Zertifizierung und Qualität

Mehr als nur ein Datenkabel

8. November 2016, 8:00 Uhr | Von Dipl.-Ing. Jörg Bör.

Mit zunehmender Vernetzung und dem vielfältigen Einsatz moderner Kommunikationstechnik wachsen auch die Anforderungen an Datenkabel. Aktuelle Trends wie Smart Home, Smart Office, Smart Factory, das Internet der Dinge oder die M2M-Kommunikation umfassen viele Anforderungsdetails, die oft nicht sofort ins Auge fallen.

Das Internet wird durch die Vernetzung von Menschen, Dingen und Diensten immer mehr zur zentralen Dienstleistungsplattform, die verschiedene Anwendungsfelder wie etwa Smart Home, Smart Grid, Landwirtschaft, Medizin, Mobilität und andere miteinander verbindet. Daraus ergeben sich zum Teil völlig neue Anforderungen an Hersteller, Industrie und Handel. Bei der Entwicklung und Vermarktung vernetzter Produkte sind Aspekte wie elektrische Sicherheit, Informationssicherheit, Interoperabilität, funktionale Sicherheit oder auch Interdisziplinarität zu beachten und zu berücksichtigen, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Der Alltag des modernen Menschen hängt in zunehmendem Maße von zuverlässigen IT-Netzen ab. Sogar Telefonnotrufe erfolgen heutzutage über das Internet. Dabei ist eine gute Qualität aller Komponenten Voraussetzung für verlässliche Netze. Einzelkomponenten wie Datenkabel, Steckverbinder und passive Netzwerkkomponenten sind Grundlage zuverlässiger Datennetze und entsprechend sorgfältig auszuwählen und zu prüfen.

In der Kommunikation von Mensch zu Maschine ist der Bediener die letzte Eskalationsstufe im Fehlerfall. Er kann vor Ort eingreifen, wenn die Kommunikation der vernetzten Systemkomponenten fehlschlägt. In der Kommunikation von Maschine zu Maschine entfällt der Bediener als letzte Instanz. Daher muss jedes mögliche Fehlerszenario bereits in der Projektierung vorhergesehen und geeignete Maßnahmen im System implementiert sein. Je selbstständiger also technische Systeme funktionieren, desto wichtiger wird die Zuverlässigkeit aller Komponenten.

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Alles wird smart, auch das Internet der Dinge oder die M2M-Kommunikation.

Dabei besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Systemzuverlässigkeit und Netzwerkzuverlässigkeit. Softwarefehler lassen sich systemintern erkennen. Damit ist die Reaktion auf einen Fehlerzustand programmierbar. Denn Systemfehler entstehen stets intrinsisch, es gibt nahezu keine Abhängigkeit von der äußeren Umgebung. Die Systemspezifikation ist demzufolge unabhängig von der Einsatzumgebung. Schwere Hardwarefehler dagegen sind systemintern nicht korrigierbar, denn unterbrochene Datenleitungen erfordern eine mechanische Reparatur oder den Austausch der Leitungen, also ein Eingreifen von außen. Infolge von Beschädigungen durch äußere Einwirkungen können undefinierte Zustände auftreten. Deshalb ist es für die Netzwerkzuverlässigkeit unerlässlich, die äußeren Bedingungen zu berücksichtigen.

Das fehlerfreie Funktionieren von Hardwarekomponenten gilt oft als Selbstverständlichkeit, und ihre Bedeutung ist entsprechend unterschätzt. Wer achtet schon beim Kauf eines neuen Autos auf die Qualität der Bereifung? Und doch hängt so viel davon ab. Autoreifen müssen für unterschiedliche Straßenverhältnisse, Witterungsbedingungen und Geschwindigkeiten geeignet sein und sollen unter all diesen äußeren Bedingungen viele Tausend Kilometer zuverlässig ihren Dienst tun.

