial Officers) aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und den USA schätzen demzufolge, dass sie 2013 im Schnitt 67 Millionen Euro verloren haben, weil sie nicht über geeignete Cloud-Anwendungen und -Infrastrukturen verfügen. Ganze 83 Prozent der deutschen CIOs und CFOs gehen gar davon aus, ohne die optimalen Cloud-Applikationen und -Infrastrukturen bis Ende 2015 nicht mehr konkurrenzfähig zu sein. Eine weitere Herausforderung: die Verarbeitung und Auswertung der großen Mengen an anfallenden Daten. Sensoren, Maschinen, Automatisierungs-, Mess- und Regeltechnik liefern und verarbeiten riesige Datenberge. Je mehr Maschinen und Sensoren in der Smart Factory arbeiten, desto größer wird die Menge der Beziehungs- und Bewegungsdaten, die oft nicht geschäftsrelevant sind und auch meistens in nicht strukturierter Form vorliegen. Diese sogenannten "Big Data" gilt es, in kurzer Zeit zu verarbeiten, zu visualisieren und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Doch damit nicht genug. Die Informationen dienen nicht nur dazu, die Maschinen und Anlagen in der Smart Factory zu steuern. Sie sollen auch zu neuen Erkenntnissen führen: Ist beispielsweise das CPS (Cyber-Physical System) mit dem CRM-System (Customer-Relationship-Management) verknüpft, so ist es in der Lage, die Informationen so verarbeiten, dass der Service-Techniker genau zum richtigen Zeitpunkt und mit der richtigen Ausrüstung die Wartungsarbeiten durchführen kann. Der klassische Business-Intelligence-Ansatz stößt dabei schnell an seine Grenzen. Gefragt sind Business-Analytics- und Big-Data-Strategien.   Der Weg in die smarte Fabrik Um systematisch auf Industrie 4.0 umzurüsten, bedarf es der Ausprägung von vier Säulen: Vernetzte Anwendungen: Anpassung aller Prozesse und der IT-Anwendungen, vertikale und horizontale Integration, Darstellung der realen Welt in Echtzeit in der virtuellen Welt der IT-Systeme. Vernetzte Maschinen und Produkte: CPPS/CPS, Fernzugang zu allen Systemen, Virtualisierung, Digitalisierung, Datenanalyse und vorausschauende Wartung. Vernetzte Mitarbeiter: veränderte Aufgabengebiete und neue Funktionen wie dem sogenannten "Augmented Operator", speziell geschulten Wissensarbeitern, bereichsübergreifenden Arbeitsgruppen und Kompetenzzentren für Betriebseinheiten (Devise: "Work smarter, not harder"). Vernetztes Unternehmen: globale Produkte mit lokalen Varianten, Produktion unternehmens- und länderübergreifend nach individuellen Vorgaben sowie Echtzeitüberblick. Um beispielsweise alle Anwendungen zu verbinden, bedarf es zunächst der Designkriterien für deren Funktionsweise und Einsatzfelder. Dazu gehört auch das Verständnis, über welche Schnittstellen und mit welchen Stammdaten diese kommunizieren. In der Praxis haben sich für den Start globaler Initiativen bereits sogenannte Harmonisierungs-Workshops bewährt. Daraus ergeben sich Prozessmodelle mit definierten und dokumentierten Standards sowie lokalen Unterschieden. Sie enthalten die funktionalen Anforderungen aller Beteiligten und die Key Performance Indicators (KPI) für die Messbarkeit der Prozesse. Außerdem sind darin die Lösungsbausteine auf IT-Ebene enthalten, die im Standardsystem vorhanden sind oder eigens programmiert werden. Mithilfe des Prozessmodells können die Beteiligten dann flexibel modellieren, wie das System aussehen könnte. Zudem lassen sich die Unterschiede zwischen den einzelnen Fabrikstandorten dokumentieren.   Industrie 4.0: Beispiele aus der Praxis Durch Industrie 4.0 lassen sich in Zukunft signifikante Kosten einsparen, etwa durch vorausschauende Wartung. So können beispielsweise in das Produktionsleitsystem eingebettete Sensoren voraussagen, wann gewisse Teile verschlissen sind. Deren Daten lassen sich automatisch auswerten und warnen vor Überlastung oder Abnutzung. Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Ein großes Industrieunternehmen aus dem Energiesektor, das im Umfeld Fernwartung tätig ist, hat in Zusammenarbeit mit Atos ein Remote-Service-Interface für lokale Techniker eingeführt. Global verteilte Systeme wie Gas- und Dampfturbinen sind nun miteinander verknüpft, eine hohe Anzahl unterschiedlicher Protokolle wird unterstützt. Zudem verfügt das Unternehmen über ein intelligentes Diagnosesystem, das auf selbstlernenden Techniken für die Wartung basiert. Das Ergebnis: 80 Prozent Zeit- und Kostenersparnis durch verhinderte ungeplante Ausfälle. Darüber hinaus führen die standardisierten Prozesse und der weltweite Zugriff auf die Systemdaten zu bestmöglich getakteten Wartungsaktivitäten und einer effizienten Planung der Ersatzteile. Der Betrieb der Remote-Service-Plattform als "As a Service"-Lösung mit nutzungsbasierender Abrechnung hält die Preisgestaltung transparent. Die redundant ausgelegte Infrastruktur und der Einsatz von Security-Lösungen, unter anderem VPNs sowie Verschlüsselungs- und Authentifizierungslösungen, sorgen für hohe Sicherheitsstandards.   Ausblick In den nächsten Jahren werden sich entsprechende Standards für Industrie 4.0 etablieren. Möglicherweise wird auch - ähnlich wie bei der Entwicklung der Smartphones - bald ein etablierter Plattformbetreiber festlegen, welche Steuerungs- und Automatisierungselemente sich einbauen lassen. Dies bedeutet, dass er mit seinen branchenspezifischen Applikationen vorgibt, welche Maschinen und Geräte ein Unternehmen in die Schnittstellen einbinden kann. Ein Trend zeichnet sich bereits ab: Anbieter wie beispielsweise Siemens öffnen ihre "Industry Service Backbones" (ISB) für Fremdanbieter, um ihren Marktanteil zu erhöhen.

Die vier Grundpfeiler von Industrie 4.0: vernetzte Anwendungen, vernetzte Maschinen und Produkte, vernetzte Mitarbeiter sowie das vernetzte Unternehmen.

Industrie 4.0 beeinflusst verschiedene Ebenen - von den Sensoren und der Maschinensteuerung bis hin zu den Systemen der Unternehmens-IT und den Geschäftsprozessen. Dies verändert auch die Kommunikation innerhalb eines Unternehmens.

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