Testserie Monitoring, Teil 4: Nagios XI

Urvater und Standardbegründer

2. November 2016, 8:00 Uhr | Von Thomas Bär und Frank-Michael Schlede.

Nagios ist wohl die bekannteste Monitoring-Software für komplexe IT-Infrastrukturen. Doch der Open-Source-Lösung eilt der Ruf eines ebenso umfangreichen wie schwer zu konfigurierenden Softwarepakets voraus. Dabei ist die Einrichtung deutlich einfacher geworden, wie ein LANline-Praxistest von Nagios XI ergab.

Nagios besteht aus einer Sammlung von Modulen zur Überwachung von Hosts, Netzwerken und Diensten sowie der passenden Web-Oberfläche zur Steuerung und Abfrage. Während das Kernsystem Nagios Core unter GNU GPL als freie Software für Unix-ähnliche Betriebssysteme kostenfrei zur Verfügung steht, bietet Ethan Galstad, der Entwickler und Erfinder von Nagios, über sein Unternehmen Nagios Enterprises technische Unterstützung rund um das Thema Nagios als kommerzielle Dienstleistung an. Neben der kostenfreien Basisversion gibt es Nagios XI, das "schlüsselfertige" Programm in den Ausbaustufen Student, Standard und Enterprise. Erwartungsgemäß steigt mit der Ausbaustufe der Funktionsumfang an. Einen Teil der einstigen Wegbegleiter hat die Firma bereits verloren: Aus Nagios gingen mit Icinga, Shinken und zuletzt Naemon verschiedene eigenständige Zweige hervor.

Virtuelle Appliance erspart Installation

Wer sich mit Nagios XI auseinandersetzen will, muss sich mit den Tiefen einer Installation auf der Linux-Distribution Centos glücklicherweise nicht auseinandersetzen: Der einfachste Weg, das Programm kennenzulernen, besteht im Download der vorgefertigten virtuellen Appliance. Diese rund 900 MByte große OVA-Datei importierten wir in wenigen Minuten auf einen Server mit VMware ESXi 5.5. Die Systemvoraussetzungen von Nagios XI sind moderat: 20 GByte Festplatte, 2 GByte RAM, Dual-Core-CPU mit 2,4 GHz Taktfrequenz, MySQL- oder PostgreSQL-Datenbank auf einem Centos oder RHEL 5 oder höher.

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Die Nagios-VM erspart dem Administrator die händische Installation.

Außer den Einstellungen bezüglich des Datastores zur Speicherung und der Auswahl des passenden Netzwerks gibt es für den Administrator nichts einzustellen. Nach dem Start der VM zeigt diese in der Konsole die gezogene IP-Lease und das Standpasswort für die Browser-Oberfläche. Wenige Augenblicke später ist ein Zugriff auf die 60-Tage-Testversion möglich.

Mit Freude nahmen wir zur Kenntnis, dass die Oberfläche in verschiedenen Sprachen zur Verfügung steht, und wählten "Deutsch". Die sprachlichen Verirrungen, die uns in den Web-Dialogen und im Begrüßungsassistenten erwarteten, ließen uns jedoch schnell auf "Englisch" zurückschalten. Wir konnten uns einfach nichts unter "Messe quittieren" und "Graph Forscher" vorstellen. Derartige automatisierte Übersetzungen helfen wirklich niemandem.

Deutsche Version unverständlich

Ansonsten sind Gestaltung und Menüführung von Nagios insgesamt gut gelungen. Die Oberfläche kommt ohne viel "Schnickschnack" aus, gliedert sich klassisch in Menüs und Ansichten und stellt Daten bei Bedarf übersichtlich in Grafiken dar. Das Hauptmenü als primäre Navigationsleiste mit den Menüpunkten Home, Views, Dashboards, Reports, Configure, Tools, Help und Navigation ist am oberen Fensterrand positioniert. Kontextabhängig ändert sich die sekundäre Navigation auf der linken Seite mit weiterführenden Menüpunkten.

