Im Interview: Rainer Schmidt von Harting

Der Stand der Dinge bei Single Pair Ethernet

4. Mai 2021, 7:00 Uhr | Dr. Jörg Schröper
Rainer Schmidt, Busines Development Manager bei Harting: „Während der Entwicklung neuer Steckverbinderkonzepte standen immer zwei Anforderungen ganz oben auf der Liste: Performance und Baugröße.“
© Harting

Single Pair Ethernet gilt als Hoffnungsträger für eine einfache und günstige Vernetzung, wenn eher Robustheit als Hochleistung gefragt ist. Rainer Schmidt, Busines Development Manager bei Harting und Normierungsfachmann mit langjähriger Erfahrung, erklärte im LANline-Gespräch den aktuellen Stand von Technik, Markt und Standardisierung bei Kabel und Stecker.

LANline: Herr Schmidt, wie ist der derzeitige Stand bei SPE in puncto Normierung?
Schmidt: Zunächst ist Single Pair Ethernet ein Ethernet-Protokoll oder genauer gesagt eine Familie von Protokollen, die nur ein Adernpaar zur Übertragung nutzt. Also vereinfacht: SPE ist Ethernet für ein neues Medium, nämlich einpaariges Kupferkabel. Als Beispiele nennen kann man etwa SPE 10 MBit/s über 1.000 m und spezifiziert bis 20 MHz nach IEEE 802.3cg, SPE 100 MBit/s über 15 m spezifiziert bis 66 MHz nach IEEE 802.3bw und SPE 1 GBit/s über 40 m spezifiziert bis 600 MHz nach IEEE 802.3bp. Diese und einige weitere SPE-Protokolle sind bei IEEE 802.3 publiziert. Weitere, etwa für Multidrop-Anwendungen nach IEEE 802.3da, sind in Vorbereitung.

LANline: Dieses System bildet die Basis für die technische Umsetzung.
Schmidt: Das ist richtig. Zur technischen Umsetzung gehört zuerst immer auch die Verkabelung. Da es so viele verschiedene SPE-Protokolle gibt, entsteht die Verkabelung dazu über zwei Ansätze. Zunächst gibt es den anwendungsspezifischen Ansatz. Dabei wird die jeweilige Spezifikation des SPE-Protokolls nach IEEE802.2.xx genutzt und mit den dort verankerten technischen Eckwerten, also etwa Bandbreite in MHz, IL in dB und Länge in Metern, eine passende Verkabelungsstruktur definiert. Dieser Ansatz findet sich in einem speziellen Technischen Report wieder, den die ISO/IEC JTC 1 SC 25/WG 3 im Auftrag der Industrie-Anwender entwickelt und publiziert. Der Report heißt ISO/IEC 11801 TR9906: „Technical Report: Balanced 1-pair cabling channels up to 600 MHz“. Die Standards für Industrieverkabelung nutzen den TR9906 als Basis und erarbeiten Anhänge zu SPE oder zur einpaarigen Verkabelung mit ISO/IEC 11801-3 AMD-1 und IEC 61918 AMD-1. Diese Papiere will man in Kürze verabschieden und dann veröffentlichen.

LANline: Wie sieht der zweite Ansatz aus?
Schmidt: Der generische Ansatz ist bekannt aus der strukturierten Verkabelung und geht einen Schritt weiter, indem er versucht, heutige und zukünftige Anforderungen von SPE an die Verkabelung zu clustern und daraus Verkabelungslösungen zu entwickeln. Schaut man sich die vielen unterschiedlichen SPE-Protokolle an, ist dies durchaus sinnvoll, um das ganze Thema zu vereinfachen und seine Implementierung in der Praxis zu beschleunigen.

LANline: Wie ist dabei der Stand?
Schmidt: Dieser Standardisierungsprozess läuft gerade und führt zu einem Anhang in ISO/IEC 11801-1 AMD 1 mit drei einpaarigen Übertragungskanälen und Verkabelungslösungen namens T1-A mit 20 MHz und 1.000 Metern, T1-B mit 600 MHz und 100 Metern sowie T1-C mit 1.250 MHz und ebenfalls 100 Metern.

