Smart Factory mit leistungsfähiger Verkabelung

Profinet in der modernen Produktion

20. August 2014, 6:00 Uhr | Dipl.-Ing.(TU) Rainer Schmidt ist Business-Development-Manager Structured Cabling bei Harting Electronics. www.harting.de. Er arbeitet im ISO/IEC SC65C JWG10, im ISO/IEC JTC 1/SC25 und im VDE/DKE/DIN GUK 715.3./jos

Die Smart Factory oder auch Industrie 4.0 ist in aller Munde. Das ist gut so, da diese Begriffe helfen, ein sehr komplexes Thema einfach zu benennen. In der weiteren Diskussion ist man allerdings gut beraten, genauer darauf zu achten, was der jeweilige Gesprächspartner unter diesen Begriffen versteht.Hersteller wie Harting verstehen unter Smart Factory - neben allen strukturellen und technischen Details - nach eigenem Bekunden vor allem, die Chance zur Innovation. Die Smart Factory ermögliche neue Anwendungen, heißt es seitens der Espelkamper. Eine intelligente Produktion benötigt ein durchgängiges und intelligentes Netz mit Teilnehmern und Komponenten, die untereinander einfach und dennoch in Echtzeit und absolut verlässlich - also gesichert - kommunizieren können. Und genau dies sei die Herausforderung. Netzwerke für die Industriekommunikation mit hoher Geschwindigkeit, Sicherheit und Zuverlässig gibt es auf dem Markt. Profinet ist jedoch ein eigenständiges, propritäres System, bei dem primär die Profinet-Komponenten miteinander kommunizieren. Um gleichzeitig die Anforderungen der Smart Factory nach einer offenen, barrierefreien Kommunikation zu erfüllen, muss sich das System öffnen und kompatibel zu anderen Netzwerkphilosophien werden. Und zwar ohne seine spezifischen Eigenschaften wie die Echtzeitkommunikation in Conformance Class C zu verlieren. Einen entscheidenden Schritt hat das Protokoll bereits vollzogen. Profinet nutzt Ethernet nach IEEE 802.3 als Kommunikationsplattform. Gegenüber der Profibus-Philosophie hat das Protokoll damit grundsätzlich alle Möglichkeiten, auch in einer offenen Netzwerkarchitektur zu arbeiten. Profinet kann schon heute eine Reihe von Funktionen für die Smart Factory abbilden. Weitere Funktionen werden dazukommen. Dies ist primär ein Thema der Systemdesigner (Hard- und Softwareentwicklung), die zunehmend einen erweiterten Rahmen für die Spezifikation vorfinden. Diese Spezifikationen sind in den Richtlinien der PNO (Profinet-Nutzerorganisation) dokumentiert. Damit ist allerdings noch nicht alles im Lot, denn ein ganz wichtiger Baustein fehlt noch: die passive Infrastruktur. Ohne Verkabelung gibt es bekanntlich keine Netzwerkinfrastruktur. Die Verfechter haben Profinet stets als ein Lösungspaket für seine Anwender verstanden, also kann der Systemgedanke nicht bei der SPS enden. Das Protokoll ist in der Lage, alle notwendigen Komponenten des Systems umfassend zu betrachten und unter Kontrolle zu halten - auch die Verkabelung. Strenge Vorgaben an Kabel, Steckverbinder und Installation führen zu einer verlässlichen, hoch verfügbaren Netzwerkinfrastruktur, auf die der Anwender sich jederzeit verlassen kann. Profinet hat zur Sicherung der Qualität des Netzes sehr enge Grenzen gesetzt, und zwar maßgeblich durch das Automatisierungsprotokoll selbst. Für die Verkabelung hieß das: Profinet ist äquivalent zu Fast Ethernet mit 100 MBit/s, zudem existiert eine spezielle Festlegung auf Kabel und Steckverbinder. Zum Beispiel sind dies eine Sternviererkonstruktion in Kategorie 5 und vierpolige RJ45- (IP20) oder M12-D-kodierte-IP65/67-Steckkomponenten, und zwar feldkonfektionierbar. Soll das Protokoll in Zukunft jedoch barrierefrei bis in die SAP-Ebene eines Industrieunternehmens hinein kommunizieren, stößt es auf die vorhandene strukturierte Verkabelung, die die IT-Infrastruktur des Unternehmens mitbringt. Diese Verkabelung folgt aber seit jeher eine anderen Philosophie als die Profinet-Verkabelung. Sie ist nicht mit einer einzigen Anwendung verknüpft, sondern anwendungsneutral und liefert damit Übertragungswege für eine Vielzahl unterschiedlichster Dienste (Telefonie, Daten, Video, Steuerungen etc.). Auch dies wäre noch kein unlösbarer Widerspruch. Profinet mit Fast Ethernet läuft dank der garantierten Abwärtskompatibilität, die in den Verkabelungsstandards festgelegt ist (ISO/IEC 11801, EN 50173-1 und 3) auch auf einer strukturierten Verkabelung. Allerdings arbeiten die meisten IT-Systeme heute mit Gigabit Ethernet. Viele Geräte, Kameras zu Produktionsüberwachung oder Steuerungen verfügen nur noch über Schnittstellen mit Gigabit-Funktionalität oder sogar schnellere Ports. Selbst kleinere Netzknoten oder Sensor-/Aktoreinheiten arbeiten schon mit Gigabit Ethernet und POE oder POE+ zur Spannungsversorgung über das gleiche Kabel. Somit heißt die eigentliche Herausforderung Gigabit Ethernet. Dies bedeutet für die Profinet-Verkabelung: acht