Praxistest: Igels Linux-TCs mit RemoteFX

Pinguin will schnell zum Fenster

21. Juli 2011, 6:00 Uhr | Eric Tierling/wg

Microsofts RemoteFX-Technik für optimierte Remote-Desktop-Verbindungen zu zentral gehosteten Applikationen und Windows-PCs setzt eine Client-Software voraus, die standardmäßig nur in Windows 7 Service-Pack 1 und Windows for Thin PC enthalten ist. Als erster Dritthersteller hat Igel es geschafft, seinen Linux-basierten Thin Clients RemoteFX beizubringen.Die erste ausgelieferte RDP-Version (Remote Desktop Protocol) 4.0 erblickte im Jahre 1998 das Licht der Welt, als Microsoft sie mit "Windows NT Server 4.0, Terminal Server Edition" auf den Markt brachte. Diese Multi-User-Fassung des NT-4.0-Betriebssystems war in der Lage, separate Sitzungen für Remote-Benutzer zu unterhalten, die von herkömmlichen Computern oder Thin Clients (TCs) aus Verbindungen via RDP aufbauten, um darüber Bildschirmausgaben sowie Tastatur- und Mauseingaben auszutauschen.

Im Laufe der Jahre hat Microsoft die RDP-Mechanismen weiterentwickelt, mit neuen Funktionen versehen und die zugehörige Terminal-Server-Technik in "Remote Desktop Services" umbenannt. Mit dem Service-Pack 1 (SP1) für Windows Server 2008 R2 ist RDP nunmehr bei Version 7.1 angelangt. Die entscheidende Neuerung gegenüber der im ursprünglichen Windows Server 2008 R2 enthaltenen RDP-Version 7.0 ist die Unterstützung der RemoteFX-Technik.

Protokollerweiterung

Als RemoteFX bezeichnet Microsoft Protokollerweiterungen für RDP, zu denen vor allem optimierte Codierverfahren gehören. Diese können ihre Vorteile bei Anwendungen ausspielen, bei denen es um umfangreiche grafische Darstellungen und multimediale Inhalte geht. Beispiele dafür sind Flash, Silverlight sowie, je nach Konfiguration, die Windows-Aero-Benutzeroberfläche von Windows 7 mit ihren transparenten Fensterrahmen. Momentan ist RemoteFX übrigens nur für LAN-Umgebungen freigegeben, die Latenzen von maximal 20 Millisekunden aufweisen. Für den WAN-Betrieb eignet sich die Microsoft-Technik derzeit nicht.

Diese RemoteFX-Umsetzung für Windows Server 2008 R2 SP1 kennt drei verschiedene "Spielarten". Grundlegend ist es möglich, RemoteFX auf einem Remote-Desktop-Sitzungs-Host (früher als Terminal-Server bezeichnet) zu verwenden. In diesem Falle werden die Bildschirminhalte von Remote-Desktop-Sitzungen auf dem Server codiert und nach der Übertragung auf RemoteFX-fähigen Remote-Desktop-Clients wieder decodiert. Microsoft zufolge soll dies weniger Bandbreite als bei herkömmlichen Remote-Desktop-Verbindungen beanspruchen, was die Anzahl maximal möglicher Clients im Netzwerk erhöht.

In der Regel denken Administratoren beim Stichwort RemoteFX jedoch nicht an Terminal-Server und Remote-Desktop-Sitzungen, sondern an VDI (Virtual Desktop Infrastructure) auf der Grundlage von Hyper-V. Diese Konfiguration stellt die zweite Spielart der RemoteFX-Technik von Windows Server 2008 R2 SP1 dar. Bei dieser Konstellation können selbst minimalistisch ausgestattete TCs ihren Remote-Benutzern die Aero-Oberfläche mit Transparenzeffekten präsentieren.

SLAT-Support und Grafikkarten im Server

Allerdings liegt die Messlatte bei diesem RemoteFX-Betriebsmodus vergleichsweise hoch, da gleich mehrere Hard- und Softwarevoraussetzungen zu erfüllen sind. Grundlegend haben die im Server verbauten Prozessoren die Technik SLAT (Second-Level Address Translation) zu beherrschen, was erst bei neueren CPUs von Intel und AMD der Fall ist. Zudem muss der Server-Rechner mit Grafikkarten ausgestattet werden - und zwar nicht etwa mit stromsparenden, lüfterlosen Modellen für Wohnzimmer-PCs, sondern mit leistungsfähigen, aktiv gekühlten Workstation-Modellen, die viel Grafikspeicher mitbringen. Geeignet sind zum Beispiel moderne Grafikkarten der ATI-FirePro- oder Nvidia-Quadro-Baureihen. Im Hinblick auf Platzbedarf und Wärmeabfuhr dürfte dies viele Rechenzentren mit ganz neuen Herausforderungen konfrontieren, doch das ist ein Thema für einen anderen Artikel.

