Comeback der einpaarigen Verkabelung

Ethernet für das Internet of Things

3. August 2017, 7:00 Uhr | Von Dipl.-Ing. Yvan Engels, Dipl. Ing. Matthias Fritsche und Dipl. Ing. Rainer Schmidt.

Ethernet ist das führende Netzwerkprotokoll im LAN-Umfeld. Es dringt heute stetig in neue Anwendungsbereiche vor. Während zu Beginn der Ethernet-Ära in den frühen 1980er-Jahren Coax-Verkabelungen vorherrschten (Thick Ethernet - Yellow Cable, Thin oder Cheap Ethernet), favorisieren Betreiber seit den 1990er-Jahren Verkabelungslösungen auf Basis symmetrischer Verkabelungen (Twisted Pair) und Glasfaser.

Twisted-Pair-Verkabelungen nutzten an-fangs zweipaarige Kabel. Bei diesem Prinzip fungiert ein Adernpaar als Sendeleitung, und das andere dient als Empfangsleitung (100Base-TX). Dieses Verfahren, beschränkt auf eine Übertragungsrate von 100 MBit/s, ist noch heute vorherrschendes Übertragungsprinzip in der Industrie und Automatisierungstechnik und ist dort oft mittels Sternvierer-Kabelkonstruktionen realisiert.

Um höhere Übertragungsgeschwindigkeiten von 1 GBit/s und 10 GBit/s zu realisieren, entstand ein Übertragungsverfahren, das vier symmetrische Paare in Verbindung mit achtpoligen Steckverbindern benötigt. Jetzt diskutieren Experten wieder über die Übertragung von Ethernet mit nur einem Adernpaar - also über eine Lösung, die offensichtlich der technischen Entwicklung bei Ethernet und der dazugehörigen Verkabelung entgegenläuft.

Megatrends

Die Entwicklung neuer Kommunikationstechniken und der dazugehörigen Verkabelungsphilosophien sind maßgeblich von den derzeitigen IKT-Megatrends wie IoT, Industrie 4.0 (I4.0), Cloud Computing und Smart Technologies beeinflusst und getrieben. Dies führt zu neuen Anforderungsprofilen an die Kommunikationstechnik und der dahinterstehenden Netzwerkinfrastruktur, basierend auf Kabeln und Steckverbindern.

Forderungen an diese Technik lauten: hohe Verfügbarkeit, kurze Zugriffszeiten auch auf verteilte Daten und schneller Transport dieser Daten von A nach B, sichere Übertragung großer Datenmengen in unterschiedlichsten Anwendungsumgebungen bis hin zum Determinismus (Echtzeitübertragung, also garantierte Datenübermittlung in einem definierten Zeitfenster). Gleichzeitig soll der Datentransfer kostengünstig bleiben. Dies wiederum heißt für Geräte, Kabel und Verbindungstechnik: Sie müssen leistungsfähiger, kleiner und robuster werden sowie einen hohen Grad an Modularität und Kompatibilität (Austauschbarkeit und Steckkompatibilität) realisieren. Diese Forderungen sind nur durch Innovation zu erfüllen, also durch eine Neuentwicklung von Produkten bei konsequenter internationaler Standardisierung.

Ein anderer Trend in der Netzwerktechnik und der Verkabelung ist die Ausbreitung des Ethernet-Protokolls in neue Anwendungsgebiete. Dazu gehören viele Automatisierungsprotokolle und zunehmend auch Sensor-/Aktor-Anwendungen. Zahlreiche Verkehrs- und Transportmittel wie Bahn, Tram, Bus, Schiff und Flugzeug rüsten ihre Flotte mit Ethernet aus.

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Der derzeitige Megatrend IoT.

Während Ethernet besonders für Fahrgastinformationssysteme und zum Aufbau von WLAN-Services in den erwähnten Verkehrsmitteln schon seit mehreren Jahren erfolgreich arbeitet, blieb es im PKW/LKW lange Zeit relativ unberücksichtigt. Die Automobilindustrie hat heute die Vorteile von Ethernet erkannt und eine Initiative zur Entwicklung von Ethernet-Protokollen für kurze Übertragungsstrecken im Fahrzeug gestartet. Die Lösung heißt einpaariges Ethernet für Übertragungsdistanzen bis zu 15 Metern sowie bis zu 40 Metern.

