120 Meter im Channel EA für 10GbE über Kupfer

Verteilte Gebäudedienste

11. September 2015, 6:00 Uhr | Zoran Borcic, Product Manager Datacom bei der Prysmian Group, www.draka.de./jos

Die Weiterentwicklung der Netzwerktechnik erfolgt heute auch als horizontale Verkabelung in Bereiche, die bislang nicht als klassische Verwender von Netzwerkprodukten galten. Dort sind bisweilen auch Reichweiten gefragt, die signifikant über die üblichen 100 Meter hinausgehen.

Ausgehend von der Bürovernetzung, die sowohl Unternehmensnetze als auch Praxen und Kanzleien sowie auch Rechenzentren bis hin zur Infrastruktur für IT-Dienstleistern umfasst, expandiert die Netzwerktechnik derzeit auch in Bereiche der industriellen Netze, wo Überwachung, Steuerung und Datensammlung sowie die Visualisierung im Vordergrund stehen, etwa bei Scada-Anwendungen. Als weitere Entwicklungsrichtung sehen Experten die multimediale Vernetzung. Sie findet sich überall dort, wo mehr als nur Büro- oder Prozessdaten zu transportieren sind, also zum Beispiel in Hotels, Krankenhäusern (Patientenbereich), auf Messegeländen und in Flughäfen (Passagierzonen).
Planer und Betreiber stehen außerdem nahezu täglich vor der Herausforderung, Technikfläche zu reduzieren, mehr Netto-Bürofläche zu schaffen, den Betriebsaufwand und die Energiekosten zu minimieren. Außerdem gilt es, die Integration von WLAN-Infrastrukturen in langgezogenen Liegenschaften und Fabrikhallen zu bewältigen sowie PoE+ dort als Speisesystem einzubringen. Für die Verkabelungsinfrastruktur gelten dabei ganz neue Anforderungen.
 
Mehr als 100 Meter
Typisch für die Büro- und Rechenzentrumsvernetzung sind Längenanforderungen bis maximal 100 Meter für die Kupferverkabelung. Die Anforderungen nach Kabellösungen für Überlänge jenseits der typischen 100 Meter in Kupfer steigen jedoch zusehends. Im Gegensatz zur klassischen Büroumgebung sind in der Industrie, in öffentlichen Gebäuden und der modernen Schifffahrt oft größere Distanzen erforderlich.
 
Applikationen der Gebäude-Automation
Eine großräumige WLAN-Infrastruktur soll bei ausgedehnten Liegenschaften wie Flughäfen, Bahnhöfen, Shopping Malls unter anderem die Verbindung mit WLAN-Sensoren zum Gebäude-Management sicherstellen. IP-Sensoren auf Schiffen dienen zur Steuerung diverser Systemfunktionen in "schwimmenden Gebäuden". Dies umfasst sowohl die Betriebs- als auch die Passagierbereiche. In Fabrikhallen und auf Produktionsgeländen geht es um Überwachung, WLAN-Versorgung und System-Management. Ein WLAN Access Point dient bekanntlich als Verbindung zu einem Kabel-LAN, er erlaubt den Netzzugang für WLAN Clients in Reichweite. Wichtig: Dabei handelt es sich heute um Hochgeschwindigkeitsanwendungen von mehr als 1 GBit/s. Der Standard IEEE 802.11ac ermöglicht eine Netto-Datenrate bis 6,9 GBit/s. Die Verwendung eines Kupferdatenkabels ermöglicht eine kostengünstige Spannungsversorgung des Access Points über Power over Ethernet (PoE).
Das Thema Sicherheit gilt in diesem Zusammenhang als zentraler Punkt. Es lohnt sich also, drei Beispiele aus diesem Umfeld exemplarisch zu betrachten. Ein fast allgegenwärtiges Gerät ist heute die IP-Kamera, die primär zur Objektüberwachung dient. Dabei erfolgen die Bildübertragung mittels Videosignal-Übertragung und die Kamerasteuerung über IP. Eine IP-Kamera erfordert oft die Platzierung an weit vom Gebäude entfernten Orten. Zweites Beispiel: Ein IP-Rauchmelder lässt sich in ein übergreifendes Alarmkonzept einbinden, etwa mit externen Meldungen an die Feuerwehr, Alarmierung über SMS etc. Die Fernspeisung über ein Datenkabel erlaubt dann einen kostengünstigen Betrieb mit einer Anbindung an eine zentrale Notstromversorgung. Die dritte Beispielapplikation ist eine IP-Zugangskontrolle. Sie dient sowohl als Sprechanlage als auch - optional mit Kamerafunktion ausgestattet - als elektronische Passkontrolle zur Identifikation von zugangsberechtigten Personen.
Die drei Beispiel weisen mehrere Gemeinsamkeiten auf: Verteilte Dienste überdecken zum Teil große Areale. Funktionen des Gebäude-Managements sind nicht trivial in das klassische LAN integrierbar, da am Ort der Nutzung oft kein flächendeckendes Netzwerk vorhanden ist. Die geforderten Datenraten sind nicht zudem immer auf einem hohen Niveau, auch wenn es mit WLAN-APs eine echte 1-GBit/s-Anwendung (oder sogar 10 GBit/s) vorhanden ist. Viele Funktionen der Gebäudetechnik kommen aber auch mit Datenraten von 10 MBit/s bis 100 MBit/s gut zurecht. Der Einsatz aktiver Systeme an abgelegenen Orten legt die Nutzung von PoE-Speisung nahe, was bei sicherheitsrelevanten Systemen auch kosteneffiziente Notlaufeigenschaften ermöglicht.
 
