Cloud-Technik im Telco-Umfeld

Lösungsansatz für die Mobilfunkbranche

15. Januar 2014, 7:00 Uhr | Volker Held, Head of Industry Landscape bei Nokia Solutions and Networks. Stefan Kindt ist dort Head of Technology Marketing, www.nsn.com.

Nachdem Cloud Computing bereits seit einigen Jahren ein Megatrend in der IT-Industrie ist, bewegt sich auch die Telekommunikationsbranche in die Cloud. Allerdings ergeben sich im Telekommunikationsumfeld spezielle und sehr stringente Anforderungen, die bei einer Implementierung zu beachten sind, insbesondere in den Bereichen Orchestrierung, Verfügbarkeit und Herstellerunabhängigkeit.Berücksichtigt ein potenzieller Cloud-Nutzer die Anforderungen nach Orchestrierung, Verfügbarkeit und Herstellerunabhängigkeit von vornherein, winkt der Lohn in Form von Kosteneinsparungen, mehr Flexibilität in Netzen, verbesserter Innovationsfähigkeit und neuen Geschäftsmodellen. Die technischen Lösungen für die Telco-Cloud erreichen heute schon Marktreife. Für Netzbetreiber wie auch Hersteller gilt es nun, die Technik in eine ganzheitliche Strategie einzubetten, die auch die gesamte Netzarchitektur und die Organisationsentwicklung umfasst.   Aktuelle Herausforderungen Mobilfunkbetreiber stehen heute mehr denn je unter Profitabilitätsdruck. Gleichzeitig ergeben sich im mobilen Breitbandbereich neue Potenziale durch neue Services, die die Betreiber zum Teil mit Partnern realisieren, durch innovative Geschäftsmodelle und die richtige Paketierung der Dienste. Die Profitabilität ist dann entscheidend von den folgenden vier Trends bestimm. 1. Unvorhersehbares Wachstum des Datenverkehrsvolumens: Ein eindrucksvolles Beispiel war die Einführung von Apples neuem mobilen Betriebssystem IOS 7. Innerhalb von nur ein paar Stunden hatten 130 Millionen Menschen ihre Geräte aktualisiert, was zu einer kurzzeitigen Verdopplung des Datenaufkommens bei einigen ISPs führte. Die Auswirkungen zukünftiger Techniken wie Ulta-HDTV und bestimmter Maschine-zu-Maschine-Services auf das Verkehrswachstum lassen sich heute so gut wie nicht abschätzen. Eines ist jedoch klar: Netzkapazität muss künftig sehr flexibel und schnell verfügbar sein. Cloud-Technik kann entscheidend dabei helfen, die benötigten Netzressourcen direkt zur Verfügung zu stellen, da Ressourcen-Pooling und Elastizität inhärente Eigenschaften einer Cloud-Architektur sind. 2. Kürzere Innovationszyklen: Während im Telekommunikationsbereich die Zeit von der Code-Erstellung bis zur Produktivität aufgrund der Komplexität der Netze üblicherweise einige Monate beträgt, rechnet die Cloud-Welt in Minuten. Mobilfunkbetreiber könnten dadurch sehr viel besser mit neuen Diensten "experimentieren" und ihre Schlagzahl erhöhen. 3. Kundenzufriedenheit: Die Ergebnisse der von NSN (Nokia Solutions and Networks) jährlich in einer weltweit durchgeführten "Acquisition and Retention"-Endkundenstudie legen die Treiber der Kundenzufriedenheit der mobilen Kommunikation offen. Im Zeitalter der mobilen Breitbandnetze ist aus Sicht der Endkunden die Netz- und Service-Qualität ganz klar Zufriedenheitskriterium Nummer 1. Gleichzeitig sehen Kunden in vielen Märkten dabei das größte Verbesserungspotenzial. Service-Cloud-Lösungen bringen Anwendungen und die Inhalte an die Netzgrenze, sogar bis in die Basisstationen des Funknetzes. Damit sind lange Transportwege im Netz und damit eventuelle Engpässe und Warteschlangen vermeidbar. Die Service-Cloud kann dabei ihre Ressourcen verschiedenen Diensten und Inhalten dynamisch nachfrageabhängig zuweisen. Zusätzlich kann eine zentrale Ende-zu-Ende-Programmierbarkeit des Netzes, die auf Echtzeit-Daten etwa zur Netzressourcenauslastung beruht, die Netzqualität steuerbarer machen. 