Microsoft Windows Thin PC

Artgerechte Thin-Client-Haltung

2. November 2011, 6:00 Uhr | Eric Tierling/wg

Es muss nicht immer Windows 7 sein, um am Arbeitsplatz in den Genuss moderner Technik zu gelangen. Für Terminal-Server- und Virtual-Desktop-Umgebungen hat Microsoft spezielle Betriebssysteme im Programm, die nur das Nötigste mitbringen.Die Zeiten, in denen es eine Betriebssystemumgebung für alles gab, sind längt vorbei. Heute geht es in der Softwarewelt zu in der Automobilbranche: Für jede Nische bietet der Markt eine Lösung - oder gar mehrere Produkte. Microsoft ist da keine Ausnahme. Windows Server 2008 R2 und Windows 7 sind in so vielen Editionen erhältlich, dass selbst Kenner fast den Überblick verlieren. Und das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht: Fleißig produzieren die Windows-Programmierer in Redmond neue Varianten, um die letzte Nische zu beglücken. Einer dieser Neulinge ist das seit Juli 2011 verfügbare Windows Thin PC. Dieser Exot stellt künftig die kleinste vorgefertigte Betriebssystemplattform für den Unternehmenseinsatz dar, die auf dem Kernel von Windows 7 aufbaut. Windows Thin PC löst das fünf Jahre zuvor vorgestellte Windows Fundamentals for Legacy PCs ab, das als technische Basis noch den inzwischen überholten Windows-XP-Kernel aufweist.

Schlank

Der Name lässt bereits erahnen, dass es sich nicht um ein universell einsetzbares Windows handelt. Windows Thin PC fällt noch deutlich "kleiner" aus als die bisherige Minimaledition Windows 7 Starter: Microsoft hat alles weggelassen, was für Remote-Desktop-Verbindungen nicht erforderlich ist. So findet man in der Systemsteuerung nur Basiskomponenten wie Internet Explorer, Windows Explorer und natürlich das Remote-Desktop-Verbindungsprogramm.

Dank dieser extremen Sparmaßnahmen lässt sich das abgespeckte Minibetriebssystem auf Alt-PCs einsetzen, die längst an ihre Leistungsgrenzen gestoßen und daher zur Ausmusterung vorgesehen sind. Manche Tester berichten davon, dass Windows Thin PC sogar auf einem Rechner noch akzeptabel läuft, der nur mit einem 800-MHz-Pentium-3-Prozessor und 512 MByte RAM ausgestattet ist. Ein reguläres Windows 7 kommt mit solch leistungsschwacher Hardware nicht zurecht. Offiziell spricht Microsoft allerdings von einem mit 1 GHz getakteten Prozessor sowie 1 GByte RAM als Mindestanforderung. Die CPU braucht die 64-Bit-Erweiterung x64 übrigens nicht zu beherrschen, denn Windows Thin PC ist ohnehin nur als 32-Bit-Edition für reinrassige x86-CPUs erhältlich.

Somit kommen als Hardware auch Kleinst-PCs in Betracht, in deren Innerem ein Prozessor aus AMDs G-Serie, ein Intel-Atom- oder eine VIA-Nano-CPU werkelt. Angesichts dessen eignet sich Windows Thin PC als Betriebssystem für Thin Clients und Ultra-Thin Clients als Alternative zu dort gängigen Linux-Varianten.

Vertraut

Maßgeblichen Einfluss auf eine Entscheidung pro oder contra Windows Thin PC haben die Merkmale und Einschränkungen, die das Minibetriebssystem mitbringt. Auf der Haben-Seite punktet Microsofts Sprössling mit Sicherheitsfunktionen wie Applocker, Bitlocker und Directaccess. Diese Funktionalität kennen Unternehmen von Windows 7, doch bislang waren diese nur bei den Enterprise- und Ultimate- Editionen vorzufinden.

