Virtual Desktop Infrastructure im Wandel

Cisco erfüllt das Versprechen von VDI

13. April 2012, 6:00 Uhr | Von LANline.

Nach einem ersten Hype rund um VDI (Virtual Desktop Infrastructure, zentral gehostete virtuelle Desktops) war die Enttäuschung angesichts teils deutlicher Mängel früher VDI-Lösungen groß. Das öffentliche Interesse hat sich längst Cloud-Services und der Post-PC-Ära zugewandt. In diesem Beitrag diskutiert Branchenkenner und Entelechy-Analyst Simon Bramfitt, wie dem Konzept VDI mit Ciscos Hilfe doch noch der Durchbruch gelingen könnte.

 

Im ersten Halbjahr 2009 rief VDI eine praktisch noch nie dagewesene Welle von Enthusiasmus hervor – bei Desktop-Verantwortlichen, ermattet durch den ständigen Kampf um die Kontrolle über den Desktop und auf der Suche nach einer „magischen Kugel“, um dem Gespenst des verteilten Desktop-Managements ein Ende zu bereiten. Hinzu gesellten sich Xenapp-Anhänger, die ihre vergangenen Erfolge auf der weiteren Flur der Enterprise-Desktops wiederholen wollten. Die Gartner-Analysten, die es wirklich besser hätten wissen müssen, gossen Öl ins Feuer, indem sie VDI bis 2013 ein Anwachsen zum 65-Milliarden-Dollar-Markt vorhersagten, und praktisch jede Fachzeitschrift schwamm auf der Welle mit und beschwor die Vorteile von VDI.
 
Die Akzeptanz von VDI hat sich als deutlich geringer erwiesen als diese überzogenen Prognosen, vor allem aufgrund folgender Probleme:
 
Im Vergleich mit herkömmlichen verteilten Desktop-Umgebungen war VDI eine scheußlich teure Technik, die massiven Kapitaleinsatz erforderte, und dies mitten in einer Rezession, in der IT-Budgets gekürzt wurden.
 
Die Basistechniken, die für eine voll funktionsfähige Desktop-Umgebung (vor allem Storage-Services) erforderlich sind, waren nicht gewappnet, um die Anforderungen bezüglich Funktionalität oder Performance zu erfüllen.
 
VDI hob sich nicht genug von bestehenden Remote-Desktop-Services-basierten Lösungen wie Citrix Xenapp ab, sodass es keinen einzigen definitiven Use Case gab, der die Akzeptanz hätten befeuern können.
 
Dass VDI im April 2009 noch nicht marktreif war, bedeutet aber nicht, dass die dahinter steckenden Gedanken wertlos wären. Die Zeiten ändern sich, und obwohl Leute wie Brian Madden und „Provocateur Extraordinaire“ (und vormaliger Citrix-CTO) Simon Crosby nahelegen, VDI sei eine Lösung auf der Suche nach einem Problem, fußen viele der Argumente auf veralteten Annahmen. (Ich bin mir sicher, dass Simon das weiß, und ebenso sicher, dass er die Security-Vorteile von VDI in Zweifel zieht, um künftigen Verlautbarungen seines neuen Unternehmens Bromium den Weg zu ebnen.)
 
Obwohl nun die öffentliche Meinung gegen VDI fest verankert ist, ist es in meinen Augen an der Zeit, diese Position zu überdenken und zu fragen, ob 2012 das „Jahr von VDI“ sein wird. Bevor ich diese Frage beantworte, muss man sich verdeutlichen, dass der Wechsel vom ungebremsten Enthusiasmus zur vollständigen Ablehnung von VDI ein Verhalten ist, das man bei jeder neuen Technik beobachten kann. Am besten hat Gartner dieses Phänomen mit seinem Hype Cycle erfasst, der den überzogenen Enthusiasmus oder „Hype“ sowie die nachfolgende Enttäuschung beschreibt, die typischerweise der Einführung einer neuen Technik folgt.
 
VDI durchläuft den Hype Cycle
 
Ein Hype-Zyklus besteht in Gartners Interpretation aus fünf Phasen (Bild 1): Dem „technischen Auslöser“ folgt der „Gipfel der überzogenen Erwartungen“. Das Versagen, diese frühen Erwartungen zu erfüllen, führt zum Absturz ins „Tal der Enttäuschungen“. Die Presseberichte lassen nun nach, doch einige Unternehmen verfolgen die Implementierung der Technik weiter und sammeln Erfahrungen mit ihrer praktischen Anwendbarkeit und ihren Vorteilen, bei Gartner „Pfad der Erleuchtung“ genannt. Eine Technik erreicht schließlich das „Plateau der Produktivität“, wenn ihre Vorteile allgemein veranschaulicht und akzeptiert sind. Die finale Höhe dieses Plateaus variiert, je nachdem, ob eine Technik in der Masse anwendbar ist oder nur für einen Nischenmarkt von Vorteil ist
 
