Test: Siemens Hipath 2000

Zwischen proprietärer Welt und SIP-Standard

6. November 2006, 0:05 Uhr | Peter Meuser/pf Peter Meuser (E-Mail: pmeuser@itlab.de) ist selbstständiger IT-Consultant in München und Mitglied des LANline-Labs.

Linux-Basis, webbasierende Verwaltung, Unterstützung von SIP-Clients und Internettelefonie - das sind Stichwörter, die beim traditionsreichen TK-Anlagenhersteller Siemens auf den ersten Blick wie eine kleine Revolution anmuten. Das LANline-Lab testete mit der Hipath 2030 die kleinste vernetzungsfähige TK-Anlagenreihe von Siemens mit einer Auslegung für bis zu 30 VoIP-Teilnehmer.

Zwar verfügt das Ende letzten Jahres auf den Markt gekommene Modell Hipath 2030 als Reminiszenz
an die alte TK-Welt noch über zwei a/b-Anschlüsse für analoge Endgeräte – zum Beispiel zur
einfachen Faxintegration. Das eigentliche Arbeitsfeld der Hipath-2000-Reihe sind aber kleine Firmen
oder Filialen, die im Rahmen konvergenter Netze konsequent auf Voice over IP (VoIP) setzen wollen.
Das kompakte 19-Zoll-Gehäuse der Anlage mit einer Höheneinheit verfügt über vier S0-Schnittstellen
(entsprechend acht ISDN-B-Kanälen), die sich wahlweise als Amtsanschluss oder für interne
ISDN-Geräte nutzen lassen, einen 4-Port-Switch sowie separate Ethernet-Ports für WAN und DMZ
(demilitarisierte Zone).

Das kleinere Schwestermodell Hipath 2020 besitzt im Vergleich keine analogen Ports, nur zwei
S0-Schnittstellen, keine integrierte Voice-Mail und ist für maximal 20 VoIP-Clients ausgelegt. Im
Gegensatz zu den höheren Hipath-Serien ist bei der Modellreihe 2000 keine modulare
Hardwareerweiterung der Anlagen vorgesehen. Lediglich Softwareoptionen wie zum Beispiel eine
IPSec-basierende VPN-Unterstützung (Roadwarrior und Site-to-Site) lassen sich über entsprechende
Lizenzen freischalten.

Nach eigenem Selbstverständnis steuert die Hipath 2000 sämtliche telefon- und computergestützten
Kommunikationsvorgänge kleiner Firmen und Filialen mit der Außenwelt. Über den integrierten
DSL-Router erhalten LAN-Teilnehmer Zugang zum Internet. Mail- und andere Serverdienste liegen in
einem separaten DMZ-Segment. Als primäre Firewall-Funktion kommt NAT (Network Address Translation)
zum Einsatz. Die jeweiligen Ports der Serverdienste im DMZ werden daher auf der WAN-Schnittstelle
abgebildet. Da für Letztere nur eine einzige IP-Adresse vorgesehen ist, lässt sich beispielsweise
auch nur ein Webserver unter dem Standard-Port 80 betreiben. Dies ist nicht in allen
Anwendungsfällen ausreichend.

Vom Linux-Kern der Anlage bekommt nur der Servicetechniker etwas zu sehen. Die normale
Administration der Hipath erfolgt über das "Web-Based Management" (WBM), das leider ausschließlich
mit Microsofts Internet Explorer unter Windows mit ausgewählten JVMs (Java Virtual Machines)
zusammenarbeitet. Im Vergleich zum "Hipath 3000 Manager E", dem Konfigurationswerkzeug für
Servicetechniker, das sich auch für die Administration der Hipath 2000 nutzen lässt, sind
Verwaltungsaufgaben mittels WBM deutlich leichter zu erlernen, wenn sich auch die vielen
Java-basierenden Bedienungselemente recht eigenwillig verhalten und öfter zum Stillstand neigen.
Durch die Erstinbetriebnahme führt ein Assistent schnell zu Ergebnissen. Weitergehende
Detaileinstellungen bleiben dem "Expertenmodus" vorbehalten.

