DFKI-Forscher Aljoscha Burchardt zu ChatGPT & Co.

Surfen auf der KI-Wertschöpfungswelle

10. Februar 2023, 7:00 Uhr | Wilhelm Greiner
© Wolfgang Traub

Künstliche Intelligenz (KI) schlägt derzeit hohe Wellen, insbesondere generative KI in Form der Konversations-KI ChatGPT von OpenAI – sowie, als direkte Reaktion, Googles Antwort auf ChatGPT namens Bard und Microsofts um OpenAI-Technik ergänzte Bing-Suche. Wo es hohe Wellen gibt, da sehnen sich die einen danach, darauf zu surfen, während andere fürchten, von ihnen überrollt zu werden und unterzugehen. LANline befragte Aljoscha Burchardt, Principal Researcher am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), zu Potenzial und Risiken von ChatGPT & Co. aus europäischer Sicht.

LANline: Wie dringlich sind aus Ihrer Perspektive die Pläne, eine europäische Basis für KI-Alternativen zu ChatGPT, Bard & Co. zu schaffen, und warum?

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„Es ist operativ eine gute Idee, zentrale Elemente der Wertschöpfung unter eigener Kontrolle zu haben“, sagt KI-Forscher Aljoscha Burchardt vom DFKI.
„Es ist operativ eine gute Idee, zentrale Elemente der Wertschöpfung unter eigener Kontrolle zu haben“, sagt KI-Forscher Aljoscha Burchardt vom DFKI.
© Helmut Pucher

Aljoscha Burchardt: Dazu ließe sich viel sagen. In Kürze: Es ist operativ eine gute Idee, zentrale Elemente der Wertschöpfung unter eigener Kontrolle zu haben, was ja auch unter dem Stichwort „Digitale Souveränität“ für andere Teilbereiche angestrebt wird. Als Gesellschaft und Wissenschaft möchten wir bei der Entwicklung beteiligt sein und unsere eigenen Daten, Werte und Vorstellungen einbringen können, anstatt nur passiver Abnehmer und Zuschauer zu sein. Schließlich besteht die Gefahr, dass die gesamte KI-Forschung durch die Foundational Models (große KI-Modelle, die generalistisch trainiert sind, d.Red.) „abgesaugt“ wird und wir dann auch bei dieser Technologie auf Jahre im Hintertreffen sind, wo wir derzeit ja zumindest noch in der Grundlagenforschung, Ausbildung usw. nicht so schlecht dastehen.

LANline: Europa hinkt den US-Aktivitäten in puncto generativer KI hinterher. Welche Folgen hat dieser Zeitverzug?

Aljoscha Burchardt: Der Zeitverzug ist nicht nur aus den zuvor genannten Gründen gefährlich. Wir haben ja ein massives demografisches Problem und es kann passieren, dass das Wissen über die Prozesse, Kunden etc. aus den Unternehmen und Behörden schneller in Rente geht, als wir es in die KI-Systeme bekommen. Diese einmalige Chance eines leichtgängigen Zugangs zu KI müssen wir unbedingt nutzen, aber es sind im B2B-Bereich noch viele Dinge zu klären, die ich hier nur anreißen kann. Etwa die Frage, wie ich Spezialwissen über Teilebezeichnungen, Wechselwirkungen von Medikamenten, vertrauliche Kundendaten usw. mit den Modellen verarbeiten kann, die nicht in den Trainingsdaten waren und auch nicht in die Cloud sollten.

LANline: Welche vorrangigen Einsatzmöglichkeiten für generative KI à la ChatGPT sehen Sie in hiesigen Unternehmen?

Aljoscha Burchardt: Die Frage ist: Wo sind unsere Pain Points? Wo wird unnötige Arbeitszeit verschwendet mit Dokumentation? Wo sind wir zu langsam in der Beantwortung der immergleichen Kundenanfragen? Wo können wir wegen Sprachbarrieren bestimmte Märkte nicht bedienen? Von dort aus würde ich die Einsatzgebiete einkreisen.

LANline: In welchem Maße sind die Halluzinationen einer generativen KI eine Kinderkrankheit, die sich in absehbarer Zeit in den Griff bekommen lässt, in welchem Maße eine Risikoquelle, mit der man leben muss und für die man dauerhaft entsprechende Mitigations- oder QS-Maßnahmen vorsehen muss?

Aljoscha Burchardt:Sprachmodelle erzeugen wahrscheinliche neue Zeichenketten auf Basis der Zeichenketten im Trainingsmaterial. Oft stimmen die so erzeugten Aussagen, selbst Rechenaufgaben kann man auf die Art lösen. Wenn ich möchte, dass die erzeugten Aussagen wirklich stimmen, muss ich sie hinterher prüfen. Das kann man automatisieren, indem die Systeme beispielsweise die generierten Aussagen mit anderen Wissensquellen wie Wikipedia oder Fakten-Datenbanken abgleichen. Das kostet natürlich Zeit und Rechenleistung und damit Geld. Wie weit man damit kommt, ist derzeit noch offen. Einen Basisfakt wie den Umsatz eines Unternehmens kann man eher leichter verifizieren, die Antwort auf die Frage, ob der Kapitalismus sich bewährt hat, wohl eher nicht so leicht.

LANline: Und was raten Sie Verantwortlichen in Unternehmen, die nicht begeistert sind, wenn Beschäftigte potenziell Interna in das Web-Interface eines US-Anbieters eingeben?

Aljoscha Burchardt: Ein Riesenproblem, ja. Das kennen wir schon von der Websuche, Google Translate usw. Da gibt es teilweise sehr unterschiedliche Policies mit jeweils guten Gründen.

LANline: Welche Auswirkungen auf den Berufs- und Privatalltag erwarten Sie, wenn man sich in absehbarer Zeit nicht mehr sicher sein kann, ob das Geschriebene, Gesprochene etc. von einem Menschen oder aber von einem Bot stammt? Müssen zum Beispiel Prüfungen oder aber Bewerbungsverfahren künftig ausschließlich mündlich und in persona erfolgen?

Aljoscha Burchardt: Ein weites Feld. Mit solchen Veränderungen müssen wir rechnen. Weiterhin sollten wir natürlich auch noch auf Vernunft und Ehrlichkeit setzen. Wenn meine Tochter in der Grundschule wollte, könnte sie ihre Rechenaufgaben mit dem Taschenrechner machen. Aber sie hat verstanden, dass ihr das auf lange Sicht nichts bringt.

LANline: Welche realistischen Möglichkeiten sehen Sie, KI-Angebote und -Nutzung möglichst kurzfristig in verantwortungsvolle Bahnen zu lenken, Stichwort Responsible AI?

Aljoscha Burchardt: Wenn wir uns mit frohem Mut in die Entwicklung stürzen und die Gestaltungsmöglichkeiten annehmen, dann kann daraus eine nachhaltige Transformation des Arbeitsmarktes werden, wo die Menschen am Ende des Tages mit technischer Unterstützung zufriedener ihrer Arbeit nachgehen. Wenn wir eine Abwehrhaltung einnehmen und eigentlich nur zeigen wollen, dass diese Technologie nichts bringt, dann sehe ich auch schwarz für eine vertrauenswürdige KI-Entwicklung „Made in Europe“. Dann kaufen wir in ein paar Jahren fertige Lösungen aus den USA und China mit allen Konsequenzen.

LANline: Vielen Dank für das Gespräch.

Update 13.02.23: Ergänzt um eine Rückfrage zu KI-Halluzinationen.


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