Ähnliches gilt für Kabel. Ihre eigentliche Funktion, nämlich die Übertragung von Energie oder Informationen (oder auch einer Kombination aus beidem, etwa Power over Ethernet) erscheint auf den ersten Blick gar nicht so anspruchsvoll. Aber Kabel müssen unter allen Umständen funktionieren. Somit definieren nicht nur die Anwendung, sondern vor allem das Einsatzgebiet teilweise sehr komplexe Anforderungen.

Als Einsatzgebiet verstehen Experten in diesem Zusammenhang die Gesamtheit der äußeren Bedingungen, unter denen die Anwendung funktionieren soll, wie Temperatur, Chemikalieneinfluss, mechanische Beanspruchung etc.

Die Unterscheidung zwischen Anwendung und Einsatzgebiet macht deutlich, dass einerseits Kabel für unterschiedliche Anwendungen im gleichen Umfeld, andererseits auch Kabel für dieselbe Anwendung (zum Beispiel Ethernet) unter völlig verschiedenen Umgebungsbedingungen funktionieren müssen. Dies erklärt auch die große Typenvielfalt von Kabeln und Leitungen.

Die Einsatzbedingungen für Kabel sind speziell im industriellen Umfeld sehr vielseitig. Dadurch entstehen manchmal sogar widersprüchliche Produktanforderungen. Zum Beispiel erfordern viele Industrieanwendungen bewegliche Kabel mit hoher Temperaturbeständigkeit. Gängige wärmebeständige Kabelmäntel sind jedoch wegen ihrer hohen Biegesteifigkeit für den Einsatz in bewegten Anlagenteilen ungeeignet. Doch auch im Büroalltag können hohe Temperaturen, mechanische Belastungen, Feuchtigkeit oder aggressive Medien den Kabeln gefährlich werden. In Brüstungskanälen unter Fensterbänken können Temperaturen von 70° C auftreten. Manche Erfrischungsgetränke enthalten biologische Fette oder Säuren, die Kabelmäntel zerstören können. Und der Tritt auf ein am Boden liegendes Kabel, vor allem mit kleinen Absätzen, kann eine enorme Flächenlast darstellen.

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Der Bediener stellt die letzte Eskalationsstufe im Fehlerfall dar.

Wenn diese Aspekte schon in der Spezifikation des Kabels berücksichtigt sind, stellen solche Beanspruchungen meist kein Problem dar. Deshalb ist es wichtig, schon in der Planungsphase die zu erwartenden äußeren Einflüsse sorgfältig zu erfassen.

Wenn alle Einflussgrößen ermittelt und die Anforderungen aus der Anwendung und dem Einsatzgebiet spezifiziert sind, behauptet jeder Anbieter, dass sein Produkt diese Anforderungen erfüllt. Der Anwender ist jedoch oft nicht in der Lage, dies zu überprüfen.

Hersteller haben zumeist ein geeignetes Testequipment, um die Produkte ausreichend zu bewerten. Der Anwender hat oft weder das Fachwissen noch die geeignete Ausstattung, um eine umfassende Produktprüfung durchzuführen. Wenn er seinem Lieferanten nicht uneingeschränkt vertraut, bleibt als Ausweg nur die Prüfung durch einen unabhängigen und sachkundigen Dritten. Doch die Vielfalt an Prüfungen und Zertifikaten verwirrt oft die Anwender. Manche Zertifikate bestätigen nur die Übertragungseigenschaften, andere beziehen sich ausschließlich auf das Brandverhalten. Technische Einkäufer sollten genau hinsehen, welches Qualitätszeichen auf dem Produkt zu sehen ist.

Oft wird auch auf das europäische CE-Zeichen als Qualitätsmerkmal verwiesen. Das CE-Zeichen ist jedoch kein Prüfzeichen. Es bestätigt die Einhaltung aller für das Produkt relevanten kennzeichnungspflichtigen EU-Vorschriften. Bei Kabeln ist dies vor allem die Niederspannungsrichtlinie, bisweilen auch die RoHS-Richtlinie (Restriction of Hazardous Substances). Das CE-Zeichen beruht auf einer Konformitätserklärung des Herstellers und ist nicht zwingend mit einem alle in der Einleitung aufgeführten Aspekten umfassenden Prüfprogramm verknüpft.

