Amazon Workspaces im Praxistest

Instant-Desktop aus der Cloud

6. November 2014, 7:00 Uhr | Thomas Bär, Frank-Michael Schlede/wg

Direkt aus dem Internet beziehungsweise dem Rechenzentrum kommt der komplett und korrekt konfigurierte Windows-Desktop auf das Endgerät des Nutzers - so versprechen Cloud-Lösungen minimalen Konfigurationsaufwand bei flexiblem Einsatz. LANline hat untersucht, ob die Cloud-basierten Desktop-Umgebungen von Amazon diesem Anspruch gerecht werden können.

Ganz gleich, ob man es, wie jüngst Marktführer Citrix, "Software-Defined Workplaces" oder immer noch VDI (Virtual Desktop Infrastructure) nennt, das Ziel bleibt das gleiche: Ein komplette konfigurierter Desktop mitsamt Betriebssystem wird dem Nutzer mitsamt der gewünschten Anwendungen über das Netz bereitgestellt. Kommen diese virtuellen Arbeitsumgebungen dann noch direkt "aus der Wolke" auf die Firmen-PCs, so scheint eine solche Lösung gerade für kleine und mittelständische Betriebe ideal. Zu den Anbietern, die einen solchen Dienst zur Verfügung stellen, zählt auch Branchenriese Amazon mit seinen "Amazon Workspaces".
 
Desktops vom "Großhändler"
So genial und einfach die Idee des virtuellen Desktop aus der Perspektive des Nutzers scheint: IT-Administratoren wissen, dass Aufbau und Betrieb einer entsprechenden Infrastruktur nicht nur hohe Kosten verursachen, sondern sich auch schnell zu einer komplexen Angelegenheit entwickeln können. Ein Anbieter, der bereits diverse Cloud-Lösungen im Angebot hat und diese auf der ganzen Welt anbietet, kann da als Partner viele Probleme abfangen. Handelsriese Amazon ist längst nicht mehr allein im Onlineverkauf von Artikeln wie Büchern bis hin zu Bekleidung und Lebensmitteln tätig, sondern tut sich auch als "Großhändler" in Sachen Cloud-Dienste hervor. Die eigene weltweite IT-Infrastruktur steht den Kunden in diversen Ausprägungen auch in Form von IT-Diensten aus der Cloud unter der Bezeichnung AWS (Amazon Web Services) zur Verfügung. Neben dem Streamen einzelner Anwendungen aus der Amazon-Cloud unter dem Namen Amazon Appstream stellt der Anbieter mit Amazon Workspaces auch komplett verwaltete Desktops aus der Cloud bereit (Desktop as a Service, DaaS). Die Kunden können zwischen vier Workspace-Paketen wählen:
Standard: Mit diesem Paket stehen dem Nutzer eine virtuelle CPU sowie 3,75 GByte an Arbeitsspeicher und 50 GByte als virtuelle Festplatte zur Verfügung. Als Programme werden hier nur Adobe Reader, Internet Explorer (in der Version 9, aber ein Update ist möglich) sowie der Firefox-Browser, Adobe Flash und die Freeware 7-Zip mitgeliefert.
Standard Plus: Die Daten der virtuellen Hardware entsprechen hier denen des Standardpakets, aber es sind weitere Anwendungen vorinstalliert. Dazu gehören Microsoft Office Professional 2010, Trend Micros "Worry Free"-Antivirenlösung sowie Winzip.
Performance: Dieses Paket besitzt die gleiche Softwareausstattung wie das Standardpaket, wartet aber mit besserer virtueller Hardware auf: Dem Nutzer stehen zwei virtuelle CPUs, 7,5 GByte RAM und 100 GByte an virtuellem Festplattenplatz zur Verfügung.
Performance Plus: Das größte Paket kombiniert die virtuelle Hardware des Angebots Performance mit der Softwareausstattung des Pakets Standard Plus.
Der Nutzer erhält mit diesen Paketen eine Windows-7-Umgebung, die ein Windows Server 2008 R2 mittels RDS (Remote Desktop Services) bereitstellt. Die enthaltene Version von Microsoft Office 2010 umfasst Word, Excel, Onenote, Powerpoint, Publisher und Access.
 
