Die Geschichte des Ethernets - Teil 1

In 40 Jahren um die Welt und weiter

29. April 2020, 7:00 Uhr | Hans Lackner

Die Netzwerktechnik ist heute von Ethernet dominiert. Dabei lag der Fokus zunächst bei den Daten: Ethernet realisierte lange Zeit ein typisches Campus-Netz für Universitäten. Heute aber ist Ethernet gewissermaßen der Asphalt für alle digitalen Straßen, gleichgültig, ob Daten-, Sprach- oder Video-Autobahnen. Die Definition der LANs, der lokalen Netze, stammt ursprünglich aus der Ethernet­­-Technik. LANs waren danach Netze, die eine Ausdehnung von maximal 2,5 Kilometern haben konnten, also genau das, was Ethernet damals bereitstellen konnte. Heute definiert man die lokalen Netze nicht mehr über die Ausdehnung, sondern über die Verantwortlichkeit: Der Netzbetreiber eines LANs ist gegenüber dem Netzbenutzer gewissermaßen weisungsbefugt. Denn technisch können lokale Netze heute weltweite Ausdehnung haben.

Die Artikelserie dazu ist in drei Teile aufgeteilt: Der erste Teil, "Die Urzeit", beschreibt das Umfeld, in das die Ethernet-Technik geboren wurde. Damals war die Kommunikation geprägt von der Telefonie, und man freute sich über Geschwindigkeiten von 9,6 kBit/s. Die Steigerung der Übertragungsgeschwindigkeit auf 10 MBit/s galt fast als Revolution. Aber schon bald machte nicht nur das Aufkommen der Personal Computer klar, welche Einschränkungen die zunächst verwendete Technik mit sich brachte. In Teil 2 geht es um das "Das Mittelalter: Strukturierung der Netze". Die Überwindung dieser Einschränkungen war notwendig für die Ausdehnung dieser Technologie auf andere Anwendungen als Datenübertragung in LANs. Es waren erhebliche Anstrengungen notwendig, um zum einen die Sicherheit so zu erhöhen, dass nicht nur universitäre Nutzer zu den Netzen zugelassen werden konnten. Zum anderen waren große Schritte notwendig, um die Geschwindigkeit so zu steigern, dass sie mit dem Bedarf standhalten konnte. Diese Entwicklung hat Ethernet im Gegenteil zu vielen anderen Konzepten (wie etwa Token Ring und FDDI) das Leben gerettet. In Teil 3 "Die Neuzeit: Eroberung der Anwendungen" wird es schließlich um die Voraussetzung für die Eroberung vieler Anwendungen gehen. In den unterschiedlichsten Bereichen wie der Telefonie, den Datenzentren oder den Internet-Access dominiert heute Ethernet. Zuletzt kamen die Bereiche Industrie und Automotive an die Reihe. Mit Automotive kehrt man derzeit zurück zu den Wurzel: 10 MBit/s und Multi-drop.

Die Urzeit: Geschwindigkeit ist alles

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Branche viele Kommunikationstechiken zu Grabe tragen. Nur IEEE P802.3 Ethernet hat überlebt und war doch nahe dran, den gleichen Weg zu gehen wie etwa Token Ring oder FDDI (Fiber Distributed Data Interface). Es lohnt sich also eine genaue Betrachtung, warum Ethernet sich heute bester Gesundheit erfreut und doch einzelne Anwendungen dem Abgrund wieder so nahe kommen. Doch zunächst: Woher stammt eigentlich der Name Ethernet? Ethernet ist ein Kunstwort, und der medizinische Äther, mit dem man Menschen betäubt, ist eher nicht gemeint. Ein neues Netz nach einem leicht flüchtigen Gas zu bezeichnen, gilt kaum als logische Deutung. Ist also vielleicht der astronomische Äther gemeint, also das "Medium" für den Transport von Licht und Funkwellen? Auch keine richtig gute Auflösung, denn die moderne Physik weist schnell nach, dass dieser Äther nicht existiert. Eine viel nettere Interpretation ist, dass "Ether" etwas mit den Wurzeln von Ethernet zu tun haben muss: Die Wurzeln liegen in Hawaii, denn das Funknetz Aloha, das die Universitäten von Hawaii mit einer CSMA-Funktechnik (Carrier Sense Multiple Access) verband ("erst hören, dann reden"), war das Vorbild für Ethernet. Wenn Aloha der Vater von Ethernet ist, dann ist es nur logisch, dass mit "Ether" der klare blaue Himmel über Hawaii gemeint ist. Diese These lässt sich dadurch untermauern, dass sich die Ethernet-Gemeinde auch heute noch ziemlich regelmäßig in Hawaii trifft. Der Name Ethernet fiel bereits 1973 zum ersten Mal, genannt von Bob Metcalfe, damals bei Xerox PARC (Palo Alto Research Center). Dort gab es dann auch die erste Umsetzung, von der die erste Skizze aus dem Jahr 1976 stammt (siehe Bild oben).
Bob Metcalfe brachte danach die DIX-Gruppe (DEC, Intel und Xerox) zusammen, die den ersten Ethernet-Standard entwickelt hatte und den Namen Ethernet schützen ließ. Dieser erste Ethernet-V1.0-Standard wurde bald von Ethernet V2.0 abgelöst, das lange Zeit den LAN-Markt dominierte.