HFA: VoIP mit System

Zum Test standen uns mit zwei Optipoint-Systemtischtelefonen, einem Optipoint-Wi-Fi-Handset und
dem Softphone Opticlient 130 V5.1 vier Endgeräte zur Verfügung (Testaufbau siehe Bild), die mit der
Hipath-Anlage über das proprietäre VoIP-Protokoll HFA (Highpath Feature Access) kommunizieren. HFA
basiert auf dem Standard H.323, der von Siemens erweitert wurde, um weiter gehende
Leistungsmerkmale wie Konferenzschaltungen oder ein zentrales Telefonbuch zu realisieren. Die
VoIP-Protokollanalysefunktionen von Network Instruments Observer 11.1 weisen die HFA-Signalisierung
daher auch als H.323 aus, während die eigentliche Sprachübermittlung wie auch unter SIP mittels RTP
(Real-Time Transport Protocol) erfolgt. Die unverschlüsselten RTP-Ströme im Hipath-Umfeld zeichnet
Observer im Kontext auf und gibt Gespräche auf Wunsch als Wav-Datei wieder.

Die Siemens-Systemtelefone bringen nicht nur dem Anwender mit ihren Leistungsmerkmalen einen
hohen Bedienungskomfort. Sie unterstützen auch den Systemadministrator beim Rollout und bei der
zentralen Administration der Geräte in hohem Maße: Sobald ein Systemtelefon von der Hipath per DHCP
eine IP-Adresse erhalten hat, überträgt der anlageninterne Deployment-Service an das Endgerät
weitere Parameter, die zuvor in einem XML-basierenden Template definiert wurden. Funktionstasten,
die bei den getesteten Tischgeräten Optipoint 420 Economy Plus und Advance per LCD-Anzeige
dynamisch beschriftet werden, lassen sich zentral über das WBM der Hipath 2000 konfigurieren.
Zusätzlich besitzt jedes Endgerät einen integrierten Webserver, um individuelle Einstellungen per
Fernwartung vorzunehmen. Unverständlich umständlich erscheint allerdings bei den
Opticlient-Softphones, dass die Softwarelizenzierung, die an die MAC-Adresse des PCs gebunden ist,
über einen zentralen Lizenzierungsdienst unter Windows bereitzustellen ist. Damit kann ein Benutzer
sein im Übrigen komfortabel ausgefallenes Softphone nicht von Arbeitsplatz-PC zu Arbeitsplatz-PC
mitnehmen.

SIP-Clients in der Siemens-Welt

Offiziell unterstützt Siemens an ihrer Hipath die eigenen SIP-basierenden Endgeräte "Optipoint
410 S/420 S", das Wi-Fi-Phone "Optipoint WL2 Professional S" und das Softphone "Opticlient 130" ab
V5.1. Die SIP-Teilnehmer müssen dabei gegenüber HFA-Endgeräten deutliche Abstriche bei den
verfügbaren Leistungsmerkmalen in Kauf nehmen. Unterstützt werden offiziell unter anderem die
Basisfunktionen "Rückfrage", "Übergabe", "Halten" und "Call Transfer". An weiter gehenden
Anlagenfunktionen wie zum Beispiel Konferenzschaltungen können SIP-Clients zwar passiv
partizipieren und daher eingeladen werden, diese aber nicht selbst initiieren.

