10 Gigabit Ethernet über Kupfer

Mehr als eine Frage der Norm

29. Juni 2005, 23:06 Uhr | Yvan Engels/jos Yvan Engels ist Leiter Produkt Management ICT Cables & Systems bei Kerpen.

Zu den größten Herausforderungen bei der Übertragung von 10 Gigabit Ethernet über Kupfer zählt das Beherrschen von Alien Crosstalk. Dieses im Fachjargon ebenfalls als Fremdnebensprechen bezeichnete Phänomen beschäftigt folgerichtig auch die beteiligten Normierungsgremien.

Offenbar steht mit 10 Gigabit Ethernet (GbE) der nächste Techniksprung in der
Kupferinfrastruktur bevor. Treibende Kräfte sind dabei sowohl das Mooresche Gesetz, nach welchem
sich die Anzahl der Transistoren pro Chip alle 18 bis 24 Monate verdoppelt, als auch die
Speicherplatz raubenden Softwareentwicklungen für Office- und Multimediaanwendungen. Anwendung
findet 10 GbE bereits heute in Backbones sowie in Speichernetzwerken und Rechenzentren. Durch diese
Technik rückt der Einsatz von FTTD (Fiber to the Desktop) in weite Ferne. Es bleibt also bei CTTD
(Copper to the Desktop). Über Kupfer ist es nämlich auch möglich, PoE (Power over Ethernet) zu
betreiben. Die weltweite Bedeutung von 10 GbE lässt sich übrigens an der Beteiligung von rund 800
Ingenieuren aus 400 Firmen in IEEE 802.3an festmachen.

Ziele und Randbedingungen der Normierung von 10 Gigabit Ethernet

Im letzten IEEE-802.3-Meeting in San Antonio (15. bis 18. November 2004) fixierten die Experten
für die Übertragung von 10 GbE folgende relevanten Eckpunkte, die im Entwurf IEEE 802.3an-D1.2
beschrieben sind:

Modulationsverfahren: PAM16,

Symbolrate: 800 Ms/s,

Codierung: DSQ (Double Square): 128 Punkte mittels 8 x 8 x 2 Bit und

Nyquist-Frequenz: etwa 400 MHz, B = 2,5/2*ld (8) in GHz.

Zur Sicherstellung der Übertragung von 10 GbE hat sich das verantwortliche Verkabelungsgremium
auf seiner 38. Sitzung in Ixtapa/Mexiko (10. bis 14. Januar 2005) in enger Abstimmung mit IEEE
802.3an auf die Standardisierung einer neuen Klasse E "augmented" verständigt, die einen
Übertragungskanal mit einer oberen Frequenz von 500 MHz aufweisen wird. Dies war erforderlich, da
10 GbE von Klasse D/Kategorie 5 gar nicht und von Klasse E/Kategorie 6 nur bedingt oder
eingeschränkt unterstützt wird.

Lediglich Klasse F/Kategorie 7 erfüllt heute schon alle Anforderungen. Dabei soll wie bei
ISO/IEC 11801 und EN 50173 (zweite Ausgabe) eine Übertragungsstrecke von 100 Metern unter
Verwendung von maximal vier Steckverbinderübergängen unterstützt werden. Die Bitfehlerrate darf
10-12 nicht überschreiten, EMV muss CISPR und FCC Klasse A genügen. Zur Verbesserung des bei 10 GbE
kritischen Signal-/Rauschverhältnisses sollen weiterhin die Dämpfung reduziert und erstmalig das
Alien Crosstalk definiert werden, und zwar mit dem Ziel, Störbeeinflussungen auf ein Minimum zu
begrenzen. Alien NEXT und FEXT beschreiben die unerwünschte gegenseitige elektrische Beeinflussung
von parallel nebeneinander liegenden Kabelstrecken im Installationskanal und im Bereich der
Verteilerfelder.

