Im Interview: Jochen Krauß von Keymile

Mehr LWL-basierende Breitbandanschlüsse

30. März 2020, 9:02 Uhr | Dr. Jörg Schröper

Im LANline-Gespräch nahm Jochen Krauß, Director Product Management bei Keymile, Stellung zur derzeitigen Lage des Breitbandausbaus in Deutschland. Außerdem erläuterte er die Pläne, wie der Hersteller auf die vielfältigen Herausforderungen des FTTX-Markts reagieren will.

LANline: Herr Krauß, Hand auf?s Herz, wie bewerten Sie die aktuelle Situation in Deutschland beim Glasfaserausbau aus Sicht von Anwenderunternehmen?
Krauß: Im europäischen, aber auch im internationalen Vergleich liegt Deutschland sehr deutlich im Ausbau von FTTH- und FTTB-Anschlüssen zurück. In der aktuellen Idate-Studie von 2019 für das FTTH-Council Europe zum Anteil der Haushalte mit FTTH-/FTTB-Anschluss nimmt Deutschland mit rund 2,7 Prozent die Position 29 von 33 verglichenen Ländern ein. Das ist natürlich keine gute Nachricht. Dennoch verfügten im Jahr 2018 nach dem Bericht der Bundesnetzagentur etwa 20 Prozent aller Breitbandanschlüsse über eine Anschlussbandbreite von 100 MBit/s oder mehr.

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"Standardisierung ist gerade im Bereich der Telekommunikationsnetze eine unabdingbare Voraussetzung, um ein reibungsloses Zusammenspiel der Komponenten und der Netze auch global zu gewährleisten", sagt Jochen Krauß, Director Product Management bei Keymile. Bild: Keymile

LANline: Wie passt das zusammen?
Krauß: Dies ist auf einen relativ hohen Anteil von HFC-Anschlüssen, also Hybrid-Fiber-Coax/CATV, zurückzuführen. Dabei geht es um 24 Prozent aller Breitbandanschlüsse. Zudem gibt es einen verstärkten Ausbau von DSL-Anschlüssen mit Profil 35b, die bis zu 300 MBit/s-Anschlussbandbreite bieten. Beide Technologien, HFC und VDSL 35b mit Vectoring, die in den meisten Fällen die aktuellen Bandbreitenanforderungen von Privatanwendern abdecken, und die sehr hohen Ausbaukosten von FTTH-Anschlüssen sind Gründe für den bisher verhaltenen Glasfaserausbau in Deutschland. Wir stellen aber fest, dass insbesondere die Wettbewerber der Deutschen Telekom verstärkt in eigene Glasfasernetzstrukturen mit FTTH- und FTTB-Anschlüssen investieren.
Der Vectoring-Ausbau der Deutschen Telekom, der in vielen Fällen einen Ausbau der Wettbewerber erschwert, sowie das Ziel, unabhängig von Vorleistungsprodukten der Deutschen Telekom zu werden, haben diesen Trend beschleunigt.
LANline: Welche Rolle nimmt Keymile in diesem Umfeld ein?
Krauß: Keymile konnte den Breitbandausbau von Anfang an mit leistungsfähigen Produkten unterstützen. Die Erweiterung des Multi-Service-Access Systems MileGate um VDSL-35b-Vectoring-Anschlüsse unterstützt Netzbetreiber beim weiteren Ausbau ihrer FTTC-Infrastruktur, also Fibre to the Curb. Mit Bandbreiten von bis zu 300 MBit/s stellt diese häufig mittelfristig die wirtschaftlichste Alternative beim Ausbau dar.
Weiterhin nimmt die Zahl der glasfaserbasierenden Active-Ethernet-/Point-to-Point-Anschlüsse über MileGate kontinuierlich zu. Diese bieten dem Endkunden bis zu 1 GBit/s Anschlussbandbreite.

LANline: Wie stimmen Sie Ihre Technik auf solche Anforderungen ab?
Krauß: Wir konnten durch den Zusammenschluss mit DZS, Dasan Zhone Solutions, Anfang 2019 unser Produktportfolio im Bereich PON-Lösungen (Passive Optical Network, d.Red.) enorm erweitern und auf den großen Erfahrungsschatz der Kollegen aus Korea zurückgreifen. Korea liegt mit einem Marktanteil von mehr als 70 Prozent von FTTH/FTTB-Anschlüssen auf Platz 5 des globalen Rankings. Damit können wir unseren Kunden sowohl GPON als auch XGS-PON mit 10 GBit/s symmetrisch und in Zukunft auch NG-PON2-Lösungen mit 4 x 10 GBit/s anbieten. Zusätzlich verfügen wir durch den Zusammenschluss über ein breites ONT- (Optical Network Termination, d.Red) und CPE- (Customer Premises Equipment, d.Red.) Portfolio. Ergänzend dazu haben wir im Bereich FTTB unser bisheriges G.fast-DPU-Portfolio (Distribution Point Unit, d.Red.) um ein weiteres Modell mit 212-MHz-Frequenzspektrum erweitert. Damit lassen sich FTTB-Anschlüsse unter Nutzung der bestehenden Hausverkabelung von bis zu 2 GBit/s in der Summe von Upstream und Downstream realisieren. Für viele Netzbetreiber ist dies die beste Lösung für bestehende Gebäude, da sich auch extrem hohe Anschlussbandbreiten realisieren lassen, ohne in die Hausverkabelung investieren zu müssen.
LANline: Welche Ratschläge geben Sie Anwenderunternehmen bei Technikentscheidungen im Netzumfeld?
Krauß: Die drei wichtigsten Tipps sind erstens: Wenn die Finanzierung des Netzbetreibers langfristig ausgelegt ist und Investitionen in einen Glasfaserausbau erlaubt, sollte man FTTH/FTTB-Lösung anstreben. Zweitens: Sollte ein Glasfaserausbau aus finanziellen Gründen mittelfristig nicht möglich sein, stellt VDSL-Vectoring mit bis 300 MBit/s, Profil 35b, eine wirtschaftliche Alternative dar, die insbesondere in Regionen mit geringem Wettbewerb, also etwa außerhalb der Städte oder Ballungszentren, eine sehr gute Positionierung und hohe Marktanteile ermöglicht. Und drittens: Der Glasfaserausbau sollte spätere Topologieänderungen, zum Beispiel von PON auf PtP, und Erweiterungen zum Ausbau paralleler Netze wie etwa die eines Anschlussnetzes für 5G-Basisstationen erlauben.