Für die auf dem Hyper-V-Server einzurichtenden virtuellen Desktops kommen ausschließlich die Enterprise- oder Ultimate-Editionen von Windows 7 mit installiertem SP1 in Betracht. Last, but not least muss ein Remote-Desktop-Client, der Remote-Desktop-Verbindungen zu diesen virtuellen Desktops herstellt, RemoteFX und damit RDP 7.1 ausdrücklich kennen. Standardmäßig trifft dies nur auf die Fernzugriffssoftware zu, die zur Serienausstattung von Windows 7 SP 1 und Windows for Thin PC gehört. Dedizierte Ultra Thin Clients (UTCs) mit speziellem RemoteFX-Decoder-Chip wie der TLX400-MD des australischen Herstellers Thinlinx sind zwar angekündigt, werden aber voraussichtlich nicht vor Sommer 2011 auf den Markt kommen.

Bei der VDI-Konfiguration kennt die RemoteFX-Umsetzung von Windows Server 2008 R2 SP1 des Weiteren die USB-Redirection. Diese Funktion gestattet es, die an Clients angeschlossenen USB-Geräte zu den virtuellen Desktops umzulenken und dort wie lokale Devices zu verwenden. Prinzipbedingt steht die USB-Redirection allerdings nur auf Windows-basierten Clients zur Verfügung. Eine RemoteFX-Implementierung für Nicht-Windows-Client-Betriebssysteme unterstützt die USB-Redirection daher nicht.

RemoteFX mit Linux-TCs zum Einsatz bringen

Beim Thema "RemoteFX für Thin Clients" schlägt die Stunde des Bremer Herstellers Igel. Aufgrund einer Lizenzvereinbarung mit Microsoft erhielt der deutsche Thin-Client-Spezialist eigenen Angaben zufolge umfangreiche Einblicke in die technischen Details der RDP-Version 7.1. Daraufhin konnten die Igel-Programmierer für die hauseigenen - und mit Linux arbeitenden - TCs eine RDP-Implementierung kreieren, die RemoteFX und RDP 7.1 versteht. Die entsprechenden Anpassungen für die Gerätebaureihen UD3, UD5 und UD9 stellt Igel seinen Kunden seit Mitte April kostenlos bereit.

Damit gebührt Igel die Ehre, als erster Hersteller eine RemoteFX-Unterstützung für Linux-basierte TCs im Programm zu haben. Andere bekannte Vertreter der Szene wie Wyse konnten bis Redaktionsschluss lediglich mit Ankündigungen dienen, aber noch keine fertigen, finalen Produkte liefern. Wir wollten nun wissen, wie sich die speziell für das Look and Feel im Stil von Windows 7 geschaffene RemoteFX auf einem Nicht-Microsoft-Client schlägt, auf dem Linux läuft. Daher baten wir das Modell M310C aus der Igel-UD3-Baureihe ins Testlabor, das mit stromsparendem VIA-Nano-E-Prozessor und integriertem Chrome9-Grafikprozessor versehen ist.

Zentrale Konfiguration

Neuere Linux-Geräte von Igel unterstützen RDP 7.1 bereits ab Werk. Bei unserem Testgerät war dies noch nicht der Fall. Die manuelle Nachrüstung der RemoteFX-Unterstützung für vorhandene Thin Clients war jedoch rasch erledigt: Igel packt alles in ein Update seiner "Universal Desktop LX"-Firmware, die ab der Version 4.06.110 mit RDP 7.1 zurechtkommt. Über die kostenlose Universal Management Suite zur zentralen TC-Konfiguration und -Verwaltung ließ sich die aktualisierte Firmware auf unserem Linux-Testgeräten binnen weniger Minuten aufspielen.

Anschließend ist der Thin Client für die RemoteFX-Verwendung zu konfigurieren, was abermals zentral über die Igel-Verwaltungssoftware erfolgen kann. Im Rahmen dessen ist eine RDP-Sitzungsdefinition zu erstellen, die den Namen des Hyper-V-Servers (respektive eines virtuellen Desktops zum direkten Funktionstest) enthält und bei der RemoteFX in den Performance-Optionen eingeschaltet wird. Wahlweise kann dies global für alle relevanten Geräte oder selektiv pro Thin Client erfolgen.

