Smart Office - Das Büro wird intelligent

Gebäudetechnik wird Teil des Datennetzes

3. August 2016, 7:47 Uhr | Von Dipl.-Ing. Thomas Kwaterski.

Die heutige Arbeitswelt bietet und fordert maximale Flexibilität und Wirtschaftlichkeit. In modernen Bürogebäuden passt sich der Arbeitsplatz den Bedürfnissen der Mitarbeiter an. Das Smart Office, also das intelligente Büro, schafft ein neues Maß an Komfort, Wirtschaftlichkeit und Sicherheit. Aufbauend auf einer dezentralen Infrastruktur kommunizieren die Systeme der Gebäudeautomation über IP und werden dadurch Teil des Datennetzes. Applikationen auf den Netzwerk-Switches stellen dabei nützliche Funktionen bereit, die mit bisheriger Technik nicht oder nur eingeschränkt möglich waren.

Die klassische Büroinfrastruktur ist zweckgebunden. Jede Anlage erfordert eine eigene, auf ihre speziellen Anforderungen abgestimmte Lösung. Die dafür notwendigen, anwendungsspezifischen Infrastrukturen führen zu einer Vielzahl verschiedener, voneinander getrennter Systeme, die nicht oder nur mit sehr großem Aufwand miteinander koppelbar sind.

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Herkömmliche Steuerungsarchitektur mit zentraler Einheit.

Mit der Einführung busbasierender Systeme ließen sich erstmals autarke Anlagen logisch miteinander verknüpfen. Möglich wurde dies durch die Verschiebung von der Hard- zur Software. Schalter und Geräte sind nun nutzerspezifisch zu programmiert und bei Bedarf umzuprogrammieren, was eine aufwändige Neuverdrahtung überflüssig machte. Die hohen Kosten, die der damit verbundene hohe Programmieraufwand verursachte, und die mangelnde Kompatibilität der verschiedenen Bussysteme untereinander wirkten sich jedoch hinderlich auf den flächendeckenden Einsatz der Bustechnik aus.

Die Entwicklung zur softwarebasierenden Gebäudeautomation setzt sich mit der Einführung des IP-Protokolls für die Systeme und Anlagen der technischen Gebäudeausrüstung fort. Immer mehr Systeme nutzen den Vorteil eines einheitlichen, universellen Kommunikationsprotokolls. Mittlerweile sind Zutrittskontrolle, Zeiterfassung, Heizung/Lüftung, Tagungstechnik, Aufzugssteuerungen und Beleuchtungsanlagen mit IP-Anschluss ausgestattet.

Diese Entwicklung beschränkt sich nicht auf die Schnittstellen für die Anlagensteuerungen, sondern schließt die einzelnen Baugruppen und Komponenten wie Sensoren und Aktoren ein. Unter dem Begriff "Internet der Dinge" (Internet of Things, IoT) erhält jede einzelne Komponente einen eigenen IP-Anschluss. Und da mittlerweile nahezu alles direkt oder indirekt mit dem Netzwerk zu verbinden ist, setzt sich langsam der Begriff "Internet of Everything" (IoE) durch.

Das "mitdenkende" Büro kommt sicher

Im Smart Office sind die einzelnen Anlagen und Systeme untereinander vernetzt. IP-basierende Multifunktionssensoren übernehmen die Aufgaben bislang getrennter, anlagenspezifischer Sensoren. Die Auswertung der Sensordaten erfolgt vor Ort, ebenso die daraus resultierenden Steueranweisungen an die Aktoren der verschiedenen Komponenten der Gebäudetechnik.

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Dezentrale und App-basierende Steuerungsarchitektur.

Erkennt beispielsweise ein Präsenzmelder, dass niemand im Raum ist, kann das System die Beleuchtung ausschalten, die Heizung/Klimaanlage herunter regeln und den Netzwerkzugang deaktivieren. In Verbindung mit der elektronischen Zeiterfassung lassen sich Peripheriegeräte wie Drucker oder Elektro-Kleingeräte über schaltbare Steckdosen automatisch ausschalten, wenn der Mitarbeiter das Gebäude verlässt.

Entwicklung zur dezentralen Infrastruktur

Möglich wird dies durch eine dezentrale Infrastruktur. Netzwerkfunktionen und die Netzwerkintelligenz sind dabei nicht in einer zentralen Instanz, sondern in Anwender- oder Anlagennähe implementiert. Micro-Switches übernehmen dort neben der Datenverteilung weitreichende Funktionen der Gebäudeautomation wie Zustandserfassung, Datenauswertung, Steuer-, Regel- und umfassende Sicherheitsfunktionen.

Die Auswertung der Daten am Netzwerkrand und die Generierung der daraus resultierende Steueranweisung vor Ort reduziert die Netzlast, da weit weniger Daten zu übertragen sind als bei zentralisierten Lösungen. Intelligente Sicherheitsfunktionen unterbinden wirksam einen unerwünschten und nichtautorisierten Netzwerkzugang direkt am Netzwerkanschluss, wohingegen herkömmliche Lösungen Sicherheitsfunktionen innerhalb des Netzes in den Switches im Etagenverteiler oder im Hauptverteiler bereitstellen können.