Gründungsdatum von IEEE 802

Das Ethernet-Zeitalter begann im Februar 1980. 80-2 ist das Gründungsdatum des damaligen LAN Standards Committees IEEE 802. IEEE, das Institute of Electrical and Electronics Engineers, hat eine SA Standards Association, die ihrerseits IEEE 802 LSC aus der Taufe gehoben hat. Heute heißt das Gremium LMSC LAN und MAN Standards Committee, worauf diese Artikel in Teil 2 noch einmal zurückkommt. Aus IEEE 802 entwickelte sich noch im gleichen Jahr die Ethernet-Gruppe IEEE 802.3, die den Ethernet-V1.0-Standard als Ausgangspunkt für ihren eigenen Standard nahm. Allerdings durfte man sich damals nicht Ethernet nennen, da dieser Begriff, wie bereits erwähnt, der DIX-Gruppe gehörte. So nannten sich die Experten CSMA/CD (Carrier Sense Multiple Access with Collision Detection), was dem Namen des Ethernet-Protokolls entspricht und so auch die Affinität zu Hawaii dokumentiert. Zeitlich ist es also richtig, im Jahr 2020, den 40. Geburtstag von Ethernet zu feiern.

Die Konkurrenz schläft nicht

Dieses Signal ließ die Konkurrenz nicht ruhen, und noch im selben Jahr entstanden Token Ring IEEE 802.5 unter der Führung von IBM und Token Bus IEEE 802.4 von General Motors. Beide erlebten das 20. Jahrhundert aus verschiedenen Gründen allerdings nicht mehr.

Bei IEEE 802.4 war es sicher das Coax-Medium, das für die Industrie doch wohl nicht so geeignet ist und bei IEEE 802.5 der unzureichende Standard. Lange Zeit mussten andere Hersteller ihre Produkte gegen die IBM-Produkte testen, denn aus der Norm ließ sich ein standardgerechtes Verhalten nicht nachweisen. Neben den Multi-drop-Problemen war sicher auch die Herstellerdominanz ein Grund für den frühen Tod dieser Techniken.
Die Welt arbeitete damals an der Digitalisierung der Telefonnetze (in PDH, Plesiochrone Digitale Hierarchie), die sich bei Weitem noch nicht überall durchgesetzt hatte. So wurden zum Beispiel Telefongespräche von Italien noch per Hand vermittelt. Ältere erinnern sich an die Ski-Urlaube, bei denen sie für ihre Neujahrsgrüße in die Heimat ein Gespräch nach Deutschland anmelden mussten. Dann rief das "Fräulein vom Amt" in der Telefonzelle in der Gastwirtschaft an, vielleicht Stunden später, wenn eine Leitung geschaltet war. Datenübertragungen waren nicht minder kompliziert, sie erfolgten über Modems, die die Daten in Töne verwandelten und so über das Telefonnetz übertrugen. Damals waren Geschwindigkeiten kaum über 9,6 kBit/s möglich. Auch innerhalb eines Hauses lagen die Geschwindigkeiten selten darüber. Mit Ethernet explodierte diese Kommunikationsgeschwindigkeit. Eine Geschwindigkeitssteigerung von 9,6 kBit/s auf 10 MBit/s bedeutete eine Steigerung um den Faktor 1.000. Eine solche Steigerung hat die Technik nie wieder erreicht. Heute gibt sich die Branche sogar mit einem Faktor von 2,5 zufrieden.

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Bild 2. Das Jahr 1982 war die "Geburtsstunde" des ersten deutschen Ethernets.

LINK am KIT

1982, also zwei Jahre nach der Gründung des LAN Committees, erreichte der Urknall Deutschland. Das Informatik-Rechenzentrum der Universität Karlsruhe (heute KIT, Karlsruher Institut for Technology) installierte das LINK, was für Lokales Informatik Netz Karlsruhe stand.

Es bestand aus zwei Terminal-Servern an die jeweils acht asynchrone Terminals anzuschließen waren. Diese waren über einen Protokollumsetzer, den der Autor ursprünglich entwickelt hatte, um preiswerte synchrone Terminals auf MSV-Terminals umzusetzen, an einen Siemens­-BS2000-Großrechner angeschlossen. Trotz des enormen Preises dieser Ethernet-Konfiguration von rund 80.000 DM war sie dennoch erheblich billiger als eine vergleichbare Siemens-Konfiguration, die etwa 200.000 DM kostete.

