21st Century Communications World Forum, London

TK-Gipfel blickt in die Zukunft

5. Mai 2005, 23:06 Uhr | Stefan Mutschler

Ein sehr erfolgreiches Debüt feierte Ende Februar 2005 das "21st Century Communications World Forum". Mehr als 2000 TK-Strategen und -Technologientwickler informierten sich in London über die großen Trends und Strömungen bei Carriern und TK-Zulieferern. Im Wettstreit um neue Services scheint das gute alte Application-Service-Modell eine Renaissance zu erleben - zumindest als Service für den Mittelstand.

Mit dem Einzug des IP-Protokolls in die Telekommunikationswelt haben offenbar auch solche
Konzepte wieder neue Chancen, die in der Vergangenheit nicht sonderlich erfolgreich waren. Eines
der populärsten Beispiele ist etwa der Centrex-Dienst, der lange Zeit bestenfalls punktuell
nennenswerte Beachtung fand. Als IP-Centrex erfährt die Auslagerung der TK-Anlage an einen externen
Provider derzeit einen enormen Schub. So wurde IP-Centrex auch auf dem Communications World Forum
in London als einer der wachstumsträchtigsten Umsatzbringer für TK-Unternehmen bestätigt.
Konferenzliebling war jedoch ein anderes Thema, das seinen Drive allerdings aus der gleichen Quelle
speist: Application Hosting beziehungsweise Application Service Providing. Auch dieses
Service-Modell wurde schon einmal als besonders zukunftsweisend und für alle Beteiligten sehr
lukrativ gehandelt, sogar mit einer immensen Ausdauer, die über mehrere Jahre ging. In der Praxis
erwies es sich jedoch ebenso ausdauernd als echter Rohrkrepierer. Und auch hier könnte es nach ein
paar weiteren Jahren "Besinnungspause" nun das IP-Protokoll richten.

Mit dieser These stieß Camille Mendler, Director Convergent Communications Europe von der Yankee
Group bei den Teilnehmern einer Podiumsdiskussion über die Entwicklungsperspektiven von Carriern
während des Weltforums auf ein sehr geteiltes Echo. "Ich denke nicht daran, mein Oracle oder mein
SAP demnächst von einem Carrier wie beispielsweise BT liefern zu lassen", so Thor Geir Ramleth,
Senior Vice President and Chief Information Officer bei der Bechtel Group. "Und wenn ich ehrlich
bin, denke ich, ich werde das wohl auch niemals tun." Auch Don Rippert, Cief Technological Officer
bei Accenture, glaubt trotz IP nicht an das ASP-Modell im klassischen Sinne. Die Rolle der Carrier
sollte seiner Meinung nach darin bestehen, Entwicklern mit Programmierschnittstellen (APIs) und
Tools zur Seite zu stehen. Ihre vornehmste Aufgabe sollte es sein, die Entwicklergemeinde
zusammenzubringen – etwa so, wie es seiner Zeit Microsoft mit MS-DOS in der PC-Welt getan habe.

Hintergrund dieser Diskussion war die Frage, welche Auswirkungen die Konvergenz von Sprache und
Daten, sowie von Mobilfunk- und Festnetz auf Carrier und TK-Provider haben wird. Diese müssten laut
Mendler ihre Rollen umfassend und tiefgreifend neu definieren. "Was hier derzeit passiert, ist
durch den Begriff ´Konvergenz´ nur sehr unzureichend beschrieben", so die Yankee-Dame. "Was wir
erleben, ist ein so noch nie da gewesener Umbruch". Dabei gäbe es ebenso viele Chancen wie Risiken.
Eine der größten Chancen – so Mendler vor dem Hintergrund der Yankee-Studien zu diesem Thema –
biete eben genau die Lieferung von Anwendungen. Zumindest kleine und mittlere Unternehmen, die
selbst keine eigene IT-Abteilung – geschweige denn Softwareentwicklung unterhalten, würden
zielgruppengerechte Applikationsservices künftig im großen Stil nachfragen.

Fixed-/Mobile-Konvergenz

Für Christian Unterberger, Präsident der Festnetzsparte von Siemens, liegt der interessanteste
Aspekt der Konvergenz in der Verschmelzung der Architekturen für feste und mobile Netze. In Folge
würden künftig auch Geräte und Dienste aus beiden Welten zusammenwachsen. "Darin liegt eine der
größten Chancen für die TK-Anbieter?, so Unterberger. "Wichtig ist allerdings, dass es dem Provider
gelingt, seine Kunden fest an sich zu binden", so der Siemens-Mann. So werde es bei vielen
Diensteanbietern eine direkte Relation zwischen den Services und den TK-Geräten in den Haushalten
geben. "Nur wenn der Provider den Kunden ´besitzt´, kann er auch Geld verdienen", so Unterberger.
Das Instrument für eine solche Kundenbindung sollen etwa spezielle Boxen sein, die der Anwender bei
sich installieren muss, will er die Services des entsprechenden Providers nutzen. Im Prinzip wäre
das also so etwas wie eine "aufgemotzte" Settop-Box. Diese würde neben Fernsehen künftig auch
Video-on-Demand, IP-Telefonie und weitere Services, die aus den verschiedenen Konvergenzströmungen
noch hervorgehen werden, zur Verfügung stellen. Sowohl in London als auch auf der CeBIT war eine
solche Box aus dem Hause Siemens als Konzeptstudie zu sehen.

