Internet der Dinge revolutioniert Gebäudeautomation

Das Haus lernt denken und handeln

26. September 2014, 7:28 Uhr | Stefan Mutschler/pf

Das "Internet of Things" (IoT) wird in den nächsten Jahren sukzessive nahezu jeden menschlichen Lebensbereich durchdringen. Ziel ist ein "Smarter Planet", viele fürchten aber: dieses um den Preis durchgängiger Überwachbarkeit. Der Erfolg des IoT wird also nicht zuletzt davon abhängen, wie überzeugend der Schutz der Privatsphäre gelöst ist.Das IoT bietet sehr viele Facetten. Auf dem Mobile World Congress (MWC) in Barcelona etwa konnten sich die Besucher auf einem Areal unter dem Motto "Connected City" Einblicke in aktuelle IoT-Entwicklungen der Bereiche Ausbildung, Gesundheitswesen, Identität und Sicherheit, Handel, Transportwesen sowie "Smart Cities" und Industrie verschaffen. Auf der CeBIT wiederum überraschten das Publikum überdimensionale Getreidemähmaschinen und damit vernetzte Gerätschaften als Vertreter des "Farming 4.0". Cisco will über das IoT Menschen, Prozesse, Daten und Dinge zu einem organischen Ganzen verbinden. Das Ergebnis nennt Cisco seit letztem Jahr "Internet of Everything" (IoE). Beide Begriffe umreißen einen Markt, der Cisco - und vielen anderen Unternehmen ebenso - auf lange Sicht schier unerschöpfliches Wachstum verheißt. Immerhin sind Schätzungen zufolge erst etwa 0,7 Prozent der "Dinge", die prinzipiell über das Internet vernetzt sein könnten, bis dato tatsächlich vernetzt. Cisco glaubt, dass mindestens die nächsten zehn Jahre davon geprägt sein werden, sukzessive die übrigen 99,3 Prozent ins Netz zu holen. Ähnlich der "Smarter Planet"-Initiative von IBM ist auch bei Cisco oberstes Ziel, etwa Gebäude, Anlagen, Fahrzeuge, Städte etc. mithilfe intelligenter Steuerungen (Sensoren) und Mechanismen effizienter, sicherer und einfacher zu machen. Die technische Basis dafür bildet beim Netzwerkprimus die vor etwa zwei Jahren aus der Taufe gehobene Netzwerkarchitektur "Cisco One", die die gesamte Netzwerkinfrastruktur programmierbar machen soll. Inzwischen gibt es dafür ein breit gefächertes Produktportfolio.   Datenschutz und Sicherheit bislang unklar "Der Kampf um das Internet of Things hat gerade begonnen. Dem Marktforschungsunternehmen IDC zufolge wird der IoT-Markt im Jahr 2020 7,1 Billionen Dollar wert sein", erklärt Christian Vogt, Regional Director Deutschland und Niederlande bei Fortinet. Der Security-Anbieter hat kürzlich die Ergebnisse einer weltweiten Untersuchung von Verbrauchermeinungen zu "Connected Home" und IoT veröffentlicht. Demnach äußerte eine Mehrheit der Befragten ihre Besorgnis darüber, dass ein vernetztes Gerät zu einer Datenschutzverletzung führen könnte oder dazu, dass sensible persönliche Daten preisgegeben werden. Weltweit bekundeten 69 Prozent der Befragten, dass sie entweder "sehr besorgt" oder "ein wenig besorgt" darüber seien, in Deutschland waren es 70 Prozent. "Die Sieger in diesem Markt werden die Anbieter sein, die ein ausgewogenes Verhältnis aus Sicherheit, Privatsphäre, Preis und Funktionalität ermöglichen", ist Vogt überzeugt. In Betrieben gibt es ähnliche Bedenken: So glauben 71 Prozent der IT-Experten, dass das IoT erhebliche Auswirkungen sowohl auf die Verbraucher als auch auf das Arbeitsleben haben wird. Dies zeigt beispielsweise eine aktuelle Untersuchung, die das soziale Netzwerk für die IT-Branche "Spiceworks" (www.spiceworks.com) veröffentlicht hat. In der unabhängigen Studie "The Devices are Coming!? geht es darum, wie IT-Profis das Internet der Dinge wahrnehmen, wie sie sich darauf vorbereiten und wie sie dessen Einfluss auf ihre Arbeit beurteilen. Über mobile Endgeräte, mit dem Netzwerk verbundene Videokameras und Peripheriegeräte sowie über Gebäudesensoren und Kontrollgeräte hätte der Einzug des IoT bereits im großen Stil begonnen. 59 Prozent der Befragten gaben zu, sich derzeit nicht aktiv auf die Folgen vorzubereiten, die daraus für ihr Unternehmen entstehen können. Lediglich 30 Prozent gaben an, etwa durch Investitionen in die Hardware oder gezielte Sicherheitslösungen entsprechende Vorbereitungen zu treffen.   IoT-Projekte In den experimentierfreudigen USA entstehen ganze Modellstädte, die von Grund auf dazu konzipiert sind, die mit dem IoT möglichen Effizienzsteigerungen bestmöglich auszuschöpfen. Paradebeispiel ist die Gemeinde Lake Nona nahe Orlando in Florida. Der Schwerpunkt liegt in diesem Fall auf der Optimierung und Rationalisierung der medizinischen Versorgung. So sorgt im dortigen Nemours-Kinderhospital die Vernetzungstechnik dafür, dass Ärzte jederzeit Status und Krankheitshistorie ihrer kleinen Patienten sowohl an ihren PCs, als auch auf ihren Tablets und zum Teil auch an den Türpaneelen abrufen können. In Deutschland entstehen gerade Projekte, in denen es um die akademische Forschung im Zusammenhang mit dem IoT geht. Einen der Schwerpunkte bildet dabei das industrielle Umfeld. Jüngstes Beispiel ist die Initiative "Guided Autonomic Building", die soeben den Zuschlag für das Forschungsprojekt des Bundeswirtschaftsministeriums im Rahmenprogramm "Industrie 4.0" bekommen hat. Ein Konsortium aus der Hager Group, den "Scheer Group"-Unternehmen Scheer Management, Interactive Software Solutions und IS Predict sowie der Qbus