Glosse: Social Media vs. Tyrannosaurus CeBITus

8. März 2010, 16:00 Uhr |

Letzte Woche habe ich die CeBIT in einer Glosse eher am Rande als "Veranstaltungs-Dinosaurier? bezeichnet. Andernorts hat man offenbar eine ähnliche Meinung von dem in Schmuddelwetter ergrauten Hannoveraner Messe-Rentner: Mit "Der Dinosaurier der IT-Messen? war zwei Tage später ein Beitrag auf Zeit.de überschrieben.

Das kann natürlich Zufall sein – wahrscheinlich wird alle 1,7 Sekunden irgendwo im Web
irgendetwas auf zwei Websites praktisch zeitgleich als "Dinosaurier? bezeichnet. Kann Zufall sein,
muss aber nicht.

Denn wenn man – wie ich als IT-Redakteur am Dienstag und Mittwoch praktisch gezwungenermaßen –
über das CeBIT-Gelände läuft, dominiert vor allem ein Eindruck: Die CeBIT ist sehr, sehr groß.
Nicht sehr, sehr nützlich oder sehr, sehr spannend, je nach Halle auch nicht mal sehr, sehr voll –
nur eben sehr, sehr groß.

Die CeBIT bläht sich jedes Jahr – dieses Jahr durch Hinzunahme einer Musik-Show – bis zum
Maximum auf – auch wenn hier die Messlatte zu Zeiten des E-Business-Booms schon mal um ein paar
Tausend Aussteller höher lag. Monströse Größe um ihrer selbst willen. Saurier eben.

Der Zeit-online-Artikel kommt zu dem Schluss, dass diese Veranstaltung ihre besten Zeiten hinter
sich hat. Andere Messen werden wichtiger: Ein Mobile World Congress in Barcelona für die
Mobilfunkbranche, eine Computex in Taipeh für die Hardwarehersteller und -zulieferer. Ähnliches
gilt für die ITSA in Nürnberg in der deutschen IT-Security-Szene oder auch Branchenmessen.

Auf all diesen Messen scharen sich die Aussteller um ein zentrales Thema. So einen klaren Fokus
kann die CeBIT nicht aufweisen, will sie doch stets die nach wie vor beachtliche Größe möglichst
halten. Und so laviert man ziellos zwischen Consumer- und Fachmesse – ein Schlingerkurs, der im
Jahr 2008 schon die Münchner Regionalmesse Systems ins Aus führte.

Zeitgleich florieren die Hausmessen großer Hersteller wie Cisco und HP, die sich den
Hannoveraner Trubel schon längst nicht mehr antun wollen. Auch mit Produktneuheiten wartet heute
kaum ein Hersteller noch eine CeBIT ab, um sich dort – Tahdah! – als Innovator zu präsentieren.
Dazu sind die Produktzyklen zu schnelllebig geworden.

Und dabei haben wir noch nicht mal vom bösen Konkurrenten Internet gesprochen: Dank Web, Web 2.0
und Social Media kann heute jedes Unternehmen jederzeit für seine Kunden und Partner Anlaufstelle
und Ansprechpartner sein. Wer schlau ist, schart seine Community um sich, hält sie rund ums Jahr
mit aktueller Information, intensiver Kundenbindung und Communitainment bei Laune – und sorgt mit
User-Group-Treffen, Stammtischen und regionalen Hausmessen für den durchaus nach wie vor immens
wichtigen persönlichen Kontakt. Think global social networking, act locally.

Dennoch haben die CeBIT-Veranstalter auch dieses Jahr wieder stolz Aussteller- und
Besucherzahlen verkündet. Man rechnet sich die Besucherzahlen schön – mehr Besucher als letztes
Jahr, wenn die CeBIT letztes Jahr statt sechs auch nur fünf Tage gehabt hätte – und stellt
zufrieden fest, wie hoch der Anteil des Fachpublikums war – obwohl die Aussteller immer wieder
spotten über all die "Entscheider?, die in Schulklassenstärke durch die Gänge schlurfen und sich
mit glasklarem Insider-Fachjargon (?Ham Sie Kugelschreiber??) nach technischen Innovationen
erkundigen.

Auch zwei Messetage voller interessanter Gespräche, netter Treffen und teils sogar Sonnenschein
statt typischen CeBIT-Wetters haben deshalb meine Einschätzung bestärkt: Die CeBIT ist ein
Restposten aus früheren Zeiten, ein Überbleibsel. Sie hat sich überlebt.

Man kann die CeBIT wohl einfach nur deshalb nicht zu Grabe tragen kann, weil sie dafür zu groß
ist. Die Sargträger würden sich am Tyrannosaurus CeBITus einen Bruch heben. Größe um ihrer selbst
willen verhindert hier den sinnvollen Neuanfang. Jenseits von Hannover/Laatzen geht nicht zuletzt
dank Social Media die Evolution weiter.

LANline/
Dr. Wilhelm Greiner


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