Gartner prophezeit Umbruch bei IT-Infrastrukturen

Cisco will mehr Präsenz im Rechenzentrum

1. März 2006, 0:15 Uhr | Stefan Mutschler/mw

Die Botschaft ist klar: Die Rechenzentrumswelt steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Im Business der Zukunft zählen Flexibilität und die Fähigkeit zum schnellen, bedarfsgerechten Handeln. Die IT und eben insbesondere auch die Rechenzentren (RZs) müssen sich auf allen Ebenen darauf einstellen. So sehen es jedenfalls die Analysten von Gartner. Gefragt sind demnach Virtualisierungskonzepte, die ein hohes Maß an Automation zulassen. Genau hier sieht Cisco seine Chance, im Königssegment der IT endlich verstärkt Fuß zu fassen. Zahlreiche strategische Akquisitionen haben diesen Schritt über die letzten Jahre vorbereitet.

Laut Gartner stecken Unternehmen derzeit im Durchschnitt rund 70 Prozent ihres IT-Budgets in
Produkte und Maßnahmen, die auf die Erhaltung des gegenwärtigen IT-Status ausgerichtet sind. Nur 30
Prozent dienen Erweiterungen und Verbesserungen. "Das ist eine ungeheure Verschwendung von
Ressourcen, mit der künftig kaum noch ein Unternehmen überleben können wird", so Thomas Bittmann,
der als VP Distinguished Analyst zur Elite der Analysten bei Gartner gehört. Für Unternehmen werde
die rasche Beweglichkeit ein immer wichtigerer Wettbewerbsfaktor, und jeder Cent, der nicht in die
Verbesserung der IT in diesem Sinne gesteckt wird, wäre nicht wirkungsvoll investiert.

Dabei gibt es laut Gartner genug Missstände, die einem wirklich agilen – am besten in Echtzeit
handelnden – Unternehmen von Seiten der IT im Wege stehen. Der Knackpunkt: Obwohl
Computertechnologien sich rasch entwickelt haben, hätte sich die Beziehung zwischen Business und
Computing-Technologien kaum verbessert. Prozesse, die geschäftliche Erfordernisse identifizieren
und entsprechende IT-Aktionen anstoßen, liefen nach wie vor manuell ab – langsam und überfrachtet
von Missverständnissen. Auch zwischen IT-Infrastruktur und Applikationsentwicklung gibt es nach den
Beobachtungen Gartners nur völlig unzureichende Verbindungen. Komplexe Anwendungen erforderten
daher teure Experten, die aus ihrer Erfahrung heraus abschätzen können, wie Anwendungen sich
verhalten und wie sie effektiv zu verwalten und zu optimieren sind. Um zu einer wirklich flexiblen
und beweglichen IT zu gelangen, sollten solche langwierigen, fehleranfälligen und noch dazu teuren
Vorgehensweisen radikal geändert werden.

"In einem Echtzeitunternehmen müssen die Beziehungen zwischen Business, Anwendungen und
Funktionen der Infrastruktur automatisiert sein", bringt es Bittmann auf den Punkt. Die
Infrastruktur muss, so die Überzeugung bei Gartner, über Standardschnittstellen von Seiten der
Anwendungen direkt und automatisch steuerbar sein. Die Funktionen des Netzwerks sollten quasi als
Komponente in die Applikationen wandern. Ein hohes Maß an Virtualisierung im Netz (Verbindungen,
Server, Speicher etc.) ist hier Voraussetzung. Auf der anderen Seite müsse auch die Verbindung
zwischen Business und Applikationen auf direktem Weg realisiert sein – etwa durch eine
Schnittstelle zu einer Instanz, in der die Servicelevel-Anforderungen über ein automatisiertes
Regelwerk verwaltet werden. Auf diese Weise würden Business-Anforderungen sofort und automatisch
die Funktionen der Anwendungen steuern, die wiederum in Echtzeit die Ressourcen der
Netzwerkinfrastruktur auf die aktuellen Anforderungen abstimmen.

Ciscos Rolle im Rechenzentrum

Dieser Wandel in der IT findet in weiten Teilen in den Rechenzentren statt, die zu etwa 40
Prozent am gesamten IT-Etat teilhaben. Um sich hier ein großes Stück vom Kuchen zu ergattern, hat
Cisco im Herbst letzten Jahres Application-Networking-Services zur neuesten "Advanced Technology"
in der Strategie des Unternehmens erklärt. (Cisco kategorisiert Technologien als Advanced
Technology, die in die langfristige Technologievision des Unternehmens passen, das Potenzial für
eine Milliarde Dollar Umsatz für Cisco innerhalb der nächsten fünf bis sieben Jahre haben und Teil
eines Marktes sind, in dem Cisco das Potenzial zum Marktführer oder zur Nummer zwei hat.) Mithilfe
von Application-Networking-Services will Cisco den IT-Abteilungen in Unternehmen helfen, einen
höheren Return on Investment (RoI) zu erzielen. Dabei sollen die Performance geschäftskritischer
Anwendungen verbessert, die Betriebskosten gesenkt und die Flexibilität der IT-Systeme drastisch
erhöht werden. Die Application-Networking-Services-Lösungen sind Teil der Service-Oriented Network
Architecture (SONA) von Cisco für Unternehmen. Mit SONA entwickeln Unternehmen ihre
IT-Infrastrukturen zu einem "Intelligenten Informationsnetzwerk" (IIN) weiter.