Holding forscht dort zusammen mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz und dem Institut für Kommunikationstechnik der Fachhochschule Dortmund an der intelligenten Vernetzung und Bedienung von autonomen Gebäudesteuerungen. Flexible Gebäudesteuerungen, offene Standardschnittstellen, die Integration von modernen Web-Techniken in Automationslösungen sowie die Realisierung neuer, interaktiver 3D-Bedienkonzepte sollen Energieeffizienz, Nutzwert und Nutzerakzeptanz autonomer Gebäude maßgeblich verbessern. Im Mittelpunkt des Projekts steht eine Dienst- und Assistenzplattform für autonome, vernetzte und ressourceneffiziente Wohngebäude ("Smart Buildings"). Diese Plattform sollen Anwender sowohl in Echtzeit vor Ort nutzen, als auch über bedienungsfreundliche Apps in der Cloud konfigurieren oder über Dienstleister ansteuern können. Im Unterschied zu anderen Forschungsvorhaben ist es nicht das Ziel, einen Prototypen zu schaffen, sondern die Techniken unmittelbar mit echten Nutzern in realen Objekten zu erproben. "Der Einsatz von flexiblen, an die Gebäudestrukturen angepassten verteilten IP-Systemen, die über ein gesichertes IoT-Interface mit intelligenten Softwaremodulen und professionellen Gebäude-Feldbussystemen interagieren sowie dem Anwender eine neuartige Bedienoberfläche bieten, erlauben eine übersichtliche Handhabung und Informationen zum Beispiel zur Steuerung und Energieeffizienz der Wohnumgebung", begeistert sich Professor Dr. Ingo Kunold von der FH Dortmund.   Fokus auf Software Auch wenn die Vernetzung als solche beim IoT immer mitspielt, liegt die "hohe Kunst" offenbar aber ganz woanders: bei den für die Steuerung und Analyse genutzten Web-Plattformen. Nahezu alle gängigen Feldbussysteme, die in klassischen Netzwerken für die Gebäudesteuerung zum Einsatz kommen, inklusive KNX und Bacnet, lassen sich heute bei Bedarf mit IP-Systemen integrieren. Auch das gesamte Spektrum der Drahtlostechniken - über RFID und Zigbee, Bluetooth und WLAN bis hin zum Mobilfunk - kommt entsprechend den Nutzerszenarien zum Einsatz. Die "Connected City" auf dem MWC etwa basierte ausschließlich auf Funktechniken. Die netzwerktechnische Basis ist also nicht der entscheidende Punkt von IoT, unterschiedliche Techniken lassen sich variabel einsetzen - solange es sich um Standardverfahren handelt. Wenn sich neue Entwicklungen ergeben - wie beispielsweise die HDBaseT-Schnittstelle als Nachfolger von HDMI zur Übertragung von Videos in 4K-UHD-Auflösung (Ultra High Definition) -, wechselt man zu einem anderen Standard. Die Anwendung jedoch, um die es letztlich geht, definiert sich über die verwendete Web-Plattform. Im industriellen Umfeld etwa agierten bisher Maschinen und Erzeugnisse in der Produktionswelt weitestgehend autark. Im Zuge der "Industrie 4.0" kommunizieren sie miteinander. Dies allein ist jedoch nicht das Wesentliche. Letztlich geht es um intelligente Dienste, die durch die Verknüpfung verschiedenster Daten Mehrwerte schaffen. Die Prozesskette geht demnach weit über die Fabrikhalle hinaus. Über entsprechende "Smart Services" lassen sich intelligente Produkte während des kompletten Lifecycles begleiten. Auch auf diesem Sektor gibt es in Deutschland bereits Beispiele. "In-Integrierte Informationssysteme" (www.in-gmbh.de) beispielsweise bietet einen SaaS-Dienst (Software as a Service) für die intelligente Aufnahme, Verarbeitung und Visualisierung von Daten aus verschiedensten Systemen. So lassen sich relevante Informationen Entscheidern und Service-Mitarbeitern ortsunabhängig und mobil zur Verfügung stellen. Die mandantenfähige Plattform "Sphinx Open Online" dieses Service-Providers integriert relevante Daten aus Gebäudetechnik, technischen Anlagen, Energietechnik, betriebswirtschaftlichen Kennzahlen (KPIs - Key Performance Indicators) und weiteren Datenquellen zu einer homogenen Gesamtlösung. Damit sollen sich Prozesse verbessern, Verbräuche optimieren, Ausfallzeiten vermeiden und Service-Kosten minimieren lassen. Auf der IFA in Berlin wird Ihaus (www.ihaus.de) an seinem Stand erstmalig eine innovative App zeigen, die im Gegensatz zu aktuellen Silo- oder Insellösungen die herstellerübergreifende Vernetzung von Internet-fähigen Geräten und Diensten ermöglicht. Diese soll als als All-in-One-Kommando- und Kommunikationszentrale für Haustechnik alle im Netzwerk eingebundenen Elektrokomponenten, Funktionen und Geräte vernetzen und steuern sowie externe Dienste einbinden, um so komplett neue Anwendungsszenarien zu ermöglichen.   Fazit Noch überwiegen beim IoT die Forschungsprojekte. Viele Basistechniken und erste kommerzielle Services sind jedoch bereits verfügbar, und alle Zeichen deuten darauf hin, dass schon bald zahlreiche Dinge des täglichen Gebrauchs und des Arbeitsumfelds mit Erleichterungen und Effizienzsteigerung locken werden. Nach wie vor ungelöst bleiben vorerst die Probleme im Zusammenhang mit Privatsphäre und Datenschutz. Die Experten streiten sich unter anderem noch darum, inwieweit der Staat dort durch Regulierungen eingreifen soll, die Hersteller von Produkten für Missbrauch haften sollen und Nutzer selbst für Informationslecks verantwortlich sind. Zumindest im privaten Umfeld bleibt das IoT damit bis auf Weiteres fragwürdig.