Viele Terminals

Damals gab es jedoch keine konkreten Ideen, was man mit solchen Geschwindigkeiten anfangen sollte, außer sehr viele asynchrone Terminals an das Netz anzuschließen. Es waren Zahlen bis 2.000 Terminals im Gespräch, was sich aber bald als Irrglauben herausstellte. Nicht etwa, weil die Geschwindigkeit nicht ausgereicht hätte, sondern weil das Netz unbeherrschbar wurde. Damals war der PC noch nicht erfunden, und so musste die Killer-Applikation für Ethernet erst noch gefunden werden.

Um solch hohe Geschwindigkeit transportieren zu können, hatten die Experten ein spezielles Kabel gewählt: fingerdick, gelb und koaxial, das "Yellow Cable". Dieses Kabel war gelb, damit es nicht mit Stromkabeln verwechselt werden konnte. Da das Kabel teuer war, mussten die Techniker daran sparen. Sie schlossen also mehrere Geräte an einen Kabelstrang an, ein als "Multi-drop" bezeichnes Konzept.

Das berühmte Yellow Cable

Ein Problem solcher Multi-drop-Netze ist der Anschluss neuer Geräte, schließlich will der Techniker die anderen Teilnehmer nicht unterbrechen. Bei Ethernet ging der Trick so: Mit einem Spezialbohrer ein Loch durch den Schirm bis auf den Innenleiter bohren, sodass der Transceiver, der auf dieses Loch gesetzt wurde, den Innenleiter durch einen Stift erreichen konnte, ohne dass andere Teilnehmer gestört wurden. So die Theorie.

In der Praxis ließ es sich häufig nicht vermeiden, dass ein kleines Drähtchen vom Schirm einen Kurzschluss verursachte und so mindestens ein ganzes Segment mit vielen Teilnehmern lahmlegte. Ein Glücksfall, wenn dies sofort auffiel, dann wusste man, wo der Fehler aufgetreten war, und konnte ihn schnell beheben.
Aber wehe, wenn der Fehler erst später zu Tage trat: Dann galt es möglicherweise, das ganze Netz zu zerlegen, um den Fehler zu lokalisieren. TDRs (Time Domain Reflektometer), mit denen ein Techniker den Fehler hätte lokalisieren können, standen häufig nicht zur Verfügung und wurden erst später in einige Ethernet Chips integriert.

CSMA/CD

Wie alle aus der Schule wissen, darf immer nur einer reden, auch wenn alle gleichzeitig reden wollen. Diesen Grundsatz hatten die Erfinder aus Aloha übernommen, denn auch im Funk darf bekanntlich immer nur einer senden. Diesem einfachen "Erst hören, dann reden"-Prinzip fügten die Techniker noch eine Kollisionsbehandlung hinzu, die aktiv wird, wenn sich doch einmal zwei oder mehrere Teilnehmer nicht an den obigen Grundsatz halten. Das entsprechende Protokoll hört auf den Namen CSMA/CD. Das CSMA/CD war für den allgemeinen Gebrauch recht unhandlich und bei wachsender Teilnehmerzahl sogar unbeherrschbar. Daher kam es zunächst vornehmlich in Universitäten zum Einsatz, die die Zeit aufbringen konnten, die korrekten Konfigurationen zu entwickeln und vor allem auch die Fehler zu finden. Der Autor kann sich noch gut an ein Problem erinnern, bei dem ein defekter Anschluss das gesamte Netz lahmgelegt hatte und man das Wochenende damit verbringen musste, das Netz in seine Bestandteile zu zerlegen, um dem Fehler auf die Spur zu kommen.

Überlebensskünstler

Dennoch hat Ethernet überlebt. In den vergangenen 40 Jahren sind dagegen viele andere Techniken verschwunden. Dazu gehören zum Beispiel:

  • X.25, ISDN oder Frame Relay, weil sie nicht skalierbar waren,
  • IEEE P802.4 Token Bus, IEEE P802.5 Token Ring oder FDDI, weil sie sich an Multi-drop geklammert haben,
  • PDH Plesiochrone und SDH Synchrone Digitale Hierarchie, weil sie der Preisentwicklung nicht standhalten konnten,
  • ATM, das heutige Probleme 15 Jahre zu früh gelöst hat und damit seiner Zeit voraus war,
  • IEEE P802.9 ISLAN Integrated Services LAN oder IEEE P802.14 CATV Cable TV, weil sie ihre Zeit verpasst hatten, und
  • IEEE P802.12 DPAP Demand Priority Access Protocol oder auch VG-AnyLAN, weil sie durch Fahrlässigkeit bei der Standardisierung durchgefallen sind, oder neuer
    40GBase-T, weil es von 25 GBASE-T verdrängt wurde, da der Grundsatz der "Distinct Identity" verletzt ist.

Es war also höchste Zeit, eine Lösung für die CSMA/CD-Probleme zu finden und Werkzeuge zu entwickeln, die Ethernet generell verwendbar machten. Dies wird Thema der nächsten Folge dieser Artikelserie sein.

Hans Lackner ist Diplom-Informatiker und seit 1990 stimmberechtigtes Mitglied von IEEE 802.3. Er hat an sämtlichen Standards von 10Base-T bis zu den heutigen 400-GBit/s-Techniken mitgewirkt.


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