Diese Technik ist mittlerweile unter IEEE 802.3bp 1000Base-T1 (Gigabit über einpaarige symmetrische Kupferverkabelung) und 802.3bw 100Base-T1 (100 MBit über einpaarige symmetrische Kupferverkabelung) als Standard veröffentlicht. Um die gleichzeitige Übertragung von Daten und Energie zu realisieren, ist außerdem unter IEEE 802.3bu PoDL definiert (Power over Data Lines, ein für die einpaarige Übertragung geeignetes Prinzip zur Fernspeisung, auch Remote Powering).

Auf Basis dieser Standards entwickeln und fertigen die einschlägigen Hersteller jetzt Chipsätze, Geräte, Kabel und Verbindungstechnik, die für den Einbau im PKW konzipiert sind. Der Fokus bei Verkabelungen im PKW liegt auf einer Übertragungsstrecke, die bis zu 15 Meter lang sein darf und die in der Regel aufgrund von Gewichts- und Platzvorgaben in ungeschirmter Technik ausgeführt werden soll. Für größere Fahrzeuge, wie LKW und Bus, sind Übertragungsstrecken spezifiziert, die bis zu 40 Meter lang sein dürfen und aufgrund der damit verbundenen höheren EMV-Anforderungen vollgeschirmt auszuführen sind.

Genau die letztgenannte einpaarige geschirmte Übertragungsstrecke hat jedoch auch ganz andere "Non-Automotive"-Anwendergruppen und Hersteller hellhörig gemacht. Denn einpaarige geschirmte Ethernet-Verkabelungen bringen grundsätzlich alle Eigenschaften mit, die zur Befriedigung oben genannter Megatrends benötigt werden. Sie sind schnell, platzsparend, kostengünstig und einfach zu implementieren.

So gibt es von Seiten der Industrie, deren Automatisierungsprofile heute größtenteils auf 100 Mbit/s Ethernet basieren (100Base-TX), steigendes Interesse an Lösungen mit einpaarigem Ethernet. Auch bei der Gebäudeautomatisierung denken Insider über Möglichkeiten zur Integration von einpaarigem Ethernet in Hierarchie und Struktur heutiger Gebäudeverkabelungen nach. Zudem gibt es noch eine Vielzahl weiterer Anwendungsgebiete, für die die Entwicklung des einpaarigen Ethernets attraktiv ist.

Die Interessenlage bei einpaarigem Ethernet spiegelt auch eine grundsätzliche Entwicklung in der standardisierten Netzwerkverkabelung wider, die in einer Diversifizierung der strukturierten Verkabelung für spezifische Anwendungsgebiete mündet.

Normative Aktivitäten

Ein Blick auf die normativen Aktivitäten für einpaarige Ethernet-Kommunikation ist hilfreich. Eins vorweg: Normung ist ein permanenter, dynamischer Prozess, der neue Normen erarbeitet und veröffentlicht, bestehende Papiere zurückzieht oder aktualisiert und neue Normenprojekte anstößt. Somit kann dieser Beitrag lediglich eine Momentaufnahme zum Stand der Normung sein. Normungsaktivitäten in IEEE802.3 legen das Übertragungsprotokoll Ethernet fest und definieren Minimalanforderungen für Link-Segmente (Link-Segmente sind nicht identisch, aber vergleichbar mit dem Übertragungskanal bei der Verkabelung). ISO/IEC JTC1 SC25 WG3 definiert die dafür notwendige Verkabelung und greift dabei wiederum auf Komponentenstandards für Kabel und Steckverbinder zurück, die in Normungsgruppen der IEC entstehen.

Folgende IEEE 802.3-Standards sind bereits publiziert: IEEE 802.3bp 1000 Base-T1 "Physical Layer Specifications and Management Parameters for 1 GBit/s Operation Over a Single Twisted Pair Copper Cable?: Darin ist die einpaarige Ethernet-Übertragung über einen 15-Meter-UTP-Kanal (Typ A, ungeschirmt) und einen 40-Meter-STP-Kanal (Typ B, geschirmt) definiert. Beide Kanäle sind für eine Bandbreite von 600 MHz spezifiziert, dürfen bis zu vier Steckverbindungen enthalten und garantieren eine Übertragungskapazität von 1GBit/s.