Desktop anlegen und verfügbar machen
Will ein Unternehmen diese Cloud-Dienste nutzen, benötigt es ein Amazon-AWS-Konto. Das gilt allerdings nur für den Administrator oder Verwalter des Desktop-Services, nicht für die einzelnen Nutzer. Ein AWS-Konto können Kunden kostenlos auf der Amazon-Website anlegen. Zu diesem kostenlosen Account stellt Amazon seinen Kunden ein Kontingent verschiedener Cloud-Dienste ebenfalls kostenlos bereit. Dazu gehören unter anderem 750 Stunden Nutzung des Dienstes EC2 (Elastic Compute Cloud), der Rechnerkapazität in der Cloud bietet, die man beispielsweise mit einem ebenfalls kostenlosen CentOS-Linux-System ausstatten kann. Diese Dienste lassen sich ein Jahr lang kostenlos testen.
Die Amazon Workspaces gehören leider nicht zu diesem Paket. Wer die virtuellen Arbeitsplätze testen möchte, muss sie also mindestens für einen Monat erwerben. Dabei reicht die Preisspanne von 37 Dollar beim Standardpaket über 52 Dollar für das Bundle Standard Plus bis hin zu 64 und 79 Dollar für die beiden Professional-Pakete. Alle Preise werden pro eingerichtetem Benutzer und Monat berechnet.
Amazon stellte uns für diesen Bericht ein Zugang zur Verfügung. Die Einrichtung der Workspaces-Konsole gestaltet sich für den Administrator sehr einfach: Nach der Anmeldung mit seinem Amazon-Kennwort und Auswahl des Dienstes wird mittels eines automatischen Rückrufs aus den USA das Konto per Zwei-Faktor-Authentifizierung gesichert. Danach kann der Administrator seine Nutzer anlegen und ihnen jeweils eines der vier Pakete zuweisen. Er muss lediglich die Namen der Benutzer und deren E-Mail-Adresse angeben. Die E-Mail-Adresse ist entscheidend, denn über sie erhalten die Nutzer anschließend einen Link mitsamt Instruktionen, wie sie Zugang zu ihrem Cloud-Desktop bekommen.
Bei dieser Provisionierung besitzt der Administrator nur die Auswahlmöglichkeit zwischen den Paketen. An dieser Stelle fiel unangenehm auf, dass wir nur ein englischsprachiges Paket wählen konnten, eine Sprachauswahl oder eine weitergehende Möglichkeit zur Konfiguration eines Pakets wurde nicht angeboten. Gleichzeitig ist für Kunden aus Deutschland sicher sinnvoll, in der Konsole einen möglichst nahegelegenen Hosting-Standort in Europa auszuwählen. Hier steht allerdings nur Irland zur Auswahl. Standardmäßig wählt das System ein Rechenzentrum in den USA aus.
 