Die Zukunft von 10GBase-T

Im Jahr 2003 prüfte die IEEE 802.3 10GBase-T Study Group den Komplex 10 Gigabit Ethernet über
Kupfer hinsichtlich der Machbarkeit. Im Jahr 2004 wurde der PAR (Project Acceptance Request)
positiv beschieden und das Normprojekt unter der Bezeichnung IEEE 802.3an Task Force gestartet.
Mittlerweile liegt ein erster Entwurf vor: "IEEE 802.3an D1.2: Physical Layer and Management
Parameters for 10 Gb/s Operation – Type 10GBase-T". Für Mitte und Ende 2005 sind weitere
Normentwürfe geplant. Der finale Standard 10GBase-T ist für die Mitte des Jahres 2006
angesetzt.

Gibt es bei der Übertragung von 10 Gigabit Ethernet in der Praxis noch technische Hürden? Mit
einer um den Faktor 10 größeren Übertragungsleistung als beim bisherigen Standard 1000Base-T sind
auch die Anforderungen an zukunftssichere Verkabelungssysteme erheblich verschärft. Dabei sind die
Übertragungseigenschaften wie beispielsweise Dämpfung, RL und NEXT bis zu der oberen Frequenz von
500 MHz sicherzustellen.

Zu den Kriterien gehören:

a) Dämpfung bei ausgewählten Frequenzen (Übertragungskanal): Dies entspricht dem
Dämpfungsverlauf der heutigen Klasse F unter Verwendung von Kabeln nach Kategorie 7.

b) Return Loss bei ausgewählten Frequenzen (Übertragungskanal)

c) NEXT bei ausgewählten Frequenzen (Übertragungskanal)

Die größte technische Herausforderung bei der Übertragung von 10 GbE ist das Beherrschen oder
wenn möglich das Vermeiden von Alien Crosstalk, einem Phänomen, das auch als Fremdnebensprechen
bezeichnet wird. Es ist stark mit der räumlichen Lage der einzelnen verbunden und beschreibt die
unerwünschte gegenseitige elektrische Beeinflussung von parallel nebeneinander liegenden
Kabelstrecken im Installationskanal und im Bereich der Verteilerfelder. Eine Behandlung ist
schwierig: Störbeeinflussungen durch Alien Crosstalk lassen sich – anders als bei NEXT und FEXT –
nicht vorausberechnen und damit durch DSP (Digital Signal Prozessing) nicht reduzieren. Dies muss
allein durch das Verkabelungsdesign und die Installationsumgebung geschehen, also möglichst
frühzeitig.

d) PSANEXT bei ausgewählten Frequenzen (Übertragungskanal)

Die Anforderungen sind abhängig von der Dämpfung des Übertragungskanals und damit von dessen
Länge. Die Anforderungen für PSANEXT steigen mit wachsender Dämpfung beziehungsweise mit der Länge
des Übertragungskanals. Die Anforderungen für das PSANFEXT (summiertes Fremdfernnebensprechen)
befinden sich bei IEEE 802.3an und ISO/IEC JTC1 SC25 WG3 noch im Beratungsstadium. Ungeschirmte
Verkabelungssysteme sind besonders betroffen und gefährdet, geschirmte Verkabelungssysteme
naturgemäß unproblematisch.

Lässt sich das Alien Crosstalk also vermindern oder ganz vermeiden? Dafür gibt es mehrere
Möglichkeiten, die in ihrer Wirkung, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit unterschiedlich zu
bewerten sind. Da ungeschirmte Verkabelungen im Gegensatz zu geschirmten Verkabelungen in hohem Maß
von ihrer Installationsumgebung abhängig und gegen externe Beeinflussungen anfällig sind, gestalten
sich die Lösungen entsprechend schwierig und aufwändig.

