Test: Novell Open Enterprise Server

Netware trifft Linux

12. Juni 2005, 23:06 Uhr | Martin Kuppinger/pf

Novell hat Mitte März mit der Auslieferung von OES (Open Enter- prise Server) begonnen. Die Software lässt sich am besten als erste Netware, die auch auf Linux läuft, charakterisieren. Die meisten Netware-Funktionen sind portiert, einige Lücken bleiben aber unter Linux vorerst noch bestehen.

Mit den NNLS (Novell Nterprise Linux Services) hatte Novell schon 2003 einen Vorläufer von Open
Enterprise Server auf den Markt gebracht – damals noch für Red Hat und Suse Linux. OES basiert
dagegen wahlweise auf Netware 6.5 mit Support-Pack 3 oder SLES 9 (Suse Linux Enter- prise Server).
Im Lieferumfang des Produkts sind beide Installationsvarianten enthalten. Andere Systemplattformen
unterstützt OES jedoch nicht. Dies ist angesichts der Akquisition von Suse durch Novell im Jahr
2004 auch wenig überraschend.

Plattformunabhängigkeit als Prinzip

Die Entwicklung hin zu plattformunabhängigen Netzwerkdiensten hat aber schon lange vor den NNLS
begonnen. Faktisch bildeten die NNLS im Wesentlichen ein Bundle der Novell-Dienste, die damals
bereits auf Linux lauffähig waren. Diese Dienste wie Edirectory oder Novell Ifolder kombinierte der
Hersteller mit einem einfachen Installationsprogramm.

Die Basis dafür wurde aber bereits einige Jahre vorher gelegt. Novell hatte zunächst mit
Produkten wie NDS for NT begonnen, Schnittstellen zwischen verschiedenen Systemplattformen wie
Windows NT und dem damals noch als NDS (Novell Directory Services) bezeichneten Verzeichnisdienst
zu realisieren. Die ersten derartigen Implementierungen beschränkten sich noch auf die
Weiterleitung von Anforderungen an Netware-Server, während spätere Versionen direkt auf den
jeweiligen Betriebssystemen wie Windows oder Solaris lauffähig waren. Allerdings war immer noch
mindestens ein Netware-Server im Verzeichnisbaum nötig. Zeitgleich mit der Umbenennung in
Edirectory fiel diese Restriktion. Edirectory lässt sich heute auf verschiedenen Plattformen
nutzen, wobei sich Netware-Server im Baum befinden können, aber nicht müssen.

Parallel zu dieser Entwicklung arbeitete Novell auch an der Portierung vieler anderer Produkte.
Neue Anwendungen wurden sogar von Beginn an plattformneutral konzipiert. Lösungen wie Ifolder als
Netzwerk-Client für den Zugriff auf Serverdaten oder Imanager als webbasierende
Verwaltungsschnittstelle geben Beispiele für solche Anwendungen. Ein weiteres sind die NSS (Novell
Storage Services), das aktuelle Dateisystem von Netware. Auch die NSS wurden plattformunabhängig
konzipiert, wenngleich zunächst nur eine Implementierung auf Netware erfolgte. Galt der Blick in
der Anfangsphase aber eher Windows-Servern, so ist mit OES die Portierung auf Linux vollzogen.

Diese Öffnung entspricht der "Onenet"-Strategie von Novell, mit der sich das Unternehmen als
Lieferant von Integrations- und Infrastrukturlösungen für heterogene Umgebungen positionieren will.
Netware ist in diesem Rahmen zwar ein wichtiges Produkt, aber eben nicht mehr die zentrale
Plattform.

Die Positionierung von OES

Mit OES will Novell mehrere Zielgruppen adressieren: Da sind zunächst die Nutzer von Netware,
die mit OES eine strategische Option erhalten. Die Netware-Dienste können weiter auf dem vertrauten
Netware-Betriebssystem laufen, sind aber in weitgehend identischer Form auch auf Linux verfügbar
und lassen sich in heterogenen Umgebungen nutzen. Die Anwender können damit weiterhin Netware
nutzen, nach Bedarf aber auch auf Linux als Basis umstellen oder dieses Betriebssystem
beispielsweise auf den Servern nutzen, auf denen Anwendungsdienste laufen, während Netware
weiterhin die Plattform für Datei- und Druckdienste bildet.

Die zweite Zielgruppe sind Nutzer von Linux, die Enterprise-Dienste im Bereich "File" und "Print"
sowie für Verzeichnisdienste erhalten. Die bewährten Funkti-onen von Netware – bis hin zum
Dateisystem NSS – stehen nun fast komplett für Linux zur Verfügung. Novell verspricht sich damit
einen größeren Marktanteil für Linux im Enterprise-Segment.

