Edge-RZs stellen hohe Anforderungen an die IT-Infrastruktur

Rechenleistung auf dem Weg in die Zukunft

5. Oktober 2017, 7:00 Uhr | Thomas Sting

Welche Auswirkungen haben IoT und Industrie 4.0 auf die IT-Infrastruktur? Dies erfordert keinen Blick in die Glaskugel, sondern ist ein bereits handfestes und zentrales Thema der Industrie, wie auch die diesjährige Hannover Messe bewies. Bereits in den kommenden Jahren werden sich IT-Landschaften und Infrastrukturen folglich sichtbar verändern. Zu den Veränderungen zählen eine noch höhere Datensicherheit und die Forderung nach permanenter Verfügbarkeit.

Hintergrund des Wandels sind neue Anwendungen über alle Branchen hinweg. In Bezug auf Rechenzentren werden Relevanz und Abhängigkeit entsprechend zunehmen.

Einhergehend entstehen mehr Sicherheitsanforderungen, um beispielsweise Daten verfügbar zu halten oder Missbrauch zu vermeiden. Je stärker die moderne Technik zum Einsatz kommt, desto größer wird der Aufwand, sie zu managen. Schnellere und bessere Rechner müssen das Datenvolumen steuern, gleichzeitig steigt die Forderung nach mehr Rechenleistung.

Dieser Prozess wiederum muss höchstverfügbar und adäquat geschützt sein. Die technische Umsetzbarkeit erfordert zudem eine ausfallsichere Energieversorgung und Klimatisierung. Zur Minimierung der Datenübertragungszeiten und Kosten werden dezentral - möglichst nahe beim Nutzer - kleinere Hochleistungsrechenzentren entstehen: die Edge-Rechenzentren.

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Edge-RZs sind nicht nur in Größe und Leistung skalierbar. Sie sind zudem effizient und vergleichsweise unkompliziert in die bestehende städtische Infrastruktur zu integrieren. Bild: Data Center Group

Ein Beispiel für das stark ansteigende Datenvolumen ist der Medizinsektor, etwa durch die Nutzung und Verarbeitung der dreidimensionalen MRT-Daten für zukünftige Hologrammtechnik, die komplexe Operationen auf ein neues Level bringen wird. Auch die starke Zunahme von Echtzeitanwendungen im Rahmen der Roboter- und Automatisierungstechnik wird die künftig zu verarbeitende Datenmenge vervielfachen. Nach dem Vorbild Amazons werden in der deutschen Lebensmittelindustrie die Türen, Regale und Warenlager künftiger Geschäfte mit Scannern versehen sein, um durch entsprechende Programme den Warenkorb zu erkennen. Der Kunde bezahlt dann beim Verlassen des Ladens über einen Chip. Zusätzlich zu sehr interessanten Nutzungsinformationen über das Kundenverhalten kann der Händler somit in Echtzeit über all seine Filialen hinweg erkennen, welche Artikel aus den Regalen genommen werden. Automatisiert errechnen die Systeme dann Bestände und schicken fahrerlose LKWs oder Drohnen auf den Weg.

Die Automobilindustrie wird infolge dieses bedienerlosen Fahrens - aber auch wegen der angestrebten Car-to-Car-Kommunikation - eine der treibenden Kräfte dieser Entwicklung sein. Durch sie entstehen immense Datenmengen mit der ultimativen Anforderung sehr kurzer Latenzzeiten bei der Datennutzung und Datenübertragung. Die heutigen global angesiedelten großen Cloud-Rechenzentren können diese Anforderungen nicht erfüllen. Ebenso wenig können dies zentrale Großrechenzentren in deutschen Ballungsgebieten und Metropolen wie Frankfurt, Düsseldorf, München oder Berlin. Zukünftig werden entlang der Autobahnen und Straßen also zahlreiche Datensammler entstehen, dort wird das nötige IT-Equipment aufgebaut sein. Diese "Datensammler" können kleinere Kompaktrechenzentren, Container- oder bestehende Datacenter in der Nähe sein. Zusammengefasst finden sich solche Systeme aktuell unter dem Begriff "Edge-Rechenzentrum" wieder.

Verfügbarkeit und Sicherheit

Nach allgemeiner Auffassung ist der Aufbau geeigneter, dezentraler Hochverfügbarkeitsrechenzentren daher eine elementare Voraussetzung. Immerhin muss das Datenvolumen nicht nur sicher und verfügbar sein, sondern vor allem auch schnell zu verwalten. Die Leistung der Edge-Rechenzentren muss dann trotz ihrer Größe den steigenden Abhängigkeiten in allen Geschäftsprozessen entsprechen. Ebenso gelten hohe Anforderungen an die IT-Infrastruktur hinsichtlich Verfügbarkeit und Sicherheit. Erforderlich ist jedoch auch eine deutliche Optimierung der heutigen Datenübertragungs- und Verkabelungstechnik. Denn jeder Datentransfer über große Entfernungen führt zu Verzögerungen in der Datenübermittlung. Diese sind für einige Anwendungen kritisch bis lebensgefährlich, etwa für das autonome Fahren. Über die bestehenden verfügbaren Leitungen würde umgehend ein Engpass entstehen.