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Die Freude über die Lokalisierung verfliegt schnell: Die Übersetzung ist eine Katastrophe - oder wissen Sie, was ein "Operationen Bildschirm" ist?

Oben rechts entdeckt der Benutzer die erweiterte Navigation zur Anlage von "Schedule New Pages"-Berichten, die regelmäßig an ausgewählte E-Mail-Empfänger zu versenden sind. Dort findet sich mit "Add to my views" ein weiterer Befehl, der uns im Test recht gut gefiel: In Nagios XI hat der Benutzer stets die Möglichkeit, eine Ansicht - zum Beispiel die Detailübersicht für einen Host-Rechner oder eine Übersichtsliste - so abzuspeichern, dass er mit einem einzelnen Klick unter "My Views" wieder dorthin zurückkehren kann. Angesichts der zunächst doch entstandenen Unübersichtlichkeit in der Software ein wahres Hilfsmittel. Warum die Entwickler diesen Befehl jedoch in die "Erweiterte Navigation" aufgenommen haben, ist uns schleierhaft. Die Funktion findet der Benutzer faktisch in jeder Ansicht in der linken Menüleiste. Möglicherweise heißt hier das Motto "Viel hilft viel" oder "Alle Wege führen nach Rom". Auch die anderen Funktionen der Oberfläche wie die Suchfunktion, symbolisiert als Lupe, ermöglichen einen unkomplizierten Zugriff auf Hosts, Host-Gruppen oder Service-Gruppen, ohne dass man erst durch die Tiefen der "Views"-Listen klicken muss.

Automatisierte Berichte, die kundenspezifische Dashboards als Report mit PDF- oder JPEG-Anhang verschicken, sind nur als Teil der Enterprise-Edition nutzbar. Dank der 60-Tage-Testlizenz kann sich jeder Interessent die Funktionen zumindest genauer anschauen. Was uns sehr gut gefiel: Am oberen Bildschirmrand entsteht ein Banner auf rotem Grund, wenn eine Funktion nur in der Enterprise-Version zu haben ist. Somit weiß der Interessent, der sich die Software anschaut, zu welcher Edition die Funktionen gehören - vorbildlich!

Einfacher Start ins Programm

Im unteren Dashboard-Bereich findet der Anwender die "Nagios XI Konfigurationsassistenten", die das Setup der Überwachungskonfiguration für Anfänger oder fortgeschrittene Nagios-Nutzer erleichtern sollen. Im nächsten Fenster erscheinen rund 60 Assistenten: von DNS Query über Microsoft Exchange und Folder Watch bis hin zu Solaris- oder OS-X-spezifischen Überwachungen.

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Kompakt und schlüssig: Nagios XI überzeugt in der Bedienung.

Wem diese üppige Auswahl an "Configuration Wizards" nicht reicht, bekommt mit einem Mausklick noch weitere Varianten auf der Webseite exchange.nagios.org geboten, beispielsweise den "Dell Openmanage Nagios XI Wizard" zur Einbindung der verbreiteten Poweredge-Systeme von Dell oder den "Out-of-Band Server Monitoring Configuration Wizard" für Dell-Maschinen mit Idrac7-Verwaltungskarten. Glücklicherweise fällt eine nennenswerte Anzahl der Wizards unter die GPL, was den Geldbeutel schont.

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Die grafische Aufbereitung der Messwerte ist gelungen.

Zunächst beginnt der Anwender mit der "Auto-Discovery". Während diese Analyse bei anderen Produkten eigentlich schon 80 Prozent der Arbeit verrichtet und ein möglichst umfassendes Bild der Netzwerkumgebung als Basis für die Überwachung liefert, hält sich Nagios XI hier noch zurück. Der Job wird mit einem Mausklick angelegt.

