Interview: IT-Performance und Energieverbrauch

Der Blaue Engel sieht alles

24. Oktober 2013, 6:00 Uhr | Dr. Jörg Schröper

Den Überblick über den gesamten Energiebedarf im Rechenzentrum zu wahren, ist schwierig. Denn dabei geht es um weitaus mehr als um das Ablesen von Stromzählern. Vielmehr ist ein ganzheitliches RZ-Monitoring notwendig, um Aufschluss über die Chancen für Einsparungen und somit die Steigerung der Wirtschaftlichkeit sowie einen umweltschonenden Betrieb sicherzustellen.Das Umweltzeichen "Blauer Engel für den energiebewussten Rechenzentrumsbetrieb" hat es sich zur Aufgabe gemacht, Rechenzentren zu zertifizieren, deren Betreiber sich für die Umsetzung einer langfristigen Strategie zur Erhöhung der Energie- und Ressourceneffizienz einsetzen. Frank Neubauer von RZ-Products und der technische Berater der Vergabegrundlage für das Umweltzeichen, Dipl.-Ing. Marc Wilkens vom Lehrstuhl für Informations- und Kommunikationsmanagement an der TU Berlin, standen im Interview Rede und Antwort. LANline: Herr Wilkens, die Diskussion über Green IT ist nicht eben neu. Warum sollte gerade jetzt die richtige Zeit für eine neutrale Zertifizierung gekommen sein? Wilkens: Bisher hat es an dem richtigen Konzept gefehlt. Was muss gemessen werden? Wie muss gemessen werden? Wo muss gemessen werden? Nach welchen Kriterien müssen die Ergebnisse bewertet werden? Die Effizienz von Rechenzentren in Bezug auf den Energiebedarf galt immer als schwierig zu bewerten. Mit dem nun vorhandenen Benchmarking-System und der einheitlichen Vergabegrundlage, die seitens der RZ-Betreiber im Vorfeld der Erstzertifizierung mit dem Blauen Engel erfüllt werden muss, haben wir jetzt genaue Kennzahlen, die direkte und zuverlässige Vergleiche zulassen. LANline: Was ist neu? Wilkens: Die Fragen sind nun sehr präzise gestellt, und die Messstellen sind eindeutig definiert. So wird die Komplexität der Server-Räume in Betracht gezogen und ein aussagekräftiges Ergebnis bezüglich der Effizienz erzielt. LANline: Welche Vorteile haben RZ-Betreiber durch die Zertifizierung mit dem Blauen Engel? Neubauer: Ein klarer Vorteil ist, dass sich die Kosten im Zuge des effizienteren Betriebs mittel- bis langfristig senken lassen und auch die Umweltbilanz besser wird. Die RZ-Betreiber sind zudem stets auf dem aktuellen Stand und verfügen über ein hohes Maß an Transparenz hinsichtlich des Energiebedarfs sowie der aktuellen Ausstattung des Rechenzentrums. Im Zuge der Zertifizierung wird der Einsatz speziell entwickelter Hard- und Softwarekomponenten notwendig, die eine bedarfsorientierte Visualisierung der IT sowie deren Infrastruktur gewährleisten. Neben der Effizienzsteigerung werden sich auch Effekte einstellen, die den Grundstein für weitere Maßnahmen zur Steigerung der Verfügbarkeit und Sicherheit legen. Wilkens: Vor allem für die öffentlichen Institutionen und Dienstleistungsrechenzentren wird der Blaue Engel zukünftig einen hohen Stellenwert haben. