Erhöhte Anforderungen an die RJ45-Technik

Wenn es bei der Trennung funkt

2. Februar 2016, 7:00 Uhr | Dirk Träger, Technical Solutions Manager Datavoice bei Telegärtner Karl Gärtner, www.telegaertner.com./jos

Der RJ45 kann auf eine bemerkenswerte Karriere zurückblicken. Vor über vierzig Jahren als einfacher Stecker für Telefonanwendungen konzipiert, wurde er zum weltweit bevorzugten IT-Steckverbinder. Neben Daten überträgt er zunehmend auch Strom, um Endgeräte mit Energie zu versorgen. Bei den hohen Stromstärken, die dabei auftreten, können seine Kontakte schnell Schaden nehmen. Darüber hinaus stellen mobile Diagnosegeräte zusätzliche Ansprüche an die Halte- und Abzugskräfte der Steckverbindung.

Um einen sicheren und dauerhaft zuverlässigen Netzbetrieb zu gewährleisten, müssen RJ45-Verbindungen konstruktiv für die erhöhten Anforderungen ausgelegt sein - falls nicht, drohen Übertragungsstörungen bis hin zu Totalausfällen. Wie oft wurde der RJ45 jedoch schon totgesagt? Bereits bei der Entwicklung von Gigabit Ethernet kamen Zweifel auf, ob der kompakte Steckverbinder diese hohe Datenrate zuverlässig übertragen kann. Mittlerweile überträgt er bis zu 10 Gigabit pro Sekunde, und es ist kein Ende in Sicht. So schreiben die kommenden Verkabelungsnormen beim Steckverbinder der Kategorie 8.1 für 40 Gigabit Ethernet das RJ45-Steckgesicht vor, rückwärtskompatibel zu den Milliarden vorhandener RJ45-Stecker und -Buchsen.
 
"RJ45" nicht in den Verkabelungsnormen
Angefangen hat alles in den 70er Jahren, als die amerikanischen Bell Labs kleine, rechteckige Steckverbinder einführten, die später durch die US-amerikanischen Federal Communications Commission (FCC) als RJ-Steckverbinder genormt wurden. "RJ" steht dabei für "Registered Jack", was auf Deutsch so viel wie "registrierte/genormte Buchse" heißt. Die auf die Buchstaben RJ folgenden zwei Ziffern geben den genauen Typ an. In der Praxis sind Schreibweisen mit und ohne Bindestrich üblich, also "RJ-45" ebenso wie "RJ45"; auf der FCC-Webseite ist die Schreibweise ohne Bindestrich vermerkt, die sich auch in Deutschland durchgesetzt hat.
Die RJ-Bezeichnung erfährt im Amerikanischen oft weitere Ergänzungen: Der Buchstabe "P" steht für die vorhandenen Kontakte (Positions), der Buchstabe "C" (Contacts oder Conductors) gibt an, wie viele davon tatsächlich beschaltet sind. Ein allpolig belegter Stecker ist demnach ein RJ45 8P8C. Bei einem RJ45 8P4C wären nur vier der acht Kontakte beschaltet. Viele Elektrotechnik- und Telefonfirmen haben RJ-Stecker eingeführt, darunter auch die Western Electric, was dem Steckertyp auch den Namen "Western-Stecker" eingebracht hat.
Interessanterweise sucht man einen "RJ45" genauso wie einen "RJ-45" in den einschlägigen Normen vergebens. Im amerikanischen Sprachgebrauch ist "Eight-Position Modular Jack" oder "8-Position IEC 60603-7 Compliant Plug" korrekt. Die amerikanische TIA-568-C.2 verweist auf Stecker der Normenserie IEC 60603-7, die DIN EN 50173-1:2011 auf die Normenserie EN 60603-7, der die IEC-Serie gleicher Nummer zugrunde liegt.
 
