Audio/Video Bridging (AVB)

Jetzt gibt es Ethernet auf die Ohren

17. März 2014, 7:00 Uhr | Olaf Hagemann/wg, SE Director DACH und HGM bei Extreme Networks, www.extremenetworks.com.

Audio/Video Bridging (AVB) ist angetreten, Ethernet für den Einsatz in professionellen Audio- und Video-Umgebungen zu ertüchtigen. Der Standard ist nicht wirklich neu - die IEEE hat AVB beziehungsweise die zugehörigen Standards bereits seit März 2011 abschließend ratifiziert. Dennoch war AVB bis vor Kurzem nur wenigen Marktbeobachtern ein Begriff, da es noch keine Produkte gab, die AVB unterstützen.

Die Motivation hinter AVB ist es, die proprietären analogen und digitalen Verfahren zur Signalübertragung in professionellen Audio- und Video-Umgebungen durch standardisierte Ethernet-Verbindungen zu ersetzen. Das hört sich zunächst nicht besonders spannend an. Tatsächlich jedoch bringt es dem Betreiber einer solchen Lösung enorme Vorteile. Zunächst einmal lässt sich die Verkabelung zum Beispiel von Aufnahmestudios dramatisch vereinfachen. Bisher war für jedes Signal ein dediziertes Kabel vonnöten. Dies führte dazu, dass beispielsweise in Konzerthallen enorme Kabelmengen von der Bühne in ein angeschlossenes Aufnahmestudio führen mussten. Diese Verkabelung ist sehr komplex in der Planung, erzeugt hohe Kosten bei der Installation, stellt eine enorme Brandlast dar und ist komplett unflexibel. Durch AVB ist es nun möglich, die gesamten Signale auf der Bühne lokal zu bündeln und über eine simple Glasfaserverbindung zum Studio zu übertragen.
Der zweite große Vorteil von AVB liegt in der Standardisierung der Übertragung. Wo bisher Signalumsetzer und Konverter erforderlich waren, lassen sich nun über einen einheitlichen Übertragungsstandard Geräte unterschiedlicher Hersteller problemlos miteinander verknüpfen. Zwar gab es auch vor AVB schon Möglichkeiten der digitalen Signalübertragung. Die dazu eingesetzten Verfahren (zum Beispiel Cobranet oder Dante) sind jedoch rein proprietär und skalieren nicht ausreichend. Somit fallen zum einen Lizenzgebühren an, und die Anzahl der zu übertragenden Audiokanäle ist auf 64 (Cobranet) oder 1.024 (Dante) beschränkt. AVB kann nun von den Skalierungsstufen des Ethernets profitieren, sodass Übertragungsbandbreiten von bis zu 100 GBit/s und mehrere tausend Kanäle kein Problem darstellen. Audio- und Videoübertragungen via Ethernet sind nicht wirklich neu. spätestens seit VoIP und Youtube gehören sie zum Alltag. Allerdings war das klassische Ethernet bisher nicht in der Lage, eine Dienstgüte zu bieten, die den Anforderungen professioneller Umgebungen gerecht wurde.
 
Was ist das Neue an AVB?
Das erste Problem des klassischen Ethernets ist die fehlende Zeitsynchronisierung. Wenn zum Beispiel in einem Stadion die Lautsprecher für Durchsagen ihr Signal via Ethernet erhalten, gibt es keine Möglichkeit zu garantieren, dass das Signal der Quelle alle Lautsprecher auch gleichzeitig erreicht, schließlich ist Ethernet nicht deterministisch. Bei AVB werden die beteiligten Endgeräte deshalb zeitlich synchronisiert. Insofern haben alle Lautsprecher und die Quelle eine identische Systemzeit. Die vom Standard erlaubte Abweichung liegt hier bei unter 1 µs. Die Gesamtverzögerung in einem AVB Netz wird mit 2 ms über maximal sieben Hops vorgegeben. Insofern kann die Quelle die Pakete mit einer "Presentation Time" versehen, die den Zeitpunkt des Signalausgangs vorgibt und somit für eine synchrone Wiedergabe durch alle Lautsprecher sorgt.
Das zweite Problem liegt in der Realisierung von Quality of Service (QoS) im klassichen Ethernet. Diese besteht in der Regel aus einer reinen Priorisierung von Paketen. Für eine professionelle Audio- oder Videoübertragung reicht das unter Umständen nicht aus. Dort ist eine echte Reservierung von Bandbreite gefordert, die dem jeweiligen Signal exklusiv über den gesamten Link zur Verfügung stehen muss. Dafür gab es lange keinen Standard.
Diese beiden Probleme löst nun AVB. Im einzelnen sind dafür folgende Standards definiert:
IEEE 802.1BA: Audio/Video Bridging, ist der Oberstandard für AVB.
IEEE 802.1AS: Timing und Synchronisierung von zeitsensitiven Applikationen sorgt für die zeitliche Synchronisierung aller beteiligten Endgeräte via Generalised Precision Time Protocol (gPTP).
IEEE 802.1Qat: Das Stream Reservation Protocol (SRP) / Multiple Stream Reservation Protocol (MSRP) sorgt für die dedizierte Reservierung von Bandbreite.
IEEE 802.1Qav: Forwarding and Queueing von zeitsensitiven Streams (FQTSS) sorgt für das entsprechende QoS.
Zusätzlich gibt es noch eine Erweiterung im IEEE 802.1Q: Multiple Registration Protocol (MRP)/Multiple VLAN Registration Protocol (MVRP). Dies stellt sicher, dass sich VLAN-Informationen über den gesamten Link automatisch signalisieren und konfigurieren lassen.
Die beschriebenen Standards lösen zum einen die Probleme der Zeitsynchronisierung und Bandbreitenreservierung, und zum anderen sorgen sie dafür, dass AVB-Umgebungen nahezu selbstkonfigurierend sind. Dies war ein weiteres Ziel bei der Entwicklung des Standards, der vor allem mobilen und oft wechselnden Umgebungen Rechnung trägt: AVB sollte möglichst per Plug and Play zu nutzen sein.
 