Eine Telefonwelt unter dem offenen Standard SIP ist aber nur dann sinnvoll, wenn sich auch
Endgeräte anderer Hersteller integrieren lassen. Unsere im Testaufbau beschriebene Auswahl fremder
SIP-Clients versteht sich zunächst grundsätzlich mit der Hipath. Selbst das unter der attraktiven
Schale in Sachen SIP-Interoperabilität kritisch reagierende GSM/WLAN-Kombigerät Nokia E61 konnte
auf Anhieb Gespräche aufbauen und annehmen. Die Grenzen der Kompatibilität sind aber bereits mit
einfachen weiter gehenden Gesprächsoptionen erreicht: Sowohl das Nokia E61 als auch der Lancom
Advanced VoIP-Client 1.10 waren im Test aus Haltepositionen heraus nicht mehr zurückzuholen. Dies
blieb zwar dem kostenlosen Softphone X-Lite 3.0 erspart, aber nur aus dem Snom 360 (getestete
Firmware 6.2.3) und der SIP-Variante des Siemens-Wi-Fi-Handsets erklang eine Wartemelodie. Selbst
die hausinterne Interoperabilität besitzt Grenzen: Versucht der Anwender mit dem "Optipoint WL2
Professional S" eine angebotene Dreierkonferenz ("lokales SIP-Feature") mit zwei bereits
aufgebauten Gesprächsteilnehmern einzuleiten, verbleibt der zuerst angerufene unerreichbar in einer
Warteschleife (getestet mit Software-Release 70.000.26).

SIP-Kontakt mit der Außenwelt

Mit dem aktuellen Release SMR-6 unterstützt die Hipath 2000 v1.0 erstmals auch eine Anbindung zu
SIP-Carriern. Der nächstgrößere Bruder Hipath 3000 soll mit diesem SIP-Feature dagegen erst im Lauf
dieses Jahres aufwarten können. Zu den offiziell von Siemens freigegebenen
Internettelefonieanbietern, mit denen sich der integrierte SIP-Client der Hipath versteht, gehören
Sipgate, 1&1, T-Online und Freenet. Diese Anbieter lassen sich komfortabel über einen Wizard
per Webinterface konfigurieren. Siemens arbeitet nach eigenem Bekunden kontinuierlich an der
Zusammenarbeit mit weiteren Anbietern. Grundsätzlich lassen sich im "Expertenmodus" des WBM
beliebige SIP-Anbieter manuell konfigurieren.

Derzeit ist die erste Version einer Unterstützung der SIP-Carrier allerdings durch eine Reihe
von Limitierungen gezeichnet. Es lassen sich lediglich bis zu 30 SIP-Einzelkonten registrieren. Ein
SIP-Trunking mit Durchwahlnummern, vergleichbar dem Anlagenanschluss der ISDN-Welt, zählt noch
nicht zum Funktionsrepertoire. Alle registrierten SIP-Einzelkonten müssen zu einem Provider
gehören. Eine parallele Nutzung von Konten zum Beispiel bei Sipgate und 1&1 ist damit nicht
möglich.

Maximal vier SIP-Gespräche lassen sich parallel mit der Außenwelt führen. Dieses Limit wird
nicht von der zur Verfügung stehenden Bandbreite in das Internet bestimmt, sondern von den
Verarbeitungsgrenzen der Anlage. Jede SIP-Provider-Verbindung über die WAN-Schnittstelle
verschlingt nach Angaben von Siemens zwei der insgesamt acht DSP-Ressourcen des Geräts (DSP:
digitaler Signalprozessor). Selbst eine Warteschleifenmusik benötigt eine DSP-Ressource, sodass
Siemens folgerichtig für die Praxis empfiehlt, nicht mehr als zwei parallele SIP-Gespräche via WAN
zu führen. Ein "Überlauf" zu ISDN-Amtsleitungen ist zumindest für den Fall vorgesehen, dass keine
SIP-Verbindung zustande kommen kann.

Die Anlage kann grundsätzlich nur einen externen IP-Kommunikationspartner verwalten. Wird daher
ein SIP-Provider genutzt, ist eine gleichzeitige IP-basierende Anlagenvernetzung auf der Basis von
Cornet-IP ausgeschlossen. Zur Anlagenvernetzung steht in diesem Szenario nur das Medium ISDN zur
Disposition (Cornet-NQ). Damit sind Filialanbindungen über günstige DSL-Leitungen mit der Hipath
2000 derzeit nur unter Verzicht auf Internettelefonie realisierbar.

