Im Interview: Bernd Hanstein, Rittal

PUE-Messung reicht nicht aus

28. Februar 2019, 7:00 Uhr | Von Dr. Jörg Schröper.

Im LANline-Gespräch untermauert Bernd Hanstein, Hauptabteilungsleiter Produkt-Management IT bei Rittal in Herborn, die wichtige Rolle der Kühlung für einen möglichst effizienten Datacenter-Betrieb. Grundsätzlich bietet der Markt für fast alle Anforderungen bereits heute die richtige Lösung - der Betreiber muss nur wissen, was er tatsächlich braucht.

LANline: Herr Hanstein, heute stehen auf dem Markt viele Kühlungsansätze zur Verfügung, etwa Luft/Flüssigkeit, Hot-Spot-Kühlung, In-Rack, Freikühlung, Adiabatik etc. Nach welchen Kriterien sollte eine grundsätzliche Auswahl erfolgen?
Hanstein: Leistung und Leistungsdichte spielen eine entscheidende Rolle bei der Auswahl der richtigen Kühllösung. Ein IT-Schrank mit 2 kW IT-Leistung benötigt eine andere Klimatisierung als ein mit 30 kW ausgebautes Rack. Ein weiterer Parameter ist die im Rechenzentrum insgesamt installierte Leistung. Bei einer IT-Leistung von 3 MW für das Rechenzentrum sind ganz andere Lösungen denkbar, als wenn nur 30 kW in einigen wenigen IT-Schränken zu kühlen sind.

LANline: Das heißt konkret?
Hanstein: Bei bis zu 30 kW IT-Gesamt-leistung ist es zum Beispiel sinnvoll, eine kältemittelbasierende Klimalösung zu verwenden. Der Vorteil einer solchen DX-Lösung liegt in dem geringeren Investitionsaufwand. DX steht hier für Direct Expansion. Die Installation besteht aus einem Split-Gerät mit einem Kompressor und einem Klimagerät für die Kälteerzeugung. Die Kälte wird hierbei über einen geschlossenen Kältemittelkreislauf mit Verdampfer, Kompressor, Kondensator und Expansionsventil erzeugt. Die Installation des Geräts erfolgt an der Rück-, Seitenwand oder als Dachaufbaugerät eines IT-Racks, sodass nur geringe Leistungsverluste aufgrund der Luftführung auftreten.

LANline: Was empfehlen Sie alternativ?
Hanstein: Etwas aufwendiger zu installieren sind Lösungen mit Kaltwassersätzen/Chillern oder Air Handling Units/Luft-Luft-Wärmetauscher, was einfach mit dem Umfang der Installationsarbeiten zu begründen ist. Solche Lösungen sind zudem erst ab einer gewissen Größe oder Leistungsdichte der IT-Umgebung wirtschaftlich sinnvoll, da hier die Investitionskosten höher, die Betriebskosten aber geringer sind. Unternehmen müssen daher individuell ausrechnen, welche Kühltechnologie für ihr Rechenzentrum wirtschaftlich sinnvoll ist.

LANline: Was sollte man tun, um eventuell auftretende Hotspots in den Griff zu bekommen?
Hanstein: Die Hotspot-Kühlung ist dann relevant, wenn nur in einem oder einigen wenigen IT-Schränken ein Leistungs-Peak auftritt. Hat ein Unternehmen zum Beispiel überwiegend 3-kW-IT-Racks im Einsatz und zusätzlich ein voll ausgebautes Rack mit Blade-Servern im Rechenzentrum laufen, kann dort eine zu kühlende Leistung von 30 oder mehr kW entstehen. Ein solcher Hotspot benötigt eine zusätzliche punktuelle Kühlung. Um diese Racks zu kühlen, lohnt sich jedoch nicht der Umbau des gesamten Rechenzentrums. Daher wird in diesem Fall ein IT-Schrank mit einer DX-Lösung gekühlt, die sich direkt am Rack montieren lässt. Sind mehrere Hotspots vorhanden, kann auch eine Kaltwasserkühlung mit Warm-/Kaltgang-Schottung für mehrere Racks wirtschaftlich rentabel sein, wobei hierbei mit höheren Installationskosten zu kalkulieren ist.

