Ergebnisse der IEEE-802.3-Herbstkonferenz

Ethernet auf dem Weg in neue Anwendungen

1. Februar 2016, 7:00 Uhr | Hans Lackner, bei Qoscom tätig und Voting Member bei IEEE 802.3./jos

Die Ethernet-Standards entwickeln sich weiter: Die Experten in den zuständigen IEEE-Gremien haben dabei die technische Realisierbarkeit und Marktoptionen im Fokus. Vor allem im RZ-Umfeld herrscht Aktivität, doch die meisten Impulse stammen aus einem Umfeld, das für Ethernet eigentlich Neuland darstellt.

Die Zeiten eines klaren Skalierungskonzeptes für Ethernet sind vorbei. Früher war das Ganze einfach: Nach 10 kam 100, und nach 100 kam 1.000. Heute kommt nach 10 vielleicht 25, nach 25 vielleicht 40 und nach 40 möglicherweise 50 - und erst danach die 100. Aber dann kommt nicht etwa die 1.000, sondern möglicherweise die 200 und die 400.
Dies kann dazu führen, dass Standards obsolet sind, bevor sie verabschiedet sind. So wird es nach Einschätzung mancher Experten vermutlich 40GBase-T ergehen. Die Verabschiedung ist für den September 2016 geplant. Schon heute aber warten die Hersteller auf die Verabschiedung von 25 und 50GBase-T. 40GBase-T hat daher wohl kaum eine Chance auf Marktakzeptanz, obwohl der Standard so viel Kampf vor allem zwischen Amerika und Europa verursacht hat.
Das Skalierungsgewirr hängt nicht etwa mit einer langsameren Entwicklung der Technik zusammen. Dies ist nicht der Fall. Zur Erinnerung: Auf 100 MBit/s hatte die Branche damals 15 Jahre lang gewartet. Früher galt der Grundsatz, dass eine nächste Geschwindigkeit dann erforderlich ist, wenn vier aggregierte Leitungen nicht mehr ausreichen. Zugegeben: Dieser Grundsatz war wohl nur für kurze Leitungen zutreffend, aber auch für kurze Leitungen gilt er heute nicht mehr. Eine 40Base-T-Technik hätte es nach diesem Grundsatz gar nicht geben dürfen, geschweige denn 25GBase-T.
Das größte Problem bei diesem Skalierungsgewirr sind die bisweilen nur geringen Stückzahlen, die auf die einzelnen Techniken fallen. Dadurch können Preise so hoch sein, dass eine Marktakzeptanz in weite Ferne rückt.
Wenn also die langsame Entwicklungsgeschwindigkeit der Technik nicht der Grund für das Skalierungswirrwarr ist, was ist dann? Insider sehen vor allem die Ausdehnung der Ethernet-Technik in viele neue Anwendungsbereiche als Grund an. War Ethernet zu Beginn eine reine LAN-Technik für Büros und das Haus, so hat sich der Anwendungsbereich spätestens mit 10 GBit/s Ethernet auf den MAN-Bereich für Provider ausgeweitet. Danach folgte eine Reihe weiterer Anwendungen wie zum Beispiel das Ethernet im WAN, das industrielle Ethernet, Ethernet im Access-Bereich, Ethernet im RZ und nicht zuletzt das Konzept Power over Ethernet.
Viele dieser neuen Anwendungen erwartet eine auf sie zugeschnittene Geschwindigkeit. Als Beispiel kann dazu das RZ dienen: Dort entwickelt sich gerade eine hochinteressante Technik namens "Object Disk". HDD/SDD-Platten werden damit in Zukunft nicht mehr das für drehende Scheiben entwickelte SCSI-Interface haben, mit dem Platten stets an einen Host/Server angeschlossen sein müssen. Um remote auf die Daten zugreifen zu können, muss man den Server ans Netz anschließen und dann etwa per FTP auf die Daten zugreifen. In Zukunft werden Platten direkt ans Ethernet angeschlossen, die Applikationen können direkt auf die dort gespeicherten "Objekte" zugreifen. Dies sind dann nicht mehr nur Files.
Für die neuen "Object Disks" entwickelt die gerade etablierte Task Group 802.3cb (man beachte: 802.3 ist bei "c" angekommen) eigene Interfaces mit 2,5 und 5 GBit/s über die Backplane oder per Twinax, um im Rechenzentrum solche Disks möglichst dicht und damit preiswert anschließen zu können. Dies geht natürlich zu Lasten der 10-GBit/s-Technik, die es schon seit geraumer Zeit gibt, die aber Schwierigkeiten bei der Marktdurchdringung hat.
Dies ist nicht unumstritten: Aus Sicht mancher Experten müsste die IEEE 802 bei der Zulassung neuer Techniken zum Standardisierungsverfahren nicht nur eine "Distinct Identity" verlangen, sondern auch untersuchen, welche anderen Konzepte durch den neuen Ansatz beeinträchtigt werden.
 
