GSMA Mobile World Congress in Barcelona

Das Internet auf dem Tablett serviert

29. April 2011, 7:00 Uhr | Stefan Mutschler

Der weltgrößte Mobilfunk-Event brach 2011 wieder einmal alle ­Rekorde. Laut Veranstalter GSM-Alliance kamen dieses Jahr 60.000 Teilnehmer aus 200 Ländern in die katalanische Metro­pole, rund 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Unter den knapp 1.400 Ausstellern war fast alles, was Rang und Namen hat - oder danach strebt. Ausnahme war einmal mehr Apple, der Vorreiter in Sachen Mobilkommunikation war erneut nur über seine Applikationen vertreten. Die dominanten Themen waren Googles Android und Tablet-PCs, die wahren Sensationen indes lagen ganz woanders.Mehr denn je war Barcelona dieses Jahr das Schlachtfeld der Betriebssystemplattformen. Erst kurz vor der Messe waren dazu schon zwei "Bomben" hochgegangen. Zum einen erschütterte Nokia die Mobilwelt mit der Ankündigung, künftig das eigene, nach wie vor weltweit am häufigsten eingesetzte Symbian zu Gunsten Microsoft Windows Phone 7 hinten an zu stellen. Dieser Gesinnungswechsel kam auch für die Entwickler sehr überraschend, denn in Barcelona gab es kein einziges Windows-Smartphone von Nokia (übrigens auch kaum ein Neues von anderen Herstellern) - dafür ein erstaunlich frisch wirkendes Symbian, das sich auf den ersten Kurzversuchen mit dem neuen Nokia E7 Slider zudem sehr fingerfreundlich zeigte. Symbian soll künftig nur noch in den Low-end- und Mittelklassehandys von Nokia zu finden sein - die Spitzenmodelle sollen ab 2012 ausschließlich mit Windows kommen. Windows Phone 7 indes zeigte sich in Barcelona recht unspektakulär. Während es Microsoft-Chef Steve Ballmer auf seiner Keynote als "besonders Provider-freundlich" pries, betonte es die Standpräsentation als idealen "Spielgefährten". Ein zum MWC geplantes Update wurde auf März verschoben. Außer allgemeinen Geschwindigkeitsverbesserungen soll es für die Anwender jedoch ohnehin nicht viel Neues dabei haben, einzig erwähnenswert ist eine Cut-and-Paste-Funktion. Immerhin sollen wohl die Geräte-Hersteller mehr Entscheidungsfreiheit bekommen, etwa hinsichtlich Chip-Sets, die Speicherkapazität oder die Größe des Bildschirms. Erst später in diesem Jahr wird es ein mehr benutzerrelevantes Update geben - dann mit so etwas wie Multitasking, Skydrive-Integration (virtuelle Festplatte von Microsoft), Internet Explorer 9 und erweiterten Twitter-Funktionen. Der zweite Knüller war kurz vor dem MWC die Ankündigung von HP, auf Basis des mit Palm zugekauften WebOS nicht nur einen eigenen App-Store für Smartphones (zwei neue Modelle wurden als Palm-Erben vorgestellt) und Tablet-PCs (auch hier hat HP nun ein eigenes Modell) aufzuziehen, sondern möglicherweise auch ein PC-Betriebssystem zu schmieden, das alternativ zu Windows auf HP-Rechnern ausgeliefert werden könnte. Da HP jährlich 63 Millionen PCs und damit mehr als jeder andere Hersteller ausliefert, könnte sich damit die gesamte PC- und PC-Software­landschaft nachhaltig ändern. Eindeutiger Gewinner bei den Betriebssystemplattformen war in Barcelona Googles Adroid - sowohl die meisten neuen Smartphones als auch Tablets basieren auf dieser Software. Bei den Smartphones selbst wurden in Barcelona kaum technische Meilensteine gesetzt - allenfalls LG betrat mit den ersten dreidimensionalen Smartphone-Bildschirmen im neuen Optimus 3D Neuland. Knackpunkt 3D Ob das sinnvoll ist oder wenigstens Freude macht, hat sich dem Autor in Barcelona noch nicht erschlossen. Erfahrungsgemäß kommen in diesem stark von individuellen Begehrlichkeiten getriebenen Markt aber so ziemlich alle Gimmicks an, die in irgendeiner Form als sexy gelten. Nebenbei: Wie eine für 3D-Videos nötige Datenmenge via LTE zum Client transportiert werden kann, zeigte das Fraunhofer Heinrich Hertz Institut - sogar auf großen TV-Screens. Und dabei war das Ergebnis in der Tat beeindruckend. Von Iphone 5, Ipad 2 und Iphone Mini (eine geplante kleinere, abgespeckte Billig-Variante des Iphone) war in Barcelona wie zu erwarten nichts zu sehen, allerdings sprossen die Konkurrenten - speziell des Apple Tablet-PCs - wie Pilze aus dem Boden. Neben HP zeigten unter anderem Samsung, Huawei, LG, ZTE, Acer, RIM ihre ersten beziehungsweise neuen Geräte. LTE-fähige Endgeräte waren in diesem Jahr noch Mangelware auf dem MWC, wenngleich Ankündigungen wie etwa das Playbook-Tablet von RIM erste Zeichen setzten. LTE-Adapter in Form von USB-Sticks gab es bereits im vergangenen Jahr, das Angebot hier ist nun deutlich breiter. Für Unternehmen kommen langsam auch die ersten Router mit LTE-Unterstützung. Noch als Prototyp zeigte etwa Lancom sein erstes Modell, das passend zu den Netzausbauplänen der Mobilfunkanbieter ab Mitte 2011 verfügbar sein soll. Der 681-4G verfügt über ein integriertes Multi­mode LTE-Modem für die Frequenzbereiche 800, 