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Bernd Hanstein, Hauptabteilungsleiter Produkt-Management IT, bei Rittal: "IT-Verantwortliche sollten einen Satz an Metriken definieren, um ihre Energieeffizienz langfristig zu optimieren. Wichtige Kennzahlen sind zum Beispiel die Effizienz einer Kältemaschine und die einer USV-Anlage." Bild: Rittal

LANline: Bei manchen Konstellationen sollten Unternehmen jedoch auch über externe Lösungen nachdenken.
Hanstein: Das ist richtig. In manchen Fällen kann es durchaus eine Option sein, bestimmte Teile der IT-Infrastruktur in die Cloud auszulagern. Dies sollte zum Beispiel bei älteren IT-Systemen mit veralteten Kühltechnologien in Betracht gezogen werden. Unternehmen verringern damit die laufenden Betriebskosten und können sich die Kosten für einen Hardware-Refresh im eigenen Rechenzentrum sparen. Auch in diesem Fall können RZ-Experten ausrechnen, ab welcher Leistung und bei welchen Betriebskosten ein Umzug in die Cloud sinnvoll ist.

LANline: Was empfiehlt Ihr Haus grundsätzlich?
Hanstein: Bei kleineren Installationen bis 30 kW IT-Leistung empfiehlt Rittal den Einsatz von DX-Kühlung sowie Invertergeregelten Kompressoren und EC-Lüftern, die sich dynamisch an die benötigte Last anpassen und somit Energiekosten reduzieren. Bei den in Deutschland vorherrschenden Klimabedingungen können sich auch Systeme mit direkter Freikühlung rentieren. Diese lassen sich zum Beispiel mit einer adiabatischen Kühlung ergänzen, die eine Konditionierung der Kühlluft bei hohen Außentemperaturen übernimmt.

LANline: Helfen die einschlägigen Normen bei der Auswahl?
Hanstein: Die Frage nach Verwendung der Norm DIN 50600 geht eher in eine andere Richtung. Diese Norm ist generell neutral gegenüber Technologien und Herstellern. Darin sind beispielsweise Verfügbarkeitsklassen definiert und Vorschläge gemacht, wie sich eine IT-Umgebung redundant betreiben lassen kann. Daher geben Normen kaum Hilfestellung bei der Konzeption von wirtschaftlichen Kühlkonzepten. Die Umsetzung erfolgt viel besser mit Hilfe von spezialisierten RZ-Experten, die die geeigneten Konzepte und Technologien auswählen und berechnen, wie eine IT-Umgebung möglichst energieeffizient und ausfallsicher arbeitet.

LANline: Tatsächliche Effizienz lässt sich nach Einschätzung vieler Experten nur durch ein gutes Zusammenspiel vieler Gewerke erreichen. Welche Rolle kann Rittal in diesem Kontext einnehmen?
Hanstein: Um das Zusammenspiel verschiedener Gewerke zu optimieren, sind konkrete Kennzahlen zum IT-Betrieb notwendig. Übergreifende DCIM-Monitoring-Lösungen liefern diese Kennzahlen. Erst damit ist es möglich, die vielen unterschiedlichen Komponenten im Rechenzentrum sowie der Gebäudeinfrastruktur zu erfassen. Ein Beispiel für das Zusammenspiel von Gewerken liefert das wasserbasierende Kühlsystem LCP-CW von Rittal. Das Gerät lässt sich in einem Facility-Modus betreiben und regelt die Kühlleistung entsprechend der Temperaturspreizung von Vor- und Rücklauf des Kaltwassers, das von der Haustechnik geliefert wird, solange der zulässige Bereich der Server-Einblastemperatur eingehalten ist. Damit arbeitet das Kühlgerät immer im jeweils optimalen Bereich innerhalb der vorhandenen Infrastruktur.

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Bei bis zu 30 kW IT-Gesamt-Leistung ist es sinnvoll, eine kältemittelbasierende Klimalösung zu verwenden. Der Vorteil einer solchen DX-Lösung liegt in dem geringeren Investitionsaufwand. DX steht hier für Direct Expansion. Bild: Rittal