LANline: Stichwort Funktechnik: Gibt es eine Konkurrenzsituation 4G/5G vs. leitungsgestützte Breitbandnetze?
Krauß: Die aktuellen 4G/LTE-Netze bieten zwar - je nach Standort - eine hervorragende Breitbandalternative bei mobiler Nutzung, kaum aber eine umfassende Alternative zu leitungsgestützten Breitbandnetzen. Nach dem Jahresbericht der Bundesnetzagentur wurden etwa im Jahr 2018 knapp zwei Milliarden Gigabyte Datenvolumen über Mobilfunknetze und etwa
45 Milliarden Gigabyte Datenvolumen über leitungsbasierte Breitbandnetze in Deutschland übertragen. Die 5G-Technik bietet allerdings die Grundlage, um mit aktuellen Breitbandtechniken zu konkurrieren. In der Praxis wird dazu jedoch eine enorme Investition in Netzstrukturen erforderlich, da für ein sehr breitbandiges Angebot eine sehr hohe Anzahl von kleinen Funkzellen nötig ist. Meine Einschätzung: In Zukunft wird der Anteil des mobilen Breitbandverkehrs sicher weiter zunehmen und für einige Nutzer abhängig vom Nutzungsverhalten einen Festnetzanschluss überflüssig machen. Durch neue Dienste, also zum Beispiel 4K-/8K-Video-Streaming und zunehmendes Cloud-Computing oder Cloud-Storage, wird jedoch auch mittel- und langfristig der größere Anteil der Haushalte einen festnetzbasierenden Breitbandanschluss nutzen.

LANline: Was ist von Keymile an neuer Technik mittelfristig zu erwarten?
Krauß: Wir erwarten in Deutschland und in Europa eine deutliche Steigerung bei glasfaserbasierenden Breitbandanschlüssen. Daher bieten wir bereits heute XGS-PON-Lösungen an und werden diese auf NG-PON2 erweitern. Daneben werden wir unser Angebot an 10G-Active-Ethernet-Lösungen erweitern. Außerdem planen wir für das Jahr 2020 eine deutliche Ergänzung unseres G.fast-DPU-Portfolios, um Systeme für größere Gebäude und alternative Stromversorgungskonzepte anzubieten.

LANline: Wohin wird sich der Markt grundsätzlich entwickeln? Spielen politische Parameter, etwa der Brexit oder das Spannungsfeld China mit Huawei, künftig eine größere Rolle in Ihrem Geschäft?
Krauß: Inwieweit sich der aktuelle Handelsstreit zwischen den USA und Europa auf den europäischen Markt auswirkt, bleibt noch abzuwarten, da eindeutige Positionierungen in den meisten europäischen Staaten noch ausstehen. Allerdings stellen wir fest, dass einige Netzbetreiber auch in Europa bereits jetzt Alternativen zu chinesischen Anbietern suchen. Da wir auch in Großbritannien mit einer Niederlassung vertreten sind, stellt uns der Brexit in diesem Umfeld neue Aufgaben. Einen weitergehenden Einfluss erwarten wir für unsere Geschäfte nicht, da unsere Warenflüsse ansonsten nicht über Großbritannien laufen.

LANline: Bisweilen heißt es heute, die Normierung hinke der Technik viel zu weit nach. Wie bewerten Sie die Situation in Ihrem Tätigkeitsumfeld?
Krauß: Natürlich hinkt die Standardisierung den individuellen Forschungen und Entwicklungen in vielen Bereichen hinterher. Allerdings ist Standardisierung gerade im Bereich der Telekommunikationsnetze eine unabdingbare Voraussetzung, um ein reibungsloses Zusammenspiel der Komponenten und der Netze auch global zu gewährleisten. Standardisierung benötigt auch aufgrund der zahlreichen Beteiligten Zeit, die sich jedoch in vielen Fällen durch die Mitwirkung von Institutionen wie etwa dem Broadband Forum verkürzen ließ.

LANline: Was tut sich in diesem Umfeld im Moment?
Krauß: Ein aktuell sehr spannendes und vielversprechendes Thema ist die Standardisierung im Bereich SDN, also Software-Defined Networks. Dabei geht es um einen Standardisierungsansatz, der den Betrieb von Netzen, die mit Systemen unterschiedlicher Hersteller realisiert wurden, deutlich erleichtern wird. Auf Systemebene wird eine weitgehende Entkopplung von Software und Hardware bei Telekommunikationssystemen möglich. Wir arbeiten selbst aktiv an der Implementierung in verschiedene Produkte. Zudem beteiligen wir uns beim BBF an der Definition von Cloud-CO, der Umsetzung standardisierter APIs und der Netconf/Yang-Unterstützung.

LANline: Herr Krauß, herzlichen Dank für das Gespräch.


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