1.800 und 2.600 MHz. Mit Datenraten bis zu 100 MBit/s im Down- und 50 MBit/s im Upstream soll der IPsec-basierende VPN-Router die sichere Vernetzung von Unternehmensstandorten erlauben - beziehungsweise in Kombination mit aktueller 802.11n WLAN-Technik eine schnelle Internet-Verbindung. Neben LTE werden auch HSPA+, UMTS, EDGE und GPRS unterstützt. Weitere Neuheiten des Herstellers fokussieren noch allein auf HSPA+, darunter mit dem OAP-321-3G das erste Outdoor-Modell. Der Router nach IP67-Spezifikation erlaubt die Einbindung von Außenflächen ohne DSL-Zugang in Unternehmensnetze, die gleichzeitig eine WLAN-Abdeckung benötigen. Ein echtes Highlight gab es jedoch auf Seiten der Gerätschaft für LTE-Provider: Light-Radio, das Alcatel-Lucent in Barcelona der breiten Öffentlichkeit präsentierte, ist gewissermaßen die Bonsaiversion herkömmlicher Mobilfunk-Infrastrukturtechnik. Entscheidend sind dabei aber nicht allein die Minimierung von Komponenten wie Basisstationen auf Zauberwürfel- und Antennen auf Kreditkartengröße, sondern auch Preise, Energieverbrauch und Architektur. Mit Light-Radio entstehe eine neue Architektur, bei der die einzelnen Komponenten der Basisstation, die heute meist am Fuß eines Sendemasts steht, voneinander getrennt und dann auf die Antenne und das Netzwerk verteilt sind. Damit erfolge die Signalverarbeitung nach einem ähnlichen Schema wie beim Cloud Computing. Darüber hinaus würden im ersten Schritt die verschiedenen bereits vorhandenen Antennen des Sendemasts kombiniert und zu einem einzigen, kompakten Gerät verschmolzen. Diese von den Bell Labs entwickelte aktive Array-Antenne für Multi-Band und Multi-Standard-Betrieb arbeitet mit mehreren Frequenzen und Netzstandards (2G, 3G, LTE) und kann auf Masten, an Gebäudewänden sowie überall dort angebracht werden, wo eine Energieversorgung und ein Breitbandanschluss verfügbar sind. Im zweiten Schritt sollen die Miniantennen zum Zug kommen. Durch die Möglichkeit, diese stromsparenden Mehrbandantennen flexibel aufzustellen, sollen die großen, mit unzähligen Antennen bestückten Sendemasten verzichtbar sein. Im zweiten Halbjahr 2011 werden die ersten Bestandteile der neuen Lösung bei Providern laut Plan in den Probebetrieb gehen. Mobiles Video-Conferencing Videounterstütztes Konferieren soll künftig auch mit Tablet-PCs en vogue werden. Polycom beispielsweise will seine Telepresence- und Collaboration-Lösungen künftig verstärkt in die mobile Welt integrieren. Konkret heißt dies, die bekannten Desktop- und Raumanwendungen landen als App auf dem Tablet-PC. Dazu will Polycom ein Netzwerk an Partnern aus dem Tablet-Sektor aufbauen, um seine Apps mit deren Geräten zu integrieren. Aktuell laufen die Apps auf dem Galaxy-Tablet von Samsung, das zum MWC übrigens zwei neue Geschwister bekommen hat. Am Stand zeigte das Unternehmen beispielsweise Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zwischen zwei Tablets sowie die Kommunikation eines Tablets mit einem Raumsystem, beides im Look and Feel der Collaboration-Anwendungen für PCs - adaptiert auf die Touchscreen-Bedienung mit dem Finger. Einen der für die gesamte IT-Welt spannendsten Auftritte hatte in Barcelona das Start-up-Unternehmen Violin Memory - auch wenn das, worum es dabei ging, in der Sache nicht direkt etwas mit Mobility zu tun hatte. 2008 kam das 2005 im kalifornischen Silicon Valley gegründete Unternehmen mit einer 4-TByte-Flash-Speicher-Appliance auf den Markt, im September 2010 folgte ein 40-TByte-Flash-Array. Die Violin-3140- und Violin-3200-Arrays lassen sich innerhalb eines Racks auf rund 500 TByte ausbauen, die Leistung soll bei etwa 2 Millionen IOPS (Inputs/Outputs pro Sekunde) liegen. Violin plant, mit seiner Speichertechnik die gesamte Rechenzentrumswelt auf den Kopf zu stellen. Die verwendeten Capacity-Flash-Speicher seien im Vergleich zu anderen besonders schnell und kostengünstig, im Vergleich zu Festplatten-Systemen ließe sich nicht nur der Platzbedarf auf ein Fünftel reduzieren, der gleiche Reduktionswert gelte auch für den Energiebedarf - bei gleichzeitiger Vervierfachung der Durchsatzleistung. Im nächsten Jahr wird es den Mobile World Congress erneut in Barcelona geben - allerdings etwa später vom 27. Februar bis zum 1. März. Ab 2013 ist die Lokation derzeit noch offen - zu den Finalisten für den Wettbewerb Mobile World Capital, über den die GSMA den künftigen Schauplatz finden will, gehören neben Barcelona auch Mailand, Paris und München. Der Sieger wird den MWC dann für fünf Jahre ausrichten.

"Polycom wird ein Netzwerk an Partnern aus dem Tablet-Sektor aufbauen, um seine Apps mit deren Geräten zu integrieren", so Sudha

"Mit Light-Radio entsteht eine neue Architektur, bei der die einzelnen Komponenten der Basisstation, die heute meist am Fuß eine
LANline.

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