Smart Buildings revolutionieren das Facility-Management

Wenn das Haus sein eigener Herr wird

29. Juni 2016, 6:00 Uhr | Stefan Mutschler/pf

Mit dem Internet of Things (IoT) wächst eine smarte Welt heran: "Dinge" stellen sich automatisch auf wechselnde Situationen ein und optimieren sich in der Kommunikation mit einer regelbasierenden Management-Instanz selbst. Gebäude spielen dabei eine zentrale Rolle. Dort eröffnet beispielsweise die Energieeinsparung ein riesiges Potenzial für die IoT-Technik. Aktuelle Entwicklungen zielen auf eine intelligentere beziehungsweise komfortablere Steuerung von immer mehr Gebäudefunktionen.Wie eine konsequent mit IoT- und Smart-Building-Technik ausgestattete Lebensumgebung aussehen könnte, erleben die Bürger derzeit besonders hautnah in Retortenstädten wie etwa Lake Nona, Florida, in Gujarat International Finance Tec City, Indien (kurz: "Gift City" - Indien plant in naher Zukunft 100 weitere komplett neue Smart Cities), in der Ökostadt Masdar, Abu Dhabi, in Songdo, Südkorea, und in einigen weiteren, die derzeit an verschiedenen Orten der Welt entstehen. Vieles läuft dort deutlich anders ab als in natürlich gewachsenen Städten - so sind zahlreiche "Dinge" mit Sensorik ausgestattet, die eine Überwachung und Steuerung zulassen. Dies reicht vom Straßenverkehr und Bahn/Metro über die Versorgungswerke bis hin zur Müllabfuhr. Im Songdo International Business District, in dem aktuell bereits mehr als 36.000 Menschen leben (Freiwillige, die eine Reihe von Kriterien erfüllen müssen), geht es um die Hightecherfassung möglichst aller Aspekte des urbanen Lebens, während in den meisten anderen Städten oft (noch) Entwicklungen zu einzelnen, ausgewählten Aspekten im Mittelpunkt stehen. Natürlich sind auch die Gebäude und Gelände mit vernetzten Sensoren und Geräten bestückt, um Ressourcen effizient bereitzustellen sowie Sicherheit und Komfort zu verbessern. Die Techniken bei Smart Cities und Smart Buildings ähneln sich sehr - lediglich der Maßstab ist ein anderer. Zum Teil greifen die Lösungen auch direkt ineinander. Ein Beispiel dafür ist etwa die intelligente Mülltonne am Haus, die ihren Füllstand an die Stadtwerke meldet. Die Müllabfuhr kommt also nicht in starrem Turnus, sondern nach Bedarf - die Kosten berechnen sich nach der konkreten Nutzung. Auch bei Systemen wie etwa "Smart Grids", die Haushalten Tools für das Energie-Management in die Hand geben, spielen Komponenten des Versorgers (City-Ebene) und der Stromabnehmer (Gebäudeebene) eng zusammen. Was auf beiden Ebenen in der Regel sehr verbreitet zum Einsatz kommt, sind Videoüberwachung und Videokommunikation - Letztere verstärkt auch in medizinischen (Videokonferenz ersetzt einen Teil der Hausbesuche) und bildungstechnischen Szenarien (Fernunterricht). Gebäude bieten jedoch noch weitaus differenziertere Ansatzpunkte für die Automatisierung und Individualisierung, weshalb die Lösungs- und Anbietervielfalt dort noch weitaus größer ist als bei den Smart Cities. Analysten gehen davon aus, dass der Smart-Building-Markt von 7,2 Milliarden Dollar im Jahr 2015 auf mehr als 37 Milliarden Dollar im Jahr 2020 wachsen wird. Große Player wie beispielsweise Cisco spielen mit ihrer Netzwerkinfrastruktur sowohl auf der Gebäude- als auch auf der City-Ebene mit. So ist dieser Hersteller einer der wichtigsten Techniklieferanten in Songdo und vielen weiteren Smart-City-Projekten, aber auch in gewachsenen Metropolen wie beispielsweise Barcelona oder Amsterdam. Eine seiner IoT-Lösungsschmieden (weltweit insgesamt neun) unterhält Cisco in Berlin. Im "Openberlin"-Innovationszentrum geht es um konkrete Projekte für das IoT, die im schnellen Takt des digitalen Zeitalters zu Gewinnen sowohl für die Partner als auch für Cisco selbst führen sollen. Kunden, Branchenpartner, Start-ups, Anwendungsentwickler, Experten, Behörden und Universitäten kommen dort in einer kreativen Umgebung zusammen, in der alle derzeit existierenden technischen Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Bei Openberlin liegt der Schwerpunkt auf Produktion, Logistik und Verkehr. Auf der vergangenen "Cisco Live", die im Februar dieses Jahrs ebenfalls in Berlin stattfand, präsentierte der Hersteller bereits zahlreiche Ergebnisse aus den Entwicklungen seiner IoT-Werkstätten. Darunter war mit dem "Digital Ceiling"-Framework auch ein konvergentes Gebäudesystem. Intelligente Kommunikation der vernetzten Dinge soll deren Management weitgehend automatisieren. Dabei setzt Cisco auf das IoT-Protokoll CoAP (Constrained Application Protocol, RFC 7252). Im Februar hatte Cisco bereits 15 Partner für das Framework gewonnen. Der weitere Ausbau läuft mit Volldampf. Cisco liefert in diesem Szenario weite Teile der Netzwerkinfrastruktur wie beispielsweise speziell angepasste Switches, die das IP-Netz für die Licht- und Gebäudesteuerung nutzen. Zu den speziellen Funktionen dieser Switches gehören Features wie etwa "Perpetual Power over Ethernet", "Fast Boot", "Smart Install" und Software zur Sensorintegration (einschließlich Bewegungs-, Licht-, Temperatur-, Infrarot- und Feuchtigkeitssensoren). Im Ausstellungsteil der Cisco Live waren beispielsweise IP-gesteuerte Beleuchtungssysteme von Cree und Phillips zu sehen. In einem Fall passten sich die Lichtfarben der persönlichen Arbeitsumgebung nach Erkennen der Identität einer Person automatisch an deren Vorlieben an.   