Smart Grid und Smart Building

Evolution der ­Stromnetze

24. März 2011, 13:04 Uhr | Dipl.-Ing. Klaus Becker, Becker Training & Consulting, Mering

Smart Grid oder das "intelligente Stromnetz" ist vorrangig ein Thema der Energiewirtschaft. Viele Ansätze des Smart Grids und des damit verbundenen Smart Meters haben jedoch direkte Rückwirkungen auf die Gebäudevernetzung (Smart Building/Smart Home) und auf die Vernetzung zu den Energieversorgern. Dieser Beitrag beschreibt das Konzept Smart Grid und erläutert die Komponenten. Er geht zudem auf die Vernetzung dieser Komponenten und deren typische Netzwerke ein.

Die Notwendigkeit für Smart Grid ergibt sich hauptsächlich durch den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien, der eine Veränderung der Netzstrukturen erfordert. Die erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne führen zu einer dezentralen und variablen Stromeinspeisung. Unser bestehendes Stromnetz ist jedoch auf eine zentrale Einspeisung der Kraftwerke ausgerichtet und orientiert sich bislang am jeweils auftretenden Energieverbrauch. Der Einsatz erneuerbarer Energien führt hier zu einem Paradigmenwechsel: Der Energieverbrauch muss sich die jeweils aktuell vorhandenen Strommengen anpassen, da ausreichende Speichermöglichkeiten für erneuerbare Energien (noch) fehlen. Es ist daher sinnvoll und notwendig, die Verbraucherseite aus dem Netz zu steuern und auch zeitabhängige Tarife anzubieten. Die Verbraucherstelle muss dann allerdings in der Lage sein, mit dem Netz oder dem Stromerzeuger zu kommunizieren.

Intelligentes Stromnetz

Ein oft zitiertes Beispiel für ein Steuerungselement stellt die Waschmaschine dar, die sich erst einschaltet, wenn ein Stromüberschuss im Netz (günstiger Strom) vorhanden ist. Eine ähnliche Möglichkeit bietet sich beim Betrieb von Tiefkühltruhen: Wenn günstiger Strom vorhanden ist, wird die Temperatur abgesenkt, um später, bei teurem Strom, die Kühlung abzuschalten zu können. Ein weiteres Beispiel stellt die Steuerung der Eigenverwendung des Stroms bei Nutzung von Fotovoltaik dar. Dafür bieten Hersteller bereits drahtlose Komponenten zur Steuerung von Endgeräten an. Für die Netzwerkbranche eröffnen sich in diesem Umfeld ein großer Markt und neue Handlungsfelder. So liegt es bei Verbrauchern durchaus im Trend, den eigenen Energieverbrauch mit einer App auf dem Smartphone zu kontrollieren und darüber die Gebäudetechnik zu steuern.

In einem intelligenten Stromnetz kann der Verbraucher zudem selbst als Energieerzeuger fungieren und sich aktiv am Energiemarkt beteiligen, indem er beispielsweise überschüssige Solarenergie ins öffentliche Netz einspeist. Smart Grids steigern durch eine solches Zusammenspiel die Effizienz, die Zuverlässigkeit und die Sicherheit der Stromnetze. Die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ermöglichen erst dieses intelligente Stromnetz, das Spitzenauslastungen nivelliert und die erneuerbare Energien optimal einbezieht.

Intelligente Zähler

Smart Grid umfasst folgende Komponenten:

  • virtuelle Kraftwerke,
  • Smart Meter,
  • Smart Home oder Smart Building sowie
  • Management- und Steuerungssoftware.

Ein virtuelles Kraftwerk umfasst Energieerzeuger (zum Beispiel Blockheizkraftwerke, Gaskraftwerke, Biogasanlagen, Fotovoltaik oder Windenergie) sowie benötigte Netzelemente (zum Beispiel Umspannwerke). Es kann sich über einen größeren geografischen Bereich ausdehnen, und die einzelnen Komponenten sind mit einem zentralen Management-System informationstechnisch verbunden. Ein Beispiel für solche Projekte liefert etwa der Energieversorger Lichtblick, der auf Deutschland verteilte Blockheizkraftwerke zentral nach den aktuellen Anforderungen steuert.

Für Smart Grid gelten zwei wesentliche Aspekte:

  • Das Netz steuert den Verbraucher und die Netzelemente.
  • Ohne Smart Meter funktioniert Smart Grid nicht.