IEEE 802.3bu "Physical Layer and Management Parameters for Power over Data Lines (PoDL) of Single Balanced Twisted-Pair Ethernet": Darin ist in Analogie zu PoE (Power over Ethernet) die parallele Bereitstellung von Energie bis zu 50 Watt über einpaarige Ethernetkanäle spezifiziert. In ISO/IEC JTC1 SC25 WG3 laufen derzeit Aktivitäten und Projekte, die sich mit der Umsetzung und Implementierung der technischen Ergebnisse von IEEE 802.3 in die strukturierte Gebäudeverkabelung befassen.

Unter dem Titel "TR ISO/IEC 11801-99xy, One Pair Channels up to 600 MHz" erarbeiten die Gremien einen technischer Report, der einpaarige geschirmte Übertragungskanäle beschreibt. Anwendungsziele sind die sogenannten Non-Automotive-Segmente oder Industrie 4.0, IoT und Smart Lighting in Anlehnung an IEEE 802.3bp.

Diese Übertragungskanäle erlauben die bidirektionale Übertragung von 1 GBit/s unter Verwendung eines symmetrischen Paares bis zu 40 Meter bei gleichzeitiger Energieversorgung von Endgeräten. Sie bestehen typischerweise aus einem Permanent Link von 36 Meter Länge unter Verwendung von bis zu vier Steckverbindern und je zwei Meter langen Patch-Kabeln. Die Fertigstellung dieses Dokuments ist für 2018 geplant.

Im Rahmen der Neustrukturierung und Aktualisierung der ISO/IEC 11801 Normenreihe (als dritte Edition) befinden die Experten zudem darüber, in welchen anwendungsspezifischen Teilen eine Ergänzung mit einpaarigen geschirmten symmetrischen Verkabelungen technisch und wirtschaftlich sinnvoll sein könnte. Dies scheint bei erster Betrachtung in ISO/IEC 11801-3 (Industrieanwendungen) und in ISO/IEC 11801-6 (Gebäudeautomatisierung) der Fall zu sein. Die Publikation soll im Jahr 2018 erfolgen.

Aus den Spezifikationen der Verkabelungsstrecke (siehe ISO/IEC 11801) lassen sich parallel die Anforderungen für die Komponenten Kabel und Steckverbinder ableiten. Dies geschieht für Kabel im Normengremium IEC SC46C und für Steckverbinder im Normengremium IEC SC48B (SC, Subcommittee, Unterkomitee).

Unter dem internationalen Normentitel IEC 61156-11 "Cables for 1Gbs Over One Pair? sind Kabel beschrieben, die für eine Übertragung von 1 GBit/s über ein symmetrisches Paar geeignet sind. Anwendungsbereiche sollen Büro, Heim und Industrie sein. Auch die Verwendung von vier paarigen Datenkabeln soll erlaubt sein, um vier einpaarige Übertragungskanäle zu betreiben. Diese Ausprägung ist auch als sogenanntes Cable Sharing bekannt. Die Übertragungseigenschaften sollen für eine Frequenz von bis zu 600 MHz definiert sein. Dieser internationale Standard ist für 2018 oder 2019 geplant.

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Passende staub- und wasserdichte Steckverbinder wird der Markt auch als Neuprodukt bieten.

In Anlehnung zu Anwendungsbereichen und Leistungsfähigkeit der einpaarigen Kabel steht auch die Standardisierung von zweipoligen Steckverbindern bis mindestens 600 MHz an. Normativ ist für die Steckverbinder das Steckgesicht festgeschrieben. Mit der Definition des Steckgesichtes ist die Steckkompatibilität und damit der Einsatz von Produkten unterschiedlicher Hersteller gewährleistet. Branchenkenner erwarten, dass es dann entsprechende Ausführungen von einpaarigen Steckverbindern in Schutzart IP20 bis IP65/67 gibt. Die Verabschiedung dieser Norm ist ebenfalls für 2018/2019 geplant.

Produkte

Die theoretischen Grundlagen zum Aufbau eines 40-Meter-Kanals mit einpaariger Verkabelung sind bereits ausgearbeitet. Damit besitzen die interessierten Hersteller von Elektronik und Verkabelungen alle notwendigen Informationen zur Entwicklung und zum Bau von Chipsätzen, Kabeln und Steckverbindern. Erste Chipsätze sind bereits auf dem Markt erhältlich. Allerdings erwarten Insider noch eine Reihe neuer Produkte, die die einzelnen Anwendungen optimal unterstützen.