Anbindung an LANs nach EN 50173-6
Diesen Trends hat auch die internationale Standardisierung Rechnung getragen und seitens CENELEC eine Neuausgabe der EN 50173 für die "Informationstechnik - Anwendungsneutrale Kommunikationskabelanlagen" veröffentlicht, die sich nun in sechs Bereiche gliedert. Neu ist die EN 50173-6: "Verteilte Gebäudedienste". Innerhalb der Norm ist ein Diensteverteilnetz (SDCS) zum Diensteanschluss (SO) definiert. Daran schließt sich das dienstspezifische Verkabelungssystem an, das ein Planer hinsichtlich Topologie und Gestaltung nahezu beliebig auslegen kann.
Wie lassen sich nun entfernte Netzwerkgeräte am sinnvollstem anbinden? Die Verwendung von Medienwandler auf LWL ist eine standardkonforme Lösung. Eine Fernspeisung mit einem Kabel ist jedoch nicht machbar. Zudem ist eine solche Lösung mit relativ hohen Kosten verbunden. Alternativ besteht die Möglichkeit, XR-Transceiver zu verwenden. Dieser Weg ist für LWL-Systeme durchaus empfehlenswert. Für Base-T-Anwendungen scheidet diese Option aus. Auch diese Lösung ermöglicht kein PoE und zieht hohe Kosten nach sich. Eine weitere Möglichkeit, nämlich die Verwendung von Kupferkabeln mit Überlängen-Performance, auch als Long-Reach-Kabel bezeichnet, gilt bei Verfechtern dieses Ansatzes als die effizienteste Lösung. Die Spannungsversorgung über PoE ist gegeben, und das Gesamtpaket ist mit Abstand am günstigsten. Das Gesamteinsparpotenzial liegt bei 20 Prozent. Zu den Argumenten zählen die Verringerung der Technikflächen, die Konzentration von Switches, Klimageräten und USVs. Ein wesentlicher Nutzen liegt in der zusätzlich gewonnenen Netto-Service-Fläche.
Zu klären bleibt die Frage, ob es sich dabei um eine standardkonforme Lösung handelt. Als Argument kann die Erstausgabe der ISO/IEC 11801 aus dem Jahr 1995 dienen. Bereits damals war eine größere Planungsreichweite für Dienste der Klassen A, B oder C zugelassen. Sowohl bei ISO/IEC 11801 als auch bei Cenelec 50173 gibt es keine Längenrestriktionen.
Die Länge ist dort ein sogenannter informativer Messwert und kein Pass-/Fail-Kriterium. Messgeräte zeigen stets "?", "Pass" oder "i" ("nur informativer Wert") beim Längenergebnis. Das Ergebnis ist meist nur relevant für das Aufmaß und die Abrechnung. Die bekannten 90 Meter für den Permanent Link und 100 Meter für den Channel Link sind demnach mehr mathematische Hilfsgrößen, bei denen eine Datenstrecke bestehend aus Komponenten entsprechender Kategorie per Definition die Limits bei korrektem Aufbau einhalten muss.
Es gilt jedoch, einige technische Details zu beachten. Die Bestimmung der Länge jedes einzelnen Aderpaares geschieht meist über Reflexion mit Laufzeitbestimmung. Unterschiedliche Schlaglängen im Kabel führen zu unterschiedlichen Paarlängen, und das kürzeste Adernpaar gilt als Kabellänge.
 