LANline: Welche Rolle spielen die Richtlinien für die Komponenten?
Schmidt: Einpaarige Verkabelungen nutzen Verbinder und Kabel, die wiederum einer eigenen Normung unterliegen, aber natürlich aufeinander aufbauen. Die beteiligten Gremien der Verkabelungsstandards kommunizieren untereinander. Während die Verkabelungsnormen für den Systemintegrator und Installateur wichtig sind, haben die Komponentenstandards wesentliche Bedeutung für den Hersteller und liefern die technische Spezifikation für diese Bauteile. Für die Kabel sind dies IEC 61158-11 und -12 bis 600 MHz. Diese sind bereits publiziert. IEC 61158-13 und -14 bis 20 MHz sind in Vorbereitung.

LANline: Wie ist die Situation bei den Steckern?
Schmidt: Für Verbinder, also Stecker und Buchse, steht der bereits publizierte Standard IEC 63171-6 zur Verfügung. Das zugehörige Steckgesicht hat sich auf Grund seiner Universalität und der Einsatzmöglichkeit in allen Installationsumgebungen vom Büro bis zur Industrie nach MICE1 bis MICE3 durchgesetzt und ist auch in den Verkabelungsstandards gefordert oder referenziert. Mit dem Papier IEC 63171-1 gibt es noch einen zweiten verabschiedeten Steckerstandard, der allerdings nur MICE1 abdeckt.

LANline: Kann man für alles, was der Markt derzeit benötigt, bereits Produkte kaufen?
Schmidt: Das kann man, wenn auch die Breite des Angebots speziell im Bereich PHY und Chipsets noch ausbaufähig ist. Auch Geräte mit SPE-Schnittstellen befinden sich vielfach noch in der Entwicklung. Kabel und Steckverbinder von einer Reihe von Herstellern sind verfügbar. In den Punkten Produktvielfalt und Verfügbarkeit sind Kabel und Verbinder unkritisch.

LANline: Gibt es Unterschiede zwischen den Branchen?
Schmidt: Getrieben wurde die Entwicklung von SPE wesentlich von der Autoindustrie und von der Industrieautomatisierung. Beide benötigen eine einheitliche Kommunikationsplattform, um einen höheren Grad an Automatisierung in ihre Anwendungen zu bringen. Bei der Autoindustrie ist dies zum Beispiel das autonome Fahren. Bei der Automatisierung ist es Industrie 4.0. Beide haben Ethernet als Basis für diese einheitliche Kommunikationsplattform identifizierten und die Entwicklung vorangetrieben. Daher sind diese beiden Branchen auch am weitesten in der Umsetzung. Interessanterweise waren es deutsche Firmen, die diese Initiative begründeten und zum Start von IEEE-Projekten führten. Bei der Autoindustrie war dies ein Konsortium um BMW und Bosch, das zu IEEE802.3bw und bp führte. Bei der Industrie war es Siemens.

LANline: Welche weiteren Kandidaten sehen Sie?
Schmidt: Zum Kreis gehören die Gebäudeautomatisierung und damit auch die technische Gebäudeausrüstung wie etwa die Beleuchtung. Allerdings ist dort die Ausgangssituation etwas anders als beim Auto oder in der Industrie. Während die erstgenannten bereits Ethernet-Plattformen genutzt haben und zur Andockung weiterer Funktionalität, etwa Sensorik, die Ethernet-Technologie dahin erweitern müssen, stellt sich die Gebäudeautomatisierung als ein mehr oder weniges geschlossenes System dar. Moderne Gebäudeautomatisierungslösungen haben den vollen Zugriff auf Sensornetzwerke. Kompatibilität zwischen unterschiedlichen Lösungen könnte an der einen oder anderen Stelle Vorteile bringen, aber es scheint so, als ob dieses Argument allein nicht ausreicht. Möglicherweise entsteht dort erst ein entsprechender Innovationsdruck, wenn es gilt, Konzepte wie Smart City umzusetzen.