LANline: Das können Sie als Infrastrukturhersteller kaum allein schaffen. Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit den Herstellern von IT-Equipment, also etwa Servern und Storage, aus?
Hanstein: Um die Energieeffizienz zu verbessern, arbeiten Server-Hersteller und Hersteller von Kühlsystemen eng zusammen. Dadurch wurde es beispielsweise möglich, dass heute Zuluft-Temperaturen von 28 Grad möglich sind, während das Limit vor einigen Jahren noch bei 22 Grad lag. Der US-Industrieverband ASHRAE (American Society of Heating, Refrigerating, and Air-Conditioning Engineers, d.Red.) begleitet diese Prozesse und veröffentlicht entsprechende Empfehlungen. Ein weiteres Beispiel ist die erlaubte Luftfeuchte im Rechenzentrum, die heute ebenfalls eine höhere Bandbreite erlaubt, wodurch sich die Kosten für die IT-Kühlung und Klimatisierung verringern. In einem weiteren Beispiel arbeitete Rittal mit einem Server-Hersteller zusammen, um die aus dem IT-Rack zu transportierende Warmluftmenge zu erhöhen. Wir konnten unterstützend eingreifen, indem wir unter anderem größere Lüfter im Kühlgerät verbaut haben, um den Volumenstrom zu erhöhen. Etwas komplexer wird es jedoch, wenn Anforderungen aus der Netzwerktechnik zu berücksichtigen sind. Während bei Servern die Luft von vorne nach hinten durch die Geräte abtransportiert wird, arbeiten eine Reihe von Netzwerk-Swit­-ches mit einem von links nach rechts verlaufenden Luftstrom. Der Grund ist, dass an der Front möglichst viele Ports zugänglich sein müssen. Solche Anforderungen erhöhen die Komplexität bei der Konstruktion eines IT-Racks und verlangen ebenfalls eine enge Zusammenarbeit der Hersteller.

LANline: Neben der Kostenkontrolle stehen heute verstärkt auch "grüne" Konzepte und Umweltverträglichkeit im Fokus. Welche Rolle werden Kühlmedien in Zukunft spielen? Das Stichwort lautet in Diskussionen vielfach F-Gas.
Hanstein: Die Diskussion um Kältemittel ist auch weiterhin aktuell, da in Zukunft verstärkt umweltverträgliche Kältemittel verwendet werden sollen. Vorreiter dieser Entwicklung ist Japan, aber auch innerhalb der EU sind erste Initiativen gestartet. Rittal unterstützt diese Entwicklung und forscht ebenfalls an Lösungen zum Einsatz umweltfreundlicher Kältemittel. So wäre es technologisch durchaus möglich, Wasser als Kältemittel zu verwenden. Diese Lösung ist jedoch technisch extrem aufwendig, da hier mit geringen Dampfdrücken gearbeitet werden muss, um den Siedepunkt zu senken und auch Verdichter in einer Turbovariante mit hohen Leistungen notwendig wären. Glücklicherweise gibt es aber auch für grüne und klimaneutrale Lösungen eine Reihe von Konzepten. Wir haben beispielsweise mit der Kühllösung LCP Hybrid ein Produkt mit einer Leistung für bis zu 35 kW vorgestellt, das eine DX-Kühlung sowie einen Wasserkreislauf kombiniert. Sofern es die Außentemperatur erlaubt, verwendet das System kalte Außenluft anstatt eines Kältekompressors. Damit verringert sich der CO2-Footprint, und die IT-Kühlung arbeitet insgesamt effizienter.

LANline: Ein weiteres viel diskutiertes Thema ist die Wärmerückgewinnung ?
Hanstein: Exakt! Mit nachgeschalteten Wärmepumpen kann sich die Abwärme aus Rechenzentren sehr wohl dazu nutzen lassen, warmes Wasser mit einer Temperatur von etwa 50 bis 60 Grad zu erzeugen. In der Praxis stehen solche Projekte vor der Herausforderung, dass auch ein Abnehmer für die Wärme in Nähe des Rechenzentrums notwendig ist. Zwar ist im Winter die Wärme nutzbar, um angrenzende Gebäude zu erwärmen. Aber im Sommer ist das System praktisch wirkungslos. Eine Alternative bietet die industrielle Wärmenutzung. So benötigt zum Beispiel eine Lackiererei ganzjährig eine Wärmeerzeugung für Prozesse zur Trocknung.

LANline: Muss die Branche auch über völlig neue Ansätze nachdenken?
Hanstein: Ein Nischenthema ist zum Beispiel die direkte Flüssigkeitskühlung, bei der etwa gezielt eine CPU gekühlt wird. Von der Energieeffizienz her arbeitet ein solches Modell durchaus positiv, da man mit Vorlauftemperaturen von 40 bis 50 Grad arbeiten kann, um einen Prozessor mit 60 bis 70 Grad Temperatur zu betreiben. Der hohe Aufwand macht ein solches System für den Industrieeinsatz jedoch wenig praktikabel und beschränkt solche Anwendungen auf Hochleistungs- und Supercomputer. Darüber hinaus kommt diese Lösung bei Heimanwendern in High-End-Gaming-PCs zum Einsatz, da die Geräusch-entwicklung geringer ausfällt als eine Lösung mit einer Vielzahl leistungsstarker CPU-Lüftern. Einen Schritt weiter geht die Immersionskühlung. Dabei sind ganze Komponenten wie eine Hauptplatine inklusive CPU und Speicherchips in eine Flüssigkeit eingetaucht und damit gekühlt. Als Kühlmittel kommt beispielsweise ein Kältemittel oder ein Mineralöl zum Einsatz. Der Vorteil ist, dass die Geräte ihre gesamte Energie an die Flüssigkeit abgeben. Jedoch funktioniert dies nur mit spezieller Hardware. Solche Lösungen kommen daher nur in ausgewählten HPC-Umgebungen zum Einsatz.

