Home Networking und ITU G.hn

Wider den Wildwuchs

23. Mai 2012, 6:00 Uhr | Dipl.-Ing. Klaus Becker/pf, Becker Training & Consulting, Mering

Zukunftsorientiertes "Home Networking" zeichnet sich durch eine Vielzahl von Geräten unterschiedlichster Art und Aufgaben aus. Die International Telecommunication Union (ITU) versucht mit dem Standard G.hn ("hn" steht für "Home Networking"), das Chaos der verschiedensten Verfahren in den Griff zu bekommen und den Wildwuchs zu begrenzen. Dabei ist die ITU nicht das einzige Standardisierungsgremium, das in diesem Umfeld aktiv ist.Der Begriff "Home Networking" deckt einen weiten Bereich ab - von der Messwerterfassung und Gebäudesteuerung über den Internet-Zugang bis hin zu IPTV (Internet Protocol Television). Die Bandbreitenanforderung erstreckt sich dabei je nach Applikation vom kBit/s- bis zum GBit/s-Bereich. Dies alles integriert die ITU mit dem "Next Generation Network" (NGN). Dies soll die Interoperabilität der verschiedenen Sparten und Systeme verbessern und eine Marktkonsolidierung durch eine "Single Chip"-Lösung herbeiführen.

Doch die ITU steht nicht allein bei diesem Thema, auch andere Normierungen wie die DIN 50173-4 zur strukturierten Verkabelung für das Home Networking sind im Kontext der ITU-Lösung zu betrachten. Welche Bedeutung Home Networking zunehmend erhält, zeigt auch, dass die Internet Engineering Task Force (IETF) eine Arbeitsgruppe für Home Networking ("Homenet") gegründet hat. Entscheidend für das Verständnis der einzelnen Standardisierungen ist daher eine Einordnung der einzelnen beteiligten Gremien in eine Gesamtarchitektur.

An dem Thema Home Networking oder auch Home Area Networking (HAN) arbeitet heute eine Reihe unterschiedlicher Gremien. Der Überblick in Bild 1 berücksichtigt dabei nur die internationalen und stellt keine komplette Auflistung dar. Die Einordnung dort erfolgt nach den OSI-Schichten. Der Standard "Anwendungsneutrale Kommunikationskabelanlagen" (ISO, EN) ist mittlerweile um den Teil 4 - Wohnungen - ergänzt worden. Die DIN EN 50173-4 macht verschiedene Ergänzungen zur Verkabelung und strukturiert die Anforderung an ein Verkabelungssystem im Wohngebäude. Die Strukturierung erfolgt in drei Bereichen:

Informations- und Kommunikationstechnik (IuK),

Rundfunk- und Kommunikationstechnik (RuK) sowie

Steuerung, Regelung und Kommunikation in Gebäuden (SRKG).

Alle diese Bereiche muss ein Verkabelungssystem im Wohngebäudebereich abdecken. Die EN 50173 beschreibt zu den in der IuK bekannten Medien wie UTP (Unshielded Twisted Pair) und Fiber Optic (FO) zusätzliche physische Medien - zum Beispiel Koaxialkabel, wie sie die Fernsehtechnik verwendet. Der Einsatz von Elektroleitungen für Powerline hingegen ist dort nicht aufgeführt. Die ITU wiederum beschreibt in ihrem Projekt G.hn die Architektur und Anbindung des Gebäudes an die Außenwelt.

Das G.hn-Projekt begann im Jahr 2006 und integriert sich in die vorhandene "Next Generation Networks"-Architektur (NGN, Y.2012). Anders als EN 50173 unterstützt G.hn drahtgebundene und drahtlose Physik. Ein besonderes Augenmerk richtet es dabei auf die Powerline-Integration (Datenübertragung via Stromkabel). In diesem Rahmen hat auch das Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) den Standard IEEE 1901-2010 (Broadband over Power Line Networks) erarbeitet.

Auch die IETF ist im Juli 2011 dem Trend zur Heimvernetzung gefolgt: Die damals gegründete Arbeitsgruppe Home Networking hat bereits einen Draft ("Home Networking Architecture for IPv6") publiziert, der die Architektur aus Layer-3-Sicht beschreibt. IPv4 spielt dabei keine Rolle mehr, da dieses Protokoll nicht mehr weiterentwickelt wird. Die Arbeitsgruppe geht davon aus, dass das Heimnetzwerk entweder als "Dual Stack"- oder als reines IPv6-Netz implementiert ist. Die Schwerpunkte der weiteren Arbeit der IETF liegen dabei in folgenden Bereichen: Präfixkonfiguration für Router, Management des Routings, Namensauflösung, Service Discovery sowie Netzwerksicherheit.

Es geht unter anderem auch darum, in den privaten Netzen die bislang übliche Network Address Translation (NAT) zu eliminieren. Dann ist es aber auch erforderlich, die Network Security entsprechend zu verbessern.