Wie schon bisher zielt der Hersteller aber auch weiterhin auf Windows-Netzwerke, insbesondere
die immer noch recht zahlreichen Windows-NT-Umgebungen, denen eine Alternative zur Umstellung auf
Win-dows Server 2003 geboten werden soll. Vor allem in den Bereichen, in denen Linux ohnehin
bereits im Einsatz ist, verspricht sich Novell hier Markterfolge.

Echte Integration

Wie erwähnt waren die NNLS im Kern ein Bundle von ohnehin für Linux verfügbaren Produkten und
Komponenten mit einem zeichenorientierten Installationsprogramm. Das hat sich mit der Linux-Version
von OES deutlich geändert. Die Netware-Version von OES hingegen ist weitgehend identisch mit der
aktuellen Netware 6.5 (einschließlich Support-Pack 3), wenn man von ein paar Erweiterungen absieht.
Zu diesen zählen neue Befehlszeilenfunkti-onen, die sich an Linux orientieren, sowie eine
rudimentäre Unterstützung für RPM (Red Hat Package Manager), also das Standardpaketformat von
Linux. Im Gegensatz zu früheren Roadmaps von Novell kommt OES aber nicht auf der Basis einer
deutlich erweiterten "Netware 7" zur Auslieferung.

Mit Edirectory und anderen Diensten wie Ifolder sowie Produkten wie Apache oder Mysql, die schon
seit einiger Zeit auch auf Netware verfügbar sind, waren viele Dienste schon bisher sowohl auf
Netware als auch Linux verfügbar. Die wichtigsten Neuerungen sind daher die Portierung von NSS und
Cluster-Diensten sowie die Integration in das Setup-Programm und die Oberfläche von Linux. Während
die NNLS nachträglich auf einem Linux-Server zu installieren waren, lässt sich OES mit seinen
Diensten als Teil der Systeminstallation einrichten. Die Administration der NNLS erfolgte noch
befehlszeilenorientiert, während sich unter OES zusätzliche Komponenten beispielsweise über das
Linux-Setup-Tool Yast installieren lassen, und die Verwaltung über die gängigen Novell-Tools wie
Imanager für die Edirectory-Administration und NRM für die Serververwaltung erfolgt. NRM stand
bisher für Netware Remote Manager und firmiert nach seiner Portierung auf Linux konsequenterweise
als Novell Remote Manager.

Der größte Entwicklungsaufwand war sicherlich mit der Portierung der NSS verbunden. Die NSS
haben sich unter Netware als sehr performantes und sicheres Dateisystem bewährt und sind eng mit
den Sicherheitsdiensten von Edirectory integriert. Sie lassen sich jetzt als optionales Dateisystem
auf Linux-Systemen einrichten. Der Zugriff auf NSS-Volumes kann über NFS oder – unter Verwendung
von Samba – über SMB/CIFS als Kommunikationsprotokoll erfolgen. Novell hat im Rahmen von OES aber
auch einen NCP-Server für Linux entwickelt. NCP ist das Netware Core Protocol, also das
Kommunikationsprotokoll, das klassisch zwischen Novell-Clients und Netware-Servern zum Einsatz
kommt. Die Portierung auf Linux bedeutet, dass Novell-Clients transparent auf Linux-Server
zugreifen können, die sich aus dieser Sicht wie Netware-Server verhalten. Entsprechend wird mit OES
auch eine aktualisierte Version des Novell-Clients für Windows 2000/XP ausgeliefert. OES bietet
damit ein hohes Maß an Flexibilität für die Gestaltung der File- und Printserver-Umgebungen.

Heterogene Cluster

Bemerkenswert ist auch die Portierung der Novell Cluster Services auf Linux. Diese
Cluster-Dienste stellen primär Failover-Funktionen für Druck- und Dateidienste bereit – also
Novells Iprint und die NSS. Diese spezielle Cluster-Funktion unterscheidet sich auch technisch
stark von anderen Cluster-Lösungen beispielsweise für extrem rechenintensive Anwendungen (High
Performance Computing).

Innerhalb dieser Cluster ist auch ein gemischter Betrieb von Netware- und Linux-Servern
realisierbar. Ein Knoten kann also mit Netware, der andere mit SLES und darauf basierendem OES
arbeiten, oder ein Linux-Knoten dient als Standby für mehrere Netware-Server. Ob das in der Praxis
sinnvoll ist, sei dahingestellt: Die Administration solcher heterogener Cluster ist schon aufgrund
der unterschiedlichen Betriebssysteme deutlich komplexer. Aber in Migrationsszenarien kann ein
gemischter Betrieb von Clustern durchaus eine interessante Option sein.

