Mobile Medizininfrastruktur gibt Impulse

Kabelnetz mit Flexibilität

13. November 2014, 7:00 Uhr | Jan Moll, Geschäftsführer von Dtm Datentechnik Moll, www.dtm-group.de./jos

Der Aufbau eines Datennetzes für mobile Anlagen stellt besondere Anforderungen an Planung und Verlegung. Wie der Bau moderner Rechenzentren von den Erfahrungen mit einem mobilen Krankenhaus profitieren kann, erläutert ein Praxisbeispiel.

Das Krankenhaus mit dem höchsten technischen Standard in ganz Saudi-Arabien ist das King Fahad National Guard Hospital in Riad. Dasselbe Qualitätsniveau forderte die saudische Nationalgarde auch für ihr neues mobiles Hospital, das im Januar 2014 fertiggestellt wurde. Mit einer nominellen Kapazität von 40 regulären Patientenbetten, acht Intensivbetten und einer Isolationsstation mit drei Betten übernimmt das mobile Krankenhaus verschiedene Funktionen. Es dient als medizinische Begleitung, wenn der König auf Reisen geht, steht aber auch für den Fall einer medizinischen Unterversorgung der Bevölkerung bereit - was im dünn besiedelten Saudi-Arabien nicht nur bei Katastrophen der Fall sein kann.
Die medizinischen Arbeitsräume des Hospitals bestehen aus hochwertigen Aluminium-Leichtbaucontainern, sogenannten Sheltern. Darin betreibt der Sanitätsdienst nicht nur die medizinischen Basisstationen eines Krankenhauses wie OP, Intensivstation, Sterilisation, Röntgen, Labor oder Apotheke, sondern darüber hinaus auch Facharztbereiche wie Zahnarzt, Augenarzt oder HNO-Klinik. Für die Unterbringung der Patienten, die Schlafräume der Krankenhausmitarbeiter, die Kantine und als Verbindungsgänge zwischen den Shelter-Modulen kommen aufblasbare Zelte zum Einsatz.
Gebaut wurde das mobile Hospital beim weltweit agierenden Shelter-Systemhersteller Zeppelin Mobile Systeme (ZMS) in Meckenbeuren. Seinen Ursprung hat das Unternehmen im Bau der Zeppelin-Luftschiffe im nur rund zehn Kilometer entfernten Friedrichshafen am Bodensee. Die selbsttragende Aluminium-Sandwich-Leichtbauweise von ZMS ermöglicht sehr robuste Shelter mit einer akustisch wie thermisch effektiven Isolierung.
Zusätzlich zu den Versorgungsnetzwerken mit Strom, Wasser, Klimatechnik und Brandmeldeanlage verlangte das Anforderungsprofil auch ein Datennetzwerk inklusive Satellitenanlage, das die Anforderungen eines stationären Gebäudes nahezu identisch auf das mobile System überträgt. Dabei waren nicht nur die Datenübertragung zwischen den medizinischen Geräten sowie die Telefonie innerhalb des mobilen Krankhauses sicherzustellen. Eine zentrale Satelliten-Internet-Verbindung stellt zudem über ein Virtual Private Network (VPN) eine direkte Voice-over-IP-Telefonanbindung an das Mutterhaus in Riad zur Verfügung.
Für die Planung und Realisierung der IT- und Netzwerkinfrastruktur für das bewegliche Krankenhaus konnte ZMS auf einen Spezialisten in unmittelbarer Nachbarschaft zurückgreifen. Die ebenfalls in Meckenbeuren ansässige Dtm Datentechnik Moll verfügt über langjährige Erfahrung mit der Errichtung von Datennetzen und Rechenzentren. Die mobile Anlage stellte jedoch auf verschiedenen Ebenen eine neuartige Herausforderung dar, zumal Dtm nur anhand von Konstruktionszeichnungen planen konnte.
 
Schneller Auf- und Abbau
Ein mobiles Krankenhaus muss sich in kürzester Zeit montieren und demontieren lassen. Die Anlage muss so in Boxen verpackbar sein, dass sie logisch wieder aufgebaut werden kann. Dies erfordert eine möglichst einfache Architektur, die sich dem Einsatzpersonal leicht erschließt, ohne dass man spezialisiertes Fachpersonal von weit her hinzuziehen müsste.
Die dazu entwickelte Lösung basiert auf einer Gliederung in drei Ebenen. Ebene 1: Der zentrale Telekommunikations-Shelter (kurz TC-Shelter) beherbergt die Satellitenantenne sowie den VoIP-Router und einen WLAN-Controller. Vom Administratorzelt mit den Server- und Storage-Systemen (fünf Cisco-Bladeserver und Nimble Storage) aus ist eine Online-Überwachung von Temperatur- und Feuchtigkeitswerten im TC-Shelter möglich. Ebene 2: Die medizinischen Shelter sind mit Gigabit-Lichtwellenleitern aus Glasfaser an den TC-Shelter angebunden. Die Zuleitung ist jeweils über eine versenkte Bucht mittels eines Steckers mit Bajonettverschluss ausgeführt. Dieses Design ermöglicht eine intuitive, leichte Handhabung beim Anschließen ebenso wie beim Verpacken der Kabel. Und Ebene 3: Die Verkabelung in den Zelten ist besonders schwierig, da es dort keine starren Wände gibt, an denen man die Kabel sicher befestigen kann, oder in die man sie vielleicht sogar einlassen könnte.
Die Lösung basiert auf einem Design, das jeweils nur sehr kurze Kabelstrecken benötigt. Dies ist durch Einteilung der gesamten Anlage in Sub-Areas möglich, die als Unternetze dienen. Jede Sub-Area hat ihr eigenes Verteilergehäuse (EC) mit Switch. Der EC ist mit der nächsthöheren Ebene ebenfalls über ein LWL-Kabel verbunden. Vom EC gehen flexible Kupferkabel mit Bajonettverschluss-Buchsen und -Steckern ab. Die Übergänge zu den Clients (PCs und Telefone) erfolgen über ein sogenanntes DT (Distributed Terminal), das mit zwei Patch-Kabeln von bis zu 15 Meter Länge ausgestattet ist.
Architekturen wie diese können auch in bestimmten stationären Netzwerken große Vorteile bringen. Ein Beispiel wäre die Verlegung von Datenkabeln in einem Gebäude mit sehr unregelmäßigem Grundriss, etwa die nachträgliche Verkabelung bei der Sanierung historischer Gebäude. Dort kann ein Techniker die Standardmethoden der strukturierten Verkabelung nicht in der gleichen Weise anwenden wie in einem Büroneubau. Die Aufgliederung in Ebenen kann in solchen Fällen die Aufgabe erleichtern.
 
