Flexibilisierung der digitalen Arbeit

Kleines Karo, weite Welt

13. September 2022, 7:00 Uhr | Dr. Wilhelm Greiner
© Wolfgang Traub

„Wissensarbeiter“ – sprich: Leute, die ihren Job am Computer erledigen – konnten in Pandemiezeiten nach kurzer Umstellungsphase einfach von zu Hause aus weiterarbeiten – anders als beispielsweise Beschäftigte im Handel, in Arztpraxen, Kliniken, bei kommunalen Dienstleistern etc. Remote Work, früher Telearbeit genannt und als Exot betrachtet, hat sich dabei so gut bewährt, dass viele bereits vom „neuen Normalzustand“ sprachen. Doch nun – die Pandemie scheint überwunden – diskutiert man vom deutschen Mittelständler bis zu manch einem US-Konzern über die Pflicht zur Rückkehr ins Büro. Diese Debatte ist vor allem eines: unglaublich kleinkariert – und deshalb potenziell schädlich für Unternehmenskultur und Unternehmenserfolg.

Der Autor dieser Zeilen kann sich angesichts der aktuellen Home-Office-Debatte ausnahmsweise mal als Vorreiter fühlen – ein Hipster der Arbeitswelt, der schon remote arbeitete, bevor es cool war. Denn ein freiberuflicher Journalist arbeitet prinzipbedingt dort, wo er leichtsinnigerweise das Notebook aufklappt, bevorzugt im Home-Office, zudem zeitlich flexibel, immer online, gerne mal unterstützt von Cloud-Services – und in diesem Fall bei sommerlichen Temperaturen auf dem Home-Office-Freisitz mit Blick über eine Gegend, in der andere (derzeit gefühlt viel zu viele andere) Urlaub machen.

Doch längst nicht alle Unternehmen tun sich mit dem flexiblen Arbeiten so leicht wie der journalistische Ein-Mann-Betrieb: Zu komplex sind die Vorgaben der Arbeitgeber, zu heterogen die Wünsche der Belegschaft, zu eingefahren die über Jahrzehnte etablierten, auf Präsenz getrimmten Arbeitsabläufe. Und so lockt vielerorts das gute alte Büro mit der Aussicht auf eine Rückkehr in die gute alte Zeit vor der Pandemie – mal vom Chef vorgegeben, mal von zumindest einem Teil der Belegschaft herbeigesehnt. Doch mit dieser Rückkehr könnten sich die Unternehmen laut Ansicht manch eines „Future of Work“-Vordenkers den Weg zum dringend nötigen Wandel verbauen.

„Nach der Pandemie haben wir eine großartige Chance. Wir können uns dafür entscheiden, die Normen rund um ‚nine to five‘ und Montag bis Freitag, um synchrone Arbeit, um das Büro, um unseren Fetisch für seltsame Maßstäbe wie Produktivität und um die Rolle der Arbeit als Teil des Lebens zu hinterfragen“, schrieb zum Beispiel Dominic Price, Work Futurist bei Atlassian, Ende letzten Jahres auf seinem Blog. Seine Folgerung: „Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um die Kulturen (ja, es gibt mehrere) zu gestalten, die Sie in Ihrem Unternehmen haben wollen, und zwar vorsätzlich und nicht zufällig. Es ist eine Chance, die besten Mitarbeiter in Bezug auf Werte, Kompetenzen und Wirkung anzuziehen und zu halten.“

So weit die Theorie. Die Praxis sieht oft anders aus. In den USA zum Beispiel forderte Tesla-Chef Elon Musk, der vielen als Vordenker gilt, in unmissverständlichen, man möchte fast sagen herrischen Worten: „Jeder, der remote arbeiten möchte, muss mindestens (und ich meine *mindestens*) 40 Stunden pro Woche im Büro sein oder Tesla verlassen.“

Bei Apple wiederum lautete die Post-Covid-Parole im Frühjahr: mindestens drei Tage pro Woche im Büro, sonst drohe die Unternehmenskultur zu bröckeln. Dann machte der Konzern einen Rückzieher – im kurz vor der Pandemie eröffneten neuen Headquarter in Cupertino gähnte weiterhin die Leere. Doch ab September soll wieder „persönliche Zusammenarbeit“ herrschen. Hierzulande ist laut einer OnePoll-Umfrage im Auftrag von Citrix gut ein Drittel (34 Prozent) der Büroangestellten in Vollzeit ins Büro zurückgekehrt, 20 Prozent verbringen nun drei bis vier Wochentage im Büro, 17 Prozent ein bis zwei Tage. Nur eine kleine Minderheit von sieben Prozent arbeitet weiterhin komplett remote. (22 Prozent gaben bei der Umfrage an, dass ihr Büro während der Pandemie nicht geschlossen war.)

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