Adern in Kupferkabeln und acht Kontakte in Steckverbindern. Die PNO hat Profinet in der heutigen Form und nach Conformance Class A bereits für die strukturierte Verkabelung zertifiziert. Heute ist es daher möglich, eine vieradrige Profinet-Verkabelung mit einer achtadrigen strukturierten Verkabelung zu koppeln. Zumindest bei Nutzung der RJ45-Technik (IP20) funktioniert dies auch stecktechnisch völlig problemlos. Untersuchungen haben ergeben, dass die ungenutzten Paare 4/5 und 7/8 der strukturierten Verkabelung dabei in puncto Wellenwiderstand nicht zusätzlich durch 100 Ohm abgeschlossen sein müssen. Damit ist die Migration der Profinet-Verkabelung zur struk-turierten Verkabelung bereits in vollem Gange. Aber wie sieht es umgekehrt aus? Was machen Geräte und Einrichtungen, die sich an Profinet ankoppeln sollen und Gigabit Ethernet mitbringen? Dieses Problem haben auch die Mitglieder der PNO erkannt - neben vielen Herstellerfirmen also vor allem die Anwender. Sie werden immer öfter damit konfrontiert, Gigabit-Geräte in eine Profinet-Landschaft einbinden zu müssen. Deshalb stehen die Zeichen bei Profinet ganz klar in Richtung Gigabit Ethernet und kompatible Verkabelungsinfrastruktur. Interessanterweise sind es wieder die Verkabler, die sich zuerst mit der Thematik auseinandersetzen und Lösungen zum Thema Fast Ethernet vs. Gigabit Ethernet also vieradrig vs. achtadrig vorantreiben. Konkret bedeutet dies, dass die Profinet-Verkabelung, wie der Markt sie heute kennt, nicht über Bord gehen wird, nur weil die Branche über das Thema Smart Factory nachdenkt. Die Verkabelung wird sich jedoch in diese Richtung weiterentwickelt. Dazu erweitert die PNO ihre Verkabelungsrichtlinie um achtadrige Lösungen, und zwar mmer unter der Maßgabe, die Installation weiterhin einfach, robust und sicher zu halten. Damit setzt sie weiter auf industrietaugliche Verkabelungskomponenten - nur eben auch für eine Übertragung per Gigabit Ethernet geeignet, also achtadrig und mindestens Kategorie 5 (100 MHz) oder besser Kategorie 6 (250 MHz) oder 6A (500 MHz).   Verkabelungsprodukte Zur Definition von Profinet gehören nun neue achtadrige Kabel mit PVC- und PUR-Mantel. Diese Kabel sind wie bisher für feste und flexible Installation sowie für Sonderanwendungen nach Typ A, B und C klassifiziert, zum Beispiel Schleppkettenausführung oder Hybridkabel (mit zusätzlichen Power-Leitungen im selben Kabel). Der Sternvierer hat dabei allerdings ausgedient. Die geschirmten Kabel kommen mit AWG24-Adern (Vollader oder Litze) in einer Konstruktion mit Trennstern oder als PIMF (Pair In Metal Foil) auf den Markt. Die Variante mit Trennstern lässt sich etwas besser verarbeiten, da die Einzelfolien wegfallen. Allerdings führt diese Konstruktion zu einem größeren Außendurchmesser, der sich wiederum nicht mit den Kabeleinführungen und Verschraubungen der meisten Steckverbinder verträgt, sodass viele Anwender die PIMF-Varianten bevorzugen. Für den Steckverbinder steht eine Migration nach oben an, was bedeutet, dass der Profinet-RJ45-Stecker künftig achtpolig ausgeführt sein wird. Alle acht Kontakte sind dann konform zur strukturierten Verkabelung belegt mit 1/2, 3/6, 4/5 und 7/8 (siehe Steckverbindernorm IEC 60603-7-x). Dabei kommen besondere Eigenschaften wie Stecktiefe, Vibrationssicherheit und Kontaktgüte (Goldauflage, Porenfreiheit nach DMG, erhöhte Korrosionsfestigkeit etc.) von der vieradrigen Variante. Für die IP65/67-tauglichen Steckverbinder ist der RJ45 in Profinet-Gehäusetypen wie Han 3A oder Han Push Pull (AIDA-Schnittstelle) integriert. Den vierpoligen M12 D-kodiert ersetzt der neue achtpoligen M12 X-kodiert. Zusätzlich hat Profinet neue Verkabelungskomponenten wie das Schaltschrankkabel definiert (Cabinet Cord). Diese IP20-Komponente ist fertig konfektioniert und geprüft auf dem Markt, also nicht mehr vor Ort konfektioniert, und trägt den Anforderungen nach Platzersparnis und guter Handhabung besonders im Schaltschrank Rechnung. Aufgrund der hohen Qualitätsanforderungen an eingesetztem Stecker und Kabel und an die Verarbeitung, garantiert das Schaltschrankkabel die geforderte Betriebssicherheit über die volle Lebensdauer der Anlage.   Fazit Smart Factory wird proprietäre Lösungen, so wie der Markt sie bisher gerade aus den Automatisierungsinseln kannte, weiter ablösen und über eine einheitlich Infrastruktur neu zusammenfügen. Die einheitliche Kommunikationsinfrastruktur ist dazu ein elementarer Baustein. Auch wenn die Profinet-Verkabelung und die strukturierte Verkabelung ursprünglich unterschiedliche Ansätze verfolgten, lassen sich heute beide Philosophien gut miteinander verknüpfen.

Strenge Vorgaben auch an die Verkabelung führen zu einer verlässlichen Infrastruktur.

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