Damit derartige Lösungen in den Verkauf gehen können, müssen zunächst die Carrier und
Service-Provider aufrüsten. Kern ist hier die Implementierung einer entsprechenden Plattform, wie
sie etwa Siemens in Form seines IP-Multimedia-Subsystems (IMS) anbietet. Mit dem IMS hat Siemens
kürzlich bei France Telecom einen Fuß in die Tür bekommen. Der französische Carrier testet derzeit
mithilfe des IMS, welche Applikationen sich aus der Fixed-/Mobile-Konvergenz entwickeln lassen. Das
IMS basiert laut Siemens auf der TISPAN-Architektur. TISPAN ist ein technisches Komitee innerhalb
der ETSI-Standardisierungsorganisation, das für "Telecommunications und Internet converged Services
and Protocols for Advanced Networking? verantwortlich ist. TISPAN arbeitet gerade an einem Standard
für eine erste Version von Netzen der nächsten Generation, die IP-basierte Multimediaservices für
stationäre und mobile Nutzer unterstützen. Die größte Herausforderung ist dabei, das aus der
mobilen Welt stammende 3GPP-Protokoll (3rd Generation Partnership Project) zu integrieren.

Breitband-TV

Zu den Zukunftsvisionen, die auf dem Communications World Forum gezeichnet wurden, gehörte nicht
zuletzt auch eine neue Art des Fern- und Videosehens. Der Broadband-Video-Pavillon demonstrierte in
London allerdings kein HDTV – eines der Top-Themen auf der CeBIT – sondern Video und TV über
IP-Datennetze, kurz IPTV. So soll das IP-Protokoll auch in dieser Funktion für einen grundlegenden
Wandel sorgen: Der Trend geht nicht nur bei Video, sondern auch beim Fernsehen immer mehr zu "
on-Demand". Festgelegte Programmschemen hätten ausgedient. Jeder soll künftig jederzeit und überall
alles sehen können, so der Slogan. Mit der Integration von Video und Daten sollen künftig
Anwendungen aus den Bereichen Spiele und Werbung aufgepeppt werden. Auch das reine Betrachten von
Videos werde nicht mehr nur passiv sein: Durch die Wahl alternativer Kamerawinkel, ähnlich dem, was
heute einige DVDs bieten, oder sogar Story-Lines (unterschiedliche "Verästelungen" einer
Geschichte) kommt dem Nutzer eine interaktive Rolle zu. Nicht zuletzt soll auch die
Businesskommunikation von den datenangereicherten interaktiven Videos profitieren.
Produktschulungen oder Marketingkampagnen sollen sich mit IPTV schneller und effizienter
realisieren lassen, als das auf konventionellem Wege möglich ist.

Unter der technischen Leitung von Redback Networks zeigte der Broadband-Video-Pavillion konkrete
Applikationen von Video Networks (digitales TV, Video-on-Demand, Telefonie und Internetservices mit
"Home-Choice"), Simply Media TV (interaktives Homeshopping mit "TV i-Street") der BBC (eine
Plattform zur Verteilung von adhoc-Movies bis zu 60 Sekunden für Hobbyfilmer) und BT (die digitale
Content-Distribution-Plattform "BT Rich Media". Die Home-Choice-Lösung nutzte eine ähnliche
Settop-Box, wie sie auch am Siemens-Stand im Einsatz war.

Das 21st Century Communications World Forum folgt konzeptionell dem inzwischen seit mehreren
Jahren etablierten Breitbandweltforum. Veranstalter ist jeweils das International Engineering
Consortium (IEC). Beide Events sollen den globalen Gedankenaustausch sowohl auf hoher strategischer
als auch tiefer technischer Ebene fördern. Beide Foren begleitet eine Ausstellung mit zum Teil
durchaus recht aufwändigen Ständen. In London waren immerhin 32 Aussteller vor Ort, darunter neben
Platzhirsch British Telecom vor allem TK-Zulieferer wie Alvarion (Wimax), Cisco, Ericsson, Huawei,
IBM, Juniper, Marconi und Siemens. Nächstes IEC-Event ist der Breitbandgipfel von 30. Mai bis 2.
Juni in Japan.


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