Einsatz der virtuellen Arbeitsplätze
Nach dieser Auswahl stand der Status der ausgewählten Workspace-Bundles auf "Pending" (in der Warteschleife) und eine Nachricht teilte dem Administrator mit, dass diese in etwa 20 Minuten einsatzbereit seien. Tatsächlich dauerte es wirklich nur knapp 20 Minuten, bis unsere Tester die Mail mit einem Link erhielten, unter dem sie ihr Passwort festlegen konnten. Danach müssen die Benutzer einen passenden Client herunterladen. Diese stehen für Windows- und Apple-Systeme sowie für Mobilgeräte unter IOS und Android sowie für Amazons Kindle-Fire-Tablets bereit. Wir haben den Praxiseinsatz der Lösung auf zwei Workstation unter Windows 8.1 Enterprise und Windows 7 Professional sowie auf einem Google Nexus Tablet unter Android 4.4 getestet. Interessanterweise steht auf der Android-Plattform eine App in deutscher Sprache bereit, während der Windows-Client in den Einstellungen nur Englisch und Chinesisch zur Auswahl anbietet.
Bei der ersten Anmeldung dauerte es in der Regel etwas länger, bis der Desktop bereit war, die Benutzer bekamen kurzzeitig den Startbildschirm des Windows Server 2008 R2 zu sehen. Danach stand uns eine Windows-7-Oberfläche zur Verfügung. Der erste Eindruck aller Tester war einheitlich positiv: Das Arbeiten geht leicht von der Hand, und mit der von uns genutzten Internetanbindung von maximal 32 MBit/s war keine Verzögerung zu spüren. Nur bei Skalierung des Desktops aus dem Fenstermodus auf die Ganzbilddarstellung zeigte sich ein kurzes "Blinken" der Oberfläche.
Die bereitgestellten virtuellen Desktops befanden sich automatisch in einer vom System angelegten Active-Directory-Umgebung, Administratoren können aber auch in das eigene AD einbinden. Für den Datenaustausch zwischen den virtuellen Desktops stellt Amazon eine eigene Lösung namens Zocola zur Verfügung, die nach der Installation eines entsprechenden Clients auf den Systemen ein gemeinsames Dateiverzeichnis für den Datenaustausch bereitstellt. Ein Link auf diese Software findet der Nutzer bereits vorkonfiguriert auf der Oberfläche seines Desktops, und nach einer einmaligen Anmeldung mit seinen Nutzerdaten kann der Dateiaustausch beginnen. Amazon betont, dass alle Verbindungen über gesicherte Protokolle ablaufen. Dazu kommt das proprietäre Remote-Display-Protokoll PCoIP (PC over IP) der Firma Teradici zum Einsatz. VMware nutzt dieses Protokoll ebenfalls für seine Horizon-Lösung.
Auf dem Windows-Desktop fanden sich neben den Standardprogrammen auch Firefox, der Adobe-Reader und eine Version von Winzip. Während der Adobe Reader ebenso wie das Windows-Betriebssystem automatisch auf die notwendigen Updates hinweisen, müssen die Nutzer beim Firefox-Browser selbst tätig werden. Schlimmer sieht es aber bei Winzip aus: Hier müssten die Nutzer ein kostenpflichtiges Update von der Website herunterladen, wobei die auf dem virtuellen Arbeitsplatz installierte AV-Lösung von Trend Micro diese Seite als "bösartig" einstuft und den Zugriff verweigert.
Einen Endanwender, der eigentlich nur einen funktionierenden Desktop zum Arbeiten vorfinden möchte, können diese Aufgaben bereits überfordern. Erschwerend kommt hinzu, dass alle Anwendungsprogramme nur in der englischen Version vorhanden sind. Gelang es uns noch, das Windows-7-System davon zu überzeugen, dass es nun die deutsche Sprache zur Anzeige verwenden soll, fehlten bei den Office-Anwendungen einfach die entsprechenden Sprachpakete. Zwar ist es beispielsweise möglich, die Rechtschreibprüfung von Microsoft Word auf "Deutsch" umzustellen, die Menüs des Programms werden aber nur in englischer Sprache angezeigt. Für den Einsatz in kleinen und mittelständischen deutschen Betrieben sind solche virtuellen Desktops deshalb nur sehr bedingt geeignet. So bringt Amazon die Vorteile eines einfach zu installierenden und zu benutzenden Virtual-Desktop-Systems leider nicht wirklich bis zum Endanwender.
 