VDI entwickelt sich weiter
 
Ohne Zweifel hat das Interesse an VDI abgenommen, nachdem dessen Mängel zutage traten, während die Aufmerksamkeit sich auf Cloud-Services und die Post-PC-Revolution verlagerte, die nun Anbieter wie Kommentatoren propagieren. Es hat VDI auch nicht geholfen, dass zeitgleich Lösungen für die Virtualisierung verteilter Desktops herangereift sind, die die großen RZ-Installationen Server-seitig gehosteter virtueller Desktops umgehen. Unstrittig ist, dass Lösungen wie jene von Wanova, Moka Five oder seit Kurzem auch Zirtu viele der Vorteile von VDI ohne dessen Kosten und Komplexität bieten. Zeitgleich sind auch noch Client-Hypervisoren von Virtual Computer und Citrix herangereift, sie konkurrieren nun direkt mit VDI. Zusammengenommen werden diese Techniken ein großes Stück von Gartners 65-Milliarden-Dollar-Kuchen abbeißen. Als weiterer wichtiger Faktor ist der Ipad-Effekt zu berücksichtigen: Die zunehmende Nutzung mobiler Geräte verschiebt das Interesse weg von der Präsentation entfernter Desktops hin zu nativen Mobile-Applikationen sowie zurück zur Präsentation entfernter Anwendungen (sprich: Xenapp).
 
In den letzten zwei Jahren haben sich die VDI-Techniken und ihre Ökosysteme weiterentwickelt. Die technischen Probleme und die hohen Kosten, die frühe Implementierungen belastet hatten, haben sich großteils erübrigt, wenn man weiß, wo man suchen muss. Die VDI-Connection-Broker und Remote-Display-Protokolle haben sich so stark verbessert, dass man sie als tauglich für große Installationen über Enterprise-WAN-Verbindungen betrachten kann. Neue Speicherlösungen von Anbietern wie Atlantis Computing, Virsto und Fusion-IO haben die Kosten der Datenspeicherung auf bis zu 20 Prozent der Storage-Kosten gesenkt, die man noch vor zwei Jahren verzeichnete. Das Moore‘sche Gesetz hat im Zusammenspiel mit innovativen Techniken von Anbietern wie V3 Systems, Nutanix, Pano Logic, Kaviza und Virtual Bridges, um nur einige zu nennen, die Kosten so stark gesenkt und die VDI-Performance so deutlich erhöht, dass Hindernisse auf Kostenseite wie auch seitens der Benutzbarkeit größtenteils aus dem Weg geräumt sind.
 
Zugegeben: Die Performance von 3D-Grafik ist immer noch eine Herausforderung, aber die Einsatzfälle, in denen 3D-Grafik entscheidend ist, sind nicht so zahlreich, dass sie die VDI-Einführung verhindern würden. Vor allem aber haben bessere Tools von Anbietern wie Unidesk, Liquidware Labs, Lakeside Software, RES und Appsense die Implementierung und das Management von VDI deutlich vereinfacht. Die Techniken hinter diesen Lösungen unterliegen ihren eigenen Hype-Zyklen. Diese erfahren vielleicht nicht die gleiche Höhe oder Dauer wie der VDI-Hype-Zyklus, und in manchen Fällen, zum Beispiel bei Remote Desktop Services, ist das Plateau der Produktivität längst erreicht.
 
Unter diesen Voraussetzungen stellt sich tatsächlich nur die eine Frage: Befindet sich VDI immer noch auf dem Weg ins Tal der Enttäuschungen oder erklimmt es bereits den Pfad der Erleuchtung? Die Hinweise mehren sich, dass VDI bereits den Pfad der Erleuchtung erreicht hat: Die Deployment-Zahlen steigen, sowohl in Bezug auf die verkauften und aktivierten (also nicht gratis abgegebenen) Lizenzen, als auch in Bezug auf die Größe der Lizenzierungsdeals. Zeitgleich haben die VDI-Praktiker ausreichend Erfahrung gesammelt, um realistische Erwartungen zu entwickeln, wo und wie VDI verwendbar ist. Still und leise klären sie potenzielle Anwender auf, ob sie gute Kandidaten für die Technik wären oder nicht. Diese inkrementellen Verbesserungen führen VDI allmählich den Pfad der Erleuchtung hinauf. Damit aber VDI eine Chance hat, sein Potenzial zu erfüllen, ist ein weiterer treibender Faktor notwendig. Und hier kommt Cisco ins Spiel.
 
Ciscos VXI-Architektur
 
Nach seinem Einstieg in den Data-Center-Virtualisierungsmarkt im März 2009 hat sich Cisco zügig als einer der drei führenden Blade-Server-Hersteller etabliert – hinter HP und IBM, aber noch vor Dell. Im Juni 2010 signalisierte Cisco dann seine Absicht, in den Markt der Enterprise-Endgeräte einzusteigen: mit dem Launch des Cius-Tablets, im Novemebr 2010 gefolgt vom Launch der Virtual Experience Infrastructure (VXI, siehe Bild 2).
 