Die Vorteile dieses Konzepts spiegeln sich auch in der Störungsresistenz des Netzwerks wider. Fällt eine dezentrale Komponente aus, ist nur der eng begrenzte Versorgungsbereich des jeweiligen Micro-Switches betroffen. Alle übrigen Bereiche arbeiten weiterhin störungsfrei. Bei der herkömmlichen Infrastruktur ist ein wesentlich größerer Bereich bis hin zum kompletten Versorgungsbereich des Etagenverteilers betroffen.

Apps sorgen für Komfort

Selbstständige Softwarebausteine, so genannte Applikationen (Apps) auf den Switches, stellen diese weitreichende Funktion zur Verfügung. Sie ermöglichen eine netzwerkweite Sensor-Aktor-Interaktion, bei der Sensoren und Aktoren räumlich beliebig weit voneinander entfernt sein können. Dabei verknüpfen sie Steueranweisungen voneinander unabhängiger Anlagen wie beispielsweise Beleuchtung, Heizung und Zugangsberechtigung miteinander und passen sie den jeweiligen Anwenderprofilen an. Die Steuerung der technischen Gebäudeausrüstung erfolgt mit mobilen Geräten wie Smartphones, Tablets oder Laptops.

Installation und Anwendung erfolgt nach dem Vorbild der Apps für Smartphones und Tablets einfach, problemlos und kostengünstig. Eingriffe in die Firmware der Switches sind nicht nötig. Sie bleibt unverändert, was den Administrationsaufwand deutlich verringert. Auf einem Switch können mehrere Apps gleichzeitig laufen und so eine Fülle verschiedenster Funktionen bereitstellen.

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Die Beleuchtung zählt zu den Gewerken, die Betreiber eines intelligenten Gebäudes häufig als erstes in Angriff nehmen.

Statt fertige Apps zu verwenden kann die unternehmenseigene IT-Abteilung auch selbst Skripte schreiben. Mit der dynamischen, eventgesteuerten Programmiersprache Microscript lassen sich Skripte in einem beliebigen Texteditor erstellen und in den Switch laden. Skripte, die mit Microscript erzeugt wurden, laufen oberhalb der Betriebssystemebene und haben nur die Zugriffsrechte des Anwenders, die sie ausführt. Mögliche Sicherheitslücken im Betriebssystem könne diese Skripte nicht ausnutzen, was den gestiegenen Anforderungen an die Netzwerksicherheit Rechnung trägt.

In einem bestehenden Gebäude wird kaum jemand die gesamte Gebäudetechnik auf einmal durch eine IP-Lösung ersetzen. Die damit verbundenen Kosten wären nicht zu rechtfertigen, und sie wären auch aus technischer Sicht unnötig. Klassische Anlagen und Systeme, die hervorragend funktionieren und die dem Anwender noch immer bieten, was er benötigt, lassen sich allerdings in eine IP-basierende, dezentrale Infrastruktur integrieren. Die Einbindung in das Netzwerk übernimmt ein Micro-Automation-Gateway. Es managt den notwendigen Datenaustausch, nimmt Sensorsignale und Zustandsmeldungen vorhandener Systeme und Baugruppen auf und leitet Stell- und Aktoranweisungen an sie weiter. Die Verbindung mit den zu integrierenden Systemen kann dabei sowohl kabelgebunden als auch drahtlos erfolgen.

Integration bestehender Systeme

Durch die hohe Flexibilität des dezentralen Konzepts sind sowohl die Integrationen bereits vorhandener Systeme als auch Ergänzungen und Nutzungsänderungen des Netzwerks schnell und ohne großen Aufwand realisierbar. Einzelne Bereiche können erweitert oder geändert werden, ohne dass dies die übrigen Netzwerkbereiche beeinflusst. Abschnittweise Integrationen oder Neuinstallationen sind im laufenden Netzwerkbetrieb problemlos möglich. Erweitert oder unterteilt der Betreiber beispielsweise Großraumbüros, oder werden einzelne Räume miteinander verbunden oder anders genutzt, kann dies abschnitts- oder raumweise geschehen. Die dezentrale Infrastruktur und die softwarebasierenden Funktionen auf den Micro-Switches machen das Smart Office hochgradig skalierbar.

Sicherheit

Die auf den Micro-Switches implementierten Sicherheitsmerkmale bieten ein Höchstmaß an Sicherheit direkt an der Netzwerkaußengrenze. Arbeitsplatz und Netzwerkzugang sind nur freigeschaltet, wenn der User über die geforderte Berechtigung verfügt. Eine abgestufte Redundanz in Räumen mit erhöhten Sicherheitsanforderungen erhöht die Betriebssicherheit des Gesamtkonzepts, beispielsweise durch Querverbindungen zwischen Micro-Switches oder der Zusammenschaltung zu einem Ring.

