RZ-Management und Edge Computing

DCIM sucht Rand

12. Februar 2020, 7:00 Uhr | Von Dr. Wilhelm Greiner.

Laut dem US-Marktforschungshaus Global Market Insights soll der Weltmarkt für Datacenter-Infrastructure-Management (DCIM) von rund einer Milliarde Dollar 2018 bis 2026 auf stolze 4,5 Milliarden Dollar anwachsen. Die Prognose umfasst die Teil-bereiche Asset-, Netzwerk-, Kühlungs-, Stromversorgungs- und Security-Management. Der Hintergrund: Digitalisierung, KI-Anwendungen, das Internet of Things (IoT) und 5G-Mobilfunk erzeugen erheblichen Bedarf an Rechenzentrumskapazitäten - neuerdings verstärkt am Netzwerkrand (Edge), also dort, wo Anwender- und Sensordaten anfallen.

"Der zunehmende IP-Verkehr in Rechenzentren und die steigende Nachfrage nach intelligenter physischer Infrastruktur zur Unterstützung der IT-Assets werden das Marktwachstum über die prognostizierte Zeitspanne antreiben", so Global Market Insights im November letzten Jahres. Europas Anteil am DCIM-Markt betrage 20 Prozent. Ein wichtiger Treiber sei der immer größere Datenhunger von Consumer- wie auch Business-Applikationen, der wiederum die Nachfrage nach Cloud-Services beflügle - und damit neue Rechenzentren aus dem Boden sprießen lässt. Verursacher sind die üblichen Verdächtigen: soziale Netzwerke, Video-Streaming und Internetsuche ebenso wie Business-, Collaboration- und die derzeit so angesagten Digital-Analytics-Anwendungen. Bei dem Analystenhaus Technavio geht man deshalb sogar davon aus, dass der DCIM-Markt bereits bis 2023 um über vier Milliarden Dollar anwachsen wird. "Rechenzentren werden sich weiterhin auf DCIM-Software und -Analysen verlassen, um Echtzeit-Entscheidungen zu Stromverbrauch, Flächen-Management-Eigenschaften der Datacenter und Kapazitätsauslastung zu fällen", so die Marktforscher.

"Zwei wesentliche Entwicklungen bestimmen die Zukunft der Rechenzentrumsbranche: eine deutlichere Segmentierung der Rechenzentrumstypen und das Wachstum des Edge Computings", stellt RZ-Ausrüster Vertiv in seiner Studie "Das Rechenzentrum 2025" von 2019 fest. Diese ist - nach einem ähnlichen Projekt 2014 - Vertivs zweite internationale Umfrage unter 800 RZ-Fachleuten zur Zukunft ihrer Branche (global, aber mit regionalen Schwerpunkten auf Lateinamerika und dem asiatisch-pazifischem Raum). "Jetzt im Jahr 2019 ist die Branche geprägt von einem bereits mehrere Jahre anhaltenden Bauboom bei Colocation- und Hyperscale- Betreibern, um neue Kapazitäten für die Onlinenutzung bereitzustellen", so Vertiv. "Und das hat zu einer erheblichen Zunahme des Energieverbrauchs der gesamten Branche geführt." In der Telekommunikation könne der Übergang zu 5G den Energieverbrauch des Netzwerks sogar um bis zu 170 Prozent erhöhen.

Laut Uptime Institute hat sich zwischen 2007 und 2014 die Energieeffizienz im RZ (Power Usage Effectiveness, PUE) von 2,5 auf 1,5 verbessert, stagniert seitdem jedoch auf diesem Niveau. Zunehmende RZ-Kapazitäten bedeuten damit einen proportional zunehmenden Energiebedarf. Das Problem, so Vertiv: "Gerade in puncto erneuerbarer Energien - wo konkrete anteilige Verbrauchszahlen von Rechenzentren kaum vorliegen - bleiben wir aber nach unserer neueren Einschätzung weit hinter den erwarteten Prognosen zurück, da sich die Fortschritte in diesem Bereich nicht so schnell entwickeln wie der Bedarf auf der anderen Seite." Immerhin gehen die Teilnehmer der aktuellen Umfrage aber davon aus, dass 2025 Wasserkraft die größte RZ-Energiequelle sein wird. Zudem, so Vertiv, gebe es im RZ "eine große unerschlossene Ressource": die Auslastung der IT. Die Auslastungsrate von Unternehmens-Rechenzentren liege bei mageren 20 Prozent. Hier rechne die Mehrheit der Umfrageteilnehmer damit, bis 2025 mindestens 60 Prozent zu erreichen.

