Experten zu Energieeffizienz im Rechenzentrum

RZ statt Wollpulli

18. Januar 2023, 7:00 Uhr | Wilhelm Greiner
© Wolfgang Traub

Angesichts drastisch gestiegener Energiepreise war letzthin oft ein Rat zu hören: Verbraucher sollten die Heizung drosseln und notfalls eben einen warmen Pullover überziehen. RZ-Betreibern hilft dieser Rat wenig: Im RZ ist das Problem nicht winterliche Kälte, sondern Hitze, sind doch Server im Wesentlichen Herdplatten, auf denen man Einsen und Nullen hin- und herschubsen kann. Entsprechend unternehmen RZ-Betreiber vielerlei, um Stromverbrauch und Abwärme (die wiederum Energie für die Kühlung verschlingt) zu minimieren. LANline befragte deshalb Marktkenner der RZ-Branche, welche Maßnahmen für mehr Energieeffizienz sinnvoll wären. Eine Option: RZ-Abwärme besser nutzen.

Einige Schritte zur Senkung des Energieverbrauchs im Rechenzentrum sind so naheliegend, dass sie längst als Standard gelten. Dazu zählen die Beschaffung möglichst effizienter Hardware für Server- und RZ-Betrieb, die Server-Virtualisierung, freie Kühlung (sofern möglich) oder auch die Kaltgang- und Warmgang-Einhausung. In Zeiten explodierender Energiekosten steht allerdings die Frage im Raum, welche Schritte ein RZ-Betreiber jenseits dieser Standardmaßnahmen einleiten könnte, um die Energieeffizienz des Rechenzentrums weiter zu steigern.

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Stefan Hierl, CTO bei Kyndryl Deutschland
Stefan Hierl, CTO bei Kyndryl Deutschland
© Kyndryl

„Die ,Standardmaßnahmen’“, so Stefan Hierl, CTO bei Kyndryl Deutschland, „werden oft angesprochen und diskutiert, wir sehen aber, dass diese in vielen bestehenden Rechenzentren  immer noch nicht konsequent umgesetzt werden.“ Dieser Ansatz zeige deshalb für die Energieeffizienz von Rechenzentren nach wie vor große Wirkung. Zusätzlich können laut Hierl Wärmerückgewinnung, Abwärmenutzung, aber auch die Nutzung erneuerbarer Energien zur Optimierung der Energiekosten beitragen. „Empfehlenswert für RZ-Betreiber“, so der Kyndryl-Experte, „ist eine Energieeffizienzanalyse, bei der individuell bezogen auf das eigene Rechenzentrum die baulichen und technischen Möglichkeiten geprüft, analysiert und monetär bewertet werden.“

Dr. Ralph Hintemann, Gesellschafter und Senior Researcher beim Borderstep Institut
Dr. Ralph Hintemann, Gesellschafter und Senior Researcher beim Borderstep Institut
© Joerg Frank

„Die größten Potenziale zur Energieeinsparung bei Rechenzentren liegen im Bereich der Software und des Managements von IT und Rechenzentrumsinfrastruktur“, erläutert Dr. Ralph Hintemann, Gesellschafter und Senior Researcher beim Borderstep Institut. Denn Software sei meist nicht mit Fokus auf Energieeffizienz programmiert, und viele Hardwareressourcen laufen laut Hintemann nach wie vor kaum ausgelastet im Idle-Modus vor sich hin. „Hier deutliche Verbesserungen zu erreichen, ist wesentlich aufwendiger, als sich einen energieeffizienten Server zu beschaffen oder die Kühlung zu optimieren“, so der Borderstep-Forscher. Sein Rat: „Ein erster Schritt wäre, aussagekräftige Indikatoren für die erbrachte Leistung seines Rechenzentrums festzulegen und somit die Energieeffizienz des Rechenzentrums überhaupt messbar zu machen.“

Frank Miller, Head of Datacenter Segment DACH, Secure Power Division bei Schneider Electric
Frank Miller, Head of Datacenter Segment DACH, Secure Power Division bei Schneider Electric
© Schneider Electric