Bei der Installation und Administration sammelt der Betriebssystemwinzling ebenfalls Pluspunkte: Windows AIK (Automated Installation Kit) vereinfacht die Bereitstellung. Analog dazu lässt sich die Konfiguration und Verwaltung über Active-Directory-Gruppenrichtlinien, die Windows Powershell oder Microsoft SCCM (System Center Configuration Manager) erledigen. Auf Windows Thin PC können Unternehmen dieselben Sicherheitsvorgaben, Verfahren und Tools anwenden, die sie für Windows-7-basierte Arbeitsplatz-PCs ohnehin einsetzen.

Auch für Benutzer sind mit Windows Thin PC ausgestattete Firmencomputer attraktiv. Beim Look and Feel ergibt sich kein Unterschied zu regulären Windows-7-Desktops oder dem heimischen Windows-7-PC. Selbst die Aero-Oberfläche mit ihren transparenten Fensterrahmen und der Möglichkeit, geöffnete Fenster in der dreidimensionalen Flip-Stapelansicht durchzublättern, stehen zur Verfügung. Langwierige Eingewöhnungsphasen entfallen damit ebenso wie die Notwendigkeit für teure Schulungen.

Spezialitäten

Neben dem Einsatz als Thin-Client-OS eignet sich Windows Thin PC als Minibetriebssystem für PCs in einer VDI-Umgebung (Virtual Desktop Infrastructure). Denn als eines von bislang nur wenigen Betriebssystemen unterstützt es die RemoteFX-Technik, die Microsoft mit Windows Server 2008 R2 SP1 eingeführt hat. Diese RDP-Erweiterung (Remote Desktop Protocol) erlaubt die Wiedergabe grafischer und multimedialer Darstellungen einschließlich Silverlight-Animationen und der Aero-Oberfläche mit ihren Transparenzeffekten auf Thin-Clients, die keine leistungsstarke Grafikkarte beherbergen. RemoteFX, das von der RDP-Version 7.1 unterstützt wird, lässt sich sowohl für Remote-Desktop- als auch für VDI-Sitzungen nutzen.

Ein weiteres Schmankerl sind die Write-Filter, für die Microsoft seinem Minibetriebssystem Schnittstellen spendiert hat. EWF (Enhanced Write Filter) und FBWF (File-Based Write Filter) verhindern Schreibzugriffe auf komplette Laufwerke oder einzelne Dateien, um Veränderungen an der Client-Konfiguration zu unterbinden. Realisiert wird das Ganze durch systeminterne Umleitungen in einen Cache-Bereich im Arbeitsspeicher. Interessant ist zudem KBF (Keyboard Filter). Mit dessen Hilfe kann die IT-Abteilung dafür sorgen, dass das Drücken bestimmter Tasten und -kombinationen wie STRG + ALT + ENTF folgenlos bleibt. Sinnvoll ist dies zum Beispiel, um Benutzerabmeldungen bei so genannten "Kiosk"-Terminals zu blockieren, die in der Lobby stehen und für jedermann nutzbar sein sollen.

Schranken

Allerdings weist Windows Thin PC auch eine Reihe funktionaler Einschränkungen auf. Dies beginnt bereits bei der Oberfläche: Windows Thin PC steht leider nur in englischer Sprache zur Verfügung, was bei hiesigen Benutzern eine unnötige Verständnisbarriere schafft. Eine deutsche Fassung zu erhalten setzt Bastelarbeit voraus: Während sich Sprachpakete beispielsweise für Dänisch oder Portugiesisch ohne Umweg direkt per Internet herunterladen lassen, stellt Microsoft die Language-Packs für Deutsch, Französisch, Italienisch, Japanisch und Spanisch nicht einzeln zur Verfügung. Vielmehr sind diese fester Bestandteil der Windows Embedded Standard 7 Runtime DVD, deren Download satte 2,6 GByte umfasst.

