Blockchain in der Industrie

Nützlicher Helfer mit Mankos

29. August 2018, 7:05 Uhr | Von Dr. Martin Klapdor.

Industrieunternehmen beklagen häufig intransparente Prozesse innerhalb ihrer Lieferkette. Die Blockchain könnte die Probleme lösen und die Produktion effizienter machen. Allerdings hält sie nicht in allen Punkten, was sie verspricht. Daher sollte man die Technik so gut es geht überwachen.

Im Mai 2017 enthüllte die Studie "Time for a Paradigm Shift in Supply Chain Management", die das Beratungsunternehmen Camelot Management Consultant durchgeführt hat, dass 95 Prozent der Fertigungsunternehmen nach eigenen Angaben Schwierigkeiten innerhalb ihrer Supply Chain haben. Dabei bemängeln sie vor allem den Informationsaustausch zwischen den Parteien ihrer Lieferkette. Oft sei in den Netzwerken der Status einer Produktion nicht klar einsehbar. Eine mögliche Lösung stellt die Blockchain dar. Laut HP Enterprise ist die Fertigungsindustrie eine von vier Branchen, die von der Blockchain-Disruption betroffen sind. Die Technik wird die Industrie in den kommenden Jahren stark beeinflussen, da sind sich Branchenexperten sicher. Auch die industrielle Supply Chain soll sich durch die Verbreitung der Technologie radikal verändern - davon geht etwa das schwedische Unternehmen Syncron aus.

Blockchain kann Informationen von Maschine zu Mensch, von Mensch zu Maschine und von Maschine zu Maschine übertragen - und dabei Produktionsprozesse transparenter, effizienter und zudem auch manipulationssicher machen. Doch worin genau besteht das Potenzial für Industrieunternehmen?

Qualitätskontrolle innerhalb der Lieferkette

Grundlegend bietet die Blockchain einen großen Vorteil: Daten liegen nicht mehr wie gewohnt bei einem einzigen System oder Intermediär, sondern sind auf mehreren Servern und Rechnern verteilt. Produktionsdaten, Messwerte und Verträge, die man über die Blockchain abwickelt, können in Echtzeit von verschiedenen Parteien, etwa Produzenten oder Lieferanten, im System eingesehen werden. Industrieunternehmen schaffen so eine vertrauenswürdige Plattform, auf der der Status und die Qualität einer Produktion jederzeit für jeden einsehbar sind.

Das ist wichtig, weil es aufgrund der komplex aufgebauten Wertschöpfungs- und Lieferketten vieler Hersteller schnell zu Fehlern kommen kann. Nicht selten übermitteln bestehende, teils redundante Tracking-Systeme Informationen nur ungenau. Angenommen, ein Automobilhersteller kauft 20.000 Teile bei einem Zulieferer, die er in der eigenen Produktion weiterverarbeiten will. Die dabei durchlaufenen Produktionsprozesse lassen sich zwar nachvollziehen, aber es kann zu Problemen durch ungenaue Auditierung kommen. Auch der Ausschuss oder der über die Produktion freigesetzte Wert lässt sich nur ungenau schätzen. Die Blockchain hingegen liefert diese Informationen genau und sofort, da sie alle Daten zur Kette hinzufügt und somit jede Änderung sichtbar und irreversibel im Netzwerk dokumentiert.

Erste Anwendungsfälle gibt es bereits. So hat das IT-Beratungsunternehmen DXC auf der Cebit eine rechtssichere Industrie-4.0-Plattform vorgestellt, die automatisierte Vertragsabschlüsse, sogenannte Smart Contracts, ermöglicht. Sie soll als Plattform für die vernetzte Produktion dienen und die Interaktion zwischen Mensch, Maschinen und Unternehmen durch Blockchain-Technik sicher abwickeln. So können die Teilnehmer Prozesse von der digitalen Beauftragung mit Lieferantenauswahl, über Produktion und vollautomatische Qualitätskontrolle, bis hin zur Bezahlung direkt abwickeln.

