Interview mit Dirk Schiller von Computacenter

Kulturschock Cloud Computing

4. Juli 2011, 16:56 Uhr | LANline/Dr. Wilhelm Greiner

Die LANline sprach mit Dirk Schiller, Leader Cloud Solutions bei Computacenter, über den derzeit anlaufenden Wandel hin zum Cloud Computing, Wein in alten Schläuchen, Möglichkeiten für und Bedarf an Cloud-Services und Consumerization.

LANline: Herr Schiller, Sie sprechen im Hinblick auf Cloud Computing von einem anstehenden „Kulturschock“. Skeptiker hingegen behaupten, Vieles am Cloud Computing sei lediglich „Wein in alten Schläuchen“. Inwiefern steht den Unternehmen also tatsächlich durch die Cloud ein Kulturschock bevor?

Schiller: Natürlich ist Manches am Cloud Computing „Wein in alten Schläuchen“: Viele Technologien, die für die Cloud eine Rolle spielen, gibt es schon sehr lange. Man denke etwa an den ASP-Hype vor zehn Jahren. Neu ist allerdings, dass heute die Technologie reif ist für die Umsetzung und die Menschen sich darauf einlassen. Ein Kulturschock ist insofern zu befürchten, als heutige IT-Abteilungen noch gar nicht so aufgestellt sind, dass sie Cloud Computing gezielt umsetzen könnten. Oft ist noch nicht einmal klar: Wer soll das machen? Das Server-, das Storage, das Applikations- oder das Netzwerkteam?

LANline: Besteht der Kulturschock nicht vielmehr darin, dass viele IT-Abteilungen gerade kleinerer und mittlerer Unternehmen durch den Trend zum Cloud Computing Gefahr laufen, wegrationalisiert zu werden?

Schiller: Nein, mittelfristig wird es neben den Public Clouds weiterhin eigene Rechenzentren in den Unternehmen geben. Denn hochgradig angepasste Anwendungen bleiben im eigenen RZ. Lediglich Standardapplikationen wie Office oder Mail werden zunächst in die öffentlichen Clouds wandern. Dies bedroht die IT-Abteilungen aber nicht, denn kein Unternehmen hat heute zu viele Mitarbeiter in der IT. Vielmehr wird dieser Trend die Qualität der IT-Service-Delivery erhöhen: durch Standardisierung, Entlastung der IT-Abteilung und durch IT-Business-Alignment.

LANline: Und wo kommt das qualifizierte Personal für die Vermittlung zwischen Business-Anforderungen und Private oder Public Clouds her?

Schiller: Dies ist in der Tat ein wunder Punkt. Es wird sicherlich manch einfache Aufgabe wegfallen, während die verbleibenden Aufgaben immer komplexer werden. Die IT muss zudem näher ans Business heranrücken, das ist eine andere Arbeitsweise als bisher. Das Potenzial bei den IT-Mitarbeitern hierzu ist da, nicht nur bei den Akademikern, von denen viele vor einigen Jahren fachfremd in die IT gekommen sind.

LANline: Unter IT-Leitern herrscht häufig große Skepsis gegenüber der Cloud, während jüngere Mitarbeiter mit Cloud-Services viel entspannter umgehen – manche sagen: zu entspannt.  Viele dieser Mitarbeiter sind heute im Privatumfeld die Nutzung von Cloud-Services schon gewohnt und bringen die Erwartungshaltung, Dienste „aus der Wolke“ nutzen zu können, ins Unternehmen mit – Stichwort Consumerization. Erfordert der Umstieg von interner IT zu öffentlichen Cloud-Services also einen Generationswechsel?

Schiller: Der Umschwung wird sicher länger dauern, als viele heute denken. Zahlreiche Analysten sagen: Es geht jetzt gerade erst los mit dem Cloud Computing. Viele Unternehmen stehen heute erst im Stadium des Proof of Concept, also ganz am Anfang der Umsetzung. Für den Aufbau einer Private Cloud  sind langfristig drei Schritte erforderlich: erstens standardisieren, virtualisieren, kapseln, also funktionale Einheiten festlegen, zweitens automatisieren, drittens wechseln zum Cloud Computing, um die ersten beiden genannten Schritte optimal nutzen zu können.

LANline: Dies sind drei Schritte, die aus Sicht der IT notwendig sind. Aber wer will die Cloud denn überhaupt: die IT oder die Fachabteilungen?

Schiller: Das ist ein wichtiger Punkt. Derzeit springen viele auf den Hype auf. Fragt man die IT-Entscheider allerdings, ob denn überhaupt Bedarf an extrem dynamischen IT-Services oder Pay-per-Use-Modellen besteht, dann erfährt man häufig, dass dies gar nicht gegeben ist. Es gilt, konkret zu untersuchen, welche Projekte sich dafür eignen, in die Cloud transferiert zu werden. Ein schönes Beispiel sind virtuelle Desktops, auch wenn solche Projekte oft gar nicht unter der Überschrift „Private Cloud“ laufen.

LANline: Heute werden zwei Modelle diskutiert: die Private Cloud und die Public Cloud. Setzt aber die IT-Abteilung eines Konzerns heute eine Private Cloud auf, so wird sie feststellen, dass sie je nach Tageszeit oder Saison Überkapazitäten hat. Diese Überkapazitäten könnte sie – entsprechende Mechanismen und Prozesse vorausgesetzt – auf dem freien Markt anbieten und damit selbst paar Public Cloud Provider werden. Ist die Private Cloud damit nur eine Vorstufe zum Public Cloud Computing?

Schiller: Ja, letztlich ist die Private Clouds ein Übergangsmodell, denn langfristig werden sich dank vollständiger Vernetzung Ressourcen beliebig verschieben lassen. Derzeit ist dies allerdings längst noch nicht gegeben, auch wenn manche Cloud Provider diesen Anschein erwecken wollen. Denn Applikationsfreiheit ist nicht das gleiche wie vertragliche Freiheit.

LANline: Herr Schiller, vielen Dank für das Gespräch.

Dirk Schiller, Leader Cloud Solutions bei Computacenter. Bild: Computacenter

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