Um SIP-Verbindungen durch eine NAT-Firewall hindurch zu realisieren, sind prinzipbedingt
entsprechende Hilfsmechanismen wie STUN (Simple Traversal of UDP over NATs) erforderlich. Da die
Hipath 2000 kein STUN beherrscht, geht Siemens grundsätzlich davon aus, dass die Anlage nicht
hinter einer separaten Firewall betrieben wird, sondern selbst die Aufgaben des DSL-Routers und der
Standort-Firewall übernimmt. Dieses einschränkende Konfigurationsszenario ist aber nicht zwingend:
In unserem Testaufbau konnten wir den DSL-Router Lancom 1722 VoIP (siehe separater Beitrag) als
(einzigen) SIP-Provider und Internetschnittstelle gegenüber der Hipath konfigurieren. Der Router
mit integriertem SIP-Proxy übernimmt damit die Aufgaben der Bandbreitensteuerung (QoS),
Netzabsicherung (Firewall, VPN) und hebt zudem mittels Call Routing die Beschränkungen der Hipath
auf einen aktiven SIP-Provider auf.

Fazit

Die Siemens Hipath 2000 hinterlässt im Test einen zwiespältigen Eindruck. Firmeninternes VoIP
innerhalb der Siemens-Welt überzeugt im Hinblick auf Telefonleistungsmerkmale, Komfort und
Administrierbarkeit. Verlässt der Anwender allerdings diesen sicheren Hafen in Richtung des offenen
SIP-Standards, stoßen Funktionsangebot und Stabilität schnell an schmerzliche Grenzen. Die
SIP-Provider-Unterstützung ist derzeit nur als rudimentär und erster Schritt in die richtige
Richtung einzustufen. SIP-fähige Endgeräte sind an der Hipath-2000-Serie eindeutig nur Clients
zweiter Klasse. Bemühungen seitens Siemens?, daran zumindest durch umfangreiche
Kompatibilitätstests etwas zu ändern, sind derzeit nicht erkennbar. Wer den vollen
Hipath-Telefonkomfort auch unter konvergenten Netzen nutzen möchte, dem bleibt nur der Griff zu
proprietären HFA-basierenden Systemendgeräten. Die Revolution eines offenen TK-Markts, in dem sich
wie in der IT-Welt auf der Basis von Standards Komponenten frei miteinander kombinieren lassen,
bleibt somit vorerst noch Wunschdenken.

Die Hipath 2000 ist von ihrer Grundausrichtung her kein modulares System, das beliebig mit dem
Unternehmen wächst und sich flexibel in bestehende IT-Umgebungen integrieren lässt. Wer neben einer
VoIP-basierenden TK-Anlage bis maximal 30 Teilnehmer auch einen DSL-Router und eine einfache
Firewall-Absicherung von Mail- und eventuell Webserver sucht, findet mit der Hipath 2030 zwar eine
kostengünstige Lösung aus einem Guss, muss dann aber auch mit funktionellen Einschränkungen in
diesem Bereich leben oder Komponenten anderer Hersteller bedacht hinzufügen.

PTC Telecom (www.ptc.de) beispielsweise führt die Hipath 2030 V1.0 mit Basislizenz (zehn
HFA/SIP-Clients) für 1518 Euro. Eine Erweiterungslizenz für einen IP-Client schlägt mit 65 Euro zu
Buche. Für Endgeräte aus dem Haus Siemens sind zum Beispiel 330 Euro für ein "Optipoint 420 Economy
Plus" und 338 Euro für ein "Optipoint WL2 Professional" einzuplanen.

Info: Siemens Tel.: 089/722-0 Web: www.siemens.de/hipath


Lesen Sie mehr zum Thema


Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Lampertz GmbH & Co. KG

Matchmaker+