Der Smart Meter oder intelligente Zähler realisiert die Schnittstelle zum Netz und zu den Verbrauchstellen. Er ist nicht nur Stromzähler, sondern beispielsweise auch Gaszähler, Wärmemengenzähler oder Wasserzähler. Als bidirektionale Komponente unterstützt er die Fernablesung und -parametrierung, die Ein- und Abschaltung des Netzanschlusses, die Lastgangmessung (Intervalldaten-Erfassung), die Laststeuerung sowie die Überwachung und Steuerung von dezentralen Erzeugern. Prognosen gehen von großen Marktpotenzialen aus, derzeit laufen verschiedene Pilotprojekte in Deutschland. Die Gesetzgebung erschwert allerdings durch unscharfe Definitionen den Herstellern und Energieversorgungsunternehmen (EVU) die Arbeit.

Der Smart Meter meldet zum einen die aktuellen Verbrauchswerte zum Energieversorger und empfängt zum anderen Tarifinformationen. Diese Kommunikation ist oft über Mobilfunkschnittstellen realisiert, vorstellbar sind aber auch, die bestehende Internet-Infrastruktur über Virtual Private Networks (VPNs) oder aber Power Line Communication (PLC), also die Datenübertragung via Stromnetz, zu nutzen. Nach innen zum Gebäude hin stehen ebenfalls unterschiedliche Netzwerke zur Verfügung, auf die der Beitrag noch eingeht. Bei der Übertragung und Verarbeitung von Verbrauchsdaten spielt zudem der Datenschutz eine wichtige Rolle, da niemand riskieren will, dass sich beispielsweise Dritte auf einfache Weise darüber informieren können, ob jemand zu Hause ist oder nicht.

Smart Home und Smart Building

Der Begriff Smart Home oder Smart Building bezieht sich auf die intelligente Steuerung von Gebäuden. Dazu zählen beispielsweise die Rollladensteuerung, die Lichtsteuerung oder eben die Verbrauchssteuerung. Um dieses leisten zu können, ist vor Ort eine Netzinfrastruktur erforderlich.

Das Home Networking bezieht sich auf Wohngebäude und teilt sich in zwei bislang noch getrennte Welten auf: zum einen dem Internet-Zugang mit IPTV und Media Streaming und zum anderen den Gebäudesteuerungsteil. Diese beiden Welten arbeiten auch mit stark unterschiedlichen Netzwerken. Der erste Bereich verwendet TCP/IP und als Layer-2-Infrastruktur Wire­less LAN, Ethernet oder PLC. Bei der Gebäudesteuerung findet sich das Chaos gewachsener Strukturen: So nutzen die Einbruchmeldesysteme eigene Verfahren und auch das Feuermeldesystem. Zur Verbrauchssteuerung kommt meistens der EIB/KNX-Bus zum Einsatz. Der M-Bus stammt aus der Wärmemengenzähler-Welt und findet häufig bei Smart Meter Verwendung. Übergänge zwischen dem IPTV-Bereich und dem Steuerungsteil sind zwingend erforderlich.

Eine Vereinheitlichung der Kommunikation im Smart Home versuchen die Standardisierungsgremien ITU (International Telecommunication Union) und IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers) herbeizuführen. So definiert die ITU mit „“ITU G.hn““ (G-Series, Home Networking) ein Bündel von Standards, das größtenteils im Link Layer die PLC-Technik einsetzt. Dort sind auch Funktechniken wie Wireless LAN und Zigbee (energieeffiziente Variante von Bluetooth) eingebunden. Der IEEE-Standard 1901 (Broadband over Power Line Networks) wiederum ist im Jahr 2010 veröffentlicht worden und beschreibt die Datenübertragung über Stromnetze. Auf dem Markt existieren bereits Chips, die entsprechende Schnittstellen anbieten. Siemens beispielsweise hat angekündigt, PLC in seine Smart-Meter-Systeme zu integrieren. Ein Problem der PLC-Techniken besteht in der mögliche Störung von Funkdiensten wie Amateurfunk und digitalem Rundfunk. In der deutschen Fachpresse findet darüber aktuell eine lebhafte Diskussion statt, an der auch das Institut für Rundfunktechnik (IRT) beteiligt ist.

Ungeklärt ist nach wie vor, welches Verkabelungssystem der Bauherr bei neuen Gebäuden einsetzen soll. Soll er auf die anwendungsneutrale Verkabelung setzen und im Privathaus Kabelkanäle und Etagenverteiler einbauen. Oder folgt er den Verlockungen der PLC-Welt, die ihm verspricht, über alle verfügbaren Kabel – sei es Telefonkabel, Stromkabel oder Koaxialkabel – die Vernetzung realisieren zu können.