RZ-Aktivitäten
Ziel der RZ-Aktivitäten ist die Übertragung über Twisted-Pair-Verbindungen der Klasse I und II mit Datenraten von 25 und 40 GBit/s über eine Entfernung von 30 Metern. Dies soll auf dem von den amerikanischen Vertretern massiv unterstützten RJ45-Stecker beruhen. Internationale Steckervarianten hat das Gremium mehrfach abgelehnt. Im September erschien das 802.3-Standardwerk IEEE 802.3-2015. Es enthält in sechs Kapiteln alle bis dato verabschiedeten IEEE-802.3-Standards:
10 MBit/s Ethernet, CSMA/CD,
100 MBit/s Ethernet, Fast Ethernet,
1.000 MBit/s Ethernet, Gigabit Ethernet,
10 GBit/s Ethernet,
Subscriber Access und
40/100 GBit/s Ethernet.
Der 100Base-T1 Standard, also 100 MBit/s Ethernet über ein Kupferpaar, hat es nicht mehr in dieses Werk geschafft. Er liegt als separater Standard vor. Im Übrigen arbeitet IEEE 802.3, das LAN- und MAN-Standardkomitee, an vielen neuen Standards.
In der angestammten Ethernet-Domäne der Haus- und Firmennetze spielt sich im Umfeld von IEEE 802.3 gegenwärtig recht wenig ab. Die einzige Aktivität ist eine Reaktion auf die steigenden Bandbreiten im WLAN-Bereich (IEEE 802.11). Dort reicht die Bandbreite von Gigabit Ethernet nicht mehr aus, um zum Beispiel Access Points mit 802.11ac-Technik zu unterstützen. Ein Übergang auf 10 GBit/s ist den Anwendern aus Kostengründen nicht zuzumuten. Für dieses Problem sucht die Arbeitsgruppe 802.3bz eine Lösung. Neue Definitionen sind:
Datenraten von 2.5 GBit/s und 5 GBit/s über eine existierende Gigabit-Verkabelung,
Medien nach ISO/IEC 11801:2002 mit möglichen Verbesserungen von 802.3bz zusammen mit ISO/IEC JTC 1/SC 25/WG3 und TIA TR42,
2.5 GBit/s über 100 Meter auf Vierpaar-Class-D (Cat. 5e) und
5 GBit/s über 100 Meter auf Vierpaar-Class-E (Cat. 6) oder Class D (Cat. 5e).
Obwohl die Beratungen erst im Jahr 2015 gestartet wurden, soll der Standard bereits im September 2016 fertig sein.
 
Ethernet in Zugangsnetzen
Nachdem die Techniken der Telefoninfrastruktur von IEEE 802.3 im Access-Bereich gescheitert sind, blühen andere Zugangskonzepte förmlich auf. Mit EPON over Coax hat man sich ins TV-Geschäft eingekauft. Mit der nächsten Generation von EPON passt man sich nun dem gesteigerten Bandbreitenbedarf an. Zugangsnetze sind bei 802.3 durch passive optische Netze (EPON) realisiert, die in der Sektion 5 des neuesten IEEE-802.3-Standards veröffentlicht sind. Dort sind bereits mehr als zehn Varianten im Bereich zwischen 1 und 10 GBit/s definiert. Zuletzt wurde der Standard zur Erweiterung des passiven Glasfasernetzes EPON (802.3bk: 10GBit/s, 64 Split) fertig. Diese Glasfasertechnik haben die Experten nun auf Coax-Kabel übertragen.
Der Standard ist vor Kurzem in die letzte Stufe des Standardisierungsprozesses gegangen (Sponsor Ballot). Die Verabschiedung steht für Juli 2017 an.
Auch bei den Provider-Netzen tut sich etwas: ISDN und SDH sterben aus, und an ihre Stelle tritt vermehrt Ethernet. Die neue Technik ist jedoch sicher noch nicht vollständig für eine solche Migration geeignet, sodass IEEE 802.3 mit Hochdruck an der Weiterentwicklung arbeitet. Vor allem höher Geschwindigkeiten zu moderaten Preisen sind gefordert, etwa 400 GBit/s Ethernet (802.3bs). Die Gruppe um 802.3bs hat im Juli 2014 ihren Normierungsauftrag erhalten und plant die Verabschiedung der Norm bis Ende 2017. Was gemacht werden soll, ist klar, nur wie, daran entzünden sich nach wie vor die Diskussionen. Folgende Ziele sind definiert:
eine MAC-Datenrate von 400 GBit/s,
geeignete Unterstützung von OTN (Optical Transport Network) und
optional ein 400-GBit/s-AUI-Interface für Chip-Chip- und Chip-Module-Anwendungen.
Gegenwärtig werden physische Glasfaser-Schnittstellen für Multimode definiert, vor allem jedoch für Singlemode für 100 Meter und 500 Meter sowie für zwei und zehn Kilometer.
Etwa 20 Jahre nach der Standardisierung von 100Base-T2 (1995) kommt aus der Autoindustrie die Forderung nach 100Base-T1 (100 MBit/s, ein Twisted Pair). Um zukünftige mobile Applikationen wie etwa Fahrerassistenzsysteme angemessen unterstützen zu können, sind nicht nur Gigabit-Techniken wie 1.000Base-T1 (802.3bp) notwendig, sondern auch 100 MBit/s. Da bereits heute in jedem Auto eine Vielzahl von Bussen steckt, die immer mehr nach Ethernet tendieren, ist leicht vorstellbar, welcher Marktanteil hinter einem solchen Standard steckt. Der Standard ist verabschiedet und wurde Ende 2015 publiziert.
 
Ethernet als Stromversorgung
Zu den bereits bestehenden beiden Standards zur Stromversorgung über Ethernet kommen zwei weitere hinzu:
4PPoE, Power über vier Paare und
PoDL, Power über Datenleitungen.


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