Videoüberwachung und Gebäudesicherheit Videoüberwachung gehört zu den Klassikern bei der Sicherung von Gebäuden und Geländen, ebenso von Städten. Das IoT ermöglicht eine Integration von Videoüberwachungskameras, Rauchmeldern, Gassensoren, Bedienfeldern von Zutrittskontrollsystemen und Lautsprechern in eine gemeinsame Verwaltungskonsole. In speziellen Sicherheitslösungen lassen sich relevante Daten so mit anderen verbundenen Geräten austauschen. Ein einfaches Beispiel, wie so etwas aussehen könnte, zeigte etwa Axis auf dem vergangenen Mobile World Congress in Barcelona. Über ein LTE-Gateway übertrug ein Überwachungskabinett die Videoinformationen in eine Überwachungszentrale. Das Personal dort konnte jedoch nicht nur die Lage betrachten, sondern auch per IP-Lautsprecher reagieren. So sollen sich beispielsweise Hilflose akustisch leiten oder Einbrecher eindringlich warnen lassen. Die Auflösung von Netzwerkkameras wird dabei kontinuierlich höher, auch wenn schwierige Lichtverhältnisse immer noch eine Herausforderung darstellen. Letzteres versuchen die Kameras mit einem vergrößerten Dynamikbereich (Wide Dynamic Range, WDR) zu kompensieren. Während immer mehr Kameras 4K Ultra HD unterstützen, schließt Quad HD mit seinen 1.440p die Lücke zwischen 1.080p und 4K Ultra HD. Eine verbesserte Auflösung hat einen höheren Speicherbedarf zur Folge. Intelligente Video-Komprimierungsalgorithmen sollen daher den Speicherbedarf in Echtzeit halbieren: Wichtige forensisch relevante Details wie Gesichter, Tattoos oder Autokennzeichen werden isoliert aufbewahrt, während das System irrelevante Bereiche wie etwa weiße Wände, Wiesen und Vegetation "glättet", um Speicher zu sparen. Wenn es um die Sicherung von Gebäuden geht, hat der klassische Schlüssel ausgedient. Ihn ersetzen identitätsbasierende Zugangssysteme, die sich zentral steuern lassen. Dieser Trend ist auch hierzulande schon in vielen Unternehmen zu beobachten. In Songdo gibt es Zugangskontrolle auf Koreanisch: Die dort bereits eingesetzte intelligente Klinke kommt aus der Forschungsabteilung des Seoul National University Institute of Advanced Machinery. Auf dem Mobile World Congress in Barcelona zeigte Amadas die neueste Version. Diese soll sich auch von Nichtfachleuten an jeder Tür installieren lassen - nur die Klinken sind auszutauschen. Danach kann der Nutzer den Zugang via Smartphone steuern - von jedem Ort der Welt aus. Zweite Besonderheit der IoT-Lösung ist die Energieversorgung: Sollte die in der Klinke integrierte Batterie nach Jahren tatsächlich zu einem ungünstigen Moment zur Neige gehen, lässt sie sich über ein Blitzlicht (etwa vom Handy) wieder aufladen.   Neue Umgangsformen für das Gebäude Nicht nur Cisco ("Digital Ceiling") arbeitet daran, Gebäude stärker an die Vorlieben und Gewohnheiten seiner Nutzer/Bewohner anzupassen. Die Individualisierung von Gebäuden hat sich inzwischen zu einem eigenen Industriezweig entwickelt. Einer der europäischen Vorreiter auf diesem Gebiet ist das Schweizer Unternehmen Digitalstrom. Diesen Eindruck konnte man zumindest auf der vergangenen CeBIT gewinnen. Dort gewährte der Hersteller als Partner am Stand von Microsoft spannende Einblicke in die Zukunft des Wohnens. Gemeinsam mit Partnern wie Tielsa, Dornbracht und Sonos zeigte Digitalstrom, welche Vielzahl von Anwendungen im Smart Home durch offene Programmierschnittstellen und durch die Integration von IP-Geräten auf Softwareebene bereits heute nutzbar sind und was zukünftig im Haus alles möglich sein wird. Die Steuerung der Geräte erfolgt bei Digitalstrom im Wesentlichen über drei Arten: Neben der Bedienung über den klassischen Taster gehören dazu das Erkennen von gesprochenen Kommandos sowie automatische Aktionen auf der Basis optischer Beobachtung. "Mit Digitalstrom ist ein Taster nicht mehr nur ein Taster, sondern er wird Dirigent eines großen Orchesters, bestehend aus verschiedenen Leuchten und Geräten", erklärt Martin Vesper, CEO von Digitalstrom. Aber auch die Lautsprecher von Sonos spielen in der digitalen Welt nicht mehr einfach nur Musik ab, sondern können beispielsweise auch die Funktion der Haustürklingel übernehmen. Und wenn die Steuerung des Wasserhahns oder der Kaffeemaschine in der Küche