Fernwirken über IP

Energieversorger stellt auf IP-Systeme um

10. April 2005, 22:55 Uhr | Martin Ortgies/mw Martin Ortgies ist freier Journalist und Kommunikationsberater im Bereich IT und Telekommunikation.

Bei dem regionalen Energieversorger SVO Energie in Celle werden zurzeit neue Leitsysteme für die Steuerung und Überwachung der Versorgungsnetze Strom, Gas und Wasser eingerichtet. Mit Einführung dieser neuen IP-basierenden Systeme wird im ersten Schritt die vorhandene Fernwirktechnik über den IP-Standard nach IEC 60870-5-104 angebunden. Mit dem Projekt "Fernwirken über IP" hat die SVO weitgehend Neuland betreten. Bei anderen Energieversorgern gab es zu diesem Thema zwar Überlegungen und Planungen - aber noch wenige Ergebnisse und Erfahrungen.

"Bisher erfolgte die Anbindung der gesamten Fernwirkwelt über proprietäre Protokolle. Mit der
Einrichtung neuer Leitsysteme wollen wir die Durchgängigkeit im Übertragungsprotokoll erreichen und
die Anbindung auf IP umstellen", skizziert Reinhard Wolter, zuständig für Kommunikations- und
Übertragungstechnik, die zentrale Aufgabenstellung des Projekts. Die alte Fernwirktechnik basiert
auf herstellerspezifischen proprietären Lösungen. Erweiterungen, Wartung und Fehlerbeseitigung
dieser Systeme sind relativ kostenaufwändig. Die SVO hat sich daher das Ziel gesetzt, mit
IP-basierten Lösungen eine kostengünstigere Standardtechnik einzuführen.

"Fernwirken über IP": die Anforderungen

Für die Umstellung der Fernwirkanbindung war ein Zeitraum von zwölf Monaten eingeplant. Zu den
wichtigsten Anforderungen zählten:

die technische Lösung für die IP-Übertragung über das vorhandene
SDH/PDH-Transportnetz,

die Ausfallsicherheit beziehungsweise die automatische Umschaltung auf
redundante Übertragungswege innerhalb vorgegebener Zeittoleranzen,

der Aufbau eines Ethernet-Backbones und

die Projektrealisierung durch das Team der Informationstechnik.

Aufgrund der kurzen Projektlaufzeit und der erforderlichen Spezialkenntnisse wurde mit Quante
Netzwerke für die detaillierte Planung ein externer Dienstleister mit ins Boot geholt. Die Auswahl
dieses Partners war folgerichtig, da Quante Netzwerke durch den Aufbau und die Betreuung des
SVO-Übertragungsnetzes bereits umfangreiches Wissen zum Netz hatte und für die Umstellung auf das
IP-Protokoll Praxis-Know-how einbringen konnte.

Die vorgeschlagene Lösung

Gemeinsam mit Quante Netzwerke wurde die Lösung definiert: Übertragung der Fernwirkdaten per
IP-Protokoll, Integration der IP-Übertragung in das Transportnetz durch einen speziellen
SDH/PDH-Knotenaufbau/Mapping-Verfahren, Installation von zwei Fernwirk-IP-Ringen, Aufbau der neuen
Technik parallel zur vorhandenen Infrastruktur, Aufnahme des Wirkbetriebs zusammen mit der neuen
Leittechnik ebenfalls parallel zur vorhandenen Technik und erst anschließend der Rückbau der
Altanlagen. Eine denkbare Alternative wurde verworfen: Die Anbindung der Fernwirktechnik
ausschließlich über Switches. Sie hätte in allen Stationen eine Glasfaserverbindung oder
entsprechende Ressourcen im Fernmeldekupferkabelnetz vorausgesetzt. Da Teilstrecken mit
Kupferverbindungen betrieben werden, deren Kapazitäten erschöpft sind, wären Investitionen in
zusätzliche Glasfaserstrecken erforderlich geworden. Für Reinhard Wolter keine echte Alternative,
denn das Konzept wäre deutlich unwirtschaftlicher gewesen.

Der Zeitablauf des nun beschlossenen Projekts sah so aus:

Planungsphase zirka drei Monate,

Bestell- und Lieferphase zirka drei Monate,

nochmals drei Monate für Implementierung und Tests und

insgesamt etwa 12 Monate von der Planung bis zur Inbetriebnahme.

Planungsphase

Auf der Basis eines Angebots erhielt Quante Netzwerke den Auftrag für die Planung. Die
Planungsphase startete mit umfangreichen Recherchen zur Ist-Aufnahme des Netzes und dem Abgleich
zum Soll-Zustand. Nach zusätzlichem "Feintuning" wurde das daraus ermittelte Vorkonzept ausführlich
dokumentiert und Grundlage für die Bestellung der Komponenten und die anschließende
Realisierung.