Schnell, schneller, fehlerhaft

Die Durchsuchung unseres kleinen Testnetzwerks erledigte die Software innerhalb weniger Augenblicke. Über den integrierten Scheduler kann der Administrator den Scan-Job leicht automatisieren, sodass die Software regelmäßig nach neuen Geräten fahndet. Eine Monitoring-Software, die bereits seit den 1990er-Jahren auf dem Markt ist, bietet erwartungsgemäß alle gängigen Befehle und Funktionen, um einem Netzwerk- und Systemadministrator die Überwachung zu erleichtern. Dennoch - und das verwunderte uns dann schon ein wenig - leistete sich der alte Software-Haudegen einen ordentlichen Lapsus bei der Identifizierung: Der zentrale Switch GS1910-24 im Testnetzwerk stammt aus dem Hause Zyxel und nicht, wie das Programm annahm, von Hewlett-Packard und war auch kein 1810G auf Basis von Ecos 3.0. Die unzulängliche Übersetzung ins Deutsche sorgt hier wieder einmal für Verwunderung oder Belustigung, denn natürlich handelt es sich um den Gerätetyp "Schalter" statt eines Switches. Das Betriebssystem VMware ESXi 5.0 bis 5.5 erkannte Nagios richtig, warum jedoch der Typ nicht "Server", sondern "Unbekannt" lautete, mag ein Geheimnis der Entwicklergemeinde bleiben. Zwischen Windows-Workstations und Windows-basierten Servern vermag Nagios nicht ohne zusätzliche Agent-Komponenten zu unterscheiden.

Offene Ports mit Adresse, Protokoll und Service-Namen, zum Beispiel SMTP, RDP oder LDAP, listet die Software indes sehr übersichtlich auf. Durch das Setzen von Optionshäkchen entscheidet sich der Administrator, welche Dienste und Systeme das Programm in die Überwachung aufnimmt. Das erklärt sich glücklicherweise von allein, ebenso der nächste Schritt in der Konfiguration: In welchem Intervall soll die Überwachung aktiv werden? Der Standardwert von fünf Minuten erwies sich im Test als nützlich.

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Rätselraten angesagt: Nagios meldet erst bei Aktivierung einer Einstellung, was wohl fehlen könnte.

Das Überwachen nebst dem Protokollieren von Daten ist nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen Auswertungen und Benachrichtigungen. Insbesondere in diesem Bereich hat Nagios XI zugelegt. Das Web-Interface bietet verschiedenartige grafische Auswertungen und Analysen: neben dem "Excecutive Summary" für den IT-Leiter auch Auswertungen zu Verfügbarkeiten, SLA-Einhaltung, Status-Historie, zudem eine Top-Liste der Alarm-Erzeuger, Ereignisprotokolle und einen Kapazitätenplaner.

Reporting und Meldung

Jede Auswertung kann sich der Administrator per Mausklick als CSV-, PDF- oder JPEG-Datei herunterladen oder per E-Mail zukommen lassen, auch per Scheduler. Die Entwickler haben hier mitgedacht: Statt Datumseinträge über einen "fummeligen" Kalender wählen zu müssen, gibt es "die letzten 24 Stunden", "gestern" sowie "die letzte Woche, Monat, Quartal, Jahr" - so mögen es die Benutzer.

Die Benachrichtigungen entsprechen dem Funktionsumfang von Nagios Core und sind im "Nagios CCM"-Menü zu finden. Typischerweise konfiguriert der Administrator eine Standard-E-Mail-Benachrichtigung. Auch SMS-Benachrichtigungen gehören zum Standardrepertoire, abhängig von frei definierbaren Zeitfenstern. Wer, so wie wir im Test, eigene Alert-Einstellungen vornehmen will, erfährt wieder, dass Nagios immer noch dieses "Monsterprogramm" mit den vielen Konfigurationsdateien ist. Wir legten im Test einen neuen Kontakt an und wollten die Änderung als Konfiguration aktivieren; auf rotem Grund machte uns das Programm klar, dass ein Fehler aufgetreten sei und der letzte Snapshot der Einstellungen zur Sicherheit aktiv sei: Wir hatten keine Service- und Host-Benachrichtigung angelegt! Die richtige Reihenfolge der Fenster und Informationen sind bei Nagios nicht als Wizard vorgegeben, dies bleibt Nagios XI vorbehalten.

