Künstliche Intelligenz in der Praxis

Interaction Rooms für KI-Projekte

10. September 2020, 7:00 Uhr | Volker Gruhn/wg
Das Workshop-Format Interaction Room (IR) nimmt die beiden großen Herausforderungen von KI-Projekten ins Visier: die Kommunikation zwischen den Beteiligten und die Auswahl geeigneter Anwendungsfälle.
© Bild: Adesso

Der IT-Verantwortliche überlegt, Lösungen auf Basis künstlicher Intelligenz (KI) für die Bedrohungserkennung zu nutzen. Oder wäre es besser, zunächst auf das proaktive automatische Beheben von Störungen zu setzen? Die Marketingabteilung plant, einen Text-Chatbot auf der Website zu integrieren, der Kunden durch das Erfassen von Bestellungen führt. Oder doch lieber eine Voice-Lösung, die in eine Smart-Speaker-Plattform integriert ist? Vielleicht bietet es sich aber auch an, erst einen ganz neuen datengestützten Service auf den Markt zu bringen, etwa eine 99,9-prozentige Verfügbarkeitsgarantie für eine Maschine.

Die Liste möglicher KI-Einsatzszenarien im Unternehmen ist beliebig lang. Denn Anwendungen auf Basis von KI-Technik haben das Potenzial, Prozesse quer durch alle Abteilungen und Aufgabenbereiche zu verändern. Aus dieser Vielfalt die richtigen Anwendungsfälle auszuwählen, ist entscheidend für den Erfolg von KI-Projekten. Fachleute mit KI-Know-how sind allerdings rar gesät. Die Entscheider stehen vor der Aufgabe, die vorhandenen Ressourcen auf die vielversprechendsten Projekte zu konzentrieren. Der Interaction Room (IR) kann dabei eine wichtige Rolle spielen.

Auch wenn die Geschichte der KI-Technologien schon ein paar Jahrzehnte zurückreicht: Dass diese datengetriebenen Anwendungen im breiten Maßstab Einzug in Unternehmen halten, ist relativ neu. Im Vergleich zu klassischen Softwareprojekten haben Unternehmen im Umgang mit KI-Anwendungen bisher kaum Erfahrungen gesammelt. Insbesondere fällt es den Beteiligten schwer, die Tragfähigkeit von KI-Ansätzen und die Qualität der vorhandenen Datenbasis zu bewerten.

Zugleich erfordert das Entwickeln von KI-Lösungen eine ganze Bandbreite von Kompetenzen im Team: Data Scientists, Machine-Learning-Experten und die Experten aus den Fachabteilungen gehören an einen Tisch. Denn die Geschäftsprozesse zu verstehen ist für die Entwicklung datengetriebener Lösungen genauso wichtig wie KI-Know-how oder Datenexpertise. Nur gemeinsam können die Beteiligten passende Anwendungen entwickeln. In der Praxis ist genau dieses Miteinander häufig das Problem: Grenzen zwischen den Abteilungen und in den Köpfen erschweren die Zusammenarbeit.

Für den Erfolg von KI-Projekten ist dieses Verständnis zwischen Fach- und IT-Experten aber von zentraler Bedeutung. Alle Beteiligten müssen sich über die Ausgangssituation im Klaren sein. Sie müssen die technischen sowie fachlichen Herausforderungen verstehen und ein gemeinsames Zielbild schaffen. Mangelndes Verständnis verhindert diese einheitliche Vision des Projekts. Das Resultat sind unpräzise Anforderungen und unausgereifte Anwendungsfälle. Das Workshop-Format Interaction Room (IR) setzt bei diesen beiden Herausforderungen von KI-Projekten an: bei der Kommunikation zwischen den Beteiligten und der Auswahl geeigneter Anwendungsfälle.

KI einen Raum geben
Ursprünglich kommt das IR-Konzept aus der klassischen Softwareentwicklung: Experten der Universität Duisburg-Essen entwickelten es, um den Einstieg in Softwareprojekte zu erleichtern. Beim IR handelt es sich eigentlich um einen echten, begehbaren Raum. Inzwischen haben die IR-Macher das Konzept um eine Remote-Variante erweitert, die die Zusammenarbeit verteilt arbeitender Teams unterstützt. Speziell für die Anforderungen in KI-Projekten steht der IR:KI zur Verfügung. Die Idee hinter dem IR ist schnell beschrieben: Er bietet allen, die an einem Projekt beteiligt sind, eine organisierte Kommunikationsplattform. Und er sorgt für das dringend notwendige einheitliche Verständnis im Team. Der Einsatz des IR dient mehreren Zielen:

  • der Fokussierung auf die erfolgskritischen Aspekte,
  • dem frühzeitigen Identifizieren und Beseitigen von Risiken durch intuitive Visualisierungsmethoden, dem Verbessern der Zusammenarbeit und
  • dem Verankern einer gemeinsamen Projektverantwortung von Fachabteilung und IT.

Der IR macht die Zusammenhänge zwischen Prozessen, Daten und Anwendungslandschaft transparent und schafft die Basis für effiziente Abstimmungsprozesse. Er ist eine Methode, die das Interesse der Beteiligten auf den Projektfortschritt lenkt. So trägt er dazu bei, dass alle die Vision von der zu entwickelnden Software kontinuierlich weiterentwickeln. Typisch für den IR ist der Aufbau des Workshops: Teilnehmer kommen in einem Raum zusammen und arbeiten gemeinsam an der Erstellung diverser Landkarten, in der IR-Terminologie auch „Canvases“ genannt. 

