Remote Work in Pandemiezeiten

Das neue Normal ist noch Neuland

27. Januar 2021, 7:00 Uhr |
© Wolfgang Traub

Während des ersten Lockdowns im März und April 2020 waren zahlreiche Arbeitnehmer froh, von zu Hause aus arbeiten zu können. Schließlich mahnten Virologen und Epidemiologen von Anfang an, dass das Virus uns Menschen braucht, um sich fortzubewegen und zu verbreiten. Dennoch waren zu Beginn des zweiten, „weichen“ Lockdowns im Herbst zunächst erheblich weniger Arbeitnehmer von zu Hause aus tätig als während der ersten Welle. Offenbar läuft also etwas noch nicht ganz rund bei der Digitalisierung der deutschen Arbeitswelt.

Du weißt, es ist Pandemie, wenn die Tagesschau darüber berichtet, wieviel Prozent der Arbeitnehmer von zu Hause aus arbeiten (landläufig, obschon häufig juristisch inkorrekt als „Home-Office“ bezeichnet). Das Bestürzende: Laut einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung unter 6.100 Werktätigen und Arbeitssuchenden gaben Anfang November nur 14 Prozent der Befragten an, ausschließlich oder zumindest vorwiegend im „Home-Office“ zu arbeiten. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 hatten noch 27 Prozent ihr heimisches Büro neben dem heimischen Herd aufgeschlagen, zu Beginn des vorweihnachtlichen Wischi-Waschi-Lockdown-Imitats hingegen gerade mal halb so viele – und dies, während man forschen Schrittes Kurs nahm auf exponentiell steigende Infektionszahlen. Dabei, so die Stiftung unter Berufung auf Forschungen der Universität Mannheim, könnte ein Prozent mehr Work from Home die Infektionsrate um bis zu acht Prozent senken.

Auf deutlich erfreulichere Zahlen kam hingegen eine Bitkom-Telefonumfrage unter 1.500 Teilnehmern, ebenfalls vom Oktober/November: Laut dem IT-Branchenverband arbeitete jeder Vierte ausschließlich im Home-Office, weitere 20 Prozent zumindest teilweise (also an mindestens einem Tag), zusammen somit 45 Prozent. Die deutlich höheren Zahlen als bei der Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung konnte man sich beim Bitkom auf Rückfrage der LANline nicht erklären. Es kommt aber sicher stark darauf an, in welchen Branchen man die Berufstätigen befragt. 43 Prozent gaben bei der Bitkom-Umfrage zu Protokoll, ihre Tätigkeit sei generell Home-Office-ungeeignet – hier wären also nur noch zwölf Prozent Luft nach oben. Fast drei Viertel der Befragten (74 Prozent) waren jedenfalls der Ansicht, Home-Office sollte in Deutschland viel stärker genutzt werden.

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Laut Hans-Böckler-Stiftung arbeiteten Anfang November nur 14 Prozent der Arbeitnehmer zumindest überwiegend von zu Hause aus, laut Bitkom hingegen stolze 45 Prozent.
Laut Hans-Böckler-Stiftung arbeiteten Anfang November nur 14 Prozent der Arbeitnehmer zumindest überwiegend von zu Hause aus, laut Bitkom (hier im Bild) hingegen stolze 45 Prozent ganz oder teilweise.
© Bitkom

Letzten Sommer jubelte die IT-Branche, die Digitalisierung des Arbeitsalltags habe mittels Remote Access, Digital Workspaces, Online-Collaboration und Cloud-Services nun endlich auch die oft zögerlichen deutschen Unternehmen erreicht. Schließlich hatten die Unternehmen ihre VPN-Kapazitäten kurzfristig aufgebohrt, die Notebook-Regale des Elektrogerätehandels leergekauft und zumindest temporär auf verteiltes Arbeiten umgestellt, sofern möglich: „Work from Home“, der pandemische kleine Bruder des schon längst als Zukunftsmodell propagierten „Work from Anywhere“, so schien es, hatte sich als „neues Normal“ etabliert.