„Um bei einem modernen Datacenter kontinuierliche Verbesserung erzielen zu können, müssen sämtliche Prozesse und Systeme auf den Prüfstand“, fordert Frank Miller, Head of Datacenter Segment DACH, Secure Power Division bei Schneider Electric. Dies umfasse alles von der USV über die Kühlung bis hin zu Racks, Einhausungen, Servern und Storage. „Entscheidend dabei ist die Erfassung von Abhängigkeiten zwischen einzelnen Systemen, denn hier liegt das größte Potenzial“, betont Miller. Aufgrund wachsender Komplexität könne dies nur eine intelligente DCIM-Lösung (Datacenter-Infrastructure-Management) leisten, die über die nötigen Erfassungs- und KI-Funktionen verfügt.

Jens-Peter Feidner, Geschäftsführer von Equinix in Deutschland
Jens-Peter Feidner, Geschäftsführer von Equinix in Deutschland
© Equinix

Jens-Peter Feidner, Geschäftsführer von Equinix in Deutschland, setzt angesichts der Fülle anfallender Sensor- und Systemdaten heute ebenfalls auf KI: Bei Equinix sehe man „enormes Potenzial in Innovationen wie künstlicher Intelligenz, um kontinuierliche Fortschritte bei der Steigerung der Energieeffizienz zu gewährleisten“. In Kooperation mit dem Startup Etalytics nutzt der RZ-Betreiber dies bereits in einem seiner Frankfurter Rechenzentren, um Temperaturveränderungen zu überwachen und die Kühlleistung zu optimieren. „Bei der Kühlung lassen sich so maximal 48 Prozent der Energie im untersuchten Teilsystem einsparen“, sagt Feidner.

Falk Weinreich, General Manager Central Europe bei OVHcloud
Falk Weinreich, General Manager Central Europe bei OVHcloud
© OVHcloud

Auch andere Fachleute richten ihr Augenmerk vorrangig auf die RZ-Kühlung: „Die Nutzung von Wasser- anstelle der üblichen Luftkühlung hat sich als besonders effektiv erwiesen, um sowohl die Energieeffizienz als auch den Wasserverbrauch eines RZs erheblich zu senken“, sagt Falk Weinreich, General Manager Central Europe bei OVHcloud. Als weitere sinnvolle Maßnahmen erachtet er die Verlängerung der Lebenszeit der Server-Komponenten durch Methoden der Kreislaufwirtschaft, das Monitoring der Server und deren vorübergehende Stilllegung bei Leerlauf sowie die Nutzung erneuerbarer Energien.

James Hart, CEO des RZ-Bau-Spezialisten BCS.
James Hart, CEO des RZ-Bau-Spezialisten BCS
© Business Critical Solutions

„Immersionskühlung und adiabatische Kühlung bieten Optimierungsmöglichkeiten“, erklärt James Hart, CEO des RZ-Bau-Spezialisten BCS. Um einen großflächigen Einsatz der Immersionskühlung zu fördern, seien entsprechende Standards erforderlich. Bei der adiabatischen Kühlung wiederum sollte laut Hart Grauwasser (also gering verschmutztes Brauchwasser) Verwendung finden, um nicht durch Trinkwassernutzung die Nachhaltigkeit zu konterkarieren. „Um die Nutzung grüner Energie zu optimieren, können Betreiber auf Batterien setzen, diese laden, wenn die Energie verfügbar ist, und sie nutzen, wenn sie benötigt wird“, so der BCS-Chef. Der Einsatz grünen Wasserstoffs als Backup-Energiequelle hingegen sei „noch weitgehend Zukunftsmusik“.

Oliver Lindner, Director of Product Management bei FNT
Oliver Lindner, Director of Product Management bei FNT
© FNT

Oliver Lindner, Director of Product Management bei FNT, nennt im Sinne höherer Energieeffizienz im RZ fünf wichtige Maßnahmen: die Identifikation von Ghost-Systemen (also der von Hintemann erwähnten Idle-Rechner), die Verdichtung von IT-Systemen, die Vermeidung von Kühlungs-Hot-Spots, eine intelligente Einsatzplanung des Betriebspersonals mit Bündelung von Einsatzkräften sowie die Rückgewinnung und Neuverteilung von Kapazitäten.


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  2. RZ-Abwärme sinnvoll nutzen

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