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"Mit dem Rollout von 5G beginnt nicht nur eine neue Mobilfunkära, sondern auch die Adaption von Edge Computing in der Breite", erklärt Schneider-Electric-VP Vincent Barro.Bild: Schneider Electric

Edge Computing im Kommen

Während die Bestands-IT oft nicht ausgelastet sind, entsteht derzeit gewaltiger Bedarf an neuen RZs durch das Edge Computing, also die Verlagerung von Rechenkapazitäten weg von der Public Cloud oder dem zentralen Unternehmens-RZ in Richtung möglichst großer Nähe zu den Datenquellen, etwa für zeitnahe Sensordatenauswertung in der vernetzten Fabrik, in Smart Cities oder für autonomes Fahren. "Nahezu jede Branche erkennt die Einschränkungen für Nutzer und aufstrebende Technologien aufgrund der zentralisierten IT-Infrastrukturen an und verschiebt die Speicherung und Datenverarbeitung immer mehr in die Nähe von Nutzern und Geräten", so die Vertiv-Studie. Der RZ-Ausrüster sieht vier Arten von Anwendungsfällen für das Edge Computing: 1. datenintensive Umgebungen (intelligente Fabrik, Smart City, Virtual Reality etc.), 2. "Human Latency"-sensitive Fälle (sprich: Interaktion mit potenziell ungeduldigen Endanwendern, etwa bei Sprachassistenten oder Augmented Reality), 3. Machine-to-Machine-Kommunikation mit ebenfalls sehr hoher Latenzempfindlichkeit (Smart Security, Smart Grid etc.) sowie 4. lebenswichtige Szenarien (etwa autonomes Fahren oder digital gestützte Medizin).

Branchenkenner erwarten, dass 5G-Mobilfunk für die latenzarme Übermittlung von Sensordaten eine zentrale Rolle spielen wird. "Mit dem Rollout von 5G beginnt nicht nur eine neue Mobilfunkära, sondern auch die Adaption von Edge Computing in der Breite", kommentiert Vincent Barro, Vice President IT-Business Switzerland and End-Users DACH bei Schneider Electric. "Schon in wenigen Jahren wird dies die Art und Weise, wie wir IT-Ressourcen bereitstellen, überwachen und managen, grundlegend verändern." Um mit der wachsenden Zahl dezentraler IT-Standorte mithalten zu können, seien cloudbasierte Fernwartungslösungen unabdingbar: "Nur mit einer intelligenten IT-Service-Infrastruktur und entsprechend hohem Automatisierungsgrad lassen sich Dutzende oder sogar Hunderte kleiner Edge-Standorte kosteneffizient und zuverlässig betreiben", konstatiert Barro.

Auch Oliver Lindner, Head of Business Line DCIM bei FNT, sieht großen Bedarf an mehr Automatisierung im RZ - nicht zuletzt vor dem Hintergrund akuten Personalmangels in der IT-Branche: "Durch relativ hohe Lohnkosten sind Betreiber gezwungen, mit immer geringeren Personalständen mehr Leistung in kürzerer Zeit zu erbringen", sagt Lindner. "Colocation, Cloudelemente und neue Technologien erschweren die Verwaltung der IT-Infrastruktur. Silolösungen erweisen sich zunehmend als Hemmschuh. Leistungsfähige DCIM-Lösungen sind daher stark im Kommen, auch getrieben durch Trends wie Hybrid Digital Infrastructure (das Zusammenspiel von lokaler und cloudbasierter IT-Infrastruktur, d.Red.)." Die Verlagerung von On-Premise-Systemen zu cloudbasierten Betriebsmodellen erfordere Prozessanpassungen und neue Tools. Lindner sieht FNT hier sehr gut positioniert, "da wir mit unserer Software alle Cloudmodelle unterstützen und von jeher das gesamte Spektrum von IT- und netzwerkrelevanten Assets und deren Beziehungen untereinander fokussieren." Dies reiche in seiner Gesamtheit bis zum Management hybrider und verteilter Infrastrukturen.