Fazit: Eigentlich eine gute Lösung, aber?
Grundsätzlich haben uns die Amazon Workspaces recht gut gefallen. Wir fanden es vor allen Dingen beeindruckend, wie unkompliziert es für den Administrator ist, neue Workspaces zuzuweisen. An dieser Stelle sind kaum IT-Fachkenntnisse notwendig, da die Cloud-Lösung alle wichtigen Aufgaben wie beispielsweise das Einrichten der verwendeten Domäne automatisch übernimmt. Mit wenigen Klicks hat der Anwender hier alles erledigt, und den Nutzern steht je nach ausgewähltem Bundle eine komplette Windows-7-Umgebung mit Microsoft Office zur Verfügung. Damit wäre diese DaaS-Lösung im Prinzip optimal für kleine und mittlere Betriebe geeignet, die kein IT-Personal besitzen und alle Anwender mit einer kompletten Windows-Umgebung ausstatten wollen. Hinzu kommt der Vorteil, dass die Nutzer auch leicht über andere Endgeräte wie beispielsweise Tablets auf diese Umgebung zugreifen können. Gleichzeitig werden alle Daten komplett im Amazon-Rechenzentrum gespeichert und gesichert.
Allerdings entstehen durch diese Einfachheit gewisse Nachteile: Es ist nicht möglich, individuelle Desktop-Pakete für die eigene Organisation zentral zusammenzustellen und mittels Amazon Workspaces auszurollen. Sicher können die Nutzer ihre Workspace-Umgebung individuell konfigurieren und eigene Software installieren. Dem Grundgedanken der möglichst einfachen, konfigurationslosen und komplett bereitgestellten Arbeitsumgebung widerspricht dies aber.
Der größte Schwachpunkt der Amazon-Lösung besteht unserer Meinung nach im Moment in der fehlenden Lokalisierung, die sich durch fast alle Komponenten der Lösung zieht. Das stört nur gering bei dem Windows-Client für den Start, der ausschließlich in englischer und chinesischer Sprache bereitsteht, erschwert den Endanwendern auf den virtuellen Desktops aber den Alltag, wenn sie plötzlich mit einer englischen Version von Word, Excel oder Outlook arbeiten müssen. Gerade in der Zielgruppe der kleinen und mittelständischen Betriebe ist der Einsatz einer derartigen Lösung sicher nicht ideal. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich das Windows-7-System zwar auf die deutsche Sprache umstellen lässt, aber beispielsweise hartnäckig nach einer Ab- und wieder Anmeldung versucht, mit der englischen Tastaturbelegung zur arbeiten und auch das amerikanische Datumsformat präferiert.
Dies sind auf den ersten Blick Kleinigkeiten, die leicht zu beheben sind. Aber wenn ein Unternehmen eine Lösung mit Arbeitsumgebungen aus der Cloud wählt, für die sie im Monat pro Nutzer über 50 Dollar ausgibt, dann sollten die Anwendungen auch problemlos in der Landessprache bedienbar sein und keine weitere Konfiguration fordern. Wenn Amazon bei den Lokalisierungs- und Konfigurationsmöglichkeiten nachbessert und auch nicht englischsprachige Kunden vollständig unterstützt, ist diese Lösung für KMU-Anwender gut geeignet. Dann würden wir uns für den Einsatz der Amazon Workspaces nur noch ein Hosting in Deutschland wünschen.

Der Autor auf LANline.de: BÄR
Der Autor auf LANline.de: Frank-Michael Schlede
Info: Amazon Web ServicesWeb: aws.amazon.com/de

Bild 2. Problem Lokalisierung: Ein deutscher Client für die Android-Plattform existiert, während sein Windows-Pendant nur in englischer oder chinesischer Sprache bereitsteht.

Bild 3. Wenige Möglichkeiten für eine Administrator: Er kann die Amazon Workspaces im Zweifelsfall neu starten oder neu aufbauen lassen - weiteren Einfluss hat er nicht auf die Pakete.

Bild 4. Der Cloud-basierte Desktop im Einsatz: Nach dem Anmelden steht den Anwender eine komplette Windows-Umgebung zur Verfügung, die je nach ausgewähltem Paket auch Anwendungen wie Microsoft Office umfasst. Die Lösung Zocalo dient dem Dateiaustausch.

Bild 5. Windows-Desktop auf dem Android-Endgerät: Der Cloud-Desktop kann auf einer großen Auswahl von Endgeräten zum Einsatz kommen, wobei die Bedienung von Microsoft Windows unter Android problematisch bleibt.

Bild 1. Erste wichtige Entscheidung des Administrators bei der Provisionierung der Workspaces: Welches Paket stelle ich meinen Nutzern zur Verfügung?

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