Die deutsche Sprachdatei "lp.cab", die darin im Ordner "DS\Packages\Language Pack" enthalten ist und eine Größe von knapp 36 MByte besitzt, muss der Administrator auf eine vorhandene Windows-Thin-PC-Installation kopieren und dort mit dem Befehl "dism /online /add-package /packagepath:lp.cab /norestart" einbinden. Nach einem Neustart kann er die deutsche Anzeigesprache für Menüs, Dialogfelder etc. dann über das Applet "Region and Language" der Systemsteuerung beim Reiter "Keyboards and Languages" auswählen. Die Anwendung dieser Vorgabe auf neue Benutzerkonten erfordert einen weiteren Neustart. Alternativ lässt sich das deutsche Sprachpaket vor der eigentlichen Installation von Hand in das Deployment-Image einfügen. Ob nachträglich oder vorab, beide Verfahren resultieren in unnötigem Aufwand. Unverständlich bleibt, warum Microsoft Unternehmen dieses Procedere aufbürdet und lokalisierte Windows-Thin-PC-ISO-Images zumindest für die Hauptsprachen nicht ab Werk anbietet.

Verwunderung ruft auch der Web-Browser hervor. Denn Windows Thin PC enthält nicht etwa den aktuellen Internet Explorer 9 (obgleich dieser gut drei Monate vor dem Minibetriebssystem fertig war), sondern noch den veralteten Vorgänger IE 8. Somit stellt die Nachinstallation der Version 9 einen der ersten nachträglichen Einrichtungsschritte dar. Ungeachtet der IE-Versionsnummer konnten wir im Test übrigens keinen Verlauf vorheriger besuchter Webseiten über die Adressleiste des Web-Browsers auswählen. Ob das ein Bug oder ein Feature ist, offenbarte sich nicht.

Erlaubtes und Verbotenes

Die universelle Verwendbarkeit herkömmlicher Anwendungssoftware unter Windows Thin PC ist ausdrücklich nicht vorgesehen. Vielmehr gestattet Microsoft lediglich den Einsatz von Anwendungen aus den Kategorien Sicherheit, Verwaltung, Terminal-Emulation, Remote Desktop und Co., Web-Browser, Medienplayer, Instant Messaging, Dokumentenbetrachter, Dotnet-Framework und Java Virtual Machine. Produktivitätsanwendungen wie Microsoft Office dürfen lokal nicht installiert werden.

Einerseits ist Windows Thin PC dediziert als Minibetriebssystem für Thin Clients vorgesehen, dienen doch solche spezialisierte Kleinst-PCs ohnehin nur dem Zweck, über Remote-Desktop-Client und Web-Browser auf Anwendungen zuzugreifen, die entfernt auf Terminal- und Virtualisierungs-Servern laufen. Andererseits wäre an dieser Stelle mehr Klarheit wünschenswert - um nicht jedes Mal raten zu müssen, ob die lokale Installation eines bestimmten Programms nun erlaubt oder verboten ist. Instant-Messaging-Anwendungen zum Beispiel sind laut Microsoft-Vorgabe explizit lokal installierbar. Gleichzeitig können diese Programme auch als Produktivitätsanwendungen klassifiziert werden, deren lokale Installation unter Windows Thin PC die Microsoft-Vorgabe ja gerade verbietet. Einfachheit im Sinne des Kunden sieht anders aus.

Verwandtschaft

Im Grunde genommen stellt Windows Thin PC keine eigenständige Entwicklung dar, sondern lediglich eine Paketierung von Windows Embedded Standard (WES) 7, das seinerseits auf einer modularisierten Fassung von Windows 7 basiert. Aus diesem Grund können die für die 32-Bit-x86-Version von WES 7 existierenden Sprachpakete auch unter Windows Thin PC Verwendung finden. Primär ist WES 7 für Geräte- und OEM-Hersteller gedacht, um moderne Windows-7-Technik für unterschiedliche Zwecke jeweils so zurechtstutzen, dass unnötige Beigaben entfallen und sich das schlanke Betriebssystemresultat in Hardware integrieren lässt.