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass das Umweltzeichen mit seinem Kriterienkatalog fester Bestandteil für öffentliche Ausschreibungen wird. LANline: Gibt es bereits Aktionen in diesem Umfeld? Wilkens: Nachdem die ersten Rechenzentren zertifiziert wurden - darunter auch eines aus dem öffentlichen Bereich - ist es durchaus denkbar, dass die Kriterien der Vergabegrundlage einen wichtigen Status erlangen. Im Falle von Outsourcing-Rechenzentren ergibt sich darüber hinaus durch die Zertifizierung eine hohe Reputation. LANline: Wie läuft für einen RZ-Betreiber die Zertifizierung konkret ab? Wilkens: Im Vorfeld der Erstzertifizierung muss zunächst die Vergabegrundlage erfüllt sein. Zu diesem Zweck wird der besagte Fragenkatalog ausgefüllt und anschließend vom Prüfinstitut bewertet. Es folgt ein inhaltliches Gutachten, welches an die RAL weitergeleitet wird, die dann in ihrer Funktion als staatlich autorisierte Stelle das Zeichen vergibt - oder auch nicht. Auf jeden Fall muss ein Energie-Management implementiert sein, das Aufschluss über die Energiestrategien zulässt. LANline: Und wenn dies nicht der Fall ist? Wilkens: Verfügt das RZ zu Beginn lediglich über ein Gebäudeenergie-Monitoring, muss es innerhalb von zwei Monaten ein IT-Monitoring nachrüsten. Entscheidend ist, dass das gesamte RZ einschließlich der IT-Performance, Gebäudetechnik, Energieverbräuche etc. berücksichtigt wird. Damit ein nachhaltiges Monitoring erfolgen kann, muss der Betreiber zudem auf die Schnittstellen achten. Häufig haben Monitoring-Systeme, die aus der Gebäudetechnik kommen Probleme, die Messwerte der IT zu integrieren - und umgekehrt. Ein geeignetes Tool muss demnach ein ausgeklügeltes Messkonzept vorweisen und sehr gut geplant sein. Neubauer: Ideal ist daher ein Konzept, das Energie-Monitoring und die Inventarisierung aller RZ-Komponenten kombiniert. Dort sind auch Eingaben sowie Datenimporte aus anderen, bereits bestehenden Systemen möglich. Der Einsatz des richtigen Monitoring-Tools erleichtert die Umsetzung der Vergabekriterien deutlich. In unserem Monitoring-Energy.sys haben wir beispielsweise spezielle Features integriert, deren Funktionen den Anforderungen für die Erst- und Rezertifizierung mit dem Blauen Engel gerecht werden und etwa die notwendige Erstellung von Energieberichten weitestgehend automatisiert. Die IT-Verantwortlichen erhalten auf diese Weise mithilfe der Darstellung des Optimierungspotenzials sowie den zu erreichenden Werten wertvolle Hilfe. LANline: Was bedeutet in diesem Zusammenhang dann Rezertifizierung? Neubauer: Die Betreiber müssen am Ball bleiben, wenn sie ihre Auszeichnung behalten wollen. Wilkens: In regelmäßigen Abständen von einem Jahr ist die Zertifizierung zu wiederholen. Die Werte müssen demnach kontinuierlich über das Jahr hinweg erhoben werden, damit bei Einhaltung der Vorgaben aus der Vergabegrundlage eine erneute Zertifizierung erfolgen kann.   Kennzahlen unterliegen ständiger Kontrolle LANline: Die IT verändert sich. Wie verhält es sich mit der Aktualität der Daten, die einer Zertifizierung mit dem Blauen Engel zugrunde liegen? Wilkens: Selbstverständlich werden auch die Kennzahlen, auf denen die Zertifizierung basiert, regelmäßig kontrolliert. Rechenzentren und deren IT-Technik entwickeln sich stetig, daher gibt es für die Vergabegrundlage alle drei Jahre eine Überprüfung. Neubauer: Grundsätzlich können User sämtliche Daten im Monitoring-System eigenständig festlegen und konfigurieren. Will ein Nutzer auf die Zertifizierung hinarbeiten, führen wir in unserem Tool eine Vorkonfiguration durch, die relevante Werte - wie beispielsweise den EUE-Wert oder die Jahresarbeitszahl - als