CE-Zeichen nicht aussagekräftig

Eine CEOC-IFIA-Marktuntersuchung im Jahr 2015 hat 319 Haushaltsgeräte aus dem Markt entnommen und geprüft, deren Konformitätsbescheinigung eine Herstellerselbsterklärung war. Bei 77 Prozent davon traten Abweichungen von der Spezifikation auf. An 14 Prozent stellten die Tester sogar sicherheitskritische Mängel fest. Als Gegenprobe wurden 139 Produkte mit Prüfzeichen unabhängiger Prüfinstitute getestet. Hier fanden sie nur an einem Produkt (0,7 Prozent) einen sicherheitskritischen Fehler. Dies ist zwar immer noch einer zu viel, jedoch ist der Faktor 20 bei den Sicherheitsmängeln ein deutlicher Hinweis, dass unabhängig zertifizierte Produkte erhebliche Vorteile bieten. Schon die Tatsache, dass ein Hersteller eine Zertifizierung beantragt, spricht für einen hohen Qualitätsanspruch, der sich offensichtlich auch in der Fertigung zeigt.

Seit der Gründung im Jahre 1920 hat das VDE-Prüf- und -Zertifizierungsinstitut über Jahrzehnte hinweg Kompetenz in der Prüfung von Kabeln und Komponenten aufgebaut und ist durch die Verbindung zur "DKE Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE" eng in den Normungsprozess eingebunden.

Mit modernster Prüftechnik stellen die erfahrenen Prüfingenieure ein umfassendes Prüfangebot zur Verfügung. Dazu gehört nicht nur die Messung der HF-Übertragungseigenschaften und der EMV-Parameter, sondern auch die Ermittlung der Materialeigenschaften, die Prüfung des mechanischen Verhaltens und der Beständigkeit gegen Umgebungseinflüsse. Nur die Prüfung all dieser Eigenschaften kann die Zuverlässigkeit über viele Jahre hinweg sicherstellen.

Ein weiterer aktueller Schwerpunkt ist die Prüfung des Brandverhaltens. Die EU-Verordnung 305/2011 (Bauproduktenverordnung, BauPVO) fordert für dauerhaft in Bauwerke eingebrachte Kabel und Leitungen wie etwa in der strukturierten Gebäudeverkabelung nach EN 50173 eine Klassifizierung des Brandverhaltens. Das VDE-Institut ist seit 20.07.2016 auf der NANDO-Liste der Europäischen Kommission für die BauPVO aufgeführt und damit nunmehr notifizierte Stelle für die Prüfung von Kabeln und Leitungen. Neben der Klassifizierung nach BauPVO bietet das VDE-Institut verschiedene Prüfzeichen für Datenkabel an. Die VDE-Zeichengenehmigung bestätigt die vollständige Übereinstimmung eines Produkts mit der entsprechenden VDE-Norm. Es wird erteilt, wenn die gesamte Spezifikation geprüft ist, und berechtigt den Hersteller, das VDE-Kabelzeichen aufzubringen. Regelmäßige Werks- und Produktkontrollen durch die Inspektoren des VDE-Instituts stellen eine gleichbleibend hohe Qualität sicher.

Eine VDE-REG-Nummer wird vergeben, wenn durch ein VDE-Gutachten mit Fertigungsüberwachung die Übereinstimmung mit einer Norm bestätigt ist, jedoch sicherheitstechnisch nicht relevante Abweichungen oder besondere Anforderungen nach Kundenspezifikation berücksichtigt wurden. Auch dabei unterliegen Hersteller und Produkt der regelmäßigen Werks- und Produktüberwachung durch VDE-Inspektoren.

Dipl.-Ing. Jörg Bör ist beim VDE-Prüf- und -Zertifizierungsinstitut tätig ().

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