Feldmessung bei 10GbE über Kupfer

Alien-Jäger

14. September 2006, 23:35 Uhr | Konstantin Hüdepohl und Alfred Huber

Das Thema des Jahres in der LAN-Verkabelung ist eine Applikation, die die Übertragungsgeschwindigkeit in Datennetzen wieder um eine Dekade steigen lässt - 10 Gigabit Ethernet. Was schon seit einiger Zeit auf Glasfaserkabeln im Backbone funktioniert (IEEE 802.3ae), soll nun auch in die Breite gehen, sprich: sich auf die Tertiärebene (die Etage) ausweiten. Da hier jedoch Kupferleitungen überwiegen, die weit weniger Bandbreite besitzen, ist ein neuer Übertragungsstandard erforderlich.

Der Übertragungsstandard IEEE 802.3an soll eine 10-Gigabit-Ethernet-Datenübertragung über
Kupferverkabelungen regeln. Bereits bei 1 Gigabit Ethernet über Kupfer (IEEE 802.3ab) hat sich
gezeigt, wie wichtig es ist, den einzelnen Arbeitsplatz zu erreichen, um den Standard zu
verbreiten.

Neben dem theoretischen Fundament des Übertragungsstandards ist aber auch die Umsetzbarkeit auf
bereits vorhandenen Verkabelungsanlagen essenziell wichtig für die Etablierung eines neuen
Standards. Betrachtet man die derzeit installierten Anlagen, muss das Ziel sein, 10GBaseT auf
bestehenden Anlagen der Klasse E/Kategorie 6, also derzeit bis 250 MHz Bandbreite vermessen, zu
übertragen. Da aber die Anforderungen von 10GBaseT ähnlich wie seinerzeit bei 1000BaseT über die
bisher geforderten Grenzwerte hinausgehen, kommt wieder Bewegung in die Normierungen für
LAN-Verkabelungen. Die aktuellen Vorschläge zur Definition der neuen Standards ISO-Klasse EA und
ISO-Klasse FA für Europa sowie Kategorie 6a für den amerikanischen Markt werden derzeit heiß
diskutiert. Der Zeitraum von über vier Jahren, der für die Verabschiedung der Vorgänger-Standards
ISO-Klasse E und Kategorie 6 nötigt war, wird bei der Definition der neuen Normen mit Sicherheit
unterboten werden. Natürlich ist auch die Feldmesstechnik von den Auswirkungen betroffen, was
nachstehend näher erläutert werden soll. Die augenscheinlichste Neuerung ist die Erweiterung des zu
prüfenden Frequenzbereichs. Ausführliche Studien haben ergeben, dass die bisherige obere
Grenzfrequenz von 250 MHz nicht mehr ausreicht, um 10GBaseT sicher zu übertragen. Ging man anfangs
von einer neuen Grenzfrequenz von 625 MHz aus, so scheinen inzwischen 500 MHz auszureichen. Die
Grenzwerte selbst sollen interpolierte, also verlängerte Grenzwertkurven der Klasse E/Kategorie 6
sein, die in einigen Details an die neuen Anforderungen angepasst sind.

Als Steckgesicht bleibt der RJ45 bis 500 MHz erhalten. Die neue Klasse FA wird den
Frequenzbereich der Klasse F von derzeit 600 MHz auf 1000 MHz anheben. Die genormten Steckgesichter
TERA und GG45 können bereits die angepeilten erweiterten Anforderungen an die Übertragungsstrecken
erfüllen. Da aber in dieser "Liga" ohnehin nur geschirmte Systeme mit hoher Leistungsbandbreite
spielen, soll es in der weiteren Betrachtung um die Klasse-E/Kategorie-6-Ebene gehen.