Keine 100 Prozent

Obwohl die Novell-Verantwortlichen gerne eine vollständige oder 99-prozentige
Funktionsgleichheit der Netware- und Linux-Versionen von OES betonen, finden sich doch einige
Unterschiede. Dass sich die zugrunde liegenden Plattformen unterscheiden, versteht sich ohnehin von
selbst: Netware und Linux sind zwei deutlich unterschiedliche Betriebssysteme. Wer Netware gut
kennt, wird sich mit OES auf Linux-Basis dennoch schwer tun, da er zunächst fundierte Kenntnisse
über SLES benötigt. Andersherum ist ein Linux-Administrator beim Netware-basierenden OES ebenfalls
mit einem fremden Betriebssystem konfrontiert. Diese Unterschiede beginnen beim
Installationsprozess und gehen hin bis zur Systemkonfiguration.

Aber auch auf der Ebene darüber, also den eigentlichen OES-Funktionen, existieren einige
wichtige Unterschiede. Wirklich gravierend ist vor allem das Fehlen der "Archive and Version
Services" der NSS bei der Linux-Variante. Diese Dienste waren mit Netware 6.5 eingeführt worden,
ließen sich aber erst ab dem Support-Pack 2 produktiv nutzen. Mit ihnen können Daten im laufenden
Betrieb archiviert und verschiedene Dateiversionen auf Volumes gehalten werden. Gerade im
Fileserver-Umfeld sind diese Funktionen für eine hohe Verfügbarkeit und schnelle Wiederherstellung
von hoher Bedeutung.

Weniger problematisch ist die fehlende AFP-Unterstützung (Apple File Protocol) beim Linux-OES zu
sehen. Netware unterstützt dieses Protokoll im Rahmen der NFAP (Native File Access Protocols). Für
einige potenzielle OES-Kunden dürfte das Fehlen auf Linux-Seite daher eine gravierende
Einschränkung darstellen.

Etwas überraschend ist, dass Nsure Audit, das zentrale Ereignismanagementsystem von Novell, noch
nicht von Linux-OES unterstützt wird. Gerade in gemischten Umgebungen wäre das von großer
Wichtigkeit, um die Ereignisse aller Systeme und Komponenten zentral verwalten zu können.

In anderen Bereichen existieren zumindest deutliche Unterschiede bei der Implementierung: So ist
die Unterstützung für CIFS/SMB bei Netware über NFAP realisiert und damit voll in das System
integriert. Bei der Linux-Variante von OES läuft dies dagegen über den nicht mit dem Edirectory
verbundenen Dienst Samba, was zu einer zweiten, separaten Verwaltungsschnittstelle führt.

Einheitliches Management

Abgesehen von diesen Unterschieden ist die Administration der eigentlichen OES-Funktionen jedoch
weitgehend identisch. Natürlich muss auf den Linux-Servern das LUM (Linux User Management)
installiert werden, um dort beispielweise NSS nutzen zu können. Die meisten Verwaltungsaufgaben
werden aber einheitlich über den Imanager oder NRM abgewickelt, ohne dass dabei signifikante
Unterschiede sichtbar wären. Insofern ist Novell die Portierung der Netware-Basisdienste auf Linux
mit OES doch recht gut gelungen.

Sowohl aus der Netware- als auch Linux-Sicht erscheint OES letztlich als interessante Lösung:
Für Netware-Nutzer existieren zusätzliche strategische Optionen, und im Linux-Umfeld stehen die
leistungsfähigen Datei- und Druckdienste von Netware zur Verfügung – wenn auch aus Novell-Quellen
verlautet, dass Netware weiterhin die leistungsfähigere Plattform für diese Dienste sei. Der
Hersteller zeigt darüber hinaus, dass er seine Strategie eines Lieferanten von
Infrastruktursoftware für heterogene Umgebungen konsequent verfolgt, obwohl das manchmal in Novells
Linux-Getöse etwas untergeht.

Die Übereinstimmung der Funktionen auf beiden OES-Varianten kann trotz der genannten Lücken
überzeugen. Klar ist, dass der Administrator für beide Basisbetriebssysteme spezifische
Fachkenntnisse benötigt, wenngleich Novell daran arbeitet, beispielsweise mehr Linux-ähnliche
Schnittstellen auf Netware bereitzustellen. Bis die Systeme tatsächlich laufen, kommt der Anwender
um die Auseinandersetzung mit Netware beziehungsweise Linux nicht herum. Im täglichen Betrieb sind
die Unterschiede weniger spürbar, da die Verwaltungsschnittstellen identisch sind.

OES ist damit sowohl für eingefleischte Netware-Fans als auch für Linux-Verfechter ein
interessantes Produkt, weil es die Brücke zwischen beiden Welten schlägt – als ausgereifte Lösung
und nicht mehr nur als Schnellschuss, wie es bei den NNLS der Fall war. Das Preisniveau von OES
entspricht dem aktueller Netware-Lizenzen, ebenso bestehen die bei Netware üblichen
Upgrade-Konditionen.

Info: Novell Tel.: 0211/5631-0 Web:
www.novell.com/de-de/products/openenterpriseserver/


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