Bislang hat Cisco allerdings bestenfalls einen Fuß in der Tür zu den Rechenzentren. "Im Moment
werden wir vorwiegend im Storage-Bereich wahrgenommen", so Bernd Heinrichs, Director Business
Developement & Marketing bei Cisco Deutschland, im Gespräch mit LANline. Als Cisco im August
2002 ankündigte, das auf Fibre-Channel-SAN-Switches spezialisierte Unternehmen Andiamo zu
übernehmen, galt dies in der Fachwelt als Ciscos Einstieg in die Welt der Rechenzentren. Zugleich
mit der Übernahme kündigte Cisco mit MDS 9000 eine Familie von Multilayer Intelligent Storage
Switches an (eine Andiamo-Entwicklung), für Cisco bis heute eines der Schlüsselprodukte im Kampf
ums Datacenter. "Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich Cisco schon in den Jahren vor
der Jahrtausendwende intensiv mit dem Thema SAN-Switching beschäftigt hatte und seine Anstrengungen
1999 in einem in der gesamten Cisco-Firmengeschichte einmaligen Ereignis gipfeln ließ: einem
Spin-out", erklärt Heinrichs. Der sonst eher für Übernahmen zuständige Netzwerkriese entließ damals
tatsächlich etwa gut 160 Mitarbeiter, darunter fast alle SAN-Top-Entwickler, in die Unabhängigkeit.
Allerdings war der Spin-out nur ein temporäres Ereignis, denn aus dem Spin-off formierte sich schon
kurze Zeit später das Unternehmen Andiamo, das nun also seit einigen Jahren wieder unter
Cisco-Flagge agiert.

Cisco bewertet das durch seine Produkte und Services erreichbare Umsatzpotenzial in deutschen
Rechenzentren auf rund 120 Millionen Dollar (ohne Switching und Security). Davon erreicht das
Unternehmen zurzeit etwa 30 Prozent, wovon das Gros (knapp 60 Prozent) durch Storage-Aktivitäten
erzielt wird. Zwei Ankündigungen von Ende letzten Jahres untermauern, dass sich Cisco im
Storage-Sektor auch in Zukunft nicht die Butter vom Brot nehmen lassen will: Mit Acal Storage
Networking ernannte Cisco erstmals einen Distributor für die Cisco MDS 9000 Santap-Lösungen und
zusammen mit seinem strategischen Partner EMC will Cisco seine Intelligent Fabric Applikationen für
die MDS 9000 Storage Service Module (SSM) stärken.

Doch damit gibt sich Cisco keineswegs zufrieden. Mehrere Firmenübernahmen der jüngeren
Vergangenheit ergeben erst im Licht des nun in größeren strategischen Kontext formulierten
Rechenzentrumsengagements richtig Sinn. Ein Beispiel ist die Akquise von Topspin, einem
renommierten Unternehmen im Bereich Infiniband-Switches für Serververbindungen beziehungsweise
Serverkonsolidierung. Mit Topspin hat sich Cisco zugleich auch Virtualisierungssoftware eingekauft.
Die Übernahmen von Actona und Fineground zielten auf den Sektor Anwendungsoptimierung (Wide Area
File Services beziehungsweise Application Velocity System). Um seine Kompetenz in Sachen
Datacenter-Security zu stärken, schluckte Cisco mehrere Unternehmen, darunter Riverhead, Protego,
Okena und Psionic.

Die Transformation hin zum Business der Zukunft unterstützt Cisco planerisch in Form eines
Dreiphasenkonzepts – in dem es um Konsolidierung (integrierter Transport), Virtualisierung
(integrierte Services) und schließlich Automatisierung (integrierte Applikationen) geht. "Mit einer
Kombination von Kompetenzen unter anderem bei VSANs, Virtualisierung, Multiprotokoll-Handling und
Diagnose sehe ich Cisco hier in einer herausragenden Rolle, Unternehmen auf ihrem Weg zu mehr
Agilität in jeder Phase zu begleiten", so Heinrichs.Ein Beispiel für das Zusammenspiel von
Applikationen und Infrastruktur sind spezielle Applikationsrouter. So soll etwa ein jüngst
entwickelter SAP-Cisco-Router in der Lage sein, bis zu 90 Prozent des SAP Datenverkehrs als lokaler
Proxy zu verarbeiten. Weitere Applikationsrouter sollen in Kürze folgen. Unter dem Strich deutet
damit alles darauf hin, dass der Name Cisco in Zukunft auch im Rechenzentrum einen prominenteren
Platz bekommen wird.


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