LANline: Wie sieht das Bild in unserem Alltag aus, etwa bei der Unterhaltungselektronik?
Schmidt: Auch die Unterhaltungselektronik ist ein potenzieller Kandidat für die Nutzung von SPE. Allerdings erscheint mir dieser Markt derart fragmentiert, dass das wohl eher ein frommer Wunsch der Anwender bleibt. Solange dort anstatt in einzelnen Geräten nicht systemisch gedacht wird, wird sich auch nichts ändern. Dieser Industriezweig hat es ja bis heute noch nicht einmal geschafft, Geräte und Anwendungen, die zusammen genutzt werden, halbwegs vernünftig miteinander zu verknüpfen. Etwas überspitzt gesagt: Um ein Fernsehprogramm zu genießen, benötigt man heute meist noch mindestens drei Fernbedienungen. Eine für den Service, also Box, SAT oder Entsprechendes, eine für den Bildschirm, eine für die Audioanlage. Wer noch den PC oder Laptop mit Services wie iTunes einbinden möchte, der ist fast verloren. Seit 20 Jahren sprechen wir von Multimedia, aber es bleibt erschreckend viel ungenutztes Potenzial!

LANline: Zurück zum SPE-Equipment. Stellt das Konzept SPE besondere Anforderungen an die Hersteller?
Schmidt: SPE verlangt im Grunde lediglich, einmal abgesehen von PHYs und Chipsets, ein neues Medium, nämlich ein einpaarige Datenkabel in Verbindung mit einpaarigen Steckverbindern. Herausforderungen ergeben sich im Wesentlichen bei der Kombination von Bandbreite und Baugröße. Hersteller von Kabeln können jetzt ihr Datenkabel von vier Paaren auf ein Paar reduzieren. Im Aufbau der Seele und der entsprechenden Schirmung und des Kabelmantels greifen sie jedoch auf mehr oder weniger bewährte Konstruktionen zurück.
Daraus resultieren dann einpaarige Datenkabel, die im Schnitt zwischen 30 und 50 Prozent Platz und Gewicht einsparen können. Will man SPE aber über weite Entfernungen übertragen und auch Fernspeisung nutzen muss man entsprechende Adernquerschnitte von zum Beispiel AWG18 einsetzen. Die Physik begrenzt hier also das Streben nach Einsparung und Miniaturisierung.

LANline: Welchen Rahmenbedingungen unterliegen die Steckerhersteller?
Schmidt: Bei den Steckverbindern ist das im Grunde ganz ähnlich. Während der Entwicklung neuer Steckverbinderkonzepte standen immer zwei Anforderungen ganz oben auf der Liste: Performance und Baugröße. Das Thema Performance ist gut zu lösen, wenn man eine extrem hohe Symmetrie des Designs erzielen kann und gleichzeitig den Anschlussbereich, als Crimp oder IDC, klug wählt und möglichst kurz gestaltet. Das findet man im Harting T1 wieder, um unseren Beitrag zu nennen. Die Baugröße ist dagegen so eine Sache. Natürlich lässt sich Verbindungstechnik für SPE gut miniaturisieren. Das spart Bauraum etwa an Geräten oder Verteilern. Der Spielraum ist aber durch Kabeldimensionen und Handhabbarkeit begrenzt. Daher sind im IEC-63171-6-Standard unterschiedliche Bauformen mit immer gleich hoher Leistung kombiniert, sehr kleine Stecker für IP20 und Kabel bis AWG22, smarte Stecker für IP65/67 in M8-Bauformen und sehr robuste Stecker für AWG18 Kabel in M12.

LANline: Herr Schmidt, vielen Dank für das Gespräch.

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