4. Kosteneinsparungen: Nach Berechnungen von Nokia Solutions and Networks müssen Mobilfunkbetreiber ihre durchschnittlichen "Produktionskosten" pro Bit (TCO pro Bit) bis zum Jahr 2020 um mindestens 98 Prozent senken, um weiterhin profitabel zu sein. Besonders die Automatisierung verschiedener Betriebsprozesse wie etwa der Bereitstellung von Netzressourcen kann entscheidend dabei helfen, die Betriebskosten entscheidend zu minimieren.   Die Bausteine einer Telco Cloud Die Telco-Cloud nutzt drei wesentliche Technikkomponenten, die zusammen eingesetzt die Telekommunikationsnetze in Richtung einer softwaregesteuerten und programmierbaren Infrastruktur verändern werden. Cloud Computing ist ein Geschäftsmodell, das auf automatisierten Datenzentren mit virtualisierten Compute- und Storage-Ressourcen beruht, die ein hohes Maß an Elastizität bieten. Dabei bieten die Provider Infrastruktur, Plattformfunktionalität und Applikationssoftware "as a Service" an. Software-Defined Networking (SDN) separiert die Kontroll- von der Paketübertragungsebene. Eine zentralisierte Kontrollebene mit offenen APIs macht das Netz damit besser programmierbar. Network Functions Virtualization (NFV) nutzt Virtualisierungstechnik aus der IT-Welt, um die Netzfunktionssoftware von der Hardware zu unabhängig zu machen. Dies erlaubt, die Nutzung von nicht-proprietärer Standardhardware im Telekommunikationsumfeld. NFV lässt sich sowohl auf die Paketverarbeitung (Packet Processing) als auch auf Funktionen der Kontrollebene in Mobilfunk- und Festnetzinfrastrukturen anwenden.   Cloud-Initiativen im Core starten Viele Netzbetreiber definieren derzeit ihre Cloud-Strategie. Typische Fragen sind dabei: Wo sollte man anfangen, da sich nicht das ganze Netz auf einmal umbauen lässt? Was sind die Besonderheiten einer Telco-Cloud, die es zu beachten gilt? Aus mehreren Gründen bietet es sich an, im "Herzen" des Netzes, also im Mobile Core Network anzufangen: Die Kosten-Nutzen-Relation ist an dieser Stelle nachweisbar am besten, da sich sehr schnell Ergebnisverbesserungen einstellen, die Technik reif ist und die Implementierung relativ risikolos, wenn bestimmte Besonderheiten beachtet werden. Die gegenwärtige Architektur ist von der 3GPP-Evolution grundsätzlich bereits auf die Cloud vorbereitet, da die Control- und User-Plane schon voneinander getrennt sind. Ein Hauptgrund dafür war die Zusammenfassung der Kontrollfunktionen wie MSC-Server oder IMS in zentralen Sites. Durch diese Trennung lassen sich beide Ebenen unabhängig voneinander in einer Cloud implementieren, und es bietet sich an, die bereits abgetrennten Kontrollfunktionen weiter zusammenzufassen und auf der gleichen virtuellen Plattform laufen zu lassen. Worauf kommt es bei diesem ersten Schritt an? Die wesentlichen Komponenten der Cloud-Plattform sind die virtualisierten Compute- und Storage-Ressourcen, die mithilfe eines virtualisierten LANs vernetzt sind. Ein Infrastruktur-Manager verwaltet diese virtuellen Ressourcen und stellt APIs zur Verfügung, die einen automatisierten Zugriff auf diese Ressourcen erlauben. Diese IT-Plattformen sind weitgehend standardisiert und bieten daher eine gute Basis für die vereinheitlichte Virtualisierung und die On-Demand-Bereitstellung von Funktionen eines Telekommunikationsnetzes. Im Telekommunikationsumfeld sind jedoch spezifische Anpassungen der Cloud Stacks notwendig, die die IT-Hersteller bisher nur bedingt bereitstellen und die eine spezifische Integrationsleistung erfordern. Anpassungen der Cloud-Plattform sind nötig, damit der Infrastruktur-Manager den hohen Anforderungen an Verfügbarkeit und