Das nicht mehr ganz so neue Normal

Dieses „neue Normal“ ist inzwischen längst nicht mehr neu, zugleich aber offenbar noch nicht überall normal, sonst wäre der Remote-Work-Anteil angesichts einer viel heftigeren zweiten Corona-Welle – die Anfang November absehbar war – zunächst nicht so drastisch eingebrochen wie von der Hans-Böckler-Stiftung ermittelt. Die Unternehmen hätten schließlich ihre Arbeitnehmer erneut schnellstmöglich an den Schreib- oder Küchentisch neben dem heimischen Herd geschickt, hätten sie sich eine Win-Win-Situation erhofft. Offenbar gibt es da aber noch einiges nachzubessern. Betrachten wir vier Ansatzpunkte: die Belegschaft, die Unternehmerseite, den Gesetzgeber und die IT.

Berufstätige können vielerlei Gründe haben, ihrer Arbeit lieber jenseits der eigenen vier Wände nachzugehen: Dem Single fällt nach Wochen der Isolation im kleinen Appartement die Decke auf den Kopf; manch ein Paar stellt fest, dass es der Beziehung doch zuträglicher wäre, sich wenigstens ein paar Stunden am Tag nicht zu sehen; und der Nachbar aus dem vierten Stock mit seiner Vorliebe für Death Metal ist der Konzentration ebenso wenig zuträglich wie der Heimwerker von nebenan, der seine Langeweile mit der Schlagbohrmaschine verscheucht.

Das größte Problem aber war und ist der Wegfall von Schulunterricht und Kinderbetreuung: In der Zoom-Konferenz professionell und konzentriert zu wirken fällt eben schwer, wenn Kleinkinder um die Aufmerksamkeit der Eltern ringen oder aber Schulkinder dauernd Motivation und Unterstützung bei den Hausaufgaben brauchen (zumal der kleine Maximilian-Alexander offenbar doch nicht der nächste Einstein ist, für den seine Eltern ihn bis zu Beginn des ersten Lockdowns hielten). Dazu stellt die Hans-Böckler-Umfrage fest: „65 Prozent der Befragten mit betreuungsbedürftigen Kindern im Haushalt empfinden ihre familiäre Situation als belastend.“ Laut der Bitkom-Umfrage war zudem für jeden Vierten mangelnde Internet-Performance ein Hindernis.

Psychische Belastung, Beziehungsprobleme und Baustellenlärm (sowie Death Metal als dessen naher Verwandter) sind in der Tat harte Gegner für das Prinzip „Work from Home“. Abhilfe schaffen ließe sich hier auf städteplanerischer Ebene: Ein Lösungsansatz wären auf die Wohngebiete verteilte Office-Sharing-Umgebungen, vergleichbar den Ruhezonen im ICE, in denen Werktätige konzentriert und sozial distanziert ihr Werk tätigen können.

COVID-19 könnte bei uns, wie Wissenschaftler befürchten, aufgrund immer neuer Mutationen künftig endemisch (also verbreitet und dauerhaft) auftreten; dann könnte hier ein neuer Markt entstehen: voll ausgestattete, breitbandig angebundene und natürlich frisch desinfizierte Remote Offices, die man stunden- oder tageweise mieten kann, vom lokalen Wohngebiet aus fußläufig – also auch ohne Nahverkehr – gut erreichbar und eben lärmgeschützt.

Schwieriger ist die Lage beim Thema Schulkinder – man fragt sich allerdings, warum. Die Kultusminister der Länder hatten immerhin vom Lockdown 1 bis zum Schuljahresbeginn im Herbst ein halbes Jahr Zeit, um Unterrichtskonzepte zu erarbeiten, die über häufiges Lüften und Hoffen auf baldige Rückkehr zum Präsenzunterricht hinausgehen. Nötig wäre statt eines „Digitalpakts Schule“ ein „Resilienzpakt Schule“: eine bundesweite Kraftanstrengung der Bildungspolitik, um den Schulen Unterrichtspläne, Materialien, technische und organisatorische Hilfestellung sowie das nötige Budget zu geben, damit sie den Unterricht zumindest bei der nächsten Pandemiewelle bestmöglich weiterführen können.

Moderne Pädagogik ist rein online sicher nicht zu 100 Prozent möglich – aber Schulen müssen über Resilienzkonzepte verfügen, die ihnen erlauben, nahtlos vom Regelbetrieb zu einem temporären Online- oder Hybridmodus zu wechseln, sobald eine Krise es erfordert. Dies würde die Lehrkräfte entlasten, die bislang oft auf sich selbst gestellt waren – und die geplagten Eltern im Home-Office oder am Home-Küchentisch ebenso.


  1. Das neue Normal ist noch Neuland
  2. Unproduktivitätsrisiko
  3. Konferenzmarathon

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