Messparameter

Die auffälligste Änderung in puncto Feldmesstechnik ist die Erweiterung des Frequenzbereichs.
Für Kategorie 6a und ISO-Klasse EA ist der Frequenzbereich von 250 MHz auf 500 MHz erhöht. Für
ISO-Klasse FA ist der Messbereich sogar von 600 MHz auf 1000 MHz erhöht. Die Erweiterung der
Messbereiche bringt aber zwangsläufig auch eine neue Definition der Messgerätegenauigkeit mit sich.
Waren bisher für Messungen bis 250 MHz Geräte erforderlich, die die Genauigkeitsklasse "Level III"
erfüllten, wird es für Messungen nach Kategorie 6a/ISO-Klasse EA die neue Genauigkeitsklasse "Level
IIIe" geben. Für ISO-Klasse FA wird es entsprechend die "Level-IVe"-Definition geben, die
Erweiterung der bestehenden "Level-IV"-Genauigkeitsklasse für Messungen bis 600 MHz. Dabei ist
anzumerken, dass die Genauigkeitsklassen "Level IV" beziehungsweise "Level IVe" "abwärtskompatibel"
zu Level IIIe sind. Dies bedeutet in der Praxis, dass jedes heutige "Level-IV"
-Klasse-F/Katagorie-7-Messgerät schon jetzt tauglich für Messungen nach Kategorie 6a
beziehungsweise ISO-Klasse EA ist. Zudem werden sich einige Grenzwerte ändern, um der späteren
Funktion der 10-Gigabit-Ethernet-Applikation Rechnung zu tragen. Dies bringt jedoch "nur" das
Softwareproblem mit sich, die jeweils richtigen Grenzwertkurven per Update einzuprogrammieren.

Neue Messparameter für Abnahmemessungen mit Feldmessgeräten sind in der Normierung für Kategorie
6a und Klasse EA nicht vorgesehen. Kontrovers diskutiert werden zurzeit die Messungen eines neuen
Störfaktors, der speziell der ungeschirmten Welt Kopfzerbrechen bereit. Bei Frequenzen über etwa
300 MHz beginnen sich die einzelnen Übertragungskanäle gegenseitig zu stören. Dieser Effekt heißt "
Alien Crosstalk" (A-XT), also Übersprechen, das nicht in der Kabelstrecke selbst zwischen den
signalführenden Aderpaaren entsteht, sondern von außen die Nutzsignale beeinträchtigt. Die Höhe der
Störsignale ist hauptsächlich abhängig vom geometrischen Aufbau des Systems, das heißt der Bauform
der Verteiler, der Datendosen, der Datenkabel und der Führung der Kabel auf den Leitungswegen. Die
neuen Parameter, die aus diesem Effekt abgeleitet werden, sind Alien-NEXT und Alien-FEXT (ANEXT und
AFEXT) und die Power-Sum-Werte von ANEXT und AFEXT. Diese Parameter beschreiben das Übersprechen
von benachbarten Kabelläufen auf ein Kabel und spielen unter gewissen Umständen bei der Applikation
10 Gigabit Ethernet über ungeschirmte Kupferleitungen in der Tat eine wichtige Rolle. Im Folgenden
wird zwecks Vereinfachung nur noch das ANEXT erwähnt, sinngemäß gilt dies aber auch für alle
anderen "Alien"-Parameter.

Da sich allerdings diese Parameter bisher noch nicht effizient mit vertretbarem Aufwand -
bedingt durch die Komplexität des Störereignisses - im Feld messen lassen, beschreiten die
Techniker hier einen etwas anderen Weg: Wie bereits bei einigen Referenzparametern bisher
geschehen, wandert die Ermittlung der Werte ins Labor. Die aktuellen Entwürfe zu diesem Thema sehen
hierzu einen standardisierten Messaufbau vor. Die Methode heißt "6 around 1". Dabei ist ein Link
wird von sechs "Störern" umringt, was bedeutet, dass insgesamt sieben gleich lange Links auf
gerader Strecke in bereits im Vorfeld fest definierten Abständen zusammengebunden sind. Man misst
jede Leitung gegen jede andere, in der Summe sind dies 96 Einzelmessungen.

Sinn dieser Methode ist es, eine wiederholbare "Worst-Case"-Situation einer Störung zu
simulieren. Wichtig ist dabei das Stichwort "wiederholbar", denn das ANEXT ist ein äußerst
veränderliches Wesen. Ändert sich eine Kleinigkeit im geometrischen Aufbau der Messanordnung, so
ändert sich auch die Auswirkung auf das ANEXT. Verändert man zum Beispiel die Lage der Kabel, der
Anschlusskomponenten oder Patch-Kabel, so ändern sich auch die Messwerte. Für eine Bestimmung eines
"Worst-Case"-Maximalwerts lässt sich die obige Methode sehr gut verwenden, da sie die maximal zu
erwartende Störung der Links und Kabel zueinander sehr gut wiedergibt.