Komplizierte Kabelwege
Die Ausrüstung eines medizinischen Shelters ist sehr komplex. Jeder Shelter ist mit einem Gehäuse für den Switch, Telefonen, PC-Anschlüssen und einem Lautsprecher für Durchsagen ausgerüstet. Die Anschlüsse für den Datenaustausch der jeweiligen medizinischen Geräte kommen selbstverständlich noch hinzu. Die Leitungswege für die nötigen Kabel sind beschränkt oder schlecht zugänglich, da sich die Datenkabel den wenigen vorhandenen Platz mit den Stromkabeln teilen müssen. Dies bedeutet, dass sehr lange zwischengekuppelte Verbindungen entstehen. Damit drohen hohe Dämpfungswerte und somit eine schlechte Übertragungsleistung.
Drei Faktoren tragen jedoch zur Entzerrung der Situation bei, und zwar erstens die Zahl der zu verlegenden Kabel, die sich durch eine Zusammenlegung von Funktionen reduzieren ließ. Nicht nur Telefongespräche und Daten laufen dank VoIP über dasselbe Kabel, sondern auch die Lautsprecherdurchsagen. Das Paging-System ist in das Cisco-VoIP-System integriert. Mit dem speziellen SIP-Lautsprechersystem, das Dtm selbst entwickelt und gebaut hat, sind Durchsagen von allen Telefonen aus möglich. Der zweite Faktor: Das gesamte Krankenhausareal ist zusätzlich mit WLAN abgedeckt und ermöglicht Telefonie und Datenzugriff. Dies reduziert die Datenmenge, die über die Kabelstrecken laufen muss. Das WLAN-Meshing ist über einen zentralen Accesspoint mit den Accesspoints an den Lichtmasten verbunden. Die Integration von Lichtversorgung und WLAN-Hardware leistet wiederum einen Beitrag zur Vereinfachung des Auf- und Abbaus.
Und drittens: Für die Verkabelung selbst kommt ein Highend-Produkt zum Einsatz, das auch bei mehrfach gesteckten Verbindungen eine sehr gute Channel-Leistung erbringt. Es handelt sich um ein Schweizer Fabrikat, das dort das Militär verwendet, und das für eine hohe Verfügbarkeit auch unter widrigen Bedingungen zertifiziert ist.
Ein solches intelligentes Load-Balancing von Übertragungsleistungen zwischen WLAN- und Kabel-Channels ist nicht nur für mobile Anlagen interessant. Auch in festen Netzwerken lassen sich mit diesen Konzepten die Faktoren Flexibilität und Redundanz - und dadurch auch die Ausfallsicherheit - in Einklang bringen.
 
Thermische Belastung
Das Temperatur-Management ist bei aktiven IT-Komponenten stets ein Thema. In der saudischen Wüste mit sommerlichen Außentemperaturen von 50 °C gewinnt es jedoch dramatisch an Brisanz. Die Kabel und Dosen, die in der Decke der Shelter verlegt sind, sind bei Sonneneinstrahlung Temperaturen von bis zu 90 °C ausgesetzt. Entsprechend anspruchsvoll waren die Vorgaben, die der Integrator an die Lieferanten stellte. Neben den von Dtm selbst gebauten Verteilern und Lautsprechern qualifizierten sich Kabel und Buchsen von Leoni für diesen Einsatzzweck.
Nach den erfolgreichen Abnahmemessungen des fertig installierten Netzwerks bei ZMS in Meckenbeuren konnte der Erbauer Anfang 2014 die Shelter und Zelte für den Versand demontieren. 45 Seefrachtcontainer mit einem Gesamtgewicht von rund 300 Tonnen traten per Lkw, Bahn und Schiff die Reise vom Bodensee nach Riad an, wo der Auftraggeber sie ohne Beanstandung abnahm.

Der zentrale Telekommunikations-Shelter (kurz TC-Shelter) beherbergt die Satellitenantenne.

Für die Verkabelung des mobilen Krankenhauses kommt ein Highend-Produkt zum Einsatz, das auch bei mehrfach gesteckten Verbindungen eine hohe Channel-Leistung erreicht.

Das Administratorzelt beherbergt die Server- und Storage-Systeme des mobilen Hospitals.

Das mobile Hospital der saudischen Nationalgarde, dessen Fertigstellung im Januar 2014 erfolgte, hat eine nominelle Kapazität von 40 regulären Patientenbetten.

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