Mit Apps können lassen sich Funktionen für eine höhere Sicherheit der Mitarbeiter auf den Switches und damit im Netzwerk implementieren. Beispielsweise kann das System im Alarmfall Türen entriegeln und Flucht- und Rettungswege automatisch beleuchten. Gleichzeitig kann es zum Beispiel die Lüftungsanlage bei Feueralarm abschalten, um einen Brand nicht weiter anzufachen.

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Auch die verschiedenen Steckdosen lassen sich im Büro ansteuern und schalten.

Wirtschaftlichkeit

Die Wirtschaftlichkeit glasfaserbasierender, dezentraler Infrastrukturen (FTTO) hat ein Gutachten der WIK Consult, eines Tochterunternehmens des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK), berechnet. Nach diesem Gutachten bietet dieses Infrastrukturkonzept bereits bei Netzgrößen ab 160 Teilnehmern wirtschaftliche Vorteile. Die Kostenvorteile nehmen mit größeren Teilnehmerzahlen weiter zu. Je größer die Netze, desto günstiger wird eine glasfaserbasierende, dezentrale Infrastruktur, und zwar sowohl bei der Errichtung als auch im laufenden Betrieb.

Laut dem Gutachten kann ein Betreiber beispielsweise bei 220 Arbeitsplätzen bereits eine Einsparung von gerundet 30 Prozent erzielen, sowohl kurz- als auch langfristig. Das Gutachten legt eine Nutzungsdauer von zehn Jahren zu Grunde, wie sie in den einschlägigen Verkabelungsnormen vorgesehen ist. Ein Gerätewechsel im Fünfjahres-Turnus ist ebenfalls berücksichtigt.

Änderungen der Funktionen, die das Smart Office bereitstellt, erfolgen softwarebasierend durch Apps oder durch Skriptänderungen. Im Vergleich zu Buslösungen ist keine aufwändige Programmierung erforderlich, was sich ebenfalls günstig auf die Betriebskosten auswirkt.

Ein einfaches Beispiel

Das folgende Beispiel beschreibt ein typisches Smart-Office-Szenario: Wenn ein Mitarbeiter das Firmengebäude betritt, registriert ihn Zugangskontrollanlage am Eingang und gibt die Information an das Smart-Office-Gebäude-Management-System weiter. Sein Zeitkonto wird in Echtzeit aktualisiert. Noch während er die Eingangshalle durchquert, fährt die Klimaanlage in seinem Büro vom abgesenkten Betrieb in den Regelbetrieb hoch. Sein Smartphone hat sich bereits auf dem Vorplatz in das Firmennetz eingebucht und ist autorisiert.

Wenn der Mitarbeiter die Tür zu seinem Büro öffnet, schaltet sich die Beleuchtung in der von ihm bevorzugten Lichtfarbe ein. Die Beleuchtungssteuerung berücksichtigt dabei das einfallende Sonnenlicht und dimmt die LED-Leuchten en dabei so gedimmt, dass auf der Arbeitsfläche die individuell gewünschte Beleuchtungsstärke herrscht. Die Netzwerkanschlüsse, die während seiner Abwesenheit zum Schutz vor nicht-autorisierten Netzwerkzugriffen gesperrt waren, sind nun für seinen Laptop und sein Voice-over-IP-Telefon auf dem Schreibtisch freigegeben. Ebenfalls freigegeben sind die Elektrosteckdosen im Raum. Das Smart-Office-Gebäude-Management hatte sie am Freitagnachmittag automatisch mit der Beleuchtung ausgeschaltet, weil der Mitarbeiter dies vergessen hatte. Energieverschwendung durch vergessene Elektrogeräte und durch Beleuchtung, die das Wochenende über brennt, gibt es im Smart Office nicht mehr.

Fazit

Im Smart Office lässt sich die Büroumgebung auf die spezifischen Bedürfnisse und Anforderungen der Anwender anpassen. Die Mitarbeiter können sich ihren Arbeitsplatz individuell gestalten, was nachweislich zu höherer Produktivität, größerer Motivation und geringeren Fehlerraten führt. Dabei verdrängen IP-basierende Lösungen zunehmend die herkömmlichen, autarken Automationslösungen und busgesteuerten Anlagen und Systeme. Vorreiter sind die modernen Bürogebäude, die den Mitarbeitern damit bislang unerreichte Möglichkeiten an Ergonomie, Komfort und Energieeffizienz zur Verfügung stellen.

Das Smart Office, in dem intelligente, verteilte Systeme komplexe und weitreichende Funktionen anwenderfreundlich und wirtschaftlich zur Verfügung stellen und sich dabei selbstständig untereinander abstimmen, ist bereits Realität. Sein Konzept auf der Basis dezentraler Infrastrukturen schafft die Grundlagen für moderne Arbeitsumgebungen und bietet dadurch gegenüber der herkömmlichen Bürotechnik ein wesentlich höheres Maß an Produktivität, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit.

Dipl.-Ing. Thomas Kwaterski ist Prokurist und Gründer von Microsens in Hamm ().

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