Neben einer höheren Transparenz sorgt die Blockchain für mehr Effizienz. Kann eine Partei beispielsweise Produktteile nicht wie geplant fertigstellen, ist dies in der Blockchain auf den ersten Blick ersichtlich. Der entsprechende Smart Contract stellt dann wiederum sicher, dass eine Strafzahlung oder anderweitige Malus-Regelung ausgeführt wird - ohne dass erst eine Partei eingreifen muss. Zudem lassen sich alle Transaktionen in der Blockchain historisch zurückverfolgen. So lässt sich Betrug vorbeugen. Denn aufgrund ihrer Funktionsweise macht die Blockchain Manipulationen extrem aufwendig und kompliziert.

Verlangsamte Prozessabläufe und lange Latenzzeiten

Doch die Blockchain hat auch Nachteile. Sie stellt hohe Anforderungen an Prozesskapazitäten und an das Netzwerk. Da die Blockchain losgelöst von anderen Systemen läuft, ist nicht immer ersichtlich, wie schnell sich die Daten austauschen lassen. So kann es zu einer Überlastung des Netzwerks kommen, die verlangsamte Prozessabläufe zur Folge hat. Dabei überträgt die Blockchain aufgrund ihrer Dezentralisierung Transaktionen ohnehin schon verhältnismäßig langsam. Lange Lauf- und Latenzzeiten sind die Regel. Je nachdem, ob man Daten auch noch ins Ausland übermitteln muss, kann der Datenaustausch noch mehr Zeit in Anspruch nehmen.

So geht das Analystenhaus Forrester davon aus, dass 80 Prozent der Blockchain-Projekte in diesem Jahr die Erwartungen nicht erfüllen können. Dazu trägt aber auch der Umstand bei, dass viele Unternehmen die Vorteile überbewerten und die Anforderungen unterschätzen. Denn die Peer-to-Peer-Datenbank mag zwar schwer zu manipulieren sein, ausfallsicher ist sie deshalb noch lange nicht. Wie andere IP-basierte Technologien ist sie abhängig vom Kontakt zum DNS-Dienst. DNS dient dazu, Anfragen zur Namensauflösung in IP-basierten Netzwerken zu beantworten. Kann die Blockchain zu diesem Dienst keinen Kontakt herstellen, kann sie ihren nächsten Datenblock nicht aufrufen. Es kommt zum Stillstand, der im schlimmsten Fall auch einen Stillstand der Produktion bedeutet.

Nur teilweise und schwer kontrollierbar

Ein weiteres Manko: Unternehmen können bei der Blockchain schlechter als bei anderen Technologien die Stabilität und Service-Qualität sicherstellen, da Daten auf unzähligen Rechnernetzwerken verteilt liegen. Eine hohe Service-Qualität ist bei Produktionsprozessen allerdings unerlässlich und technische Ausfälle gilt es möglichst zu verhindern oder zumindest vorherzusehen. Ein zentrales Monitoring, das das gesamte Netzwerk und jeden einzelnen Knoten oder Peer analysiert, kann Fehler oder Störungen, die einen reibungslosen Datenaustausch gefährden, schneller sichtbar machen.

Weiterhin lassen sich mit einem Monitoring Verantwortlichkeiten klären. Kommt es zum Beispiel trotz Überwachung zu technischen Fehlern, sind Unternehmen eher in der Lage nachzuweisen, dass der Fehler nicht bei ihnen lag. Bei der Blockchain ist die Überwachung jedoch deutlich komplexer. Denn im Gegensatz zu klassischen Datenbanken, die den Ist-Stand dokumentieren, werden auf der Blockchain unkontrolliert Daten hintereinander geschrieben, und das auf einer Vielzahl an Servern. Hier Störungen schnell zu finden und zu beheben, kann zu einer echten Herausforderung werden.

Bei genauerer Betrachtung der Funktionsweise Blockchain zeigt sich also: Die Technik behebt definitiv ein Vertrauensproblem und macht den Datenaustausch transparenter. Allerdings löst sie nicht nur Probleme, sie schafft auch neue: Sie ist schwieriger zu überwachen. Somit wird es aufwendiger, die Service-Qualität der Systeme sicherzustellen. Industrieunternehmen sollten daher nicht blind dem Blockchain-Hype folgen und prüfen, ob sich der Einsatz für sie wirklich lohnt.

Dr. Martin Klapdor ist Senior Solutions Architect bei Netscout Systems ().

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