Diese Landkarten sind das zentrale Hilfsmittel, um folgende Aufgabenstellungen zu lösen:

Verstehen: KI-Potenziale zu entdecken erfordert es, sowohl das Geschäftsmodell als auch die vorhandenen und optionalen Datenquellen zu kennen und zu verstehen.
Identifizieren: Das Ziel des Workshops ist es, umsetzbare KI-Anwendungsfälle zu identifizieren, die auf Voraussetzungen und Anforderungen zugeschnitten sind.
Priorisieren: Die Teilnehmer sammeln und priorisieren – unter Berücksichtigung von Kosten, Zeit, Nutzen und rechtlichen Aspekten – die identifizierten Anwendungsfälle.

Dieses strukturierte Darstellen von Erkenntnissen und Ergebnissen in der Form handschriftlicher Notizen und grafischer Ergebnisse auf Flipcharts und Whiteboards ist zentral für einen IR-Workshop. Es sorgt für einen Detaillierungsgrad, den alle Teilnehmer – unabhängig von Ausbildung und Arbeitsschwerpunkt – verstehen. Dank der Canvases ist der Fortschritt der Bearbeitung jederzeit sichtbar.

Um den Besonderheiten der Entwicklung von KI-Anwendungen gerecht zu werden, setzt der IR:KI auf vier spezielle Landkarten. Mit ihrer Hilfe erarbeiten die Beteiligten mögliche KI-Anwendungsfälle in ihrem Unternehmen. Auf der Kontextlandkarte erfassen sie die fachlichen und die technischen Herausforderungen.

Die Visions- und Ziellandkarte dient dazu, mögliche Zielsetzungen von KI-Anwendungen zu sammeln und zu systematisieren. Die Arbeit an dieser Landkarte trägt dazu bei, dass das Projektteam eine gemeinsame Vorstellung der Zielsetzung entwickelt. Zu Beginn stellt ein KI-Experte Anwendungsfälle aus der Praxis im Rahmen eines Impulsvortrages vor. Dies hilft den Beteiligten dabei, schneller in den Kreativprozess des Findens eigener Ideen zu kommen.

In der folgenden Identifikationsphase werden KI-Anwendungsfälle mit Use-Case-Steckbriefen dokumentiert. Auf der Prozesslandkarte entwickelt das Team erste Konzepte für Anwendungsfälle. Anschließend bewerten und priorisieren die Beteiligten die zuvor identifizierten Use Cases hinsichtlich Geschäftsnutzen und Umsetzbarkeit. 

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Die vier Landkarten des KI:IR erleichtern die Umsetzung von KI-Projekten.
© Bild: Adesso

Eine zentrale Rolle spielt dabei die konsequente Wertorientierung: Die entscheidende Frage ist, wie das IR-Team die wesentlichen und kritischen Teile einer möglichen KI-Anwendung identifiziert. In der Praxis haben Projektbeteiligte die Tendenz, einfachen Zusammenhängen, die sie schnell verstehen, zu viel Zeit und Ressourcen zu widmen. Dies kann gerade bei neuen und noch unbekannten Technologien wie KI zu Fehlentscheidungen führen.

Die Antwort des IRs auf dieses Thema ist die sogenannte „Wertannotation“ von Prozess- und Objektmodellen, dargestellt durch entsprechende Symbole. In mehreren Durchgängen befestigen die Teilnehmer die Annotationen in Form von Symbolaufklebern an dem Prozessmodell. In einem weiteren Durchgang bewertet jeder Teilnehmer der IR-Session, zu welchen Sachverhalten noch zu wenig Detailkenntnis im Team verfügbar sind. Auch dieses Herausarbeiten eines möglichen Know-how-Defizits spielt gerade im Kontext von KI-Anwendungen eine wichtige Rolle.

Neben der konsequenten Wertorientierung ist der richtige Umgang mit Ungewissheit gerade zu Beginn von KI-Projekten von großer Bedeutung für den Erfolg. In den frühen Phasen der meisten Softwareentwicklungsprojekte sind nicht alle fachlichen Zusammenhänge gleichermaßen bekannt oder klar. Beim Entwickeln datengetriebener Anwendungen verschärft sich die Situation noch einmal: Das Team wird am Anfang kaum sagen können, ob es die gewünschte Lösung auf der vorhanden Datenbasis aufbauen kann. Die Qualität dieser Datenbasis – Verfügbarkeit, Informationsgehalt, Nutzungsrecht – ist entscheidend für den Projekterfolg. Die Visualisierung auf den Landkarten hilft den Beteiligten dabei, das Thema Daten schnell zu erfassen und zu durchdenken.

KI-Anwendungen sind bunt und vielfältig. Es ist sozusagen für jeden Geschmack etwas dabei. Es gilt, in all der Vielfalt die Anwendungsfälle zu finden, die zum Unternehmen, zur Branche, zu Prozessen, zu den Kunden und zur Belegschaft passen. Dafür bietet IR:KI ein geeignetes Werkzeug: Am Ende eines Workshops steht eine Liste priorisierter KI-Anwendungsfälle als Grundlage für die zeitnahe Umsetzung. Dadurch sind die KI-Experten in der Lage, in kurzer Zeit sichtbare Ergebnisse zu erzielen.

Volker Gruhn ist Aufsichtsratsvorsitzender und Gründer von Adesso, www.adesso.de.


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