Bei der Installation der Evaluierungsversion von WES 7 fällt auf, dass es dort ein vorkonfiguriertes Thin-Client-Template gibt - sodass dieses Spezialbetriebssystem von Microsoft ebenfalls als mögliches Fundament für TCs in Betracht kommt. Dementsprechend bieten Hersteller und OEMs wie HP und Lenovo/VLX Thin Clients an, bei denen anstatt des minimalistischen Windows Thin PC eine maßgeschneiderte Fassung von WES 7 den Ton angibt. Im Unterschied zu Windows Thin PC gibt es bei WES 7 keine Restriktionen hinsichtlich der lokalen Installation von Produktivitätsanwendungen. Features wie die Windows-Suche, die in Windows Thin PC nicht enthalten sind, kann man daher individuellen Betriebssystem-Images ganz nach Bedarf hinzufügen.

Negativpunkt: Bezug restriktiv

Die Idee, sich darüber aus den Lieblingskomponenten ein eigenes Windows für den Thin-Client- oder VDI-Einsatz im Unternehmen zu zimmern, unterstützt Microsoft allerdings nicht. Denn das für Hardwarehersteller und OEMs konzipierte WES 7 ist nur über autorisierte Distributoren erhältlich, in Deutschland über Arrow Electronics, Avnet EMG Silica und Elbacom. Die Bezugspreise variieren dabei nach Stückzahl, den Features und ihrer Zusammenstellung. Eine Lizenzierung wie bei üblichen Verträgen für Microsoft-Unternehmenskunden hingegen gibt es für WES 7 nicht.

Fazit

Alles in allem gibt es eine Reihe an Vorteilen, die für Windows Thin PC sprechen. Im direkten Vergleich zu Linux-basierten Thin Clients bietet die Lösung Microsoft-affinen Unternehmen eine Menge interessanter Funktionen und weitreichender Möglichkeiten. Wer auf der Suche nach einen Minibetriebssystem ist, um ausmusterungswürdige x86-PCs weiter zu betreiben oder die Thin-Client-/VDI-Umgebung auf einem einheitlichen Minibetriebssystem zu standarisieren, ist hier richtig. Getrübt wird das Bild jedoch nicht nur durch technische Ungereimtheiten etwa bei der Einbindung von Sprachpaketen oder der nicht funktionierenden Verlaufsfunktionen im Web-Browser.

Ebenso verhindern die restriktiven Bezugsmöglichkeiten einen Erfolg auf breiter Front. Nur den Microsoft-Volumenlizenzkunden, die das zusätzliche SA-Abonnement (Software Assurance) hinzugebucht haben, steht Windows Thin PC kostenfrei zur Verfügung. Unternehmen, die das Lizenzmodell Windows VDA (Virtual Desktop Access) oder ein Abo von Windows Intune erworben haben, erhalten daher automatisch das Recht zur Nutzung des Minibetriebssystems. Anderen Kunden ist Windows Thin PC hingegen erst gar nicht erhältlich. Wer sich vorab ein Bild machen möchte, muss aber nicht gleich einen SA-Vertrag abschließen. Auf der Website www.microsoft.com/wintpc bietet Microsoft eine 90-Tage-Version zum Ausprobieren an.

Der Autor auf LANline.de: Eric Tierling

Info: Microsoft DeutschlandTel.: 089/3176-0Web: www.microsoft.de

Den Internet Explorer 9 muss der Administrator bei Windows Thin PC erst nachinstallieren.

Aufgrund der extremen Schlankheitskur verfügt Windows Thin PC nur über wenige Programme und Features.

Die nachträgliche Installation des deutschen Sprachpakets ist hierzulande empfehlenswert.

Microsoft stellt Windows Thin PC nur in englischer Sprache zur Verfügung.
LANline.

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