"Speziell für unsere Branche wird es erforderlich sein, dass Rechenzentrumsbetreiber ihre grundlegende Netzwerkarchitektur überdenken", sagt Martin Olsen, Global Vice President für Edge- und integrierte Lösungen bei Vertiv. Es sei nötig, von einer Core-lastigen Architektur zu einem ausgewogeneren Verhältnis zwischen Edge und Core zu wechseln. Als Folge ergibt sich nach Ansicht von Branchenkennern eine zunehmende Datacenter-Vielfalt. Schließlich bestehen an Edge-Rechenzentren - die mitunter sehr kompakt, aber dafür extremen Witterungsbedingungen ausgesetzt sein können - ganz andere Anforderungen als an Unternehmens-RZs, HPC- (High-Performance-Computing), Colocation-, Cloud- oder Hyperscale-Rechenzentren. "Wir gehen davon aus, dass die Bewältigung des Wachstums von Edge-Computing-Standorten die größte Herausforderung sowie Chance darstellt, der Rechenzentrumsfachleute bis 2025 gegenüberstehen", so der Vertiv-Report.

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"Durch relativ hohe Lohnkosten sind Betreiber gezwungen, mit immer geringeren Personal­ständen mehr Leistung in kürzerer Zeit zuerbringen", stellt Oliver Lindner von FNT fest. Bild: FNT

KI im RZ

Nicht nur in der vernetzten Fabrik oder der Smart City setzt man große Hoffnungen in die Auswertung von Sensordaten mittels künstlicher Intelligenz - auch in den Rechenzentren selbst. Schließlich sind Server, Storage-Systeme und RZ-Infrastrukturkomponenten heute mit allerlei Sensorik bestückt, die man zur Optimierung des RZ-Betriebs nutzen kann. "Schon heute hat KI in diesem Bereich ein hohes Niveau erreicht", erläutert FNT-Fachmann Lindner. "So können KI-Anwendungen bereits selbstständig die Klimasteuerung in großen Rechenzentren übernehmen und sind dabei den klassischen Alternativen mit fixen Regelwerken deutlich überlegen. Vor der Tür stehen erweiterte Lösungen für die Optimierung von Wartungsarbeiten durch Predictive Analytics."

Vincent Barro von Schneider Electric weist darauf hin, dass dabei Skalierung - genauer: die Verfügbarkeit umfangreicher unternehmensübergeifender Sensordatenbestände - eine wichtige Rolle spielt. Hier sieht er sein Unternehmen sehr gut aufgestellt, betreibe man doch rund 480.000 EcoStruxure-Installationen, nicht nur in Rechenzentren und Server-Räumen, sondern auch spezialisierte Lösungen für Kraftwerke, Chemieunternehmen oder Maschinenbauer. "Aktuell verwalten wir zirka 100 Milliarden anonymisierte Datensätze von Rechenzentren in unserem Data Lake", berichtet Barro. "Über Big-Data-Analysen erarbeiten wir daraus proaktive Vorschläge für die Nutzer unserer ?Eco- Struxure IT Expert?-Lösung. Das Vorschlagssystem gibt dann Hinweise zu Betriebsparametern wie Server-Temperatur, USV-Batterielebensdauer oder Energieverbrauch." KI nutze man zudem, um Risikobewertungen durchzuführen, Systemabhängigkeiten darzustellen und das Alarmsystem intelligenter zu gestalten. "Die Entscheidung, ob ein Parameter angepasst wird oder ob aufgrund einer Fehlermeldung ein Techniker rausfahren muss, trägt aber immer noch der Mensch, und das wird sich in nächster Zeit auch nicht ändern", meint Barro. Oliver Lindner von FNT erwartet hingegen künftig einen großen Markt für KI bei der Automatisierung selbst komplexer, aber selten durchgeführter Tätigkeiten.

Dank Treibern wie Digitalisierung, KI-Analysen und Edge Computing sieht die Datacenter- und mit ihr die DCIM-Branche einer blühenden Zukunft entgegen. Angesichts des dadurch eskalierenden Energiebedarfs muss die Industrie aber offenbar ihre Bemühungen verstärken, dass die Umstellung von Rechenzentren auf erneuerbare Energien ebenso kraftvoll voranschreitet wie die Optimierung des RZ-Betriebs mittels KI-basierter Sensordatenauswertung. Sonst treibt der aktuelle RZ-Bauboom nicht nur die DCIM-Lösungen an den Rand der Netzwerke, sondern auch die Umwelt an den Rand der Belastbarkeit.

Dr. Wilhelm Greiner ist freier Mitarbeiter der LANline.

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