Um Ethernet nach 1000Base-T1 über eine einpaarige Verkabelungsstrecke zu übertragen, gibt es grundsätzlich zwei Wege. Zum einen kann dieses Protokoll über bestehende vier-paarige Verkabelungen nach Kategorie 7/Übertragungsklasse F (bis 600 MHz spezifiziert) oder nach Kategorie 7A/Übertragungsklasse FA (bis 1.000 MHz spezifiziert) nach entsprechender Qualifizierung unter Berücksichtigung der Längenrestriktion von 40 Meter übertragen werden. Damit eröffnet sich die Möglichkeit des Cable Sharings, wobei die Übertragung mehrerer Single-Pair-Ethernet-Dienste mittels eines vierpaarigen Kabels geschieht. Zum anderen - und dies wird wohl die Regel sein - entstehen neue einpaarige Kabel- und Steckverbinderprodukte, die auch neue einpaarige Verkabelungsstrukturen auf Basis von Single Pair Ethernet bedienen.

Wichtige Eckpunkte für das Design der Verkabelungskomponenten sind:

  • Wellenwiderstand 100 Ohm, Bandbreite 600 MHz und die dazu festgelegten Parameter wie Dämpfung, Rückflussdämpfung, Fremdnebensprechdämpfung etc.,
  • Vollschirmung zur Absicherung der Übertragungsqualität unter extremen EMV-Bedingungen,
  • einpaarige Kabel mit möglichst kleinen Außendurchmessern (Platz- und Gewichtersparnis) für feste und flexible Verlegungen und
  • zweipolige Steckverbinder in möglichst kleiner Bauform für den Einsatz in IP20- und IP65/67-Umgebungen, steckkompatibel untereinander.

Fazit und Ausblick

Der unter dem Einfluss von Industrie 4.0 und IoT fortschreitende Vernetzungsbedarf verlangt innovative und applikationsspezifische Lösungen. Für die kabelgebundene Kommunikationsinfrastruktur ergeben sich mit einpaarigem Ethernet ideale Lösungsmöglichkeiten. Gerade für Anwendungsbereiche in der Industrie und im Gebäude-Management stellt dies eine smarte Ergänzung in der Kommunikationslandschaft dar, die Gigabit-Ethernet-Performance, Übertragungssicherheit, optimale Handhabung und Fernspeisung sowie Platz- und Gewichtseinsparung miteinander verbindet. Die normativen Grundlagen sind in den bereits verabschiedeten IEEE 802.3-Standards sowohl für Anwendungen in den Bereichen Automotive als auch Non-Automotive definiert. Für die entsprechenden Non-Automotive-Anwendungen bieten sie Planungsorientierung, die durch die internationale Standardisierung in ISO/IEC und IEC aufgegriffen wurden. Entsprechende Standardisierungsprojekte sind gestartet. Die kleine Bauform der Geräteanschlusstechnik und die Kompatibilität zu Ethernet nach IEEE802.3 gibt dem Gerätebau etwa in der Automatisierung sowie Herstellern von Sensor- und Aktor-Technik ein Vernetzungskonzept an die Hand, das einen einfachen Übergang von Bus- auf Ethernet-Technik erlaubt. Damit dringt Ethernet weiter in die Feldebene ein, verkürzt Zeiten für Parametrierung, Initialisierung und Programmierung enorm und erweitert den Funktionsumfang der Geräte.

Einpaarige Ethernet-Verkabelungen erschließen neue Anwendungsbereiche, zum Beispiel in der Industrie, und stellen eine sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden vierpaarigen Verkabelungssystemen dar. Damit unterstützt das einpaarige Ethernet besonders Trends wie IoT und I4.0.

Dipl.-Ing. Yvan Engels ist im Strategic Market Development/Standardization BU Datacom bei Leoni Kerpen tätig (), Dipl. Ing. Matthias Fritsche ist Product Manager Device Connectivity bei Harting () und Dipl. Ing. Rainer Schmidt ist Business Development Manager bei Harting ().

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