Eco-Verband berät über Edge Computing

Vermarktbarkeit des Netzwerkrands

4. September 2019, 12:00 Uhr | Von Dr. Wilhelm Greiner.

Edge ist immer: Einen "Netzwerkrand" - als Übergang zwischen externer und digitaler Welt - gab es in der IT seit jeher, ist doch jede IT-Umgebung endlich. Dennoch herrscht derzeit ein regelrechter Hype um Edge Computing, womit man heute aber meint: die Ausdehnung moderner Cloud-Technik bis möglichst nahe an den Datenquellen, sei es für die vernetzte Industrie, autonomes Fahren, Smart City, Smart Healthcare oder Smart [hier englisches Wort nach Wahl einfügen]. Bei einem Workshop in Frankfurt beriet Eco, der Verband der deutschen Internetwirtschaft, über Möglichkeiten, Edge Computing in Geschäftsmodelle zu gießen.

Im Workshop "Edge Computing - Entwicklungen, Treiber, Geschäftsmodelle" nannte Gastgeber Dr. Béla Waldhauser, Leiter der Eco-Kompetenzgruppe Datacenter-Infrastruktur, einige Zahlen zur Orientierung: Laut Borderstep-Institut gebe es in Deutschland zirka 50.000 Rechenzentren, darunter aber nur wenige große RZs wie die von Equinix, E-Shelter oder Telehouse. In den letzten Jahren habe man eine starke Konsolidierung der Kleinst-RZs in Richtung großer Datacenter und in die Cloud erlebt, jetzt sehe man aber wieder eine "Gegenbewegung" - nämlich in Richtung Edge.

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Leitete die Diskussion zum Thema Edge Computing: Dr. Béla Waldhauser, Leiter der Eco-Kompetenzgruppe Datacenter-Infrastruktur. Bild: Dr. Wilhelm Greiner

Vier Impulsvorträge steckten das Diskussionsfeld ab. Dr. Marius Feldmann, COO bei Cloud & Heat Technologies, argumentierte, die Edge-Technik sei bereits ausgereift - die Diskussion müsse sich somit um Geschäftsmodelle drehen. Da es keinen europäischen Hyperscaler gibt, sieht er eine Chance für regionale RZ-Betreiber. Von den US-Hyperscalern abheben könne man sich durch Datenschutz, Vertrauenswürdigkeit, Transparenz - der Code der US-Anbieter ist nicht auditierbar - sowie durch Nachhaltigkeit, etwa in Form von Abwärmenutzung oder Synergien mit Energienetzbetreibern. Ein Beispiel hierfür stellte Feldmanns Co-Referent Wolfram Rinner von GasLINE vor: Sein Unternehmen betreibe 28.000 km Glasfasernetz im Schutzstreifen der Gasleitungen, und in den rund 100 fernüberwachten Systemtechnik-Stationen bestehe noch Platz für EdgeTechnik, ebenso im direkten Umfeld der Stationen.

Andreas Schürkamp, Leiter von SECUrisk, der Consultung-Truppe der Data Center Group, thematisierte die Hype-typisch reichlich unklare Frage, was genau der "Edge" eigentlich ist. Für ihn beginne der Edge bei "Leuten, die ihre Daten nicht in die Cloud geben möchten". Leider handle es sich hier meist um gewachsene Strukturen, diese gelte es zu professionalisieren und zu modernisieren. Er riet dabei zu produktionsnahem Deployment modularer Edge-Rechenzentren wie dem hauseignen DC-ITSafe.

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Forderte statt einer Technikdebatte einen Fokus auf die Geschäftsmodelle: Dr. Marius Feldmann, COO bei Cloud & Heat Technologies. Bild: Dr. Wilhelm Greiner

Michael Nicolai von Rittal erinnerte: "Das kleinste Rechenzentrum war schon immer ein Schrank, und heute heißt der Schrank eben Edge." Hier gebe es "unglaublich viele Anknüpfungspunkte" für Digitalisierungsprojekte aus Bereichen wie autonomes Fahren, Internet of Things etc. Tilo Heckmann von Telefónica Germany schließlich skizzierte die große Rolle, die 5G-Mobilfunk bei der Erschließung des Edge Computings spielen soll. Ziel von 5G sei es schließlich, ein ultra-verlässliches Mobilfunknetz mit möglichst geringer Latenz bereitzustellen, erforderten doch Anwendungsbereiche wie Industrie 4.0, Fernchirurgie oder zusammenarbeitende Roboter Latenzen von unter 2 ms. Die Wertschöpfungskette erfordert laut Heckmann das Zusammenspiel von Edge-Location-Inhaber, Edge Connector (dies wäre die Rolle von Telefónica) und Edge Application Enabler. Er betonte, bei der ITU (International Telecommunication Union) gebe es bereits eine Referenzarchitektur für Mobile Edge Computing, kurz MEC.