Die Situation in Gewerbegebäuden unterscheidet sich erheblich von der des Smart Homes, da dort schon seit längerem Bussysteme zur Steuerung von Gebäudefunktionen installiert sind und zudem die gesamte Vielfalt von Industrial Ethernet vorzufinden ist. Der Einsatz von PLC ist dort noch nicht so weit vorgedrungen wie im Home-Bereich. Grundsätzlich existiert aber auch hier das Problem der Übergänge zwischen den einzelnen Netzen.

Fazit

Entscheidend für den Erfolg von Smart Grid wird eine nahtlose Kommunikation vom Smart Meter zu den Verbrauchstellen und zum Netz hin sein. Die bisherigen Gateways bieten zwar einen ersten Lösungsansatz, aber keine durchgängige Kommunikation. Dies wird erst dann der Fall sein, wenn alle höheren Schichten TCP/IP verwenden und eine einheitliche Applikationsebene existiert. Ohne die Vernetzung ist ein effizientes und energiesparendes Gebäude nicht vorstellbar. In Deutschland haben sich die großen Energieversorger und unter andern der Branchenverband VDE koordiniert und Lastenhefte sowie eine „“Multi-Unit Communication““ (MUC) definiert, die mehrere intelligente Zähler verknüpft und auch die Schnittstelle zum Home Networking realisiert.

Kommunikationsprotokolle und -standards

Innerhalb des intelligenten Stromnetzes existieren folgende Kommunikationsstrukturen: Zwischen der Leitebene und der Stationsebene kommen SDH/PDH, V.24 oder Ethernet mit dem DNP3-Protokoll (Distributed Network Protocol) zum Einsatz. DNP3 umfasst die OSI-Layer „“Data Link““, „“Transport““ und „“Application““.

Alternativ dazu finden noch Protokolle nach IEC 60870 Ver-wendung. Zwischen der Stationsebene und der Feldebene kommt zusätzlich noch der Standard IEC 61850 mit einem ­objektorientierten Ansatz zum Tragen. Andernfalls finden wie bei IEC 60870 die Manufacturing Message Spezification (MMS), TCP/IP und – im Link Layer – Ethernet Verwendung. Zum Teil treten im Link Layer auch typische Feldbusse wie Modbus auf.

Normierungsansätze für Smart Meter

Das Forum Netztechnik/Netzbetrieb (FNN) im VDE versucht das Defizit klarer gesetzgeberischer Vorgaben für Smart Meter in Zusammenarbeitet mit den EVU zu beseitigen und veröffentlicht Lastenhefte für die einzelnen Komponenten. So variiert je nach Versorger der Funktionsbereich zum Teil sehr stark. Es existieren EDL21- oder EDL40-Zähler. EDL steht hier für Energiedienstleister. EDL21 ist ein Zähler, der den Paragraph 21b beziehungsweise den Paragraph 40 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) realisiert. Mit dem EDL21-Zähler ist nur eine aktive, kontinuierliche Messung und Anzeige möglich. Wer in diesen Markt eindringen will, wird schnell feststellen, dass ein Normierungswettkampf zwischen den USA und Europa entbrannt ist. Dessen Ziel ist es, die Marktführerschaft im aufstrebenden Markt Asien und speziell in China zu erkämpfen.

Feldbussysteme in der Gebäudeautomatisierung

Der EIB/KNX-Bus ist ein Feldbus der Gebäudeautomatisierung und eine aufwärtskompatible Weiterentwicklung des EIB (Europäischer Installationsbus). Er ist ein offener Standard mit mehr als 100 Anbietern auf dem Markt. Normiert ist der KNX-Bus zum einen in der EN 50090 und später auch in der ISO/IEC 14543-6. Mitglied in dem KNX-Konsortium ist unter anderem auch Cisco.

Der M-Bus ist ein Feldbus zur Anbindung von Wärmemengenzählern, er kommt jedoch auch häufig in Smart-Meter-Systemen zum Einsatz. Die Übertragung kann über eine Zweidrahtleitung oder über Funk erfolgen. Genormt ist das Verfahren in der EN 61134.

Definitionsbereiche von Smart Grid, Smart Home und Smart Building mit ihren unterschiedlichen aktuell genutzten Kommunikationsin

Die Struktur von Smart Home mit der Komponente Smart Meter, typischen Verbrauchsgeräten und einem Gateway zur Kommunikation zwis
LANline.

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