Remote Powering ist auf dem Vormarsch
Die Idee, Endgeräte neben Sprach-/Datensignalen auch mit Gleichstrom über dieselbe Leitung zu versorgen, bietet Vorteile. Weder eine separate Elektroleitung noch eine 230-V-Steckdose sind mehr nötig. Auch ein Elektriker ist bei den geringen Spannungen von weniger als 60 V DC überflüssig. Die Idee an sich ist nicht neu. Schon vor über 100 Jahren haben Philipp Reis und Alexander Graham Bell Fernsprechapparate vorgestellt, die eine zentrale Amtsbatterie mit Strom versorgte. Das Konzept bewährt sich nun auch in der IT.
WLAN Access Points, IP-Kameras, Lesegeräte der Zugangskontrolle und der Zeiterfassung oder LCD-Displays der Gebäudeautomation lassen sich über die Datenleitung mit Strom versorgen. Selbst die Beleuchtung, bislang Domäne der klassischen Elektrotechnik, entwickelt sich in diese Richtung: LED-Leuchten und Controller werden Teil des Datennetzes und durch die Power-over-Ethernet-Technik mit Energie versorgt. Power over Ethernet Plus (PoE+) nach IEEE 802.3at stellt Endgeräten bis zu 25,5 W zur Verfügung. Varianten mit deutlich höherer Leistung von knapp 100 W sind in Beratung.
 
Schäden durch Abreißfunken
Bei PoE+ fließen Ströme von bis zu 600 mA pro Adernpaar. Bei den Nachfolgevarianten diskutieren die Experten über 1.000 mA. Wird dabei der Stecker gezogen, bevor das Endgerät ordnungsgemäß heruntergefahren oder ausgeschaltet ist, entstehen naturgemäß Funken. Diese sogenannten Abreißfunken sind bei PoE+ für den Menschen unschädlich, für die feinen Kontakte einer RJ45-Buchse jedoch nicht: Kontaktbeschädigungen sind unvermeidbar. Während sich ein beschädigtes Patch-Kabel noch recht einfach austauschen lässt, ist der Aufwand für den Austausch einer RJ45-Buchse in der Anschlussdose oder im Patch-Feld des Verteilers sehr viel größer. Meist ist er noch mit teuren Betriebsunterbrechungen verbunden.
Dies alles wäre selbstverständlich vermeidbar, wenn sichergestellt wäre, dass Geräte immer erst ganz ausgeschaltet sind, bevor der Anwender sie aussteckt. Genauso ist es in den Normen auch vorgesehen, doch das lässt sich in der Praxis nicht verwirklichen. Die wenigsten Anwender sind Fachleute. Sie stecken schon einmal im laufenden Betrieb aus - und selbst IT-Fachkräfte warten nicht immer, bis die Geräte ganz heruntergefahren sind, wenn sie in Eile sind. Oder sie vergessen es schlicht einfach bisweilen.
 
Konstruktiv optimierte Kontakte geben Sicherheit
Damit muss die Steckverbindertechnik dafür sorgen, dass die RJ45-Buchse trotz Ausstecken unter Last auch weiterhin zuverlässig funktioniert. Um das zu erreichen, müssen die RJ45-Buchsen so konstruiert sein, dass die unvermeidbaren Beschädigungen der Kontakte an einer Stelle auftreten, die für die Datenübertragung nicht relevant ist.
Wie im Bild auf Seite 55 dargestellt ist, dient bei konstruktiv optimierten Kontakten der obere Bereich zur Datenübertragung. Gleitet der Stecker aus der Buchse, wandert der Punkt, an dem sich Stecker- und Buchsenkontakte berühren, nach unten in Richtung Buchsenöffnung. Wird der Stecker ganz abgezogen, entstehen Abreißfunken im unteren Bereich der Buchsenkontakte. Bei optimierten Kontakten sind die durch Funken beschädigten Stellen so weit von dem für die Datenübertragung genutzten Bereich entfernt, dass sie diese nicht beeinflussen. Mit anderen Worten: Auch wenn durch wiederholtes Ausstecken unter Last der untere Kontaktbereich beschädigt wird, bietet die Buchse die volle Leistung, bei Kategorie 6A also volle 10 Gigabit pro Sekunde.
Konstruktiv optimierte Buchsen bieten dabei weit mehr: Ein integrierter Kontaktüberbiegeschutz sorgt dafür, dass die Kontakte sich nicht verbiegen, falls einmal ein falscher Stecker eingesteckt wird. Und das kann schneller passieren, als mancher denkt: RJ11- oder RJ12-Stecker von Telefon- oder Faxgeräten sind von Nicht-Fachleuten auf den ersten Blick nur schwer von RJ45-Steckern zu unterscheiden. Sie sind etwas schmaler und können die äußeren Kontakte der RJ45-Buchse verbiegen. Der Kontaktüberbiegeschutz bewahrt die Buchse vor Beschädigungen und sorgt dafür, dass die Übertragungsleistung auch nach wiederholten Stecken des falschen Steckers nicht beeinträchtigt ist. Der Anwender hat die Sicherheit einer fehlertoleranten Steckverbindung.
 