In vier Diskussionsrunden sammelten die Teilnehmer Ideen und Anregungen rund um Edge-Rechenzentren. Beim Versuch der Definition zeigte sich, wie schwierig es ist, "Edge-RZ" überhaupt vom herkömmlichen Rechenzentrum abzugrenzen. Als Alleinstellungsmerkmale blieben lediglich die direkte Nähe zur Datenquelle und in der Folge geringe Latenz. Auch sei in der Regel kein Betriebspersonal vor Ort, sodass man Verwaltung und Kontrolle komplett remote durchführe. Aber selbst bei der Frage, wie groß ein Edge-RZ sein kann, fand man sich schon wieder auf sandigem Terrain: Die Größe hängt stark von der Art der Anwendung ab.

Die Diskussionsrunde zum Thema RZ-Bau und -Betrieb kam ebenfalls zum Ergebnis, dass ein Edge-RZ in der Regel kleiner ist als das zentrale RZ eines Unternehmens, es aber eigentlich keine Grenze nach oben gibt. Deshalb machte man "Edge-RZ" an der Funktion fest: lokale Verarbeitung von Sensordaten. Bei Bau und Betrieb zu berücksichtigen sei aber auf jeden Fall die große Vielfalt, die sich durch Anwendungen, Umweltbedingungen und besondere Anforderungen wie etwa Vandalismusschutz ergibt. Klassische 19-Zoll-Technik passe hier nicht immer: Die Teilnehmer sahen die Möglichkeit, dass ganz neue RZ- oder Rechnertypen entstehen - und damit gegenüber großen RZs neue Anforderungen an Service und Personal.

Die Gesprächsrunde zum Aspekt "Wandel und Chancen" vermutete einen Wandel hin zu Lokalisierung oder Regionalisierung der Datenverarbeitung. Es werde aber auch Hybridanwendungen geben, wenn der Anwender zum Beispiel neben lokalen Sensordaten auch auf historische Daten zugreifen muss. Security sei stets wichtig, doch nicht jedes Ege-RZ sei in gleicher Weise zu sichern: je kleiner und unbeobachteter, desto potenziell unsicherer. Man erwartet, dass die Applikationen die Veränderungen vorantreiben werden. Chancen sehen die Verbandsmitglieder deshalb für Infrastrukturhersteller, Carrier, Cloud-Provider und Dienstleister - an zentraler Stelle ebenso wie vor Ort am Netzwerkrand.

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Tilo Heckmann von Telefónica Germany erläuterte die Rolle, die 5G-Mobilfunk bei der Edge-Erschließung spielen soll. Bild: Dr. Wilhelm Greiner

Geschäftsmodelle für Edge-RZs vermuteten die Eco-Mitglieder in diversen Bereichen: in der Beratung von Unternehmen und Kommunen zu neuen, Edge-zentrischen Geschäfts- und Anwendungsmöglichkeiten durch die Digitalisierung, bei Anbindung, Vernetzung und Sensorbestückung der Edge-Standorte, bei der kaskadierten Datenhaltung zwischen Edge und Cloud, Cloud-Brokerage für die Einbindung der Hyperscaler-Kapazitäten sowie bei Bereitstellung und Betrieb der IT für die Datensammlung und -aggregation. Auch sei zu erwarten, dass sich durch die Security-, Hochverfügbarkeits- und Resilienzanforderungen am Edge neue Geschäftsmöglichkeiten ergeben. Problematisch könnte aber die Amortisation werden: Edge-RZ erfordern schließlich Vorabinvestitionen, während der Trend beim IT-Bezug zu on Demand, as a Service und Leasing geht. Hier könne man, so die Hoffnung, Amortisationsfristen durch Standardisierung ebenso verkürzen wie durch modularen RZ-Aufbau, Ressourcen-Sharing und die Zweitnutzung bestehender Infrastruktur.

Beim Eco-Verband sieht man somit durchaus Potenzial für hiesige RZ-Betreiber, sich trotz drohender Konkurrenz durch die übermächtigen Hyperscaler - die mit AWS Outposts und Microsoft Azure Stack an den Netzwerkrand drängen - eine Scheibe vom Edge-Kuchen abzuschneiden. Allerdings stochert man in vielerlei Hinsicht noch im Trüben - nicht zuletzt bereits bei der Definition, was ein "Edge-Rechenzentrum" überhaupt ist. Doch wie schon vor Jahren beim Thema Cloud Computing gilt auch hier: Globale IT-Trends setzen sich früher oder später auch in Deutschland durch - da ist es richtig und wichtig, jenseits von Terminologiedebatten vor allem die Möglichkeiten für neues Business ins Visier zu nehmen.

Dr. Wilhelm Greiner ist freier Mitarbeiter der LANline.

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