Kennwerte definiert. Diese Daten werden selbstverständlich auch entsprechend der Vorgaben aktualisiert. So lässt sich ohne Weiteres die Vergabegrundlage beachten, und auch entsprechenden Optimierungen im Rechenzentrumsbetrieb steht nichts mehr im Wege. LANline: Welche Voraussetzung muss seitens der RZ-Betreiber erfüllt sein, um das Zertifikat Blauer Engel zu erhalten? Wilkens: Sind bereits der Energiebedarf für die IT, Kühlung und Stromversorgung regelmäßig erfasst, müssen lediglich die Jahresarbeitszahl JAZ und der Virtualisierungsgrad VG geprüft werden. Entsprechen diese nicht den Werten 3,5 für die JAZ) und 2 für den VG, sind Maßnahmen zu treffen, um die geforderten Ergebnisse zu erzielen. Die Erfahrung aus den ersten Zertifizierungen zeigt, dass dies innerhalb weniger Wochen umsetzbar ist. In Fällen, in denen keine Virtualisierung im RZ eingeführt wurde, ist der Aufwand höher. Mit der Implementierung ergeben sich jedoch für die Betreiber immer Vorteile, da eine Virtualisierung mit der Einführung eines Monitorings der virtuellen Maschinen einhergeht. Damit sind dann wiederum viele wichtige Parameter des IT-Monitorings für den Blauen Engel erfasst. Neubauer: Im Grunde muss der Betreiber für die Auszeichnung mit dem Blauen Engel über einen Zeitraum von zwölf Monaten alle relevanten Werte erfassen und dokumentieren. Bei neu errichteten Rechenzentren handelt es sich um drei Monate. Somit bedarf es lückenloser Messreihen, die anhand eines geeigneten Monitoring-Tools leicht zu dokumentieren sind.   Kostendruck bei Dienstleistern LANline: Welche Rechenzentrumstrends sehen Sie für die Zukunft? Wilkens: Neben den gewohnten regelmäßigen Out- und Insourcing-Zyklen sehe ich einen mittelfristigen Trend hin zur so genannten RZ-Produktivität. Ich denke, in Zukunft wird es nicht mehr so sein, dass die Kosten pauschal auf die IT-Dienstleistungen umgelegt werden. Vielmehr werden IT-Dienstleister zunehmend den Kostendruck spüren und diesen somit verursachungsgerecht auf IT-Dienste wie E-Mail oder SAP-Anwendungen aufteilen. Dazu wird auch ein Wandel im RZ-Management nötig sein. Verfügbarkeit wird in Zukunft nicht mehr das alleinige Kriterium für die Planung und den Betrieb von Rechenzentren sein. Neubauer: Steigende Wärmebelastungen und immer leistungsstärkere IT-Infrastrukturen heben den Energiebedarf und folglich auch die Betriebskosten an. Das primäre Ziel wird demnach auch in Zukunft deren Reduzierung sein. Nur durch die Analyse, Optimierung und das anschließende kontinuierliche Monitoring der Verbräuche wird ein Höchstmaß an Transparenz geboten, das Aufschluss über die Energiedaten gewährt, Potenziale aufzeigt und so eine Kostenreduzierung nach sich zieht. Das Ganze ist langfristig nur mithilfe eines geeigneten Monitoring-Konzepts umsetzbar. LANline: Herr Wilkens, Herr Neubauer, vielen Dank für das Gespräch.

Der Autor auf LANline.de: jschroeper

Frank Neubauer, RZ-Products: "Ideal ist ein Konzept, das Energie-Monitoring und die Inventarisierung aller RZ-Komponenten kombiniert."

Dipl.-Ing. Marc Wilkens, Lehrstuhl für Informations- und Kommunikations-Management an der TU Berlin: "Vor allem für die öffentlichen Institutionen und Dienstleistungsrechenzentren wird der Blaue Engel zukünftig einen hohen Stellenwert haben."

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