Zahlreiche Neuigkeiten für leichtere Bedienung

Grundsätzlich profitiert Nagios vom Einwirken der Nagios Enterprises, auch wenn das gestandene Open-Source-Fans kaum hören wollen. Im Vergleich zu früheren Versionen spart der Administrator durch die Neugestaltung der Oberfläche schlichtweg Zeit. Ziel der aktuellen Version Nagios XI 5 war es, die Benutzerfreundlichkeit signifikant nach oben zu schrauben - ein Ziel, das definitiv erreicht wurde. Insgesamt sank zudem die Einstiegshürde für Neueinsteiger, die nicht erst in den Tiefen des Dateisystems irgendwelche INI-artigen Dateien modifizieren müssen - das übernehmen nun die gut herausgearbeiteten Wizards. Die Integration ins Active Directory ist mit wenigen LDAP-Parametern erledigt, somit steht dem Aufbau einer Berechtigungsstruktur auf Basis der Benutzerverwaltung lediglich noch etwas Handarbeit entgegen. Die neue API wird vor allem Entwickler von Erweiterungen freuen, während sich Administratoren eher für die nach Aussagen des Herstellers zehnfach beschleunigte Auto-Discovery-Suche interessieren dürften - wenngleich mit den von uns im Test festgestellten Ungenauigkeiten.

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Durch einen Mausklick im Menü "Quick Actions" ist der Ausfall von Port 14 kein nennenswertes Problem mehr.

Mit Nagios XI 5 überwacht der Administrator alle erdenklichen IT-Services vom einfachen Ping/Echo-Request mit Laufzeit- und Latenzmessung bis hin zur detaillierten Überwachung von Datenbanksystemen oder der Einbindung von vielen, auch weniger etablierten Hardwareprodukten. Bislang wurde der Software stets als Negativpunkt angerechnet, keine reinrassige Netzwerkanalyse mit Bandbreitenprüfung oder Paketüberwachung zu bieten. Ein zusätzliches Programm namens "Nagios Network Analyzer" füllt diese Lücke aus: Dank einer nahtlosen Integration in XI können Administratoren nun auch Netzwerkschwellenwerte überwachen.

Preislich beginnt die Standard-Edition von Nagios XI für 100 zu überwachende Knoten bei rund 2.000 Dollar. Bereits die regelmäßigen Reports per E-Mail sind eine Funktion der Enterprise-Variante, die für 100 Nodes mit rund 3.500 Dollar zu Buche schlägt. Die Support-Option mit telefonischer Unterstützung für bis zu zehn Anrufe liegt bei zusätzlich zirka 1.500 Dollar.

Fazit

Nagios XI 5.2.9. ist an sich gut gelungen und wirklich schnell einsatzbereit - zumindest im Vergleich zur manuellen Einrichtung der Core-Version. Leider bleibt aber die Grundkonfiguration im Gegensatz zu manch anderer Monitoring-Lösung immer noch mit höherem Aufwand verbunden. Tiefgreifendes Verständnis für das Thema Monitoring, fundierte Linux-Grundlagen sowie viel Zeit und Geduld verlangt die Lösung jedoch nur noch dann, wenn der Benutzer über die gewöhnlichen Anforderungen hinaus möchte. Wer diese Talente mitbringt, wird sich über die schier unermessliche Anzahl von Überwachungsmöglichkeiten freuen. Wer einfach nur schnell zum Ziel kommen will, um eine kleinere IT-Umgebung zu überwachen, ohne sich in epischer Breite mit dem Thema Monitoring auseinandersetzen zu müssen, für den ist Nagios XI weniger geeignet.

Dies ist der Box-Titel
Info: Nagios Enterprises
Tel.: 001/651/2049102
Web: www.nagios.com
Thomas Bär und Frank-Michael Schlede.

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