Lastenhefte für RZ-Planung und -Sanierung

Planungssicherheit in allen Phasen

18. Februar 2016, 7:00 Uhr | Rainer von zur Mühlen, Gründer der von zur Mühlen’schen Beratungs- und Planungsgesellschaft, www.vzm.de./pf

Das Rechenzentrum beherbergt das Herz der IT eines Unternehmens. Seine Funktion bestimmt in hohem Maß die bauliche Konzeption und die technische Ausstattung des Gebäudes. Die Planung eines RZs stellt daher eine besondere Herausforderung für alle Beteiligten dar - Fehler sind schell gemacht und oft schwer zu korrigieren. Mit einem gut strukturierten Lastenheft lassen sich Pannen vermeiden und ein RZ mit Zukunftsperspektive erstellen.

Es gibt eine Reihe von Problemen, deren Nichtbeachtung jede RZ-Planung mehr oder weniger ins Desaster führen. Eines davon ist das Phänomen des Vergessens von Selbstverständlichkeiten. So schwärmen die Planer in der "Phase 1" nach HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) üblicherweise aus, um im Wesentlichen quantitative Merkmale des Objekts zu erheben: die sogenannte Grundlagenermittlung. Die langjährige Erfahrung zeigt dabei, dass IT-Mitarbeiter auf die Frage, was sie von ihrem neuen Rechenzentrum erwarten, fast ausschließlich Anforderungen formulieren, die im gegenwärtigen RZ suboptimal erfüllt sind oder die sie bislang vermissen. Vorhandenes sehen die IT-Fachleute meist als selbstverständlich an und erwähnen es nicht einmal.
Fragt der Planer einen Administrator, der sechs Steckdosen am Schreibtisch hat, nach dessen Wünschen zur Ausstattung seines neuen Arbeitsplatzes, so wird dieser das Thema Steckdosen gar nicht erwähnen. Der Planer verordnet ihm somit den Standard: drei Dosen. Der Administrator wird folglich später mit Steckdosenleisten aus dem Baumarkt selbst nachrüsten, überlastet möglicherweise den Stromkreis und erzeugt eine Brandgefahr.
 
Lastenhefte unabdingbar
Eine Grundlagenermittlung nach HOAI basiert zudem nie auf einer Organisationsberatung durch den Planer: Letzterer ist Ingenieur und nicht IT-Berater. Er kann die Parameter für die erforderliche Kälte sowie die Stromverbräuche errechnen, aber er kann keine Wachstumsprognose unter Berücksichtigung des Konsolidierungsstatus oder -bedarfs erstellen. Daher dürfen Verantwortliche in dieser Hinsicht nicht mit falschen Erwartungen in ein Projekt gehen, aus dem letztlich ein funktionstüchtiges Rechenzentrum hervorgehen soll.
Das Phänomen des Vergessens von Selbstverständlichkeiten setzt sich durch alle Planungsbereiche und Planungsphasen fort. Wirklich erfolgreich sind daher Planungen nur mit einem ausgefeilten Lastenheft, das weit über die klassische Grundlagenermittlung hinausgeht. Lastenhefte sind daher unabdingbar und sie bekommen eine mehrfache Bedeutung:
Lastenhefte dienen den Planern als Vorgabe für ihre Planungsarbeit, denn sie basieren auf den künftigen Prozessen im Rechenzentrum und den Nutzeranforderungen.
Sie ersetzen die Grundlagenermittlung nach HOAI nicht oder nur teilweise, denn sie präsentieren nicht primär quantitative Aussagen, sondern vor allem qualitative. Lastenhefte enthalten jedoch eine Beschreibung des künftigen RZs aus Nutzersicht und geben den Planern daher ein Qualitätsverständnis.
Sie machen in einigen Punkten auch wichtige quantitative Aussagen - beispielsweise zu den Raumdimensions-Anforderungen wie Fläche, Höhe oder Seitenverhältnisse zur optimalen Besiedelung etc. Lastenhefte umfassen häufig erste Layouts der Rechnerräume als Muster und geben Musterbesiedelungen vor.
Sie enthalten - zumeist in Workshops - erarbeitete und mit dem Nutzer abgestimmte Konzepte zur Klimatisierung, Stromversorgung und Sicherheit, zu Wachstumsentwicklungen, Flexibilitätsanforderungen und vielem mehr.
In der Regel entstehen Lastenhefte als Grobversion und werden im weiteren Verlauf immer weiter präzisiert. Die Ausnahme ist, wenn sie einer funktionalen Ausschreibung zur Suche nach einem Generalunternehmer dienen sollen. Dabei geht der Trend zu zwei Generalunternehmern - einer für den Rohbau und einer für die technische Gebäudeausstattung (TGA). Entsprechend lassen sich dann die Lastenhefte strukturieren. Bei den weiteren Arbeiten dienen Lastenhefte auch der Qualitätssicherung. Da sie den Bauherren- und Nutzerwillen beschreiben, sind sie in allen Phasen der Planung und Errichtung geeignet, sich in Checklisten überführen und an Meilensteine anpassen zu lassen.
Die Verfeinerung der Lastenhefte führt im Planungsprozess komplexerer Projekte auch zu einer Themenorientierung nach Planerbeauftragung. Zu umfangreiche Lastenhefte lesen Auftragnehmer nicht selten nur unvollständig und setzen diese daher auch nur teilweise um. Deshalb sollten die Kapitel so konzipiert sein, dass sie den Gewerken und den Beauftragungen entsprechen. Dabei werden auch die Schnittmengen zwischen den Gewerken deutlich, denn Gewerke wie Gefahrenmeldetechnik und Zutrittskontrolle sind - anders als beim abschreckenden Beispiel des Berliner Flughafens - mit dem Brandschutz und Rohbau sowie der Elektrotechnik präzise abzustimmen.
So entwickeln sich Lastenhefte auch zu einer Dokumentation des Planungsprozesses und der Realisierung. Damit werden sie noch multifunktionaler: Sie entwickeln Handbuchcharakter für die spätere Betriebsführung, und aus ihnen entsteht gleichsam nebenbei das Sicherheitskonzept, das beispielsweise Voraussetzung für eine Hochverfügbarkeitszertifizierung des Rechenzentrums ist.
 
