Ethernet in Produktion und Office

Übergreifende Kommunikation

28. August 2012, 6:00 Uhr | Karl Glas/jos, bei der Siemens AG in Nürnberg im Bereich Industry Automation/Sensors and Communication tätig.

Mit steigender Dynamik dringt Ethernet in die Automatisierung vor. Die aus dem IT-Umfeld wohlbekannte Vernetzungstechnik ermöglicht als einheitliche Basis die vertikale Integration, also den transparenten Datentransfer zwischen Unternehmens- und Automatisierungsnetzwerk.Kann nun das Corporate-IT-Netzwerk schlicht mit dem Automatisierungsnetz verbunden werden, oder gibt es wichtige Aspekte zu beachten? Es existieren zwei wesentliche Aspekte, die für die erfolgreiche Umsetzung einer vertikalen Integration zu beachten sind: Die Art der Kommunikation in der Automatisierung und die Verfügbarkeit einer anwendungsorientierten Netzwerktopologie

Kommunikation in der Bürowelt

Die mit Abstand wohl häufigste Kommunikationsstruktur im Office ist die Client-Server-Architektur. Deren Eigenheit ist die streng sternförmig organisierte Kommunikation der verteilten Clients (zum Beispiel Desktop-PCs) mit dem zentralen Server. Zum Zeitpunkt des Bedarfs werden die Kommunikationsverbindungen aufgebaut und nach deren Beendigung wieder terminiert. Dies bewirkt eine sehr dynamische Auslastung des Netzwerks, die durch Funktionen zur Priorisierung von Datenströmen und ausgeklügelte Algorithmen zur Bandbreitenoptimierung oder schlicht durch hohe Bandbreitenreserven geregelt ist.

Optimiert für diese Kommunikationsbeziehung haben sich die Netze im Office zu den heute verwendeten sternförmigen Switched Networks mit der hierarchischen Dreiteilung Core, Distribution, Access entwickelt.

Die internationale Verkabelungs-Norm ISO/IEC 11801 sowie ihr europäisches Äquivalent EN 50173 tragen dieser Struktur Rechnung. Sie definieren eine anwendungsneutrale, informationstechnische Vernetzung, die sich über einzelne oder mehrere Gebäude auf einem Gelände erstrecken kann. Beide Standards gehen von einer büroähnlichen Nutzung der Gebäude aus und erheben den Anspruch, anwendungsneutral zu sein. Das heißt, die Verkabelung unterstützt eine breite Palette von Anwendungen und Applikationen (Daten, Telefonie, Video etc.). Moderne Netzkomponenten sind heute die Basis für so genannte konvergente Netze, in denen diese technisch sehr unterschiedlichen Datenströme gleichzeitig auftreten und beherrschbar sind.

Die Automatisierungswelt kommuniziert anders

Bei der Client-Server-Architektur bauen die Systeme zur dynamischen Nutzung der vorhandenen Ressourcen nach Bedarf Kommunikationsverbindungen zum Server auf und beenden diese nach Abschluss der Datenübertragung. Es braucht jedoch jeweils Zeit, um diese Kommunikationsverbindung aufzubauen, wodurch es zu Engpässen und Verzögerungen kommt, wenn sich zu viele Clients gleichzeitig beim Server anmelden. In der Automatisierung ist dies nicht tolerabel, da zyklisch ablaufende Bearbeitungsprogramme zeitgenau zum jeweiligen Bearbeitungsschritt aktuelle Eingangsdaten brauchen und Steuerbefehle an andere Komponenten ausgeben.

Daher kommen in diesem Umfeld fest eingerichtete Kommunikationsverbindungen zwischen den einzelnen Automatisierungskomponenten zum Einsatz, die während der Inbetriebnahme der Anlage eingerichtet werden und permanent aktiv bleiben. Die Netz-Ressourcen für die Kommunikation sind damit fest vergeben und so unmittelbar verfügbar. Durch diese recht statische Netzwerkauslastung ist jeder Kommunikationsbedarf unmittelbar erfüllbar, sodass die Daten ohne Wartezeiten in die jeweiligen Komponenten gelangen.

Dies ist eine wichtige Voraussetzung für deterministischen Datenverkehr, also konstante, vorhersehbare Verzögerungszeiten, der für die zyklische Programmbearbeitung wie für eine zeitkritische Alarmbearbeitung in der Steuerung unerlässlich ist. Dazu dienen hierarchische Kommunikationsverbindungen, etwa zwischen Feldgerät und speicherprogrammierbarer Steuerung, als auch in nicht unerheblichem Maße Querverbindungen, beispielsweise zwischen den Steuerungen.