Ungeschirmte Verkabelungen

Um die Probleme im Kontext ungeschirmter Verkabelungen in den Griff zu bekommen, sind mehrere
Ansätze denkbar. Die Vergrößerung des Abstands zwischen den verlegten Kabelstrecken im
Installationskanal gilt zunächst als nicht praktikabel. Die Verlegung der Kabel in Metallrohre ist
zwar sehr effizient, jedoch auch entsprechend teuer. Eine Vergrößerung des Abstands der
Kabelstrecken im Verteilerfeld durch Vermeidung von benachbarten Ports führt zu einer Reduzierung
der Port-Dichte und damit zur Erhöhung der Verteilerkosten. Beim Einsatz von neuen U/UTP-Kabeln mit
deutlich verbessertem ANEXT und AFEXT ist die Praxistauglichkeit noch nicht nachgewiesen, zudem
steht dadurch eine deutliche Preiserhöhung an. Eine Messtechnik für den Qualitätsnachweis einer
solchen Installation existiert ebenfalls noch nicht.

Die Schirmung der Patch-Kabel im Anschluss und Verteilerbereich erlaubt eine Verbesserung des
ANEXT, schafft jedoch kein durchgängiges System. Ein Einsatz von geschirmten Installations- und
Anschlusskabeln vermeidet dagegen eine Abhängigkeit von der Installationsumgebung, ist sehr
effizient und zieht keine Verteuerung nach sich. Außerdem ist ein Qualitätsnachweis per Design oder
im Labor möglich. Gesamt- und einzelgeschirmte S/FTP-Kabel (mit PiMFen) bilden aufgrund ihrer hohen
Immunität die beste Grundlage zur Übertragung von 10 Gigabit Ethernet über Kupfer und sind schon
heute für die Übertragung bis 100 Meter geeignet:

Zu klären ist die Frage, inwieweit und über welche Entfernung die bereits installierte
Verkabelungsbasis für 10 Gigabit Ethernet verwendet werden kann.
Klasse-F/Kategorie-7-Verkabelungssysteme sind für Übertragungsstrecken über 100 Meter ausgelegt und
erfüllen heute schon die Anforderungen voll (grün):

Klasse-E/Kategorie-6-Verkabelungssysteme in geschirmter Ausführung können für
Übertragungsstrecken bis 100 Meter geeignet sein. Voraussetzung ist jedoch das spezifikationsgemäße
Übertragungsverhalten bis 500 MHz. Relevant sind weiterhin noch die Art und die Anschlussqualität
des Schirms. Klasse-E/Kategorie-6-Verkabelungssysteme in ungeschirmter Ausführung können für
Übertragungsstrecken bis 55 Meter geeignet sein. Die ungeschirmten Verkabelungsstrecken müssen
besonders auf ihre Eignung hinsichtlich des Alien Crosstalks geprüft werden.
Klasse-D/Kategorie-5-Verkabelungssysteme unterstützen 10 GbE nicht und kommen für diese Anwendung
nicht in Betracht. Damit muss jedoch nicht zwangsläufig alles verloren sein: Bei Nichtbestehen der
Anforderungen gemäß IEEE 802.3an können Nachbesserungen an der bereits installierten Anlage eine
Verbesserung der Leistung herbeiführen. Beispiele dafür sind:

die Verwendung von geschirmtem anstelle ungeschirmter Anschlusskabel und
entsprechendem Zubehör,

eine signifikante Verkürzung der Übertragungslängen,

der Ersatz von Crossconnect-Verbindungen durch Interconnect-Verbindungen
und

das Streichen so genannter Consolidation Points.

Auch in dieser Frage sind die beteiligten Gremien aktiv: Zurzeit entsteht eine europäische und
internationale Richtlinie (als technischer Report) mit dem Fokus, bereits installierte
Verkabelungssysteme hinsichtlich ihrer 10-GbE-Tauglichkeit zu bewerten und falls erforderlich
entsprechende Empfehlungen für Verbesserungsmaßnahmen auszusprechen.


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