MWC 2019: "Das Jahr von 5G"

Mobilfunk nach Maß

3. April 2019, 7:00 Uhr | Von Stefan Mutschler.

Die neue 5G-Mobilfunktechnik, die nun zunehmend in den globalen Netzen der Telekom-Provider Einzug hält, befeuert den Markt in einem noch nie dagewesenen Tempo. Dies bewies der diesjährige MWC in Barcelona höchst eindrucksvoll: Es gab wohl kaum einen Stand, auf dem nicht das "5G"-Logo prangte. Neben Basistechnik, Endgeräten und Anwendungen von 5G-Netzwerken stand ganz besonders die Netzwerkinfrastruktur im Mittelpunkt. Und eine Diskussion, die ein Unternehmen mehr als alle eigenen Marketingaktivitäten ins Feld der Aufmerksamkeit rückte.

"Intelligent Connectivity" drinnen, totales Verkehrschaos draußen. Mit dem Besucheransturm auf den MWC 2019 war auch eine "Smart City", wie sich Barcelona selbst stolz nennt, erneut hoffnungslos überfordert. Die Besucherzahlen lagen mit 109.000 knapp über denen des Vorjahres. Die Zahl der Aussteller blieb mit 2.400 gleich. Publikumslieblinge waren wieder die Smartphones mit "Spezialitäten". Tatsächlich fünf kleine Fotomaschinen flanscht Nokia in die Rückseite seines neuen Nokia 9 PureView und setzt damit die Rekordmarke. Zu den Sensationen zählten auch erste 5G-Smartphones, wobei eine zündende Idee für diese derzeit noch fehlt, wenn man die wenigen, extrem anspruchsvollen und interaktiven Spiele als Anwendungsbeispiel ausnimmt. Zu Preisen und Verfügbarkeiten gab es ebenfalls noch keine Infos.

Spektakulär waren auch die ersten Falt-Smartphones von Huawei und Samsung. Dabei muss der neue Kunststoff für den Bildschirm erst noch beweisen, dass er auch nach Monaten intensiver Nutzung noch so sauber glänzt, wie man das vom Gorilla-Glas, das Corning mittlerweile in Version 5 für das Gros der Smartphones ausliefert, gewohnt ist.

Das alles überstrahlende Thema der Messe war allerdings 5G in all seinen Facetten. Wie der Besucher schnell merkte, nutzte auch so mancher Telekommunikations­ausrüster interaktive Echtzeitspiele, um die Leistungsfähigkeit seiner Infrastruktur zu zeigen: Die Anforderungen an Übertragungsgeschwindigkeit und Latenz sind dabei in der Regel deutlich höher als bei "seriösen" Anwendungen wie Fernoperationen oder der Remote-Steuerung schwerer Maschinen. Beim am Ericsson-Stand vorgestellten Cloud-Gaming streamten die Nutzer ein Videospiel, das in einem Edge-Rechenzentrum gerendert wurde. Diese Möglichkeit bietet die von Ericsson zum MWC neu vorgestellte 5G-Hardware. Latenzzeiten von weniger als 20 Millisekunden Ende-zu-Ende sorgten dabei für ein ruckelfreies Spielerlebnis.

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"Prisma, Prisma an der Wand. Wer ist der Vertrauenswürdigste im ganzen Land?", konterte Guo Ping, Rotating CEO von Huawei die Diskreditierungsversuche, die derzeit federführend von den USA gegen den weltgrößten Telekomausrüster angestrengt werden. Bild: Huawei

Erst vergangenen September hatte Ericsson seine Zusammenarbeit mit dem Netzwerker Juniper vertieft - angeblich mit durchschlagendem Erfolg: Mehr als 20 neue Kunden habe man seither gemeinsam gewinnen können. Auf dem MWC gaben die beiden Partner nun einen weiteren Ausbau der Partnerschaft bekannt. Diesmal gehe es darum, Verbesserungen ihrer gemeinsamen 5G-Transport-Netzwerk- und Security-Lösungen zu erzielen. Service-Provider setzten die kombinierten Portfolios von Ericsson und Juniper ein, um die benötigte Transportinfrastruktur zur Verfügung zu stellen, außerdem um Betrieb und Service für 5G-fähige Netzwerke zu stemmen. Oberste Prämisse seien dabei eine reduzierte Komplexität und eine einfache Handhabung. So arbeite der Juniper SDN Controller NorthStar jetzt Hand in Hand mit der Ericsson-Dynamic-Orchestration-Suite und biete so eine nahtlose Kontrolle vom Mobilfunkstandort bis zum Kernnetzwerk - einschließlich des Rechenzentrums-Gateways. Laut Ericsson ergibt sich daraus eine deutliche Verbesserung der eigenen Network-Slicing-Lösung.

