Satire

Cyberabwehr killt knuffige Kätzchen

17. März 2014, 7:35 Uhr | LANline/Dr. Wilhelm Greiner

Kürzlich verkündete die Telekom per Presseverlautbarung Investitionen in ein neues "intelligentes Cyberabwehr-Zentrum". Löblich - und doch bleibt ein Unbehagen.

In Zeiten gezielter und professionell durchgeführter Angriffe auf IT-Infrastrukturen, immer neuer Hacker Toolkits, eskalierender DDoS-Angriffswellen und alltäglicher Totalüberwachung durch Geheimdienste ist eine Investition, wie sie die Deutscheste Telekom Aller Großkonzerne (kurz: DTAG) in Aussicht gestellt hat, sicher ein richtiger und wichtiger Schritt. Ich will hier auch gar nicht darüber debattieren, was denn eigentlich ein „intelligentes“ Abwehrzentrum ist und ob die Ziegelsteine sich einem IQ-Test unterziehen müssen („Den hier können wir nicht nehmen, der ist dumm wie’n Sack Zement.“). Aber jedes Mal, wenn ich das Präfix „Cyber“ höre, zieht es mir den Magen zusammen.

Das Versatzstück „Cyber“ entstammt dem Begriff „Cybernetics“, zu Deutsch „Kybernetik“, also der Wissenschaft von den Regel- und Steuermechanismen. Es hat aber mit Steuermännern und Regeltechnik herzlich wenig zu tun: Eingang in den Sprachgebrauch fand es vielmehr über den Umweg des Worts „Cyberspace“, das einst in der Science-Fiction- und Fachliteratur künstliche digitale Welten beschrieb.

Die Deutscheste Aller Denkbaren Telekoms bedient sich in ihrer oben genannten Pressemitteilung ausgiebig, ja mit geradezu lästiger Monotonie, dieser „Cyber“-Rhetorik: Da gibt es ein „Cyberabwehr-Zentrum“ zur „Cyberabwehr“ von „Cyberangriffen“ mittels „Advanced Cyber Defense“-Diensten; ein CERT – kein „Computer Emergency Response Team“, wie sonst üblich, sondern, man ahnt es, ein „Cyber Emergency Response Team“ – warnt vor „Cybervorfällen“, die Mannschaft des „Cyberabwehr-Zentrums“ analysiert „Cyberrisiken“, entwickelt für Kunden „Cyberstrategien“ und bietet „Cybersecurity-Dienste“. Dazu gibt es natürlich ein „proaktives“ (*Seufz!*) „Cyber-Sicherheitsmanagement“ gegen „Cyberattacken“ und „Cyberbedrohungen“. Der Linguist spricht hier von „Cyber-Geseier“, der Mediziner von „Digitaldiarrhö“.

In den 1980er- und 1990er-Jahren war viel derartige Cyber-Rhetorik zu hören, wenn vom Internet oder dem World Wide Web die Rede war. Denn beides galt damals breiten Teilen der Bevölkerung noch als eine Art Science Fiction, und so dramatisierten Presse, Funk und Fernsehen das neue Datentransportmedium und dessen buntes Front-End gerne als – *Trommelwirbel* Huh! Hah! Ooh! *weit aufgerissene Augen* – „CYBERSPACE“.

Heute aber verströmt „Cyber“ längst den gut abgehangenen Geruch von Oma Liesls Wohnzimmer – und zwar drei Monate, nachdem die alte Dame ins Pflegeheim abgeschoben wurde: Es müffelt nach der TV-Serie „Max Headroom“ und dem Film „Tron“, im Bücherregal staubt Neal Stephenson Roman „Snow Crash“ vor sich hin, und der am wenigsten abgestandene Lufthauch empfängt den Besucher, wenn er die Tür zur „Matrix“-Gedenk-Besenkammer öffnet.

Eine geradezu Zombie-hafte Wiederbelebung erfahren die beiden Silben praktisch nur noch als Versatzstück in der Marketing-Sprache von IT-Sicherheitsanbietern, die heute zum Beispiel gerne vor dem „Cyberkrieg“ warnen, während IT-gestützte Kriegsführung längst Praxis ist. Im alltäglichen Sprachgebrauch hingegen ist das Präfix „Cyber“ ausgestorben.

Deshalb, liebe IT-Security-Marketiers: Lasst es in Frieden ruhen! Entcybert die deutsche Sprache! Denn merke: Jedes Mal, wenn in einer Pressemitteilung oder einem Werbetext die Worthülse „Cyber“ auftaucht, stirbt im Web ein süßes kleines LOL-Katzenbaby an malignem Haarausfall.

Und daran wollen Sie doch nicht schuld sein, oder?

Der Preis für die häufigste überflüssige Verwendung einer Phrase aus der Zeit, als Helmut Kohl noch Kanzler war, geht an: die Deutsche Cyberkom. Wir gratulieren.

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