Hinzu kommt aber in der Praxis ein noch weit unangenehmerer Effekt: elektromagnetische
Strahlungen von außen. Störer in einem Gebäude sind nicht nur Datenkabel, sondern auch Hunderte von
anderen elektromagnetischen Quellen im oder in der Nähe des Gebäudes. Messreihen zum ANEXT sind
insgesamt um einige Größenordnungen komplexer als simple Klasse-E/Kategorie-6- oder
Klasse-F/Katagorie-7-Messungen mit Handmessgeräten.

Maßnahmen gegen "Aliens" im Feld

Die Lösung für die ANEXT-Problematik besteht darin, eine entsprechende Störfestigkeit für
Katagorie-6a-Produkte "ab Werk" zu definieren, sodass zumindest bezüglich ANEXT und Konsorten ein
reibungsloser 10-Gigabit-Ethernet-Betrieb im Feld sichergestellt ist. Wenn Kabel, Panel, Buchsen
und Patch-Kabel von vorn herein resistent gegen ANEXT sind, muss diese Eigenschaft im Feld nicht
mehr nachgewiesen werden.

Bei bestehenden ungeschirmten Anlagen wird die Normierung Sonderfälle definieren. Für bereits
bestehende ungeschirmte Kategorie-6-Netze gibt es derzeit zwei Standardentwürfe, die die
Tauglichkeit für den 10GbE-Einsatz dieser Netzwerke nachweisen sollen. Die amerikanische
TIA/EIA-Gruppe hat die TSB155 (Technical Service Bulletin) erarbeitet, die zum Vermessen von
bereits verlegten Strecken herangezogen werden soll. Dem gegenüber steht in der "ISO/IEC"-Welt der
TR24750 (Technical Report), der sich zum Nachmessen der bestehenden Klasse E eignen soll. Ferner
existieren Sonderfälle, bei denen A-XT bereits durch die Länge der Leitungen kaum Relevanz hat. Zu
beachten ist auch, dass man sich in der Normierung noch auf keinen Messaufbau für eventuelle
Feldmessungen geeinigt hat.

Wichtig ist auch zu wissen, dass Hersteller momentan 10GBaseT-Tauglichkeit nur für den ganzen
Übertragungskanal (Channel Link) garantieren können, da auch die Normenentwürfe für Komponenten und
die Installationsstrecken (Permanent Link) erst im Entstehen sind. Der Mix-and-Match-Gedanke aus
der Kategorie-6-Welt lässt sich an dieser Stelle (noch) nicht anwenden. Der Endkunde ist gut
beraten, die Vorschriften der Hersteller bezüglich der zu verwendenden Komponenten genau zu
befolgen. Geschirmte Komponenten haben es hier sicherlich leichter, da der Schirm von Haus aus
schon einen guten Schutz gegen ANEXT bietet.

Das Entstehen der Katagorie-6a und der ISO-Klassen EA und FA geht sehr zügig voran, was hoffen
lässt, dass zumindest von Seiten der Normen für die Feldmesstechnik bald Klarheit besteht, was zu
tun ist und was nicht. Eines ist heute schon klar: Geräte ab 500 MHz oder mehr, die heute schon die
Level-IV-Genauigkeitsanforderungen erfüllen, sind gut gerüstet für diese neue Herausforderung.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie im LANline Spezial III "Verkabelung", das am 31.07
erschienen ist.

Dipl.-Ing. Konstantin Hüdepohl ist als Marketing Manager bei Ideal Industries weltweit für die Qualifizierungs- und Zertifizierungsprodukte zuständig. Er ist auch aktives Mitglied in den Standardisierungsgremien der DKE 715.3.2 und IEC TC46WG9. Alfred Huber ist Technical Support and Service Manager für den Bereich Messtechnik für LAN-Verkabelungen.


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