Grundsatz: Zukunftsfähigkeit
Es ist ein grundsätzlicher Fehler, Lastenhefte auf der Basis des aktuellen Bedarfs eines Rechenzentrums zu erarbeiten. Das Lastenheft muss viele Zukunftsaspekte abdecken und es muss ein Rechenzentrum formen helfen, das in den nächsten 15 bis 20 Jahren möglichst ohne große Umbauten und Sanierungsarbeiten funktioniert. Es muss daher die Planung so beeinflussen, dass Austausch beziehungsweise Modernisierung technischer Infrastrukturelemente ohne Betriebsunterbrechung möglich sind.
Hinzu kommt, dass das Lastenheft die organisatorische Entwicklung der Zukunft ermöglichen muss. Der Betreiber darf kein RZ für eine alte Organisation errichten, sondern er muss deren Struktur mit Blick auf die Zukunft ausrichten und ihr ein ebenfalls zukunftsfähiges Rechenzentrum zur Verfügung stellen.
Das neue Rechenzentrum muss geeignet sein, die Rechnerkonsolidierung zu unterstützen, sofern diese noch nicht abgeschlossen ist. Dabei ist die diesbezügliche Planung zu berücksichtigen. So hatte beispielsweise bei einem konkreten Planungsprojekt der Konzern sieben RZ-Standorte in Deutschland. Letztere waren historisch bedingt. Die Planung sah eine Konsolidierung mit Migration auf neue Systeme und eine reduzierte Standortzahl (drei) vor. Neben dem neuen Hauptrechenzentrum sollten zwei dezentrale Standorte mit Backup-Funktionen als Ergänzung dienen. Der Betreiber strebte eine Dual-Site-Zertifizierung an.
Die Lastenheft-Autoren waren in diesem Fall in die Konsolidierung einbezogen und konnten mit ihren Werkzeugen eine Prognose mit Angabe von Höheneinheiten machen. Das neue RZ ist seit zweieinhalb Jahren in Betrieb. Die Prognose traf mit einer Abweichung von sieben Prozent zu - eine "Punktlandung". Das RZ wurde zudem auf der Basis des Lastenhefts so gebaut, dass sich alle technischen Systeme im laufenden RZ-Betrieb unterbrechungsfrei warten und sogar komplett austauschen lassen, falls ein Technologiewechsel erforderlich werden sollte.
 