Vom Konzertsaal bis zur Kongresshalle
Die Einsatzszenarien für AVB sind enorm vielfältig. Zunächst sind die klassischen Audio-Umgebungen zu nennen, zum Beispiel Konzertsäle, Aufnahmestudios, Mehrzweckhallen, Kongresszentren, Freizeitparks, Stadien, Schulen, Universitäten etc. Darüber hinaus gibt es aber auch geplante Einsatzszenarien, die deutlich weiter führen. So ist zum Beispiel die Automobilindustrie sehr an AVB interessiert. Die heutigen Bus-Systeme in Fahrzeugen sind ebenfalls proprietär und skalieren nicht besonders gut. Hier bietet sich Ethernet mit AVB als Möglichkeit zur Steigerung des Funktionsumfangs und für das Bord-Entertainment an.
Zudem hat die Flugzeugindustrie an AVB Interesse gezeigt. Denn die heutigen In-Seat-Entertainment-Systeme benötigen für jeden Fluggast drei dedizierte Kabel (Video, Audio, Steuerung). Wenn man diese durch ein einziges Ethernet-Kabel mit AVB ersetzen kann, ermöglicht dies eine Gewichtsreduktion - ein im Flugzeugbau wichtiges Kriterium. Aber auch in ganz klassischen Datennetzen könnte AVB für bestimmte Applikationen durchaus von Interesse sein. Und die Entwicklung ist hier noch längst nicht am Ende.
 
Motor AVnu Alliance
Getrieben wird der AVB-Standard von der AVnu Alliance (www.avnu.org), einem Industrieforum unterschiedlichster Hersteller aus den Bereichen Audio, Video, Chipherstellung, Automobil, Netzwerk etc. Prominente Beispiele sind Biamp, Bosch, Broadcom, Cisco Systems, Extreme Networks, General Motors, Harman, Marvel, Riedel, Sennheiser und Yamaha.
Die Mitglieder dieser Allianz haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Weiterentwicklung von professioneller Audio- und Video-Übertragung über Ethernet in verschiedenen Layern zu betreiben. Stand heute ist der AVB-Standard nur für reine Layer-2-Umgebungen vorgesehen. Die Erweiterung auf geroutete Layer-3-Umgebungen ist derzeit noch in der Entwicklung. Diese Einschränkung kommt jedoch in den meisten Anwendungsfällen nicht zum Tragen, da es sich normalerweise um dedizierte Insellösungen handelt.
 
Konvergenz klassischer Dienste
Dennoch bietet AVB den zusätzlichen Vorteil einer Konvergenz von klassischen Datendiensten und professionellen Audio-/Video-Streams auf demselben Netz. Per Default sieht der Standard eine Reservierung von 75 Prozent der Link-Kapazität für AVB-Verkehr vor. Dies lässt sich jedoch per Konfiguration verändern.
Die verfügbare Produktlandschaft AVB-fähiger Lösungen ist derzeit noch recht überschaubar. Allerdings haben etliche Hersteller bereits Prototypen vorgestellt, und es gibt auch schon einige verfügbare Lösungen.
Auch erste produktive Umgebungen sind bereits installiert, so zum Beispiel das Parlament in Luxemburg, die Volkswagen-Halle in Braunschweig, die Deutsche Bahn Audiotechnik in Backnang, das Institut für Rundfunktechnik in München, das Deutsche Theater in München oder das Haus der Technik in Essen. Außerdem soll das neue Kongresszentrum der Vereinten Nationen in Bonn eine AVB-Lösung erhalten. Riedel setzt AVB-fähige Intercom-Systeme bei den Olympischen Spielen in Sotschi und bei der FIFA-WM in Brasilien ein.
 
Einsatz zunächst bei Audio-Anwendungen
Anhand dieser Liste ist zu erkennen, dass AVB derzeit hauptsächlich in Audio-Umgebungen zum Einsatz kommt. Das liegt zum einen daran, dass es deutlich mehr Audio- als Video-Umgebungen gibt. Zum anderen sind die heute verfügbaren Bandbreiten für hoch auflösende unkomprimierte Videosignale noch zu niedrig ausgelegt. Es geht hier um 6 bis 8 GBit/s pro Signal, sodass man auf 10-GBit/s-Interfaces zurückgreifen muss. Mit der baldigen Einführung von 100 GBit/s und entsprechender Unterstützung von Kanalbündelung kann AVB dann auch im professionellen Videosegment die Anforderungen erfüllen.
 
Fazit
Mit AVB steht eine neue, hoch interessante Anwendung für Ethernet zur Verfügung, die sich eines enorm schnell steigenden Interesses im Markt erfreut. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und flexibel. Da sie den Betreibern von Audio- und Video-Umgebungen erhebliche Vorteile bietet, wird diese Technik sich mit Sicherheit weiter durchsetzen und durch entsprechende Erweiterungen auch neue Einsatzmöglichkeiten eröffnen.

Erste AVB-fähige Netzwerkgeräte (im Bild der Summit X670 von Extreme Networks) sind bereits auf dem Markt.

AVB vereinfacht die Verkabelung in zahlreichen professionellen Audio- und Video-Einsatzszenarien deutlich. Bild: Extreme Networks

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