Zu erkennen ist dies bereits heute: Nicht überall sind die nötigen Datenvolumina realisierbar - selbst nicht für private Anwender. Tatsächlich steht manchen Regionen immer noch nur ein Traffic von unter 3 MBit/s zur Verfügung. Für künftige Datentransfers werden jedoch weitaus höhere Geschwindigkeiten mit einer deutlich stabileren Übertragungsqualität notwendig sein.

Edge-Datacenter müssen flexibel sein. Bei der Planung sollten die "Datensammler" als kaskadierfähige Lösung designt sein, die wachsende IT-Infrastrukturen von vornherein berücksichtigt. Ziel ist bei möglichst allen Wachstumsoptionen, den laufenden Betrieb zu sichern. Dabei gilt es zu bedenken, sowohl mehr als auch weniger IT-Infrastruktur einzuplanen. Hilfreich ist dabei eine modulare Bauweise. Es wird außerdem kaum möglich sein, die heutigen Strukturen von Cloud-Rechenzentren zu nutzen. Das Edge-Computing-Modell entstand bekanntlich geradezu als Antwort auf Probleme wie zu lange Latenzzeiten und fehlende Hochverfügbarkeit.

Die Leistungen von globalen Cloud-Rechenzentren lassen sich zwar relativ unkompliziert an den Bedarf anpassen. Allerdings sind sie weltweit irgendwo in riesigen Server-Farmen angesiedelt. Zudem besteht das Problem der zumeist nicht vorhandenen oder missbräuchlich angewendeten, länderspezifischen Datenschutzrechte oder staatlicher Kontrollen.

Lösungen wie autarke Kompaktrechenzentren oder hochsichere Raum-in-Raum-Systeme werden vermehrt auf dem Markt auftauchen. Sie sind nicht nur in Größe und Leistung skalierbar. Sie sind zudem effizient und vergleichsweise unkompliziert in die bestehende städtische Infrastruktur zu integrieren. Dabei werden vermehrt wichtige physische Eigenschaften in den Fokus rücken. Die Edge-RZs müssen Bedrohungen wie Wasser, Feuer, Explosion, Gas, Staub und Vandalismus standhalten. Vor dem Hintergrund von Datendiebstahl oder -manipulation sollten sie außerdem über einen besonderen Schutz vor unbefugten Zugriffen, Lauschangriffen oder elektromagnetischen Störungen verfügen.

Anforderungen an den Betrieb

Die Planung und der Bau solcher Datacenter sind allerdings nur die eine Seite der Medaille. Ein Grundproblem ist der effiziente Betrieb. Schließlich werden diese Hochleistungs-RZs in den Bereichen Energieversorgung, Klima- und Sicherheitstechnik mit ganz anderen Dimensionen arbeiten. Es ist dann nicht nur damit getan, eine moderne Technik zu installieren. Sie muss auch an die IT-Anforderungen angepasst sein, damit das Rechenzentrum effizient arbeiten kann. Die Anforderungen dieser komplexeren Technik an das Personal hinsichtlich eines möglichst effizienten Betriebs werden allerdings wohl nur wenige Unternehmen erfüllen können.

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Lösungen wie autarke Kompaktrechenzentren oder hochsichere Raum-in-Raum-Systeme werden vermehrt auf dem Markt auftauchen. Bild: Data Center Group

Ferner verursachen die neuen Edge-Standorte, natürlich abhängig von ihrer Größe, als Folge des höheren Energieverbrauchs ganz andere Betriebskosten. Dass diese steigen, schafft wiederum für die Standorte einen hohen Druck auf die Effizienz der Energieversorgung. Am Ende werden Spezialisten erforderlich sein, um die Unternehmen bei diesen Edge-Herausforderungen zu unterstützen.

Eine weitere Herausforderung, zum Beispiel in der Industrie, ist aus Anwendersicht eine relative Ungewissheit. Im Prinzip wissen die meisten Unternehmen heute noch nicht, was in Zukunft konkret auf sie zukommt. Welche IT-Anwendungen, wie zum Beispiel Automatisierungs- oder Robotertechnik, werden für zukunftsfähige Geschäftsprozesse benötigt? Was genau wird sich für die IT ändern? Am Ende schließt sich dem noch ein großes sozialpolitisches Problem an: Roboter arbeiten rund um die Uhr und werden, eine geeignete Wartung, Nutzung und Energiezuführung vorausgesetzt, nie krank respektive arbeitsunfähig. Sparen Unternehmen dadurch also sogar Arbeitsplätze? Wie kann ein Unternehmen seine Produktion günstiger gestalten? Der Einsatz von Automatisierungstechnik in der Produktion und anderen Unternehmensbereichen bleibt daher auch in den nächsten Jahren ein spannendes Thema.

Am Ende kommen vor allem auf den Mittelstand zwei große Aufgaben zu: Zum einen gilt es, die Chancen für Produktivitätssteigerungen hinsichtlich deren Auswirkungen auf die IT-Infrastruktur für das eigene Unternehmen zu erkennen. Zum anderen müssen die Betreiber geeignete Berater für die Adaptierung oder Änderung dieser Infrastruktur finden. Denn Analysen der Vor- und Nachteile, Probleme und Risiken werden unabdingbar sein.

Thomas Sting ist Geschäftsführer der Data Center Group, www.datacentergroup.de.


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