Richtiger Zeitpunkt: Lastenheft am Beginn
Das Lastenheft muss ganz am Beginn jeder Planung stehen. Alle Maßnahmen, die zielführend sind, gehören in ein Lastenheft. Es muss - am besten schon vor dem Architektenwettbewerb beziehungsweise der Planerbeauftragung - zumindest in den Grundzügen erarbeitet sein und die wichtigsten IT-prozessrelevanten und sicherungsrelevanten Vorgaben für die Planer enthalten: zunächst alles, was rohbau- oder wettbewerbsrelevant ist (bei Architektenwettbewerb), später dann die inhaltlichen Details für die technische Gebäudeausrüstung. Das Lastenheft ist im Planungsfortschritt nach der jeweils aktuellen Erkenntnis- und Planungslage fortzuschreiben. Dabei wird es zunehmend detaillierter und führt zu einer abschließenden Dokumentation, die verschiedene Ziele erfüllt:
ständige Kontrolle der Planungsgewerke im Planungsfortschritt,
Entwicklung von Checklisten aus dem Lastenheft heraus, um während des ganzen Projekts zu verhindern, dass Maßnahmen und die damit verbundenen Schutzziele in Vergessenheit geraten oder von Ausführenden falsch beziehungsweise nicht verstanden werden,
Qualitätssicherung der Planungs- und Errichtungsprozesse sowie
Vorbereitung sogenannter Härtetests: Diese gehen über Abnahmetests hinaus, da sie nicht auf Einzelgewerke bezogen sind, sondern auf das komplexe Zusammenwirken der TGA. Härtetests sind realistische Szenarien zugrunde gelegt, die Schadensprozesse abbilden.
Sicherheitsfachleute sollten dabei prinzipiell einen festen Platz in den Planungsteams haben. Nur so lässt sich das Querschnittswissen zielführend generieren und koordinieren. Der Grundstein dafür kann gar nicht früh genug gelegt sein.
Aufgabe des Lastenhefts ist es nicht, auf Planung zu reagieren, sondern Planungsparameter inklusive zu erreichender Schutzziele und Verfügbarkeitsziele vorzugeben. Für diese These gibt es nachvollziehbare Gründe: Bei der Rechenzentrumsplanung geht es wegen der Abhängigkeiten der Unternehmen von der IT fast immer um Fragen der Verfügbarkeit oder gar Hochverfügbarkeit.
Die Kosten, hohe Verfügbarkeit zu realisieren, nehmen überproportional zu, wenn das Planungsprojekt schon fortgeschritten ist. Wenn der Betreiber Redundanzanforderungen zu spät in das Projekt einführt, muss der Architekt gegebenenfalls Grundrisse ändern. Dies kostet stets Zeit und Geld, mitunter sind sogar sehr aufwendige bauliche Maßnahmen zur Erreichung geänderter Ziele erforderlich.
 
Verspätete Schutzzielvorgabe als Kostentreiber
Ein Beispiel: Für 120 m2 eines Prozessrechenzentrums zur Fertigungssteuerung sowie für Forschung und Entwicklung musste ein Unternehmen nachträglich einen hochwertigen Feuerschutz-Systemraum beschaffen - Kosten zirka 800.000 Euro. Der Systemraum wurde notwendig aufgrund einer falschen Standortentscheidung. Der Planer hatte das technische RZ so angesiedelt, dass es im Umfeld von Brandlasten einer Kunststofffertigung lag. Um der Brandlast zu begegnen, hatte er "sorgfältig" eine Umfassung in Feuerwiderstandsklasse F120 geplant. Allerdings entstehen bei Bränden der gelagerten Kunststoffgranulate Temperaturen von mehr als 800°C.
Wenn der Planer beziehungsweise Architekt solche Schutzziele als Vorgabe frühzeitig im Lastenheft erhalten hätte, wäre durch einen einfachen Standorttausch im Projekt das Problem fast zum Nulltarif lösbar gewesen. Im gleichen Objekt waren nämlich Technikflächen geplant, die - unter Sicherheitsaspekten - an günstigeren Standorten lagen. Diese befanden sich nicht über Lagerflächen, grenzten an brandlastfreie Fluchtwege und risikoarme Nebennutzungen, wären also mit einfachen brandschutztechnischen Mitteln beherrschbar gewesen.

Lastenhefte können sehr komplex sein. Nicht selten haben sie über 100 Kapitel und werden bei umfangreichen Projekten auch in Sub-Lastenhefte überführt. Das gezeigte Beispiel ist nur ein sehr kleiner Ausschnitt aus dem umfangreichen Themenkomplex der technischen Infrastruktur.

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