Auf der Messe gab Ericsson auch den Kauf des Antennen- und Filtergeschäfts vom deutschen Hersteller Kathrein bekannt. Mit 5G erfährt auch das Antennengeschäft derzeit einen gravierenden Wandel: Mehrere Frequenzen und verschiedene Techniken wollen zeitgleich bedient sein, während gleichzeitig Sender und Antennen konsolidiert und sogar integriert arbeiten, um die Nutzung des Raumes am Mobilfunkstandort und die gesamte Netzleistung zu optimieren.

VMware: 5G aus der Cloud

Mit 5G steht im Mobilfunk ein Technikwechsel vor der Tür, für dessen Realisierung IT-Konzepte wie SDN (Software-Defined Networking), SD-WAN und Cloud geradezu prädestiniert scheinen. Auf dem MWC präsentierte VMware dazu ein Bündel neuer Produkte und -versionen sowie Partnerschaften. Wichtigster Partner bei den Ausrüstern ist und bleibt Ericsson, gerade auch für die Bereitstellung von 5G. Anwendungen von Ericsson und die vCloud-NFV-Plattform (Network Function Virtualization) von VMware sollen dazu perfekt harmonieren. In Barcelona verkündete VMware den Aus- und Aufbau von Beziehungen mit drei großen TK-Providern: AT&T, Vodafone und T-Systems. AT&T hat vor Kurzem das erste mobile 5G-Netzwerk in den USA vorgestellt. Vodafone will sein Produktportfolio um die Cloud-Infrastruktur von VMware erweitern. T-Systems will für Kunden nun virtuelle Rechenzentren in der Amazon-Cloud bauen.

5G stellt für traditionelle TK-Dienstleiter eine immense Herausforderung dar. Es gehe nicht einfach um die nächste Generation im Mobilfunk, sondern um eine tiefgreifende Neugestaltung der Netzwerkinfrastrukturen auf Softwarebasis. Nach Auffassung von VMware müssen sich TK-Anbieter dafür zu virtualisierten TK-Cloud-Anbietern wandeln. VMware sieht sich als Lieferant der Grundlage für die 5G-fähige TK-Cloud.

In Barcelona hat VMware den Ausbau dieser Grundlage angekündigt. Dazu gehört an erster Stelle eine neue Version von NSX-T Data Center, eine Kernkomponente von vCloud NFV. Mit HCX bringt VMware außerdem eine Komponente, die Carrier beim Aufbau von Multi-Cloud-Architekturen unterstützen und dabei herkömmliche Infrastrukturen, 5G-Umgebungen und kommerzielle OpenStack-Work­loads unter einen Hut bringen soll.

Intel zielt auf 5G-Funkstationen

Auch auf Chipebene war auf dem MWC 5G das dominierende Thema. Platzhirsch Qualcomm bekommt langsam mächtige Konkurrenz zu spüren - vor allem aus China, zunehmend jedoch auch vom amerikanischen Konkurrenten Intel. Der Primus bei den PC-Chips hat Anfang 2019 eine großangelegte Offensive zur Eroberung des 5G-Markts gestartet. Dabei geht es zumindest derzeit nicht um die Endgeräte wie Smartphones, sondern um die technische Infrastruktur im Netz. Auf der diesjährigen CES in Las Vegas hatte der US-Konzern eine neue Chipfamilie mit dem Codenamen Snow Ridge vorgestellt, die auf Mobilfunkstationen zum Einsatz kommen soll. Bis zum Jahr 2022 will Intel 40 Prozent dieses Markts erobert haben. Einen ersten großen Erfolg konnte Intel auf dem MWC verkünden: So will Ericsson künftig Snow Ridge in seinen 5G-Basisstationen einsetzen.

Auch am Edge will Intel künftig stärker präsent sein. Auf dem MWC präsentierte das Unternehmen mit Open Network Edge Services Software (OpenNESS) ein Open-Source-Toolkit, das offene Zusammenarbeit und Anwendungsinnovation am Netzwerk- und Unternehmensrand fördern soll.

Krieg der Lauscher

Ein besonders delikates Thema war auf dem MWC Huawei. Die meisten TK-Provider bescheinigen den Chinesen ein 5G-Portfolio, das global mit zum umfangreichsten und ausgereiftesten gehört. Unter anderem hat Huawei kürzlich den Core-Chip Tiangang vorgestellt, der wie Intels Snow Ridge speziell für 5G-Basisstationen entwickelt wurde. Der Chip unterstütze eine großflächige Integration von aktiven Leistungsverstärkern (PAs) und passiven Antennen-Arrays in sehr kleine Antennen. Darüber hinaus verfüge der Chip über eine extrem hohe Rechenleistung, die im Vergleich zu früheren Chips um das 2,5-fache gestiegen ist. Mit neuesten Algorithmen und Beamforming könne ein einzelner Chip bis zu 64 Kanäle ansteuern.