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Für bestimmte Aufgaben bietet Rittal auch korrosionsgeschützte Kühlgeräte als Edelstahlvariante an. Bild: Rittal

LANline: Kann der PUE-Wert Hilfestellung bei der Auswahl eines passenden Systems geben?
Hanstein: Zum Thema Power Usage Effectiveness ist generell zu sagen, dass diese Metrik keine allgemeingültige Aussage über die Effizienz eines Rechenzentrums liefert. Der PUE-Wert ist immer nur eine aktuelle Momentaufnahme und gibt einen Effizienzwert bei einer bestimmten Leistung des Rechenzentrums wieder. Zudem schwankt die Kennzahl je nach Jahreszeit oder abhängig von der Außentemperatur, wenn externe Kühlsysteme zum Einsatz kommen. Gleiches gilt für die partielle PUE-Zahl, die sich nur auf Teilgewerke beschränkt. Auch erlaubt der PUE-Wert keine Aussage über den tatsächlichen Verbrauch im Rechenzentrum und deckt auch die Wärmerückgewinnung nicht ab. Die von Google veröffentlichten Effizienzwerte der Rechenzentren zeigen zum Beispiel anschaulich, wie der PUE-Wert im Jahresverlauf schwankt. Ein Blick auf den Gesamtverlauf zeigt aber auch, dass über die Jahre hinweg eine Effizienzsteigerung erreicht wurde. Was die PUE jedoch nicht zeigt, ist der tatsächliche Stromverbrauch und woher der Strom kommt. Wer also einen nachhaltigen IT-Betrieb anstrebt, benötigt noch eine CO2-Kennziffer. Auf den Seiten des Bundesumweltministeriums ist ein Faktor veröffentlicht, um den Strom-mix aus regenerativer Energie und anderen Quellen zu kalkulieren.

LANline: Was muss ein RZ-Spezialist also tun?
Hanstein: IT-Verantwortliche sollten einen Satz an Metriken definieren, um ihre Energieeffizienz langfristig zu optimieren. Wichtige Kennzahlen sind zum Beispiel die Effizienz einer Kältemaschine und die einer USV-Anlage. Wer adiabatische Kühlung verwendet, wird mit dem PUE-Wert wenig anfangen können, da er den Wasserverbrauch nicht berücksichtigt. Daher ist mit der WUE-Zahl, also der Water Usage Effectiveness, eine entsprechende Kennzahl notwendig, mit der die Verwendung von Wasser im Verhältnis zum Stromverbrauch der IT-Komponenten gesetzt wird. Der jährliche Wasserverbrauch steht damit in Relation zur Gesamtleistung der aktiven IT-Komponenten. Die Einheit des WUE ist Liter pro Kilowattstunde.

LANline: Hat der dezentrale Aufbau von Edge-Infrastrukturen Auswirkungen auf die Energieeffizienz?
Hanstein: Mit Aufkommen von Edge Computing rückt die Energieeffizienz wieder verstärkt auf die Agenda der IT-Verantwortlichen. Durch den dezentralen Aufbau von IT-Infrastrukturen werden effiziente DX-Kühlsysteme an den Edge-Standorten benötigt. Wer etwa deutschlandweit 5.000 Edge-Datacenter betreibt, wird somit mehr Energie benötigen, als wenn er diese IT-Systeme in einem zentralen Rechenzentrum arbeiten lässt. Es liegt aber in der Natur von verteilten Systemen, dass diese im Vergleich zu einem Hyperscale-Rechenzentrum weniger effizient zu betreiben sind. Umso wichtiger ist es für Unternehmen künftig, dass sie kontinuierlich über eine Reihe von Metriken die Effizienz im Rechenzentrum erfassen und daraus ihre eigenen Kennzahlen generieren.

LANline: Herr Hanstein, vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Jörg Schröper ist Chefredakteur der LANline.

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