Besondere Anforderungen bei mobilen Geräten
In der Medizin, in Werkstätten, Tagungsräumen und der Industrie sind zahllose mobile Diagnose-, Mess- und Präsentationsgeräte im Einsatz. Die wenigsten davon sind sinnvoll mit einem Wireless-LAN-Anschluss auszustatten. Die RJ45-Buchsen sind bei diesen Anwendungen neben Abreißfunken noch erhöhten mechanischen Belastungen ausgesetzt. Werden die Geräte nur ein wenig zu weit bewegt, reißt dies die Anschlussleitung aus der Buchse. Oft genug entstehen dabei defekte an den Geräteanschlüssen, was zu hohen Reparaturkosten und langen Ausfallzeiten führt. Nicht selten kommen in diesem Zusammenhang sogar auch Menschen zu Schaden, was fast immer die Frage nach der Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften aufwirft.
In diesem Fall schaffen Buchsen mit einer definierten Auslösekraft wirkungsvoll Abhilfe. Bei einem sogenannten Defined Disconnect CP-Link (kurz: DDCP-Link) ist eine solche Buchse am Ende eines kurzen Patch-Kabels angebracht. Dadurch ist sie in fast jedem Link installier- oder nachrüstbar. Wird die Auslösekraft der Buchse überschritten, gleitet der Stecker der Anschlussleitung heraus wie der Fuß aus einer gut eingestellten Skibindung, die sich im Notfall schnell und automatisch löst. Durch das integrierte Leitungsstück funktioniert dies auch bei kritischen Scher- und Querkräften zuverlässig. Damit lassen sich Endgeräte in alle Richtungen verschieben, sogar längs der Wand.
 
Fazit
RJ45-Buchsen sind höheren und vielfältigeren Belastungen ausgesetzt als jemals zuvor. Abreißfunken beim Ausstecken unter Last beim Remote Powering, überbogene Kontakte durch RJ11- und RJ12-Stecker und Schäden durch herausgerissene Anschlussleitungen mobiler Endgeräte erfordern eine optimierte Konstruktion der Buchse und ihrer Kontakte. Nur so ist sichergestellt, dass die Verkabelung fehlertolerant funktioniert und höchste Datenraten lange sicher und zuverlässig übertragen kann.

Power over Ethernet nach IEEE-802.3-Normen.

LED-Beleuchtungssystem, das den Strom über Power over Ethernet Plus (PoE+) erhält. Sensoren erfassen die momentane Beleuchtungsstärke und leiten sie an die IP-basierend Beleuchtungssteuerung weiter. Bild: Microsens

Bei einem Ausstecken des Geräts mit PoE+ im laufenden Betrieb entstehen Abreißfunken, die die feinen Kontakte der RJ45-Steckverbindung beschädigen.

Eine praxisgerecht konstruierte RJ45-Buchse. Gleitet der Stecker im laufenden PoE+-Betrieb aus der Buchse, treten die unvermeidbaren Beschädigungen der Kontakte durch Abreißfunken in einem Bereich (rot) auf, der weit von dem Kontaktbereich entfernt ist, der zur Datenübertragung dient (grün). Dadurch arbeitet die Buchse selbst nach wiederholtem Ausstecken unter Last auch bei höchsten Datenraten weiterhin zuverlässig.

Abbrand an der richtigen Stelle: Bei geschickter Konstruktion bleibt der Kontakt zur Datenübertragung intakt.

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