über freies Sprechen oder visuelle Erkennung erfolgt, "dann ist das keine Zukunftsmusik, sondern bereits Realität", so Vesper. Grundlage dieser Funktionen sind die intelligenten Services, die auf der Microsoft-Azure-Plattform bereitstehen. Dazu gehören zum Beispiel Tibco-Event-Processing- und -Business-Process-Management-(BPM-)Services sowie Spracherkennung und Maschine Learning von Microsoft, Writenots von Automated Insights und Smartmeter-Plattformen wie Discovergy. Auf der diesjährigen Light + Building stellte der Smart-Home-Anbieter zudem erstmals auch das mit einem Temperaturfühler ausgestattete Wandbediengerät Thanos von Thermokon vor. Dieses ist für Digitalstrom vorkonfiguriert und verbindet sich nach dem elektrischen Anschluss automatisch mit dem Hausnetzwerk. Neben anderen Funktionen lassen sich mit Thanos Beleuchtungen, motorisierte Markisen und Rollläden, aber auch Systeme wie etwa Musikanlagen und Ähnliches regeln. Die meisten Smart-Building-Lösungen kommunizieren lediglich über eine einzige, vorgegebene Netzwerktechnik. Dass es auch anders geht, demonstriert beispielsweise Agfeo mit seinem "Smarthomeserver". Der einst mit ISDN-Telefonnebenstellenanlagen groß gewordene Hersteller bietet dabei technikunabhängige Schalt- und Logikfunktionen mit einheitlicher Bedienung und Visualisierung. Kombinieren lassen sich zum Beispiel die batterielosen Schalter des Enocean-Systems, KNX-Technik und funkbasierende Homematic-Komponenten. Agfeo integriert seinen Smarthomeserver standesgemäß in eine Telefonanlage. Durch diese Kombination entsteht eine zentrale Steuereinheit für Gebäude. Separate Alarm-Server, Visualisierungssoftware oder weitere Zusatzkomponenten sind überflüssig. Ab Werk kann das System drei Sensoren (Eingänge) sowie drei Aktoren (Ausgänge) je Technik (KNX, Homematic und Enocean) nutzen. Des Weiteren lassen sich je drei Orte, Schaltuhren, Verknüpfungen, Zeitglieder und Szenen einrichten. Erweiterungen sind verfügbar. Die Telefonanlage ist jedoch bei Weitem nicht der einzige Ort, der sich für die Aufnahme der Haussteuerung eignet. TP-Link beispielsweise nutzt dafür den WLAN Access Point. So kommt das Modell SR20 als Smart-Home-Router mit Touchscreen. Neben dem schnellen 11ac-WLAN unterstützt der SR20 auch die Funkstandards Zigbee und Z-Wave. Er dient nicht nur als Router, sondern auch als Hub für smarte Geräte im IoT. Zigbee wie auch Z-Wave stellen globale Standards für drahtlose Gebäudenetze dar. Für jeden Standard gibt es eigene kleine Universen von Herstellern, die diese mit ihren Produkten unterstützen. Zumindest in Europa hat sich Z-Wave inzwischen deutlich von Zigbee abgehoben, sowohl was die allgemeine Präsenz auf dem Markt betrifft, als auch bei den verfügbaren Produkten. So war der Anbieter Z-Wave Europe in diesem Jahr beispielsweise sowohl auf der CeBIT, als auch auf der Light + Building präsent. Zu den Höhepunkten bei den gezeigten Exponaten zählten unter anderem ein Zehnjahres-Rauchmelder sowie eine Gestensteuerung fürs Haus. Der Rauchmelder von Fibaro ist mit "Z-Wave Plus"-Technik ausgestattet und nach DIN EN14604 zertifiziert. Er besitzt eine fest verbaute Batterie, mit der er im gesetzlich festgelegten Zeitraum von zehn Jahren funktioniert, ohne dass ein Austausch der Batterie notwendig ist. Neben der Rauchmeldefunktion verfügt das Gerät auch über eine Sirene, die sich in ein Alarmsystem integrieren lässt und dann beispielsweise auch bei Einbrüchen Warnsignale abgibt. Ebenfalls durch Zusammenarbeit von Z-Wave Europe und Fibaro entstand "Swipe", ein Gerät, das die Gestensteuerung in die Gebäudeautomation bringt. So erlaubt Swipe die berührungslose Steuerung von Z-Wave-Komponenten mittels Handgesten. Dadurch lassen sich zum Beispiel mit einem Wink Fensterjalousien nach oben oder unten fahren, oder der Anwender kann das Licht mit einem Fingerzeig an- und ausschalten.   Ausblick Vermutlich wird die Art und Weise, wie Bewohner oder Mitarbeiter mit Gebäuden interagieren, alle Vorstellungen sprengen, die Science-Fiction-Filme schon immer gern prominent in die Welt setzten. Vieles davon scheint heute angesichts knapper Ressourcen unbedingt notwendig und ökonomisch geboten, anderes wird Sicherheit und Lebensqualität verbessern. Der Preis dafür könnte jedoch der Totalverlust jeglicher Privatsphäre sein - eine Entwicklung, die spätestens mit dem Einzug von Smartphones und sozialen Netzwerken ohnehin deutlich ins Rollen gekommen ist. In Songdo wissen die Menschen immerhin, was sie erwartet - sie gehen freiwillig und bewusst dorthin. Wenn jedoch Techniken, wie sie in solchen Projekten zur Erprobung stehen, Alltag geworden sind, kommen kritische Stimmen oft zu spät. Damit entwickeln sich intelligente Gebäude und Städte zu einer weiteren Großbaustelle, auf der Datenschützer bislang absent sind.