Latenzzeiten von Netzfunktionen genügt. So ist die Erweiterung der Cloud Stacks um eine SLA-gesteuerte Zuweisung von Compute-Ressourcen notwendig, um die kurzen Latenzzeiten zu realisieren, die für die Signalisierung im Mobile Core notwendig sind. Aufgrund dieser Notwendigkeiten arbeitet zum Beispiel NSN mit seinen Partnern an Erweiterungen der Cloud Stacks, die diese Anforderungen erfüllen. Darüber hinaus sollten sich Netzbetreiber nicht dem Risiko aussetzen, sich dauerhaft an einen bestimmten Cloud-API-Anbieter zu binden. Daher muss sich die Industrie entweder auf eine begrenzte Zahl von API-Varianten verständigen, oder noch besser: Betreiber sollten auf offene Lösungen setzen, um unabhängig von spezieller Hardware oder einem bestimmten Cloud-Stack zu sein. Insider gehen davon aus, dass im Laufe der Zeit weitere Cloud-Stack-Anbieter die Telekommunikationsbranche bedienen werden. Nur ein Cloud-Stack- und Hardware-unabhängiger Ansatz stellt sicher, dass auch neue Angebote Unterstützung erfahren.   Orchestrierung und Applikations-Management Es genügt bei Weitem nicht, die Funktionen der Service- und Kontrollebene wie zuvor beschrieben zu virtualisieren. Eine voll funktionsfähige Telco-Cloud benötigt darüber hinaus Orchestrierungs- und Applikations-Management-Fähigkeiten, um Netzfunktionen automatisiert bereitstellen zu können und eine höchstmögliche elastische Skalierbarkeit des Netzes zu erreichen. Diese Funktionalität erlaubt das kontinuierliche Monitoring des Runtime-Status der Software in der Telco-Cloud und die Verteilung der Software auf verschiedene Clouds, um bei Kapazitätsschwankungen eine möglichst große Flexibilität zu erreichen. Zusätzlich können die Netzfunktionen dem Volumen und der Art des Datenverkehrs im Netz angepasst werden. Das größte Risiko für die Verfügbarkeit stellen Fehler dar, die beim Management der Cloud-Infrastruktur auftreten. Lediglich ein hoher Automatisierungsgrad über geeignete Orchestrierungssysteme kann dieses Risiko minimieren. Daher sollte das Applikations-Deployment über vorgefertigte Templates gesteuert werden, die genau vordefinieren, welche virtuellen Ressourcen für bestimmte Netzfunktionen mit einer bestimmten Kapazität anzufordern sind. Um den hohen Automatisierungsgrad zu erreichen müssen mehrere Voraussetzungen gegeben sein: Orchestrierung und Applikations-Management müssen von der zugrundeliegenden IT-Infrastruktur über klar definierte APIs getrennt sein. Des Weiteren sollte die die neue Cloud-Infrastruktur in das bestehende FCAPS-System (Fault, Configuration, Accounting, Performance, Security) integriert ein, um zusätzliche Komplexität zu vermeiden, besonders in der Phase des Übergangs, in der über einen längeren Zeitraum klassische Netzelemente zusammen mit virtuellen Netzfunktionen arbeiten. Neben den technischen Voraussetzungen sind auch die Betriebsprozesse anzupassen. Da vormalige Netzelemente zu reinen Softwareprodukten werden, die auf einer Standard-IT-Infrastruktur laufen, unterscheidet sich der Netzbetrieb vom Betrieb eines IT-Datacenters nur noch wenig. Dies erfordert wiederum ein hohes Maß an Zusammenarbeit zwischen den Organisationen für den IT- und für den Netzbetrieb.   