Produktanforderungen an Long-Reach-Kabel
Die Anforderungen an das Kabeldesign sind vielfältiger Natur. Im Schiffsbau sind eine hohe Flammwidrigkeit mit geringer Brandfortleitung gemäß IEC 60332-3-24 sowie ein halogenfreier Aufbau nach IEC 60754 mit geringer Rauchentwicklung gemäß IEC 61034 gefragt. Im industriellen Umfeld sind die Übertragungsstrecken besonders hohen elektromagnetischen Störfeldern sowie einer höheren mechanischen Belastbarkeit ausgesetzt. Daher fordern Betreiber ein Profil nach der MICE-Tabelle E3.
Bei Hochgeschwindigkeitsnetzen mit bis zu 10 GBit/s gehört die Einfügedämpfung bei Überlängen von mehr als 90 Metern im Link und 100 Meter im Kanal zu den begrenzenden Kriterien. Die Einfügedämpfung ist das Maß der Signalabschwächung auf der Strecke. Die Einhaltung der Grenzwerte stellt sicher, dass die empfangende Station die Nachricht ohne wesentliche Beeinträchtigung erkennen kann. Die Dämpfung ist abhängig von der Länge der Leitung und der übertragenen Frequenz. Der spezifische Dämpfungswert des Kabels ist abhängig vom Aufbau und dem Leiterquerschnitt (großer Querschnitt, kleinere Dämpfung). Mit einem Standard-Kategorie-7-Kabel und einem Aufbau als AWG23-Leiter lassen sich keine größeren Reichweiten erzielen. Die PoE-Reichweite ist durch den Gleichstrom-Schleifenwiderstand (DC-LR) begrenzt. Eine Verwendung von größeren Leiterdurchmessern verbessert die PoE-Reichweite quadratisch.
Der Markt bietet Produktlösungen wie etwa das UC LR22 10Gbit S/FTP, die sämtliche Anforderungen mit einem AWG22-Leiter, einem Aderdurchmesser von 1,6 mm sowie E3 nach MICE mit einer hohen Kopplungsdämpfung von mehr als 85 dB erfüllen. Sie sind durch eine hohe Geflechtsbedeckung mechanisch robust, kompatibel zu standardkonformer Anschlusstechnik, flammwidrig nach IEC 60332-3-24, halogenfrei und damit geeignet für Hochgeschwindigkeitsnetze bis 10 GBit/s. Größere Planungsreichweiten bis zu 180 Metern sind machbar, jedoch abhängig von der benötigten Bandbreite.
Solche Kabel entstanden, um Anwendungsfälle abzudecken, bei denen die klassischen 100 Meter Kanallänge nicht ausreichen und bis etwa 20 Prozent überschritten werden sollen. Long-Reach-Kabel ermöglichen die Überlängen durch einen großen Leiterquerschnitt (AWG 22) und einer speziellen Konstruktion. Bei der Messung von Strecken mit solchen Kabeln sind keine besonderen Einstellungen nach ISO/IEC oder EN vorzunehmen. Da die Einhaltung der Grenzwerte aller gemessenen Parameter sicherstellt, dass die empfangende Station die Nachricht ohne wesentliche Beeinträchtigung erkennen kann, ist die Leitungslänge nicht relevant.
Um die Kabellänge möglichst genau messen zu können, muss der Techniker allerdings den spezifischen NVP-Wert (Verkürzungsfaktor, Ausbreitungsfaktor) des Kabels am Messgerät einstellen. Dazu dienen die Auswahl über Hersteller-Kabeltypenliste im Messgerät oder die Übernahme vom Datenblatt des Kabels vor der Messung und die Ermittlung des Werts über einer Referenzstrecke von etwa 30 Metern.
 
Fazit
Ausgedehnte Liegenschaften wie Flughäfen, Bahnhöfe oder Shopping Malls erfordern separate Verkabelungsinfrastrukturen für das Gebäude-Management. Diese Verkabelung lässt sich sinnvoll als Overlay-Netzwerk neben dem klassischen LAN errichten. Mit in puncto Reichweite optimierten Kupferdatenkabeln sind sich verteilte Gebäudedienste kosteneffizient mit Ethernet und PoE(+) zu versorgen. An seinen Ports verhält sich ein solches Netz uneingeschränkt normkonform. Und nicht ganz unwichtig: Das Einsparpotenzial liegt bei bis zu 20 Prozent.

Um die Kabellänge möglichst genau messen zu können, muss der Techniker den spezifischen NVP-Wert (Verkürzungsfaktor, Ausbreitungsfaktor) des Kabels am Messgerät einstellen.

Reichweite in Abhängigkeit vom Leiterquerschnitt in AWG.

Verteilte Gebäudedienste: Innerhalb der Norm EN 50173-6 ist ein Diensteverteilnetz (SDCS) zum Diensteanschluss (SO) definiert.

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