Praxiseindrücke

In unserem Test war die RemoteFX-Aktivierung in den Performance-Optionen der Verwaltungssoftware noch nicht enthalten. Der telefonisch kontaktierte, kompetente Support-Mitarbeiter erklärte auf Nachfrage, dass neue Client-Features mitunter erst in der nächsten Version der Universal Management Suite abgebildet sind. Die RemoteFX-fähige Fassung der Verwaltungssoftware, die die zentrale Aktivierung über die Performance-Optionen ermöglicht, soll ab dem 1. Juni (also nach Redaktionsschluss dieser LANline-Ausgabe) zur Verfügung stehen. Alternativ kann die RemoteFX-Aktivierung auf dem Umweg über die Registry der Verwaltungssoftware erfolgen, was im Test auf Anhieb funktionierte.

Außerdem ist für RemoteFX die Backing-Store-Option in den Fenstereinstellungen der RDP-Sitzungskonfiguration zu deaktivieren. Diese Vorgabe kann ebenfalls global oder pro Thin Client erfolgen. Bei der Konfiguration der virtuellen Desktops auf dem Hyper-V-Host ist außerdem darauf zu achten, dass dort die Authentifizierung auf Netzwerkebene beim Remote Desktop ausgeschaltet ist, da der Linux-Client andernfalls keine Remote-Desktop-Verbindung herstellen kann (dieser Umstand hat nichts mit RemoteFX zu tun). Nachdem schließlich alles passend eingestellt war, reichte im Test das Anklicken des Sitzungs-Icons auf dem Igel-Linux-Desktop, um eine RemoteFX-Verbindung zu einem auf Hyper-V gehosteten virtuellen Desktop herzustellen. Dass dabei RemoteFX am Werk war, ließ sich leicht durch die Anpassung des Desktop-Designs verifizieren.

Gutes Preis/Leistungsverhältnis

Sobald die RemoteFX-Verbindung des Linux-basierten TCs hergestellt war, ergab sich bei der Arbeit kein Unterschied zu Windows-basierten Remote-Desktop-Clients. Alle Vorgänge liefen performant ab, Eingaben wurden sofort quittiert. In unserem Test konnten wir keinen nennenswerten Unterschied im Vergleich zur lokalen Arbeit mit einem vollwertigen Windows-7-Client bemerken. Einen positiven Eindruck hinterließ zudem der geringe Energiebedarf des Probanden, wie das mitlaufende Stromverbrauchsmessgerät offenbarte. Oft begnügte sich das Igel-UD3-Testgerät mit weniger als 10 Watt - deutlich weniger als das, was Arbeitsplatz-PCs (selbst solche mit modernen Desktop-Prozessoren) aus der Steckdose ziehen.

RemoteFX mit Linux auf Seiten der Thin Clients kann sehr gut funktionieren, das hat der Test gezeigt. Preislich ist die Lösung ebenfalls attraktiv. Zusätzlich zum geringen Stromverbrauch trägt dazu der günstige Anschaffungspreis des Igel UD3 Thin Clients bei (die Listenpreise beginnen bei 420 Euro), zudem die zentrale Verwaltungssoftware, die keinen Aufpreis kostet. Insgesamt stellt dieses Paket somit eine überaus probate Alternative zu Thin-Client-Angeboten dar, die Microsofts Windows for Thin PC als Betriebssystem verwenden.

Für Unternehmen, die Alt-PCs noch nicht ausmustern möchten, hat Igel übrigens ebenfalls Interessantes in petto: Die so genannte "Universal Desktop Converter"-Software gestattet es, das Igel-Linux auf diesen Computern zu installieren und diese dadurch in TCs zu verwandeln - und zwar gleich inklusive der RemoteFX-Unterstützung.

Der Autor auf LANline.de: der_reisende

Info: Igel
Tel.: 0421/520940
Web: www.igel.de

Ungewohnter Anblick: eine aktive RemoteFX-Verbindung im Fenster auf dem Desktop eines Linux-basierten Thin Clients.

Die RemoteFX-Unterstützung ist standardmäßig deaktiviert und daher explizit einzuschalten.

Der Administrator muss zunächst die RDP-Sitzung für RemoteFX definieren.

Der mit Linux betriebene UD3-TC von Igel unterstützt Microsofts RemoteFX-Technik. Bild: Igel
LANline.

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