Standardisierung und Automatisierung Die erzielbaren Kosteneinsparungen lassen sich als quantitativ messbare Nutzendimension anhand eines konkreten Fallbeispiels ermitteln. Vergleicht man den Status quo eines aktuellen Core-Netzes mit deutschlandweiter Abdeckung mit dem eines voll "cloudifizierten" Netzes der gleichen Kapazität, offenbaren sich die Einsparpotenziale. Die Kosteneinsparungen resultieren im Wesentlichen aus der Standardisierung der Computing-, Storage- und Netzressourcen sowie dem hohen Automatisierungsgrad aller Management-Prozesse. In welchem Umfang sich die Einsparungen tatsächlich erzielen lassen, hängt maßgeblich vom Umfang der in die Cloud verlagerten Netzfunktionen ab, also beispielsweise IP-Multimedia-Subsystem (IMS), Telephony Application Server (TAS) oder Home Subscriber Server (HSS). Mit nur einer Netzanwendung in der Cloud wird sich unter dem Strich kein signifikanter Einsparungseffekt ergeben. Im Musterbeispiel zeigte sich, dass die Administrierungskosten um bis zu 25 Prozent sinken können. Durch die Konsolidierung der Service- und Kontrollinfrastruktur von 23 Standorten mit MSS (Mobile Switching Centre Servers), OSS (Operational Support Systems), BSS (Business Support Systems), Subscriber Data Bases auf drei Datenzentren mit Cloud-Infrastruktur sinken die Standortkosten um bis zu 65 Prozent. Die Einsparungen für Wartung und Betrieb belaufen sich insgesamt auf mehr als 60 Prozent.   Schlüsselbereiche für den Cloud-Umbau Die Virtualisierung der Service- und Kontrollebene im Core-Netz ist der erste Schritt. Abhängig vom Innovationstempo des Netzbetreibers wird sich ein Umbau der Infrastruktur und der Betriebsprozesse in Richtung Cloud bis zum Ende des Jahrzehnts erstrecken. Weitere Schlüsselbereiche für die Cloud-Einführung sind: Die Virtualisierung der User-Plane, also der Gateways: Eine Trennung der Control- von der User-Plane mithilfe von SDN-Technik erlaubt es, beide Ebenen unabhängig voneinander zu skalieren und die physischen Ressourcen optimal auszulasten. Dabei sollte Service-Chaining zum Einsatz kommen, also die effiziente Zuweisung von Funktionen wie Tunneling, Deep Packet Inspection, Ciphering zu einem individuellen Datenstrom, nur für den Fall, dass sie wirklich gebraucht werden. Die Cloud-Einführung im Funknetz: Aufgrund der starken Topologieabhängigkeit und der extrem hohen Echtzeitanforderungen müssen die Verantwortlichen dabei selektiv vorgehen. Das Kosten-Leistungs-Verhältnis von derzeitigen Standard-IT-Plattformen kann für viele Funktionen im Funknetz nicht überzeugen, was ihren Einsatzbereich in dieser Domäne einschränkt. Einen direkten Mehrwert für Netzbetreiber ebenso wie für deren Kunden bietet allerdings die Implementierung einer Service-Cloud im Funknetz. Dabei werden Application Processing und Content flexibel und situationsabhängig zugewiesen, zum Beispiel zur Optimierung des Kundenerlebnisses. Endkundendienste und deren Bereitstellung werden mithilfe von Echtzeit-Netzinformationen optimiert, was wiederum für Netzbetreiber die Tür zu neuen Geschäftsmodellen mit Partnern aus dem Content-Bereich aufstößt. Netzweite Orchestrierung mithilfe zentraler Applikationen: Letztlich geht es nicht nur um die automatisierte Steuerung individueller Netzfunktionen oder Netzdomänen. Ziel ist die zentrale Steuerung der Telco-Cloud über Domänengrenzen hinweg mithilfe eines Global Network Orchestrators (GNO). Diese Daten- und Applikationsarchitektur umfasst die Prozesse, Ressourcen und Netztopologieinformationen, die notwendig sind, um Dienste und Anwendungen über das gesamte Netz hinweg auszurollen und zu steuern. Der GNO stellt Informationen aus dem Netz für Management-Applikationen wie SON oder CEM bereit. Diese Informationen sind nötig, um das Netz zu optimieren.

Bild 3. Schlüsselbereiche einer Telco-Cloud-Architektur.

Bild 2. Ein Telco-Cloud-Ansatz, der unabhängig von Hardware und Cloud Stack ist: Cloud-Application-Management und Elasticity-Management sind in das bestehende OSS integriert.

Bild 1. Markttreiber und Nutzenaspekte von Telco-Cloud-Umgebungen.

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