Es wäre verlockend, VXI einfach als Vblock für die Desktop-Virtualisierung einzustufen. Treffender ist es allerdings, VXI als offene Architektur für die Bereitstellung Server-seitig gehosteter virtueller Desktops zu betrachten, basierend auf standardisierten Endgeräten von Cisco, Cisco-Netzwerkinfrastruktur und dem Cisco Unified Computing System (UCS), gepaart mit NAS- oder SAN-basierter Storage-Infrastruktur aus Ciscos Partner-Ökosystem. Als VXI verkündet wurde, stellte Cisco zwei VXC-Thin-Clients (Virtualization Experience Client) vor, die sich neben dem Cius-Tablet als Endgeräte für die VXI-Connectivity nutzen lassen: Der eine, ein Standard-TC namens VXC 2200, ist kaum von Interesse; der VXC 2100 hingegen ist das spannendere Gerät. Er ist darauf ausgelegt, sich in die Rückeite von Ciscos Unified-Communications-IP-Telefonen zu integrieren, sodass er im Endeffekt einen Thin Client mit VoIP-Telefonie-Services kombiniert.
 
Cisco weiß, dass man so etwas Komplexes wie Desktop-Virtualisierung nicht im Alleingang bewältigen kann und zumindest ein gewisses Maß an Offenheit im eigenen Ansatz vorsehen muss. Dies zeigt sich besonders an der Wahl der Softwarepartner für die Desktop-Virtualisierung: Obwohl Cisco ein Fünfjahresabkommen mit Citrix über die Entwicklung und gemeinsame Vermarktung von Desktop-Virtualisierungstechnik geschlossen und Citrix HDX in seine WAAS-Plattform integriert hat, ist man doch mit Citrix keine Exklusivpartnerschaft eingegangen. Vielmehr hat Cisco für VXI sowohl Citrix als auch VMware als gemeinsame Softwarepartner für die Desktop-Virtualisierung gewählt. In ähnlicher Weise erkennt Cisco die Existenz der vielen unabhängigen Thin-Client-Anbieter an und berücksichtigt deren Einbeziehung in die VXI-Architektur.
 
Als Cisco im Herbst 2011 mit Citrix ein Fünfjahresabkommen zur Integration von Techniken und die gemeiname Vermarktung der jeweiligen Desktop-Virtualisierungslösungen schloss, kündigte der Anbieter zugleich einen neuen integrierten Thin Client für das erste Quartal 2012 an: Während der VXC 2100 ein konventioneller Thin Client mit innovativem Formfaktor war, ist der VXC 6215 eine einheitliche Plattform, die Desktop-Hardware ersetzt und Sprache, Video sowie einen virtuellen Desktop in einem einzigen kompakten Gerät vereint. Dies ist eine wichtige Neuerung: Die Plattform vereint Sprache, Video und den Desktop mit einer erwarteten Einsatzdauer von weit über fünf Jahren – Cisco legt sogar nahe, dass der VXC 6215 zehn Jahre lang hält. Damit werden Unternehmen von dramatisch niedrigeren Desktop-Betriebskosten profitieren. Zu beachten ist, dass dies die Desktop-Betriebskosten sind, nicht die PC-Betriebskosten. Man muss bedenken, dass hier ein einzelnes Desktop-Gerät als Telefon, Videotelefon und PC-Ersatz fungiert – angebunden über ein einziges physisches Ethernet-Kabel, mit Strom versorgt via Power over Ethernet, die Hardware mittels einer integrierten Service-Konsole zentral verwaltet, mit Applikationen, die über einen zentralen App Store bereitgestellt werden.
 
Dies ist ein Paradigmenwechsel größten Ausmaßes. Der VXC 6215 und seine Nachfolger werden nicht in Zehner- oder Hunderterschritten eingeführt werden, sondern mit Zehntausenden von Geräten in den größten Unternehmen. Damit erfüllen sie das Versprechen von VDI, ein preiswerten Desktop-Ersatz zu liefern, nicht als Endergebnis, sondern als Nebenwirkung eines viel größeren Wandels. Letztendlich könnte Garnter vielleicht doch Recht behalten, und der gesamte VDI-Markt erreicht einen Umfang von 65 Milliarden Dollar. Der Anteil dieser Summe, der aus der Kannibalisierung von Telefonie-Services stammt, wird dabei aber wahrscheinlich ebenso groß sein wie jener aus der von Desktop-Services.
Simon Bramfitt/wg
 
 
 
Simon Bramfitt ist Analyst mit Spezialgebiet Desktop-Virtualisierung und Gründer von Entelechy Associates. Dieser Beitrag basiert auf einem etwas ausführlicheren englischsprachigen Blog-Post auf simonbramfitt.com vom 20.10.2011. Übersetzung und Bearbeitung: Dr. Wilhelm Greiner.
 
Der Autor auf LANline.de: wgreiner

Mit VXI hat Cisco eine eigene Architektur für die Bereitstellung von Virtual-Desktop-Services vorgestellt. Bild: Cisco

Laut Gartners Modell durchläuft ein Hype in der IT immer die gleichen fünf Phasen. Bild: Wikipedia
LANline.

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