G.hn-Architektur und Ziele

Die Motivation der ITU für G.hn war es, ähnlich wie bei ISDN-Chips die Interoperabilität in diesem Bereich zu verbessern und eine für die Verbreitung günstige Kostenstruktur zu schaffen. Die Ziele des G.hn lauten:

Verbesserung der Interoperabilität ("ein Transceiver für alles"),

Marktkonsolidierung (Reduktion der Marktfragmentierung),

Kostenoptimierung (Single-Chip-Lösung, hohe Stückzahlen),

Convenience (eine einzige Technik weltweit) sowie

hoher Datendurchsatz bis zu 1 GBit/s.

Zu den Zielgruppen zählen dabei die Consumer, die Hersteller von Consumer Electronics (CE) und die Service-Provider. Die zentrale Anforderung lautet dabei, dass keine UTP-Verkabelung vorhanden sein muss, um G.hn verwenden zu können. Die räumlichen Anwendungsbereiche beziehen sich zum einen auf Wohngebäude, Konferenzräume und das Small Office, aber auch auf den Wohnungsbau allgemein und darüber hinaus auf Hotels. Als Services bietet G.hn HD-Video-Streaming, Highspeed Home Networking, QoS-Unterstützung (VoIP und IPTV).

Die Architektur unterscheidet zwei zentrale Standards, nämlich G.9960, der sich mit Layer 1 und 2 beschäftigt, sowie G.9970, der sich um die Erfordernisse auf Layer 3 kümmert. Die Standards beschreiben jedoch auch die Anforderungen an die höheren Layer und betrachten die äußerst wichtige Interaktion zwischen dem Access Network (DSL-Anschluss) und dem Home Network.

Im Detail beschreibt G.9960 die Systemarchitektur und Layer 1 ("PHY") des Transceivers zur drahtgebunden Übertragung über Telefonkabel, Koaxialkabel oder Stromkabel. Die Transceiver können entweder als "Single Media" oder als "Multiple Media" (mehrfache Physik) ausgeführt sein. Die Anforderungen (Übertragungsrate und QoS) für die IPTV-Übertragung müssen durch diese Physik - wie bei xDSL oder andern Access-Techniken - erfüllt sein. Um die Hochfrequenzüberlagerung der Dienste zu verhindern, ist auch der Frequenzplan für die einzelnen Services genau definiert. Andere physische Schnittstellen wie Ethernet bleiben in G.9960 zwar außen vor, werden dafür aber in der G.9970-Architektur gezielt eingebunden. Zusätzlich sind zwei Profile ("Low" und "Standard") vorgegeben. Das Low-Profil kommt für die Home Automation (niedere Übertragungsrate und minimales Management) zum Einsatz.

Der Standard G.9970 definiert die gesamte Architektur unter Berücksichtigung der physikalischen Randbedingungen. Die maximale Ausdehnung eines Home Networks beträgt 250 Netzknoten, und es unterstützt eine Übertragungsrate von bis zu 1 GBit/s. Die physischen Schnittstellen reichen von drahtgebunden (UTP, Powerline, Coax oder Telefonkabel) bis zu drahtlos (WLAN, Blue-tooth oder Zigbee) und sind transparent verwendbar.

Definition Home Network

Zwei oder mehr Knoten sind miteinander physisch über einen so genannten Relay-Knoten oder aber mit einer "Inter-Domain Bridge" auf Layer 2 verbunden. Innerhalb eines Home Networks können eine oder mehrere Domains auftreten. Falls innerhalb des Bereichs ein Non-G.9960-Netz auftritt, läuft dieses unter der Bezeichnung "Alien Home Network". Alien- und G.9960-Domains beziehungsweise -Netzwerke lassen sich mit Brigdes verbinden.

G.9970 wiederum kennt auf Layer 3 nur ein IP- oder ein Non-IP-Netzwerk und verbindet diese mit Routern. Ein "IP Home Network" lässt sich mit IPv4 und IPv6 betreiben. Der Anschluss zum Access Network erfolgt über ein Residential Gateway.

Resümee

Die verschiedenen Standardisierungsbemühungen lassen sehr viel Spielraum für herstellerspezifische Implementierungen. Der ITU-Ansatz mit der Single-Chip-Lösung hat daher beste Erfolgsaussichten, da dort die von der ITU geforderten Verfahren fest integriert sind. Positiv zu bewerten ist auch, dass dieser Ansatz die IPTV-Welt mit einbindet und ansatzweise auch die Steuerungs- und Regelungstechnik.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich dieser Ansatz im Markt durchsetzen wird. Derzeit leiden die Smart-Home-Projekte allerdings noch unter einer Vielzahl von Schnittstellen, die nicht miteinander kompatibel sind. Davon betroffen und bislang allein gelassen sind vor allem diejenigen, die solche Smart-Home-Projekte umsetzen wollen - nämlich die Netzwerkplaner sowie die Elektroplaner. Im Gegensatz zum Enterprise-Bereich, in dem meist eine Trennung zwischen Gebäudeautomatisierung und Datennetzen existiert, wäre bei der Heimvernetzung ein integrierter Ansatz jedoch sinnvoll. Letzteres bedeutet, dass sich die unterschiedlichen Informationen von IPTV, Gebäudeautomatisierung und Internet-Applikationen über ein gemeinsames Netz übertragen lassen.

Bild 1. Beteiligte Gremien beim Home Networking mit Zuordnung ihrer Standards zu den OSI-Schichten.
LANline.

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