"Wir waren sehr angetan von den Planungsergebnissen. Es hat sich gezeigt, wie wichtig es war,
dass Quante Netzwerke bereits erste Erfahrungen mit vergleichbaren Projekten aufweisen konnte.
Entsprechend zügig und effektiv waren auch die Gespräche", beurteilt Reinhard Wolter die
Planungsphase.

Implementierung

Mit dem Aufbau der neuen Technik wurde jetzt zwischen den Leitsystemen und den Außenstellen das
IP-Protokoll einheitlich eingeführt. Die Verständigung mit den vorhandenen Fernwirkanlagen der
verschiedenen Hersteller ermöglichen Protokollkonverter, die das proprietäre Protokolle der
Fernwirkgeräte auf IP-Standard nach IEC 60870-5-104 umsetzen. Diese Protokollkonverter sind in den
Umspannwerken mit einem Switch verbunden, der im wesentlichen zwei Funktionen erfüllt: Der Switch
sorgt zum einen für die richtige Verteilung der Daten auf die Ports der Ethernet-Baugruppe im
SDH/PDH-Knoten. Zum zweiten sichert das Spanning-Tree-Protokoll, dass bei einer Unterbrechung
beziehungsweise Störung im Ring durch Rekonfiguration die Verbindung zu den Leitsystemen
sichergestellt wird.

Die zentrale Aufgabenstellung für die Implementierung betraf die PDH-Knoten und Abzweiger. An
dieser Stelle werden die IP-Daten in das SDH/PDH-Transportnetz geführt. Für die Verbindung zum
PDH-Netz kommen neu entwickelte Ethernet-Karten von Nokia zum Einsatz. Die Aufteilung des
10BaseT-2-MBit/s-Datenstroms in die 30 Zeitschlitze, die die G.703-Datenübertragung des
Transportnetzes verlangt, managt ein Multiplexer.

Der Einsatz der Technik wurde sehr wirtschaftlich gelöst. Im Wesentlichen musste die bereits
vorhandene Technik durch die Installation weniger zusätzlicher Baugruppen erweitert werden. Die
Bandbreite für die Anforderungen der Fernwirkwelt waren von Anfang an so ausreichend bemessen, um
beispielsweise jederzeit die Möglichkeit zu haben, die Protokollkonverter von den Leitsystemen aus
per FileTransfer zu konfigurieren. Zusätzlich kann das Wartungspersonal für Wartungs- und
Servicezwecke über einen Ethernet-Port des Switches eine Netzwerkverbindung aufbauen, um sich etwa
notwendige Informationen zu holen.

Letzter Schritt: Testphase

Jede Strecke wurde intensiv gestestet. Mittels IP-Last auf dem Netz wurde die Bandbreite
geprüft, die Durchlaufzeiten gemessen und die Kapazität kontrolliert. Während der Testübertragungen
wurde der Ring unterbrochen, um die Rekonfiguration der Ringe mittels Spanning-Tree zu testen. Die
Vorgabe: Nach spätestens 30 Sekunden musste das Netz umgeschaltet sein, da die Leitstelle jede
Minute Daten für die Lastberechnung erwartet. Die Redundanz hat im Sicherheitskonzept einen sehr
hohen Stellenwert. Die Protokollkonverter schicken die Daten immer an beide Leitsysteme, und die
Leitsysteme gleichen sich zusätzlich mit einer 1-GBit/sVerbindung untereinander ab.

Die Ergebnisse waren optimal: Die Tests zeigten keine Fehler, und die Inbetriebnahme war damit
abgeschlossen. Die Schnittstellen stehen jetzt komplett zur Verfügung, und der Echtbetrieb kann in
Abhängigkeit vom Installationsfortschritt der neuen Leittechnik beginnen.

Kosten-Nutzen- Betrachtung

IP-basierende Lösungen sind oder werden zukünftig Standardtechnik. Die Einsatzgebiete nehmen
ständig zu, die IP-Netzwerktechnik wird laufend weiterentwickelt, die Preise sinken, und neue
Geräte sind kostengünstiger und leichter integrierbar. Test- und Analyseequipment ist aus dem
LAN-/WAN-Bereich vorhanden und nutzbar, und für die Mitarbeiter sind keine neuen Schulungen
notwendig. Im Ergebnis spart der Energieversorger viel Geld, da künftig günstigere Standardtechnik
zum Einsatz kommt und teure proprietäre Technik entfallen kann.

Fazit

Das Fazit von Reinhard Wolter: "Durch die Einführung von Standard-IP-Technik besteht der
Hauptnutzen in künftigen Minderausgaben. Die von Quante Netzwerke vorgeschlagene Vorgehensweise hat
sich bewährt, und wir würden das Projekt auch heute wieder genauso angehen."


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