Der Autor auf LANline.de: ElCorrespondente

Die intelligente Klinke von Amadas soll sich auch von Nichtfachleuten an jeder Tür installieren lassen - nur die Klinken sind auszutauschen. Danach lässt sich der Zugang via Smartphone steuern. Bild: Stefan Mutschler

Über ein LTE-Gateway überträgt das Axis-Überwachungskabinett die Videoinformationen in eine Überwachungszentrale. Das Personal dort kann jedoch nicht nur gucken, sondern auch per IP-Lautsprecher reagieren. Bild: Stefan Mutschler

Agfeo bietet technikunabhängige Schalt- und Logikfunktionen mit einheitlicher Bedienung und Visualisierung. Kombinieren lassen sich zum Beispiel die batterielosen Schalter des Enocean-Systems, KNX-Technik und funkbasierende Homematic-Komponenten. Bild: Stefan Mutschler

TP-Link nutzt als "Wirt" für die Haussteuerung den WLAN Access Point: So kommt der SR20 als Smart-Home-Router mit Touchscreen. Neben dem schnellen 11ac-WLAN unterstützt der SR20 auch die Funkstandards Zigbee und Z-Wave. Bild: TP-Link

Auf der vergangenen Cisco Live präsentierte Tony Shakib, Vice President IoT Vertical Solutions Engineering bei Cisco, bereits zahlreiche Ergebnisse aus den Entwicklungen seiner IoT-Werkstätten. Darunter war mit dem "Digital Ceiling"-Framework auch ein konvergentes Gebäudesystem. Bild: Stefan Mutschler

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