Bei allen positiven Signalen - Huawei leidet derzeit stark unter den schwerwiegenden Diskreditierungsversuchen, die federführend von den USA gegen den weltgrößten Carrier-Ausrüster angestrengt werden. Der Vorwurf, den verschiedene Regierungsorganisationen gegen Huawei und dessen kleineren chinesischen Rivalen ZTE vorbringen, zielt darauf, dass ihre Produkte "Hintertüren" enthalten könnten, mit denen die chinesischen Behörden andere Länder ausspionieren können sollen. Guo Ping, Rotating CEO von Huawei, fand auf dem MWC dazu sehr klare Worte: "Prisma, Prisma an der Wand. Wer ist der Vertrauenswürdigste im ganzen Land? Das ist eine wichtige Frage, die man stellen muss. Und wer das nicht versteht, der frage Edward Snowden. Wir dürfen keine Prismen, Kristallkugeln oder Politik benutzen, um Cybersicherheit zu organisieren. Das ist eine Herausforderung, die wir alle teilen." Mit diesem Statement (aus dem Englischen durch die Redaktion frei übersetzt) spielte Guo Ping überraschend offensiv auf das Lauschprogramm "Prism" des amerikanischen Geheimdienstes NSA an.

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Deutsche Unternehmen waren auf dem diesjährigen MWC vergleichsweise schwach vertreten. Ein Hingucker war sicherlich der Bolide von BMW, der "natürliche Interaktion" zwischen Mensch und Technik repräsentieren sollte. Bild: Stefan Mutschler

Globale Sicherheitsstandards für 5G gefordert

Auf seiner vielbeachteten Rede auf dem MWC forderte Guo Ping eine internationale Zusammenarbeit bei Industriestandards und appellierte an Regierungen auf der ganzen Welt, Cybersicherheitsexperten zuzuhören. Und er versicherte: "Huawei hat und wird nie Hintertüren einsetzen. Und wir werden es nie jemand anderem erlauben, dies in unserer Ausrüstung zu tun." Die Ironie sei, dass der US Cloud Act es amerikanischen Regierungsstellen ermögliche, grenzüberschreitend auf Daten zuzugreifen.

Unterstützung bekam Huawei auch von seinen Kunden, den TK-Providern: Vodafone-CEO Nick Read warnte sogar, dass ein Bann von Huawei aus europäischen Netzwerken nicht zuletzt den gerade aufkeimenden 5G-Markt um mindestens zwei Jahre zurückwerfen würde. Vodafone nutzt Huawei-Technik in größerem Umfang und will beispielsweise auch bei der 5G-Schlüsseltechnik Network Slicing eng mit den Chinesen zusammenarbeiten.

Mobilfunk im "Maßanzug"

In einem kürzlich veröffentlichten Papier macht Vodafone anschaulich klar, was es mit diesem Network Slicing auf sich hat. Dazu versinnbildlicht das Unternehmen 5G anhand einer Schneiderei. Bis 4G (LTE) liefere diese ganz gute Anzüge von der Stange. Mit 5G aber komme der absolut passgenaue Maßanzug. Dies sei, neben zigfach mehr Bandbreite, extrem geringen Latenzzeiten und der Fähigkeit, auch Massen von Endgeräten auf geballtem Raum zu bedienen, die wirkliche Revolution mit 5G. Und verantwortlich für dieses anwendungsgesteuerte Networking sei eben das Network Slicing. "5G ist intelligent und weiß dank Network Slicing immer genau, welche Netzeigenschaften unterschiedliche Anwendungen benötigen. Basierend auf diesem Wissen stellt 5G einer Anwendung immer das optimale Netz zur Verfügung", so das erwähnte Papier. 5G schneidere perfekt passende "Netzscheiben" nach Maß und stelle den Nutzern diese individuell zur Verfügung.

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Claudia Nemat, Vorstandsmitglied bei der Deutschen Telekom im Bereich Technologie und Innovation, erzählte die Geschichte und Vision ihres Unternehmens im Zusammenhang mit der Cloud. Mit Hilfe von VMware will das Unternehmen für Kunden jetzt virtuelle Rechenzentren in der Amazon-Cloud bauen. Bild: Stefan Mutschler

Nokia nutzte auf dem MWC zumindest indirekt die Vorbehalte, die von einigen Ländern gegen seinen chinesischen Konkurrenten gestreut werden, für die eigene Positionierung. "Nokia kommt auf dem MWC als weltweit führender Anbieter von 5G mit dem einzigen End-to-End-Portfolio der Branche an, das in allen Märkten der Welt erhältlich ist", so Nokia-CEO Rajeev Suri. "2019 wird ein großes Jahr für 5G, und Nokia ist bereit und in der Lage, für Kunden überall zu liefern", so Suri weiter.

Im Vorfeld des MWC hatte Nokia mehrere Produktankündigungen vom Stapel gelassen, die sein 5G-End-to-End-Portfolio weiter verbessern und stärken sollen, darunter das FastMile Fixed/Wireless Access 5G Gateway, Ergänzungen im AirScale­Small-Cell-Portfolio und Verbesserungen des Anyhaul-Transportportfolios. Außerdem haben die Finnen jetzt ein Netzwerk von Hubs für kognitive Zusammenarbeit eröffnet.

Stefan Mutschler.

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