Der Autor auf LANline.de: ElCorrespondente

Auf dem MWC in Barcelona konnten sich die Besucher unter dem Motto "Connected City" Einblicke in aktuelle IoT-Entwicklungen für unterschiedlichere Branchen verschaffen. Im Bild werden Blutzuckerwerte eines Profiradlers von einem Sony-Experia-Smartphone mit Software von Orange in Echtzeit erfasst und via Garmin/Dynastream-eigenem ANT+-Protokoll an eine vom Spezialisten Dexcom betriebene Web-Plattform übertragen. Bild: Stefan Mutschler

Schwere Landwirtschaftsmaschinen auf der CeBIT: Analog zu "Industrie 4.0" hat die Bundesregierung eine Hightech-Strategie in der Landwirtschaft aufgesetzt. Hersteller wie hier Claas haben "Farming 4.0" bereits in ihren Kolossen im Sinne einer effizienzoptimierten Bewirtschaftung realisiert. Bild: Stefan Mutschler

Auch bei den Netzwerktechniken, auf die sich das IoT stützt, gibt es immer wieder neue Entwicklungen. Die Anforderungen an die Bildauflösung beispielsweise haben mit 4K UHD einen neuen Standard erreicht: Die Daten dafür lassen sich unkomprimiert über den Connectivity-Standard HDBaseT übertragen. Verkabelungssysteme wie das von Metz Connect bringen die Signale über Distanzen von bis zu 100 Metern ohne Qualitätsverlust. Bild: Metz Connect

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