Das Netzwerk in der Automatisierung

Die Automatisierungsstrukturen entsprechen heute noch denen der frühen 90er Jahre, die sich an den Möglichkeiten der Feldbussysteme orientierten. Da sich diese bewährten mechanischen Konzepte nicht änderten, bedeutet dies, dass auch die Ethernet-basierende Vernetzung im Feldbereich häufig linienförmig aufgebaut ist.

Mitunter folgt die Linienstruktur auch der einfachen Logik, dass die Verteilung der Netzteilnehmer nicht mit Büroverhältnissen vergleichbar ist und sich die benötigten Netze daher mit einer hierarchischen Verkabelung nicht effizient realisieren lassen. In vielen Fertigungsanlagen sprechen oft die großen Entfernungen gegen eine sternförmige Verkabelung, da andernfalls der Verkabelungsaufwand immens wäre. Andererseits legt es die oben geschilderte Art der Kommunikation nahe, für eine hohe Verfügbarkeit des Netzwerks zu sorgen.

Im Bereich der Control-Netze, also bei der Vernetzung von Steuerungen, Industrie-PCs und HMI-Systemen, haben sich mittlerweile Ethernet-Netzwerke in Ringtopologie etabliert. Die Ringstruktur ist eine attraktive Alternative, um an Stelle eines redundanten Netzwerks mit geringem Aufwand die Verfügbarkeit des Netzes signifikant zu steigern.

Da in den Control-Netzen typischerweise eine TCP/IP-basierende Kommunikation vorherrscht, also Kommunikationsprotokolle, die zumindest die Ebenen 1 bis 4 (zum Beispiel über Send - Receive) oder gar alle sieben Schichten (wie etwa bei der Simatic-S7-Kommunikation von Siemens) des OSI-Schichten-Modells durchlaufen, ist die Abarbeitung eines Telegramms im Automatisierungsgerät der bestimmende Faktor für die erforderliche Reaktionszeit der Ringrekonfiguration nach einer Netzwerkstörung.

In der Praxis haben sich für diese Fälle Rekonfigurationszeiten von 200 ms bewährt, wie sie von Profinet für den Algorithmus Media Redundancy Protocol (MRP) - definiert im Standard IEC 62439-2 - festgeschrieben sind. Anders sind die Anforderungen an die Rekonfigurationszeiten im Feldbereich, wo spezielle Protokolle (selbst bei harten Echtzeitanforderungen) sehr kurze Bearbeitungszeiten in den Feldgeräten ermöglichen.

Die erforderliche Rekonfigurationszeit von wenigen Millisekunden sind mit Standardkomponenten nicht zu erreichen, weshalb dort verschiedene proprietäre Lösungen auf dem Markt zu finden sind. Einige bieten trotz deterministischem Verhalten (Verzögerungszeit Null und kein Telegrammverlust) Koexistenz mit Standard-Ethernet-Datenverkehr, andere ermöglichen nur die spezielle Automatisierungsapplikation.

Eine weitere Eigenheit zeigt sich im Feldbereich, die eine Abweichung von der im Office bekannten Sternstruktur nahelegt. Die Investitionen für Feldgeräte sind einerseits sehr preissensitiv, andererseits sind sie in großer Zahl nötig. Bei sternförmiger Vernetzung der Feldgeräte über Switches würden sich sehr hohe Netzwerkkosten ergeben, bei denen die Kosten pro Switch-Port mitunter die Kosten der Feldgeräte selbst erreichen würden. Für eine wirtschaftliche Vernetzungslösung ist daher die Switching-Funktionalität in die Feldgeräte integriert. Um die Linienstruktur zu realisieren, hat das Feldgerät dann häufig einen 2-Port-Switch integriert.

Fazit

Der kommunikationstechnische Übergang von der Automatisierungswelt in die IT-Umgebung ist ein sehr sensibler Bereich in jeder Anlage. Ethernet als gemeinsame Technik der Industrie- und Office-Welt ermöglicht die notwendige transparente Kommunikation. Die unterschiedlichen Anforderungen aus beiden Bereichen erfordern aber eine angepasste Umsetzung der Ethernet-Technik.

In vielen Bereichen der Fertigungsindustrie dringt der in der Office-Welt etablierte IT-Standard mit hohem Tempo in die Automatisierung vor. Mehrere Aspekte sind für eine erfolgreiche Migration zu beachten.
LANline.

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